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Gering: Am nothwendigsten erscheint jedoch die Vorfrage, ob überhaupt von einer Methode Kant's geredet werden kann, d. h., ob Kant, um zu seinen Resultaten zu gelangen, ein Verfahren angewandt hat, an welchem die wesentlichen Merkmale der wissenschaft- lichen Methode nachgewiesen werden können. Cohen hat in seinem oben citirten Buche sehr klar aus- einandergesetzt, was er unter „Kants Methode*' versteht: Trans- scendental nennt Kant die Erkenntniss, welche sich mit unsern Begriffen a priori von Gegenstanden beschäftigt; die transscen- dentale Erkenntniss hat keine anderen Objecto, als die meta- physische, aber der Methode, derArt nach ist sie von dieser unterschieden: sie erweisst das a priori erst in seiner Möglich- keit (S. 35, 36). Späterhin spricht er von dem metho- dischen, formalen Werth des Begriffes transscendental (S. 61) und von der »methodischen Richtung'' der Lehre: ,;Sie fragt nach der Möglichkeit eines a priori überhaupt; durch diesen einzigen Gedanken wird die Metaphysik zur Kritik'* (S. 79). Man wird wohl den wesentlichen Inhalt dieser Sätze Cohen's wiedergeben, wenn man sagt: für ihn besteht die Me- thode der Kant'schen Philosophie darin, dass diese Transscen- dentalphilosophie ist. Diese AufTassung wird bestätigt durch die Terminologie Cohen^s in seinem neuesten Werke: „Kantus Begründung der Ethik", wo er einfach von der ,^trans- scendentalenMethode'' Kants spricht Demnach identificirt er Inhalt und Methode: weil Kant im Gegensatz zum Dogma- tismus ein formales a priori lehrte von transscendentaler, nicht transcendenter Art, deshalb hat der Begriff transscendental einen „methodischen, formalen" Werth, und deshalb ist die transscendentale Erkenntniss der „Methode, der Art" nach von der dogmatistischen unterschieden; es scheint somit die Annahme gerechtfertigt, dass „methodisch und formal'*, ebenso wie ,3Icthode und Art" hier etwa dasselbe ausdrücken sollen. Es ist „ein einziger Gedanke, durch welchen die Metaphysik zur Kritik wird", und in diesem einzigen Gedanken, die Mög- lichkeit des a priori zu erweisen, besteht zugleich die Methode des Kriticismus im Unterschied von der des Dogmatismus: Zar philosophischen Methode. H weil Kant zu andern Resultaten, dem „Transscendentalen'S gelangt, deshalb soll er eine andere Methode, nämlich die „trans- scendentale Methode^* haben. Diese Terminologie entpricht dem Sprachgebrauche Kant's, welcher in der „transscendentalen Methodenlehre'' ebenfalls Inhalt oder Resultat und Methode identificirt, indem er von „dogmatischer^' und „skeptischer'' Methode spricht. Zugleich hat Kant dort noch ein unterscheidendes Merkmal seines Knti- cismus angegeben, insofern er jede „dogmatische Methode für unschicklich erklärt und seine Yernunftkritik als „warnende Negativlehre" bezeichnet, da sie für das Wissen nur „negative'' Ergebnisse habe: demgemäss würde man wohl am Passendsten nach Kaufs Vorgang von seiner „negativen" Methode reden, oder auch mit Rucksicht auf den „einzigen Gedanken, durch welchen Metaphysik zur Kritik wird", von seiner „möglichen" Methode. Wer diese Bezeichnungen für unzulässig hält, mag seine Gründe dagegen mittheilen. Wenn man weiss, in welchem Sinne Kant das Woit Methode braucht, so wundert man sich nicht mehr darüber, dass er die „Kritik der reinen speculativen Vernunft einen Tractat von der Methode" nennt; denn diese Kritik ist als „warnende Negativlehre" die Methode, das Wissen aufzuheben, um für den Glauben Platz zu bekommen, lieber diese Me- thode, das Glauben gegen alle Angriffe zu schützen, hat Kant sich in der transscendentalen Methodenlehre ziemlich ausführlich verbreitet; vergl. den I. Artikel des Verf.: Ueber den Begriff der Erfahrung (I. Jahrgang HI. Heft dieser Zeitschrift). Mit dieser Erörterung stimmt eine gelegentliche Aeusserung Kant's vollkommen überein , in welcher er die Methode als ein „Ver- fahren nach Principien der Vernunft" bezeichnet (IV, 275 ed. Hartenskin): bei der Vertheidigung des Glaubens muss man „von den Principien der Vernunft, nicht von den zufalligen Factis der Erfahrung" ausgehen, oder wie Kant an einigen andern Stellen noch deutlicher sagt: Ueber das Dasein Gottes und die künftige Welt muss die Vernunft zuerst sprechen, sonst geräth man in „Atheisterei"; ferner: die Theologie ist der 12 C. Göring: gemeinen Menschenvernunft ebenso begreiflich als den Philo- sophen, ja diese müssen sich an jener orientiren. Hieraus erhellt nun die nähere Beschaffenheit des Ver* fahrens, welches Kant in seinen erkenntniss-theoretischen Unter- suchungen anwandte; bevor er diese beginnt, kennt er bereits das Ziel, bei welchem sie unter aUen Umständen anzulangen haben. Dieses Ziel sind die „Vernunftideen'^ die „eigentlidien Objecte aller Metaphysik'- , für deren Annahme das „zufallige Factum'^ genügt, dass sie als Ideen bei einem Theile der Menschen vorhanden sind. Um sie gegen den „Skepticismus^^ zu sichern, nimmt Kant zu den beiden Stämmen der Erkennt- niss, Sinn und Verstand , mit denen er in seiner vorkritischen Periode ausgereicht hatte, später noch die Vernunft als das „Vermögen der Ideen'^ an, und theilt diese nun wieder ein in die theoretische und praktische Vernunft; denn^ wie er selbst nachdrücklich einschärft, es giebt zwar keinen theoretischen wohl aber einen praktischen Glauben an das Uebersinnliche. Sinn und Verstand müssen demgemäss so eingeschränkt werden, dass sie über die „höchsten Angelegenheiten des Menschen- geschlechts^^, die Vernunftwahrheiten, nicht mitreden können; deshalb beziehen sich ihre Erkenntnisse nur auf Phäuomena, weisen jedoch über diese auf die Neumena hinaus. Hierin liegt der eigentliche „meUiodische Werth** des formalen oder transscendentalen a priori, und die eigentliche „methodische Richtung'^ dieser Lehre. Hiernach kann es nicht befremden, dass, wie Cohen in der Vorrede zu „Kant's Begründung der Ethik'^ sagt, ,4^1 den Männern der Wissenschaft transscendental noch immer im Gerüche des Transscendenten steht'S oder, um weiter in seiner Sprache zu reden, dass sie zwischen der transscendenten Methode des Dogmatismus und der „transscen- dentalen Methode^^ des Kriticismus keinen wesentlichen Unter^^ schied finden. Denn beide überschreiten die Erfahrung in gleicher Weise; Kant hebt zwar das „nothwendige*' Wissen des Dogmatismus auf und behalt nur den Inhalt dessdben als „möglich^^ beiy aber auch bei ihm ist die Erfahrung dieser Mög- lichkeit uDtei^eordnet, wie im Dogmatismus der Nothwendigkeit. Zur philoeophischen Methode. 13 Dies ergiebt sich schon aos der ,,iniintf wiederkehrenden Ver-^ ttcberung der absdUiten Sicherheit und in Sonderheit der apo- dictischen Gewistbeit^* des a priori (Jacobson a. a. 0. S. S). Das« der Dogmatismus ein materiales, der Kritidsmus ein formales a priori hat, kann in Besiehung auf die Metbode nur für denjenigen einen Unterschied begründen ^ dem, wie Cohen a. a O. S. lY. ,,der Satz der transscendentalen Methode als wissenschalUiche Wahrheit von der gleichen Bedeutnng wie einer der logischen Grundsätze gilt^', weil er nämlich in der apriorischen Erfahrung*^ des Kriticismus die ganze philo- sopUsche Wahrheit zu haben glaubt, welche als Ganzes für ihn nieht weiter discutirbar au sein schont Wer dagegen für Gründe überhaupt noch zugänglich ist, wird zwar die Auf- hebung der dogmatischen Metaphysik durch Kant als epoche- machend für die deutsche Phik)sopkie anerkenne» und dem Gedanken einer Kritik oder kritischen Theorie der £rkenntms8 (freilich nicht des ErkeMUnissvermögens) grossen Werth für die philosophische Entwickelung beilegen, aber er wird zu- gleich zugestehen müssen, dass die Kantische Ausfährung dieses Gedankens deshalb auch ihrer Methode nach dogmatistisch ist, weil sie den Hauptzweck des Dogmatismus, wenn auch auf be- sondere Weise, ebenfalls erreichen wollte. Daher wird man die Behauptung Gohen's, dass durch den einzigen Gedankt nach der Möglichkeit des a priori ^ fragen, Metaphysik zur Kritik werde, dalun modificiren müssen, dass eine richtige Ant- wort auf diese Frage die Unmöglichkeit des a priori ergeben hatte, und dass durch ein wahrhaft methodisches Verfahren an die Stelle der Metaphysik eine kritische „Theorie der Erfahrung^, aber nicht einer „apriorischen Erfahrung^^ g^reten wäre. Statt dessen mnaste Kant für seinen Zweck die apodictische Gewiss- heit des a priori ron vornherein annehmen, und seine Ver- nunftkritik wurde daher lediglich von dem Bestreben geleitet^ dieses a priori zu beweisen, nicht aber eine yoraussetzungslose Untersuchung über die „Möglichkeit'' desselben anzustellen. Die berühmte Frage: Wie sind synthetische Urtlieile a priori mög- lich ? nebst der dem Inhalt nach gleichwerthigen : wie ist „Er- 14 . C. Göring: fahrung*^ möglich, d. h. eine Erfahrung, weiche synthetische Urtheile a priori enthält? erhält nur dann einen kritischen Anstrich, wenn man vergisst, dass der Schwerpunkt ausschliess- lich in dem ^^Wie'^ liegt, weil das dass von vornherein fest- steht; orientirt man sich dagegen aus der Beantwortung über die dogmatistischen Voraussetzungen, aus welchen die Frage hervorgegangen ist; so findet man, dass die „transscendentale Fragestellung^^ ganz ebenso dogmatistisch ist wie die „trans- scendentale Methode^S Das charakteristische Merkmal alles dogmatischen Philo- sophirens ist das ^^Yerfahren nach Principien der Vernunft'', oder weniger euphemistisch, dafür aber sachlicher ausgedrückt, das Verfahren der Untersuchung, unbegründete Voraussetzungen unwissenschaftlicher Art zu Grunde zu legen, welche als das absolut oder apodiktisch Gewisse das A. und 0., den Ausgangs- und Zielpunkt aller Erörterungen und Beweise bilden. Es handelt sich dabei gar nicht darum, die Wahrheit zu finden oder Gewissheit zu erreichen, sondern etwas vor aller metho- dischen Untersuchung Feststehendes, irgendwie zu „beweisen^'; den nervus probandi bildet eine beliebige Annahme, welche aber das einzig Feste und Respectirte der ganzen Theorie ist, während man über alles Uebrige willkürlich verfügt, wobei die entgegenstehenden Thatsachen ignorirt oder umgangen werden. Ob nun dieses Verfahren transscendent oder transscendental heisst, auf die Objecte oder auf die Erkenntniss der Objecte sich richtet, macht keinen hier in Betracht kommenden Unter- schied ; die transscendente Methode verwendet das vorausgesetzte materiale a priori, noth wendige Existenzen, als „Principien'S die transscendentale Methode die vorausgesetzten nothwendigen Formen der Anschauung und des Denkens, das formale a priori^ das „apodictisch Gewisse", dessen „Möglichkeit'^ sie exst nach- träglich aus faktischen Erkenntnissen zu erweisen sucht: „Glücklicherweise trifft es sich, dass Mathematik und reine Naturwissenschaft synthetische Urtheile a priori enthalten/^ (Proleg). Den Nachweis der Nothwendigkeit, bei Kant Mög- lichkeit seiner Annahmen führt der Dogmatismus dadurch, dass \ Zar philosophischen Methode. 15 er ihnen entsprechende ^^Vermögen^^ des Intellecls erfinde^ welche, obzwar selbst unbewiesen, doch die Richtigkeit jener verbürgen sollen, wie dies bei Kantus »yVermögen der Ideen'', der „Vernunft^' ganz besonders deutlich hervortritt. Die psy- chologische Untersuchung entdeckt in ihrem methodischen Gange nichts von einem solchen Vermögen; deshalb muss „Vernunft zuerst sprechen*' und nun rückwärts wieder durch den prac- tischen Glauben an ihren Ideen sich selbst sicher stellen — der bekannte circulus vitiosus, nur noch gefährlicher durch das Hineinziehen practischer Momente. Zugleich zeigt sich hierbei recht deutlich, dass es von den Thatsachen so wenig einen Zugang zu den „Vernunftprincipien^' Kant's giebt, wie um- gekehrt von den letztern zu den erstem; denn sowie Kant selbst die „zufalligen Facta" zurückdrängte, weil sie auf das Gegentheil seiner feststehenden Absicht führen, ebenso blieben die Resultate seiner von den ,,Vernunflprincipien'' beherrschten Erkenntnisstheorie ausser allem Zusammenhang mit den psy- chologischen und erkenntniss- theoretischen Thatsachen. Für Kant selbst handelte es sich auch gar nicht darum, Thatsachen und Wirklichkeit zu erreichen; er wollte in erster Linie die Möglichkeit der drei Vernunftideen sicher stellen, und seine auf die diesseitigen Objecte gerichtete Erkenntnisstheorie gipfelte in seiner „möglichen Erfahrung*'. Dass zu diesem Zweck seine apriorischen Formen nothwendig waren, dass sie auch möglich, d. h. denkbar sind, kann man unbedenklich zugestehen; da- durch werden sie aber noch nicht wirklich. Wer nun die Möglichkeit über die Wirklichkeit stellt, der kann sich ja hier- mit begnügen; thut er es nicht, so zeigt er eben damit, dass ihm Wirklichkeit doch für gewisser gilt als Möglichkeit, und hat den Roden des Kantischen Kriticismus verlassen. Denn dieser geht von der Möglichkeit aus und gelangt auch ganz con- sequent wieder zur Möglichkeit, wie man ja überhaupt a priori rein logisch oder analytisch, um mit den vorkantischen Dogma- tismus zu reden, nur von Gleichem zu Gleichem gelangen kann. Diese Einsicht war der alten Metaphysik geläufig und wurde von ihr mit guten Gründen vertheidigt; erst Kant hat 16 C. G5ring: Zar pMloMphischen Kethode. durch die ^dem Kritidsmus unentbehrlichen^' synthetischeii Urtheile a priori diese Grundbedingung alles wirklich metho- dischen Verfahrens aufgehoben und dadurch in logischer und methodischer Beziehung einen entschiedenen Rückschritt ein- gelmtet, der freilich bei ihm selbst weniger deutlich als bd seinen Nachfolgern sichtbar wurde. Leipzig. C. Görlng. Sumesansohauung und logisches Gausalgesetz- Eine Entgregnungr auf die neuesten Ausfühnuigrett Ton E. Zeller« Erster Artikel. Nachdem man in unsern Tagen vielfach das logische Causal- geselz und dessen Durchführung geradezu mit einer bestimmten Welt- und Naturansicht, nämlich derjenigen, welche nur me- chanische Formen des Wirkens kennt, identificirt hat, war es zur dringenden Aufgabe geworden, gegenüber von einem solchen Dogmatismus das Causalgesetz (und mit ihm alle übrigen reinen Denkformen) in erneuter und schärferer Weise, als es durch Kant geschehen konnte, darauf anzusehen, was an ihm rein logisch, und was dagegen bloss empirischen Ursprunges sei. Demgemäss hatte Verf. dieses in seiner neuesten Schrift ^) den eingehenden Nachweis unternommen, dass das logische Causal- gesetz bis jetzt noch gar nicht in seiner Reinheit erkannt, son- dern noch durchweg mit dem Verhältnisse des empirisch realen Wirkens vermengt worden sei, und dass es jetzt erst gelte, dasselbe (ebenso wie alle übrigen Denkformen) aus dieser em- piristischen Veräusserlichung , in der es vor allem bei Kant noch erscheint, zu befreien und es als eine blosse Form des Identitätsgesetzes zu erkennen. Neuestens hat nun aucli ') Logisches Causalgesetz und natürliche Zweckthätigkeit. Zur Kritik aller Kantischen und nachkantischen Begriffsverkehrung. Nördüngen 1877. Vierteljahrsschrift f. wissenschaftl. Philosophie. III. 1. 2 18 K. Ch. Planck: £. Zeller sowohl über das logische Causalgesetz, als auch über dessen angebliches Yerhältniss zur Sinnesanschauung, in einer Weise sich ausgesprochen^), die es nothwendig macht, auch nach dieser Seite hin unsern Nachweis zu vervollständigen und ihn nicht bloss durch eine noch genauere Fassung gegen Missver- standnisse zu sichern, sondern auch über das Wesen der Empfindung und Sinnesanschauung die wünschenswerthen Er- gänzungen hinzuzufügen. ^Handelt es sich doch dabei um Fragen, die mit den Grundlagen der gesammten Wissenschaft im tief- greifendsten Zusammenhange stehen. Wir stellen zuerst die Zeller'sche Auffassung des logischen Causalgesetzes unserer eigenen gegenüber. Nach letzterer ist der Gegensatz von Folge und Grund seinem rein logischen Sinne und Ursprünge nach noch gar kein sachlicher und realer^ sondern entspringt einfach daraus, dass alles, was das denkende Subject als wirklich und thatsächlich betrachten niuss, auch ebendamit (und ganz abgesehen von seinem In- halte) als ein dem Gesetze der Identität gemäss in der objectiven Wirklichkeit enthaltenes gedacht werden muss. Der Gegensatz der Folge und ihres zureichenden Grundes führt also einfach auf den von Subject und Object zurück, darauf dass für alle subjective Setzung eines Wirklichen als gesetz- massige Ergänzung jenes Identitätsverhältniss zur objectiven Wirklichkeit gefordert werden muss. AUer sachliche und reale Unterschied von Ursache und Wirkung dagegen gehört erst den realen Verhältnissen an^ auf welche jenes formale Denkgesetz angewendet wird. Mit diesem Obigen wollen wir nun aber durchaus nicht sagen, dass auch schon das gewöhnliche Denken in dem bestimmten empirischen Falle, in welchem es aus einer Thatsache auf den ihr entsprechenden besonderen Grund schliesst, in bewusster Weise jene allgemeine Grundbedeutung des Gesetzes im Sinne habe, und also in aus- ') In den „Vorträgen und Abbandlungen philos. Inhalts^', 2. Samml. 1877, und zwar in den „Zusätzen" zu der früher schon erschienenen Abhandlung „Ueber Bedeutung und Aufgabe der Er- kenntnisstheorie^^ SinnesanschaauDg und logisches Causalgesetz. 19 dräcklicher Weise an das Verhältniss zur Wirklichkeit als solcher denke. Diess ist vielmehr für gewöhnlich nicht der Fall, sondern das Denken bleibt ganz innerhalb des bestimmten empirischen Inhaltes und des für diesen geforderten besonderen Grundes. Für die Nässe des Bodens z. B., diese erst von aussen gekommene Wirkung, fordert es auch eine demgemässe äussere und zeitlich vorausgegangene Ursache, den Regen oder ein Schmelzen von Schnee u. s. w. Allein was ist denn nun die rein logische Function und Gesetzmässigkeit, die sich hierin vollzieht? Doch gewiss nichts Weiteres, als dass für jene Thatsache ein mit ihrem bestimmten Wesen in Identität stehendes Verhältniss der objectiven Wirklichkeit gefordert wird. Alles Uebrige, dass es also im obigen Falle jene äussere und zeitlich vorausgegangene Ursache ist, gehört schon dem empirischen Inhalte an, nicht mehr dem reinen Denkgesetze des zureichenden Grundes selbst Allein weil das Denken für gewöhnlich schon in dem bestimmten Inhalte sich bewegt, welcher einen realen Unterschied von Seiten innerhalb des Wirkungsverhältnisses in sich schliesst, so hat man übersehen / dass das reine Denkgesetz, das auf diese be- stimmten Verhältnisse angewendet wird, doch nur eben jenes oben bezeichnete formale Identitätsgesetz ist. Nach dieser rein logischen Seite kommt also der bestimmte Inhalt der be- treffenden Thatsache gar nicht in Betracht, sondern einfach für die Thatsache als solche wird gefordert, dass sie dem Gesetze der Identität gemäss in der Wirklichkeit enthalten sei. Jene Nässe des Bodens wäre ein Widerspruch, wenn nicht 1) die Wirklichkeit einen dieser Thatsache entsprechenden Inhalt in sich schlösse, und wenn nicht derselbe 2) in der Natur der Wirklichkeil als solcher läge. Diese letztere Seite ist dann diejenige, zufolge welcher auch wieder für den Regen, für diese empirische Ursache, ein zureichender Grund gefordert werden muss u. s. f. Diese Natur des logischen Causalgesetzes^ tritt daher auch sogleich ganz klar hervor^ sobald es für sich, als allgemeiner Grundsatz, gedacht wird: alles Wirkliche muss als solches 2* 20 K. Ch. Planck: seinen zureichenden Realgrund haben. Hier bleibt dann für den Sinn des zureichenden Realgrundes durchaus nichts mehr übrig, als eben jenes dem Gesetze der Identität gemässe Ent- haltensein in der Wirklichkeit als solcher. Und indem also dieses Denkgesetz in bewusster philosophischer Weise angewendet wird, so wird es zu der Forderung, dass alles Wirkliche seinen wesentlichen Formen nach aus dem erst zu erkennenden und richtig zu voUziehenden Begriffe der Wirk- lichkeit als solcher sich ergebe (eine Forderung, deren einfache und aus der Kritik der reinen Denkformen von selbst sich er- gebende Durchfuhrung S. 17 ff. der oben genannten Schrift bezeichnet ist). Erhebt sich nun auch das gewöhnliche Be- wusstsein zu dieser bewussten und universellen Consequenz des logischen Causalgesetzes nicht, so verehrt es doch auch dann, wenn es nur von einer bestimmten und empirischen Folge auf den entsprechenden besonderen Grund schhesst, sachlich und unbewusst nach jenem reinen Denkgesetze, und die oben ge- gebene Formulirung desselben spricht nur in bewusster Weise sein rein logisches Wesen aus. Zell er nun (S. 516 a. a. 0.) stimmt mit dem Obigen scheinbar darin zusammen, dass auch er ein allgemein giltiges Denkgesetz des Grundes unterscheidet, durch dessen An- wendung auf die Erfahrung erst sich uns das „Causalitäts- gesetz", d. h. das des realen Geschehens ergebe, üeber die nähere Beschaffenheit dieses Causalzusammenhanges bestimme ebendarum das Causalgesetz in seiner Allgemeinheit nichts, son- dern nur an der Hand der Erfahrung seien die verschiedenen Arten des Causalzusammenhanges festzustellen. Diese Unter- scheidung eines allgemein giltigen Denk gesetzes und wiederum der bestimmten empirischen (realen) Form 4es Causalzusammen- hanges, die über jenes blosse Denkgesetz ganz hinausliege, scheint nun ganz dem zu entsprechen, was auch Verf. dieses will. Insbesondere würde sich so auch für die Willens- freiheit dieselbe Consequenz ergeben, dass sie nämlich zur bloss logischen Noth wendigkeit, zu jenem allgemein giltigen Denkgesetze (als einem noch bloss formalen), keinen Gegen- i Sinnesanschauung und logisches Causalgesetz. 21 satz bilde, sondern dass erst die bestimmte reale Form, welche das Causalverhällniss in der Willensfreiheit hat (der unsinnliche Act der Selbstbestimmung)^ das unterscheidende Wesen der- selben ausmache. Wir halten daher auch jedenfaUs dieses Zugestandniss eines universell giltigen und von aller empirischen Causalitätsf orm zu unterscheidenden D e n k - gesetzes (oder einer allgemein logischen und hierin für alles und jedes Wirkliche giltigen Nothwendigkeit) als ein sehr werthvoUes fest, da es über die empiristische Kantische Fassung des Gausalitätsgesetzes als eines nur für die Erscheinungs- welt giltigen ganz hinausgeht und so viel bereits in sich schliesst, dass logische Nothwendigkeit nicht mehr mit mechani- schem Causalzusammenhang (auch nicht mit dem Kantischen „Naturmechanismus'') identificirt werden darf. Allein ganz anders gestaltet sich nun freilich diess alles, sobald wir genauer sehen, wie Zeller jenes sogenannte Denk- gesetz des Grundes seinerseits auffasst. Es besteht ihm darin, dass „die Verknüpfung des Mannigfaltigen, in welcher das Denken besteht, eine nothwendige ist, dass sie durch den In- halt der zu verknüpfenden Vorstellungen gefordert ist; und diess wird dann der Fall sein, wenn die eine von diesen Vor- stellungen ohne die andere sich nicht vollziehen lässt, wenn aus der einen die andere mit Nothwendigkeit hervorgebt, wenn jene der Grund ist, diese die Folge''. Es kann kein Zweifel sein, dass mit diesem Verhältnisse eine sachlichelnhalts- verschi^denheit der betreffenden Vorstellungen gemeint ist, bei welcher aus dem Inhalt der einen die andere mit logischer Nothwendigkeit folgt. Wober aber haben wir solche Vor- stellungen, woher jenes „Mannigfaltige'S das in solcher Weise logisch verknüpft wird? Doch gewiss nur aus dem Empirischen; nur der empirische Vorstellungsinhalt begründet für das Denken diesen nothwendigen Fortgang von der einen Vorstellung zu einer sachlich andern. Hiernach haben wir in dieser Zeller'schen Auffassung jenes sogenannten Denkgesetzes nicht nur eine ganz andere als unsere eigene, sondern wir haben auch eben diejenige wieder, welche Verf. 22 K. Ch. Planck: dieses in seiner ganzen Schrift bekämpft hat, jene, welche den Gegensatz von Folge und Grund als eine sachliche Inhalts Verschiedenheit fasst und vom Inhalt einer Vor- stellung aus auf eine andere kommt, während nach unserer Auffassung das Denkgesetz des zureichenden Realgrundes ganz abgesehen vom Inhalte des betreffenden Objects einfach daran sich knüpft, dass es als wirklich gesetzt wird. Und dass wir auch in jener Zellep'schen Fassung wieder eine Ver- mengung mit dem Empirischen haben, nicht aber ein reines Denkgesetz, zeigt ja schon das Obige, und ergibt sich noch bestimmter aus den weiteren Consequenzen. Dass nämlich jenes angebliche reine Denkgesetz des Grundes, von dem Zeller spricht, sich nur erst auf Vorstellungen, auf ihre noth wendige Verknüpfung bezieht, während dann hie von die Anwendung dieses Denkgesetzes auf die Dinge und Vorgänge der Erfahrung unterschieden wird, welche den Gegenstand des Denkens bilden, — diess ändert an dem oben Gesagten durchaus nichts. Denn auch ein blosser Vorstellungs- inhalt jener obigen 'Art muss doch eben aus dem Empirischen entnommen sein. Durchaus nur diesem gehört ein solches „Mannigfaltiges*' an, das einen nothwendigen Fortgang zu einem sachlich Andern enthält. Es ist also mit jener Zeller'schen Unterscheidung durchaus nichts gewonnen; das angebliche all- gemeine Denkgesetz ist doch von vorn herein schon kein reines Denkgesetz mehr, sondern ein an empirischem Inhalt wirksames und auf diesen bezogenes, also selbst ein bereits angewendetes. Und die Forderung, dass dieses Gesetz auch für die wirklichen Dinge und Vorgänge der Erfahrung gelten müsse, diese so- genannte „Anwendung'', macht für das Wesen und den Inhalt dieses Gesetzes nichts mehr aus. Wenn also Zeller dennoch mit Recht die bestimmte Form des Causalzusammenhanges von dem allgemeinen Causalgesetze selbst unterscheidet, so hat er hiebei unbewusst Widersprechendes neben einander gestellt, da auch schon der Vorstellungsinhalt seines angeblichen allgemeinen Denkgesetzes, dieses „Mannigfaltige", sachlich bqjreits empirische Sinnesanschauung und logisches Causalgesetz. 23 und bestimmte Formen des Causalzusammenhanges in sich schliessen muss. Aber auch -gerade darin, dass jenes Zeller'sche Denkgesetz schon für das Verhäitniss blosser Vorstellungen gilt, liegt noch ein weiterer Beweis von der Unrichtigkeit dieser Auffassung des logischen Causalgesetzes. Denn ein zureichender Realgrund wird ja doch nur für dasjenige gefordert, was als wirklich; als thatsächlich giltig zu betrachten ist. In- jenem Zeller'schen Denfcgesetze dagegen handelt es sich bloss um den nuthwendigen Fortgang von einer Vorstellung zu einer andern, darum, dass die eine nicht ohne die andere zu denken ist. Und dabei kommt noch das ViTeitere hinzu, dass dieser Fort- gang ebenso gut von einem Grund zu einer Folge fortführen kann,, als von einer Folge 7U deren Grunde. Was hat denn aber jenes erstere Verhäitniss mit dem Denk- gesetz des zureichenden Realgrundes zu schaffen? Dieses Gesetz hat ja eben darin sein Wesen, dass es immer und überall nur den zureichenden Grund fordert, alles Wirkhche als Folge eines zureichenden Realgrundes fasst. Dagegen der logische Fortgang von einem Grunde zu einer daraus sich er- gebenden Folge gehört nicht melu* hieher, sondern dieser ist nur eine bestimmte und schon durch ein empirisches Inhalts- verhältniss bedingte Anwendung von dem Gesetze des logi- schen Grundes, indem der vorausgesetzte Grund das Denken so bestimmt, dass es auch dessen Folge damit verbinden muss, mag nun darin ein blosses Verhäitniss von Vorstellungen oder ein thatsächhch bestehendes ausgesagt sein. Immer ist es schon ein bestimmtes Consequenzurtheil (dergleichen z. B. auch die mathematischen sind), das schon irgend welches empirische Inhalts verhäitniss zum Gegenstande hat. Es handelt sich dabei zwar auch um eine Gesetzmässigkeit und Nothwendig- keit, aber nicht mehr nur um jenes reine und allgemeine Denk- gesetz, sondern schon um irgend ein bestimmtes empirisches Verhäitniss eines Vorstellungsinhaltes. Und so ist denn auch von hieraus wieder klar, dass der rein logische Ursprung des Gegensatzes von Grund und 24 K. Ch. Planck: Folge nicht, wie Zeller will, in jener nothwendigen Verknüpfung eines „Mannigfaltigen'' und in dessen Inhalt liegen kann, da diess vielmehr nur in die alte Kantische Vermengung mit dem empirisch realen Gegensatze von Ursache und Wirkung zurückführt. Sondern der wahre rein logische Ursprung jenes Gegensatzes knüpft sich durchaus nur daran, dass alles, was das Subjectals wirklich setzt, auch als ein dem Gesetze der Identität gemäss in der objectiven Wirklichkeit ent- haltenes gedacht werden muss. Nur so bleibt das logische Causalgesetz(w.ornach jedes Wirkliche seinen zureichenden Grund haben muss), ganz in derselben Weise ein rein formales Denk- gesetz, wie der Satz A = A, und nur so ers83) findet, die sogenannten Gesetze seien zuweilen nur die einfachsten Regeln, welche die Vermuthung für sich haben, dem ob- jectiven Verhalten am nächsten zu kommen. Noch weiter geht in dieser Richtung Preyer (Ueber die Aufgabe der Naturwissen- 38 L. Tobler: Schaft, pag. 25 fif.), indem er für Gesetze die Erkenntniss der wirkenden Ursache verlangt. Wenn der Begriff des Gesetzes so erhöht wird, rückt die Regel an die Stelle desselben und so wird denn auch, entgegen dem gemeinen Sprachgebrauch, geradezu gesagt , eine Regel mit Ausnahmen sei keine mehr. Regel und Gesetz sollen sich unterscheiden wie Bedingtsein und Bewirktsein, bloss functionelle Abhängigkeit und wirkliche CausaUtat. Daraus folgt 'denn freihch, dass Gesetze, welche man sonst gerade als classische Muster des Begriffs anzuführen geneigt war, wie das Newton'sche, demselben nicht Genüge leisten und dass den (bisher bekannten und so genannten) Gesetzen zwar nicht Ausnahmen, aber Grenzen ihrer Gültigkeit nach oben und unten beigelegt werden. Wir müssen die Er- ledigung dieser Differenzen den Naturforschern überlassen, und können es um so eher, da wir auf den Unterschied zwischen Gesetz und Regel bei der Sprache zurückkommen werden. Hier ist bloss noch die Frage zu erheben, ob der Begriff von Ge- setzen, in seiner bei den Naturforschern vorherrschenden be- scheideneren Bedeutung, auf dem ganzen Gebiet ihrer Wissen- schaft gleichmässige Anwendung finde. Das kann allerdings nicht verlangt werden und ist auch keineswegs der Fall. Die meisten der hochgepriesenen Naturgesetze betreffen das Gebiet der unorganischen Natur, also hauptsächlich der Physik und Astronomie, zum Theil auch noch der Chemie und Mineralogie ; ihre Sicherheit verdanken sie der Mitwirkung der Mathematik, in deren Form sie auch meistens gefasst sind oder leicht ge- bracht werden können; je höher man im Reich des Daseins aufwärts steigt, um so mehr nimmt die Zahl oder die Sicher- heit der Gesetze und darum auch schon der Gebrauch dieses Wortes ab und um so weniger kann der aus der anorganischen Natur und dem Makrokosmus gewonnene Begriff von Gesetzen auf die Gestalten und Lebenserscheinungen der organischen Wesen ohne Abbruch an Gehalt oder Genauigkeit angewandt werden. Diese Ansicht kann hier allerdings nicht bewiesen werden und der Nachweis ihrer Richtigkeit durch eine Ueber- sicht des Besitzstandes der einzelnen Wissenschaften würde Ueber die Anwendung d. Begriffes v. Gesetzen a. d. Sprache. 39 Specialkenntnisse voraussetzen, die wohl Niemand umfasst TeichmüUer („Darwinismus und Philosophie*^) scheint eine Ab- stufung ähnlicher Art anzunehmen, wenn er in der Natur Daseinsformen unterscheidet, welche von unabänderlichen, aus- nahmslosen Gesetzen beherrscht werden, und solche, wo dies nur theilweise der Fall sei. Allerdings sucht die heutige Natur- forschung den Unterschied zwischen unorganisch und organisch^ wie den zwischen Natur und Geist, fortschreitend aufzuheben, also auch den Organismus auf Mechanismus zurückzuführen, aber eben dabei stösst sie ja noch auf Sdhranken, welche jenen Unterschied empfinden lassen. Dies ist natürlich noch mehr der Fall, wo sich zu dem Physischen das Psychische gesellt, welches wohl für einmal noch, und vielleicht für immer, als etwas spedfisch Verschiedenes stehen bleiben wird. Damit ist nicht ausgeschlossen, dass die Berührungen zwischen beiden Gebieten, welche zunächst nur an der untersten Grenze des Psychischen, bei den psychischen Elementarprocessen, zu suchen sind, auf Gesetze und mathematische Formeln gebracht werden können, und es haben ja auch Versuche auf dem Gebiet der Psycho- physik bereits zu einigen Ergebnissen jener Art geführt. So- gar wenn wir den Boden des rein Psychischen betreten (immer unter der Voraussetzung, dass d«n psychischen Functionen irgend welche, heute noch unbekannte, physische zu Grunde liegen oder entsprechen), brauchen wir nicht auf die Entdeckung von Gesetzen zu verzichten. Denn wenn auch Herbart^s Ver- such; solche mathematisch zu formuliren, als verfrüht oder ganz verfehlt zu betrachten ist, so lässt sich nicht leugnen, dass das, was Herbart und seine Schule für die Lehre von der Ver- schmelzung und Complexion, Association und Reproduction der Vorstellungen, von der Entstehung herrschender Vorstellungs- massen und von der Schwelle des Bewusstseins gelehrt haben, an eine psychische Statik und Mechanik, die sich mit der physischen vergleichen lässt, nahe heran reicht, und die Auf- fassung der Vorstellungen als Kräfte, so gut wie Nervenreize und ihnen entsprechende Elementarempfindungen, lässt für Gesetze noch in dieser Sphäre Raum. Auch die mit Vor- 40 L- Tobler: Stellungen verbundenen Gefühle werden nicht ganz unberechen- bar bleiben und die Anfange einer inducliven Begründung der elementaren Aesthetik dürfen nicht gering geschätzt werden; denn wenn sie auch noch nicht zur Entdeckung eigentlicher Gesetze geführt haben ^ so ist es doch schon ein bedeutender Fortschritt, Gesetze der ästhetischen Gefühle auch nur zu suchen, statt der hergebrachten Phrasen von Gesetzen des Schönen und der Kunst, wobei das Wort „Gesetz*' nur jenen ganz allgemeinen, unbestimmten Sinn hat, der sich aus der Parallele mit den moralischen Gesetzen entnehmen lässt. Hiemit aber haben wür das Gebiet eigentlicher Naturgesetze bereits ziemlich weit überschritten und dasjenige beti*eten^ dem jedenfalls auch die Sprache angehört, jenes Uebergangsgebiet zwischen Natur und Geist, wo das Wort „Natur*' eine doppelte Bedeutung hat, indem es einerseits noch die leibliche Natur als einen Bestandtheil des Beiches der Organismen bezeichnet, andererseits den Naturzustand des specifisch menschlichen Wesens als eine Vorstufe der Geschichte. Bevor wir nun die Frage der Sprachgesetze in Behandlung ziehen, müssen wir nur noch in Kürze rückwärts blickend uns klar machen, was wir aus der Betrachtung des Gebietes der reinen Naturgesetze für Fest- stellung des Begriffes „Gesetz" überhaupt und eventuelle lieber* tragung desselben auf die Sprache gewonnen haben. Das erste Merkmal war die ausnahmslose Geltung^ welche einem Ge- setze zukommt und durch welche es sich von einer Regel unter- scheideL Das zweite war die Voraussetzung von Kräften, deren Wirkungsweise das Gesetz angibt. Wir können hier noch hinzufügen, dass die Kräfte, wenn sie nicht selbst als Wesen gedacht werden, Wesen von mehr oder weniger Selbständig- keit voraussetzen, in welchen sie ihren Bestand, ihren An- griffs- oder Ausgangspunkt haben. Ein drittes Merkmal war oben noch nicht ausdrücklich als solches genannt, es hängt aber mit dem zweiten zusammen und besteht darin, dass Gesetze die Form hypothetischer Urtheile haben. Daraus folgt, dass all- gemeine Sätze, seien sie positiv oder negativ, nicht den Namen von Gesetzen verdienen, wenn sie nicht bloss sprachliche Ver- üeber die Anwendui^ d. Begriffes v. Gesetzen a. d. Sprache. 41 kürzuDgen hypothetischer Urtheilsform sind, deren Conditional« satz eben das nothwendige Moment der Causalitat zur blossen Thatsächlichkeit des Hauptsatzes hinzubringt. (Vgl. Lotze, a. a. 0. pag. 381.) Indem wir uns endlich der Hauptfrage zuwenden, ob der von Naturgesetzen abstrahirte BegriflF von „Gesetz'' auf die Sprache anwendbar sei, bedarf es kaum noch einer ausdrück-* liehen Hinweisung darauf, dass diese Fragestellung wesentlich verschieden ist von der Frage, ob überhaupt auch in der Sprache von Gesetzen in irgend einem Sinne die Rede sei. Es ist be- kannt genug, dass gegenwärtig jener Ausdruck beliebt ist, aber es ist auch leicht zu erkenaen, dass das Wort „Gesetz'' dabei oft nur wieder jene allgemeine Bedeutuhg hat, die von sitt- lichen und staatlichen Gesetzen abstrahirt ist und gerade der Sprachwissenschaft nicht genügen kann. Es werden damit oft nur gewisse im Sprachgebrauch feststehende Thatsachen von allgemeiner Bedeutung bezeichnet, ohne Rücksicht auf theo- retische und insbesondere historische Ergründung jenes that- sächlichen Bestandes. In diesem Sinne sagt man etwa, eine Wortbildung oder Satzwendung, die ein Einzelner sich erlaubt, Verstösse gegen die Gesetze der Sprache u. dgl., gerade wie man im Gebiete der Kunst von Verstössen gegen die Gesetze der Schönheit im Allgemeinen oder der Symmetrie etwa im Besondern spricht, und wie man im Gebiete der Wissenschaft oder des praktischen Lebens Beobachtung der allgemeinen Ge- setze der Logik verlangt, welche zuletzt auf unbeweisbaren Axiomen beruhen. Es handelt sich also dort um den prak- tischen Gebrauch der Sprache, um die Correctheit des Stils. Von diesem Sinne des Wortes müssen wir den unsrigen um so sorgfältiger unterscheiden, da der erstere auch in wissen- schafüichen Sprachgebrauch übergehen kann. So sagt Helm- holtz (Vortr. 1, pag. 17): Die historischen und philologischen Wissenschaften bringen es der Regel nach nicht bis zur Formu- lirung streng gültiger allgemeiner Gesetze, mit Ausnahme der Grammatik, deren Gesetze, durch menschlichen Willen (wenn auch nicht gerade in bewusster Absicht und nach überdachtem 42 L. Tobler: \ Plane) festgestellt, Demjenigen, welcher die Sprache erlernt, als Gebote gegenübertreten^ d. h. als durch fremde Autorität fest- gestellte allgemeine Gesetze, me die in der Theologie und Juris- prudenz behandelten. — Diese Darstellung mag im dortigen Zusammenhang ihren Sinn haben, aber die dort so genannten „Gesetze der Grammatik^' sind jedenfalls von dem, was die Fachmänner heutzutage unter Gesetzen der Sprache verstehen, sehr verschieden. Es ist nämlich gerade ein Hauptunterschied der modernen Linguistik von der älteren Philologie, dass die Sprache nicht nach Analogie menschlicher Satzungen ^ sondern nach Analogie von Naturwesen betrachtet wird, nicht mit Rück- sieht auf ihren litterarischen Gebrauch, sondern auf ihren Ur- sprung und Bestand als solchen. Darum hat auch die Grammatik statt ihres früheren präceptorischen Charakters, wie er noch in der Auffassung von Helmholtz hervortritt, den descriptiven an- genommen, wie ihn besonders J. Grimm in der Vorrede zum ersten Band seines Hauptwerkes ausspricht; es gilt, die Gesetze zu finden, denen die Sprache selbst bei ihrer Bildung folgte, nicht die, welche sie dem Gebrauche vorschreibt oder welche von eingebildeten Lehrmeistern ihr zeitweise aufgezwungen wurden. Dass man bei der neuen Methode historisch verfahrt, steht mit der Betrachtung der Sprache als eines Naturwesens nicht in Widerspruch, seit die Naturwissenschaft auch eine all- mähliche Entstehung und Umbildung des Planetensystems, der Erdrinde und zuletzt der Organismen erkannt hat. Dagegen steht die neue Ansicht im Gegensatz zu der älteren, welche in der Sprache nur ein Product menschlicher Erfindung und WiUkür sah, und freilich aus diesem Gesichtspunkt gerade die der Natur am meisten zugekehrte Seite der Sprache, d. h. die rein lautliche, am wenigsten zu begreifen vermochte. Diese bisher vernachlässigte Aufgabe wurde nun in den Vordergrund gerückt, und da ein Extrem immer das andere hervorruft, so konnte es nicht ausbleiben, dass die Naturseite der Sprache etwas einseitig herausgekehrt und am Ende die Sprachwissen- schaft selbst zu den Naturwissenschaften gerechnet wurde. Sie ist so wenig eine Naturwissenschaft als die Psychologie, mit Ueber die Anwendung d. Begriffes v. Gesetzen a. d. Sprache. 43 der sie an bestimmtea Stellen zusammenlrifit, aber schon darum nicht vereinigt bleiben kann^ weil der Vielheit und der Geschichte der einzelnen Sprachen wenigstens im Gebiete der Individual- Psychologie nichts entspricht. Wie aber die Psychologie ihren Zusammenhang mit der Physiologie nicht aufgeben kann, am wenigsten im unteren Theil ihres Gebietes , so muss auch die Sprachwissenschaft, wo es sich um die Laute als solche handelt, an die Physiologie anknüpfen, und da diese ihrerseits die Physik voraussetzt und zum Theil nur auf höherem Boden fortsetzt, so ist die Möghchkeit eröffnet, in der Sprache wirkliche Natur- gesetze zu suchen. Doch muss die Erwartung, solche zu finden, zum Voraus dadurch etwas herabgestimmt werden , dass wir uns hier im Gebiete des Organischen und zwar der höchsten Stufe desselben befinden, wo zufolge den obigen Bemerkungen die Zahl und Sicherheit der Gesetze am geringsten sein wird. Der Sprachlauty rein als Laut betrachtet, ist in seiner Erzeugung etwas Physiologisches und als Gegenstand der Gehörwahrnehmung etwas PhysikahscheS; wie ein beliebiger Naturlaut oder der kunst- hch hervorgebrachte Ton eines Instrumentes; nur die mit arti- kulierten Sprachlauten verbundene Bedeutung ist etwas specifisch Menschliches und Geistige» und die Veränderungen der Laute stehen mit denen der Bedeutung nicht in functionellem Ver- hältniss. So bestände freilich innerhalb der Sprache, welche doch ein in sich einstimmiges Ganzes zu sein scheint , ein Dualismus des Wesens ihrer Bestandtheile^ indem die Laute als solche reinen Naturgesetzen unterworfen wären, die Formen und Bedeutungen aber den Gesetzen, welche das gesammte geistige Leben beherrschen. Wir dürfen uns jedoch von solchen Bedenken nicht präoccupiren lassen: es fragt sich einfach, ob irgend welche Naturgesetze in der Sprache entdeckt worden- seien. Darauf ist zu antworten, dass allerdings meistens nur im Gebiet der reinen Laute von Gesetzen die Rede ist, dass aber die sogenannten Lautgesetze von vielen Sprachforschern wirkhchen Naturgesetzen gleichgestellt werden. Es ist also nur zu prüfen, ob jene Lautgesetze dem strengeren Begriff von Natur- gesetzen genügen, den wir oben zu diesem Zweck aufgestellt haben. 44 L. Tobler: Einer der grössten Fortschritte, welche durch die historische und vergleichende Sprachforschung erreicht worden sind, besteht unstreitig in der Erkenntniss, dass die Laute, innerhalb einer Sprache und zwischen mehreren verwandten, im Laufe der Zeit nicht nach Willkür oder Zufall wechseln, sondern dass gewisse durchgehende und beharrliche Richtungen und Neigungen den Lautwandel beherrschen. Jede Sprache zeigt im Ganzen ihres Lautbestandes schon in ihrer ältesten Gestalt bestimmte An- lagen, charakteristische Bevorzugung einzelner Laute und Laut- verbindungen^ und wenn die Geschichte jenen Bestand allmählich verändert, so sind die Uebergänge zwischen den einzelnen Lauten durch organische Verwandtschaften und Nachbarschaften der- selben bedingt und vermittelt. Einige von jenen Uebergängen, welche besonders nahe liegen, sind auch sehr häufig; andere sind selten und weniger leicht zu begreifen, doch nicht uner- klärlich; es gibt aber auch Laute, zwischen denen ein Ueber- gang, wenigstens ein unmittelbarer, aus physiologischen Gründen unbegreiflich wäre und factisch nie vorkommt. Der im letzten Fall vorliegenden Unmöglichkeit entspricht nun aber selbst im ersten Fall keine positive Nothwendigkeit des Ueberganges, und noch weniger gilt dies vom zweiten Fall ; beidemal handelt es sich nur um Grade von Möglichkeit und Wahrscheinlich- keit, um grössere oder geringere Häufigkeit; man hat daher auch ganz richtig angefangen, die thatsächlichen Lautverhält- nisse nach statistischer Methode, d. h. mit Zahlen, anzugeben und zu vergleichen: niemals aber hat ein Sprachforscher einen be- stimmten Lautübergang, auch unter bestimmten Bedingungen, im einzelnen Fall als absolut nothwendig nachgewiesen oder gar vorhergesagt Das heisst mit anderen Worten: es gibt im Reiche der Laute keine Gesetze im strengeren naturwissen- schaftlichen Sinne dieses Wortes und es gibt auch keine Regeln, denen nicht Ausnahmen bereits zur Seite standen oder bei weiterer Forschung an die Seite treten könnten, wobei wir unter Ausnahmen natürlich nur solche Einzelfälle verstehen, welche nicht selbst wieder als Ausflüsse eines untergeordneten Special- gesetzes zu erkennen sind. Ueber die Anwendung d. Begriffes t. Gesetzen a. d. Sprache. 45 Gegenüber diesem Thatbestand, den wohl kein Sprach- forscher unrichtig gezeichnet finden wird, verhalten sich die einzelnen Vertreter des Faches in ihrem persönlichen Sprach- gebrauch verschieden. Strenge Rechenschaft davon geben sich wohl wenige, die meisten kommen über dem nächsten Interesse, die Thatsachen festzustellen und zu erklären, nicht dazu, ihre Terminologie zu reguhren; manchen fehlt auch wirklich das allgemeinere wissenschaftliche Interesse für das Verhältniss ihres Faches zur Philosophie und Naturwissenschaft. Einige begnügen sich mit dem Ausdruck ,4legePS andere brauchen abwechselnd und promiscue damit auch „Gesetz'', am weitesten gehen die- jenigen, welche nur von „Gesetzen'* sprechen und ausnahms- lose Geltung derselben, innerhalb zeitlich und räumhch gleicher Grenzen, behaupten zu dürfen glauben (so z. B. Osthoff, Jen. Lit. Zeit. 1878 No. 33, pag. 485). Am vorsichtigsten ist die von so namhaften Vertretern des Faches wie Ascoli, Benfey und Curtius mehr oder weniger ausdrückhch aufgestellte und angewandte Unterscheidung zwischen regelmässigem und spo- radischem Lautwandel, wobei unter „regelmässig" doch auch nur Vorgänge zu verstehen sind, welche eben „in der Regel", also nicht durchgängig , stattfinden. In der That hindert gar nichts, mit Ascoh in manchen Fällen mehrere Möglichkeiten als gleich berechtigt anzunehmen, sei es nun, dass dann von den- selben nur eine verwirklicht wurde, oder dass durch gleich- zeitiges Eintreten derselben aus einer Grundform mehrere sog. Scheideformen entstanden, um deren Verwendung die Sprache nie verlegen war. Jene Annahme verlässt ja den Boden der Gesetzmässigkeit nicht und die Sprachforschung dürfte wohl froh sein^ wenn sie nur in recht vielen Fällen es dahin brächte, die unbestimmte MögUchkeit auf ein „entweder — oder, theUs — theils, bald — bald" zu reduciren. Dass alle Lauterschei- nungen irgend einer Sprache bereits auf Gesetze zurückgeführt seien, behauptet natürlich Niemand, da die Unvollständigkeit aller empirischen Forschung auch auf diesem Gebiet sich kund- geben muss ; es wird also höchstens fortschreitende Annäherung an jenes Ziel gefordert und erwartet; aber es ist eben die 46 L. Tobler: Frage, ob jene Forderung und Erwartung berechtigt oder gar nothwendig sei. Die sog. Lautgesetze bilden eine heilsame Schranke gegen subjective Willkur, wie sich solche besonders früher in zügellosem Etymologisiren äusserte, aber es ist ebenso wohlthätig, dass auch sie selbst in der Natur der Sache Schranken finden und dass dadurch dem übermächtigen Trieb nach geist- loser Mechanisirung auf diesem Gebiet eine Schranke gesetzt sei. Die Sprache behält auch so noch naturmässige Gebunden- heit genug, durch die Unbewusstheit, mit der ihre Triebe in den Individuen walten, und durch die Macht der Ueberlieferung, mit der die Gesellschaft die Individuen beeinflusst. Wir wollen uns aber nicht zu früh allgemeinen Betrach- tungen überlassen, sondern die Frage nach der Beschaffenheit und Tragweite der sog. Lautgesetze bestimmter und vollständiger zu beantworten suchen. Bisher war eigentlich nur davon die Rede, ob denselben ausnahmslose Geltung zukomme, was wir verneinen mussten. Es hängt aber dieses Merkmal des strengeren Begriffes von Naturgesetzen mit den zwei anderen oben auf- gestellten mehr oder weniger zusammen.. Unter den sogenannten Lautgesetzen sprechen gerade diejenigen, denen am ehesten ausnahmslose Richtigkeit zuerkannt werden mag, einfache That- sachen als solche aus, deren Kenntniss für den Sprachforscher höchst wichtig, ja absolut nothwendig, aber mit keiner Ein- sicht in den Grund oder auch nur in die genauere Art und Weise des betreffenden Vorgangs verbunden ist Es sind Sätze von der oben besprochenen allgemeinen Bedeutung, denen zur Erfüllung des strengeren Begriffes von Naturgesetzen das Moment der Causalität, das zweite der wesentlichen Merkmale, ganz oder theilweise fehlt. Zwar tragen nicht wenige Lautgesetze die hypothetische Form, indem sie einen Wandel der Laute als an bestimmte Bedingungen ihrer Stellung und Umgebung geknüpft darstellen, aber an „Definition von Kräften", deren Wirkungs- weise in dem gesetzmässigen Sachverhalt zu Tage träte, ist dabei nicht zu denken. Die Laute selbst sind offenbar keine Kräfte, sondern das Product von solchen ; sie haben ja überhaupt kein selbständiges Dasein, sondern existiren, wie physikalische Er- Ueber die Anwendung d. Begriffes v. Gesetzen a. d. Sprache. 47 scheinungen, z. B. des Liehtes, nur im Moment ihrer jedes- maligen Erzeugung, sie sind auch nicht etwa mit Atomen oder Molecülen zu vergleichen, deren Annahme den Naturforschern für die Aufstellung von Gesetzen so wichtige Dienste leistet Die Kräfte, durch deren Wirksamkeit Sprachlaute hervorgebracht werden, haben ihren Sitz theils in den eigentlichen localen Sprachorganen, in deren einzelnen Theilen und ihrer Stellung zu einander, theils im Centralorgan , von welchem die Impulse zu den einzelnen Bewegungen der Sprachorgane ausgehen, zu- letzt freilich in der Seele, deren Empfindungen einen Reiz zu sprachlicher Aeusserung erwecken. Nun hat freilich die neuere Sprachforschung angefangen, diesen Mechanismus an der Hand der Physiologie zu studiren, sie weiss bereits ziemhch genau anzugeben, durch welche Stellungen und Bewegungen einzelner Theile des Sprachorgans bestimmte Laute erzeugt werden und die Physik vermag ja auch Apparate herzustellen, durch welche menschliche Laute einigermassen nachgeahmt und ^producirt werden, aber die bei der originalen und spontanen Erzeugung menschlicher Sprachlaute wirksamen lebendigen und seelenhaften Anüiebe bleiben in Dunkel gehüllt, auch abgesehen von einer irgendwie symbolischen Bedeutsamkeit der einzelnen Laute beim Ursprung, d. h. in der Bildungsperiode der Sprache. Wenn auf diesem Gebiete irgend etwas durch Vermuthung zu er- reichen ist, so dürfen wir vielleicht sagen: die bei der Laut- erzeugung resp. Lautveränderung in letzter Instanz wirksamen Ki*äfte beruhen in unbewussten Vorstellungen und Gefühlen, welche sich auf Bequemlichkeit (resp. Erleichterung) der Laut- gebung durch fortschreitende Ausgleichung und Verkürzung der Formen beziehen. Nun haben wir oben auch für Vorstellungen und Gefühle die Auffassung als Kräfte zulässig gefunden, aber die Kräfte, um die es sich hier handeln kann, scheinen mehr von passiver als activer, mehr von negativer als positiver Art zu sein, es handelt sich mehr um Zulassung oder Ablehnung gewisser Laute und Lautverbindungen , als um schöpferische Hervorbringung derselben; die Lautgebung beruht theils , von Seite der Gesellschaft, auf vererbten Anlagen und mit der Zeit 48 L. Tobler: zunehmenden Gewohnheiten, theils auf unberechenbaren persön- lichen Neigungen und Stimmungen, mit welchen der Einzelne gelegentUch seiner Umgebung und sogar sich selbst, in Folge von Trägheit, Laune oder besonderen Antrieben widerspricht, aber auch Andere anstecken kann. Eine constante Resultante aus diesen verwickelten Dispositionen und Motiven zu ziehen erscheint als unmöglich, als erreichbar nur ein mittleres Maass von Wahrscheinlichkeit mit labOem Gleichgewicht, und damit« sehen wir uns auf das Ergebniss der ersten Betrachtung zu- rückgeführt. Was endlich das dritte Merkmal betrifiPt, so muss erinnert werden, dass ein beträchtUcher Theil der sog. Lautgesetze wirk- lich nur aus negativen Sätzen besteht, welche für die nächsten Zwecke der Wissenschaft vortreffliche Dienste thun und sogar noch fester stehen können als die einfach positiven^ aber eben auch wie diese, oder noch mehr, der höheren Würde von Ge- setzen ei#ehren müssen. Dahin gehören z. B. die so wich- tigen und verschiedenen Auslautgesetze der einzelnen Sprachen, welche uns Handhaben zur Reconstruction älterer Formen dar- bieten, aber an sich selbst eben über den Charakter unbegreif- licher „Verbote" nicht hinausreichen. Wir wollen zum Schlüsse an zwei Beispielen den wirk- lichen Stand und Werth der angeblichen „Lautgesetze" zu be- leuchten suchen. Eine der grossartigsten und merkwürdigsten Erscheinungen in der Geschichte der Sprachen ist die sogenannte Lautverschiebung, durch welche die germanischen Sprachen von ihren Verwandten und ein kleinerer Theil des germanischen Gebietes wieder von dem übrigen sich unterscheidet Das That- sächliche muss hier als bekannt vorausgesetzt werden. Wenn irgendwo, so scheint hier der Name „Gesetz" berechtigt zu sein. Doch hat schon J. Grimm, indem er dasselbe entdeckte und aussprach, nicht umhin können, neben der wunderbaren Conse- quenz, mit welcher es im Grossen und Ganzen waltet, Ab- weichungen im Einzelnen zu bemerken, indem die Laute am einen Orte hinter der geforderten Verschiebung zurückbleiben^ an einem andern eine Stufe derselben überspringen u. s. w. Ueber die Anwendung d. Begriffes y. Gesetzen a. d. Sprache. 49 Dass es sich nicht um eine streng kreisförmige Bewegung, eine Wiederkehr genau derselben Laute an anderer Stelle handle^ konnte nur übersehen werden, so lange man todte Buchstaben mit lebendigen Lauten verwechselte. Sobald man anfing nach Gründen der Erscheinung zu fragen , mussten für die Ueber- gänge der Laute Mittelstufen angenommen werden, wekhe in der Schrift keine Bezeichnung finden und doch allein die ganze Erscheinung einigermassen erklären. Diese verliert dadurch nicht den Charakter einer grossen Regelmässigkeit, da auch ^die Ausnahmen zum Theil durch neuere Entdeckungen beseitigt, d. h. als Ausflüsse besonderer Bedingungen erkannt worden sind, aber die Einfachheit, welche zur Form eines „Gesetzes'' gehört, ist in demselben Maasse geschwunden, und es ist frag- lich, ob der Sachverhalt, so wie er nunmehr angesehen wird^ eine einfache Fassung überhaupt noch zulässt. Man dürfte vermuthen, dass sprachhche Erscheinungen um so eher sich auf wirkliche Gesetze bringen lassen, ja enger ihr Gebiet sei. Wenn also die Lautverschiebung, weil sie das ganze Gebiet der germanischen Sprachen betrifft, jene Bedingung nicht erfüllen kann, so bietet vielleicht ein einzelner Dialect^ ein Complex von Volksmundarten, die sich so recht naturgemäss entwickelt und erhalten haben, reichere und reinere Proben von Sprachgesetzen. Zwar muss man sich in Acht nehmen, jene Erwartung zu einem Princip zu erheben, denn je enger die Kreise werden, um so mehr nähern sie sich dem Indi- viduellen, welches niemals von Gesetzen erschöpft werden kann, und eine gewisse Weite der Geltung scheint zum Begriff eines Gesetzes zu gehören ; aber da die Sprache überhaupt, also aucli die einzelnen Sprachen, nur im Schoöss einer engeren Gemein- schaft entstanden sein und ihre erste Ausbildung empfangen haben können und auch heutzutage nur in solchem Kreis ein natürliches, von den Conventionen der Schriftsprache mehr oder weniger ungetrübtes Leben führen, so darf man wohl den Blick auch nach dieser Seite richten. Die „Zeitschrift für deutsche Mundarten" von Frommann hat in ihrem siebenten Bande eine Abhandlung, betitelt „Ein schweizerisch - alemannisches Laut- Vierteljahrssclirift f. Wissenschaft!. Philosopliie. III. 1. 4 50 L. Tobler: gesetz", gebracht, welche in Absicht auf VoUständigkeit und Gründlichkeit in der Sammlung und Bearbeitung des Materials wohl musterhaft genannt werden darf. Die Richtigkeit der Thatsachen steht ausser Zweifel, es kommt uns aber hier nicht darauf an, sondern einzig auf die Terminologie, in welche der Verfasser die Ergebnisse seiner trefflichen Forschungen gefasst, auf welche er aber offenbar keinen Werth gesetzt hat. Es ist nun bemerkenswerth , mit welcher Abwechslung er sich über eine und dieselbe Sache ausdrückt. Neben dem Ausdruck „Gesetz", der im Titel und noch mehrfach erscheint (pag. 20. 32. 34. 195. 197. 377. 388), gebraucht er den bescheideneren „Regel" (31. 193. 375), beides combinirt „Regel- und Gesetz- mässigkeit" (38), „regelrechtes Eintreten der Laute" neben „Concinnitat und stramme Gesetzmässigkeit bis in alle Spitzen hinaus" (388). Trotzdem ist nicht bloss von scheinbaren Ausnahmen (pag. 349) die Rede, sondern pag. 362 wird unter dem Titel ^Schranken des Gesetzes" eine lange Liste von Woltern mitgetheilt, welche sich dem betreffenden Lautprocess (pag. 377) entzogen haben (so dass die „Gesetzmässigkeit" sich nur auf den Verlauf der Erscheinung beziehen kann, da, wo sie über- haupt eintritt), und pag. 354 werden als „Schranken des Gesetzes" angeführt „theils Geschmack und freie Wahl des Individuums, theils mundartliche Sitte", und „innerhalb des all- gemeinen Brauches besteht Latitüde für die Bildungsstufe, die Willkür und Laune des Sprechenden'^ Endlich wird die ganze Erscheinung gelegentlich (pag. 372. 388. 389) als ein blosses „Spiel" betrachtet. — Der Verfasser hat mit den verschiedenen Wendungen, die er gebraucht, unwillkürlich richtig die Factoren und Motive bezeichnet, welche in der Geschichte der Laute zu- sammenwirken, und es bleibe nur die Frage, ob alles dies unter dem Begriff eines „Gesetzes" zusammengefasst werden oder ob dieser Begriff neben jenen überhaupt noch bestehen könne. Nach unserer Ansicht ist dies nur möglich, wenn derselbe in seiner Anwendung auf sprachliche Dinge so abgeschwächt wird, wie es unstreitig oft geschieht, aber zum Schaden für die Sprachwissenschaft und für den allgemeinen wissenschaftlichen Ueber die Anwendung d. Begriffes ▼. Gesetzen a. d. Sprache. 51 Sprachgebrauch; denn während man sich am einen Ort jene Abschwächung-ohne Weiteres erlaubt, wird anderswo mit dem Begriff doch wieder so operirt, als ob er streng genommen wäre, und aus solchem Verfahren entstehen bekanntlich falsche Schlüsse. Zwischen dem Gebiete der Laute als solcher und dem der Formen besteht keine Kluft, und es ist abermals eine Errungen- schaft der neueren Sprachforschung, dass manche Erscheinungen der Flexion und Wortbildung als Consequenzen der Lautlehre, mit Inbegriff des Accentes, erkannt werden, ohne Annahme eines specilischen Bildungsprincipes. Was aus jener Quelle nicht abzuleiten ist, bedarf allerdings besonderer Erklärung, aber die Manigfalügkeit, die sich auf diesem höheren Gebiete aufthut, hat noch Niemand unter Gesetze zu bringen gesucht, so wenig wie die Formen des Pflanzen- und Tliierreiches; es walten hier ideale Grundtypen, welche sich aufsteigend aus- gestalten und umformen, geleitet von Trieben der Analogie und Symmetrie, welche fortwirken, so lange ihnen empfanglicher Bildungstoff entgegenkommt. Die Paradigmen der Flexions- formen, deren idealem Typus die wirklichen Wörter auch nie ganz entsprechen, hat noch Niemand „Gesetze'^ genannt, sie sind Gegenstände der Anschauung und können weder analytisch noch synthetisch ganz begriffen werden. Von Gesetzen der Syntax vollends kann nur in praktisch schulmässigem Sinne gesprochen werden und die Forschung hat kaum erst angefangen, auch dieses Gebiet nach historisch - vergleichender Methode zu bearbeiten. — Ueber dem Wortlaute der Formen und auch des Satzes schwebt, manigfach einwirkend auf die Formen und ihre Bedeutung, der Accent, etwas durchaus Immaterielles, Seelenhaftes ; wie die Bedeutungskraft, und doch vom Laute noch weniger trennbar als diese. Die Einwirkung des Accentes auf Laute und Formen erfolgt nach Gesetzen^ deren Kenntniss so nothwendig ist wie die der reinen Lautgesetze, denen aber auch nur dasselbe Maass von Gültigkeit beiwohnt. Zwar ist das in einer Sprache einmal herrschend gewordene Accentprincip innerhalb kürzerer Perioden constanter und stabiler, als irgend 4* 52 L. Tob 1er: Ueber d. Anw. d. Begr. v. Gesetzen a. d. Sprache. welche Lautgesetze, weil es ja seiner Natur nach etwas yiel Allgemeineres und weit geringerer Variation iahig ist; aber in grösseren Zeiträumen kann es geschehen, dass eine Sprache sogar ihr Accentprincip verändert, was aus tief liegenden Ur- sachen erfolgen und von weitgreifenden Folgen begleitet sein muss. Hiemit nun^ mit dem Gedanken an die Aenderung von Gesetzen selbst im Laufe der Zeit, sind wir an der äussersten Grenze unserer Betrachtungen angelangt und können vrir das Gebiet der Sprache verlassen. Zum Begriffe von Naturgesetzen scheint allerdings noch ein Merkmal zu gehören, welches wir bisher unberührt liessen^ eben das der Unveränderlichkeit, welche menschlichen Gesetzen bekanntlich nicht zukommt. Aber in der That hindert uns nichts, auch Naturgesetze, nur nicht die all- gemeinsten Eigenschaften der Naturkörper, uns als zeitlich ent- standen zu denken, also auch ihre Aenderung resp. Aufhebung, natürlich mit gleichzeitiger Aenderung des Bestandes und der Bedingungen^ auf welche sie sich bezogen, als Möglichkeit ein- zuräumen. Lotze (Mikrok. IIP, lö) nimmt dies von Natur- gesetzen ausdrücklich an, während Lazarus (Leben der Seele, II ^ 110) es nur vom geistigen Leben zuzugeben scheint. Wie viel uns an der Erkenntniss von Gesetzen der Geschichte noch fehlt, zeigt das kürzlich erschienene Buch von Rocholl „Die Philosoplüe der Geschichte" (in welchem noch die Schrift von Doergens „Aristoteles oder über das Gesetz der Geschichte", Leipzig 1872, nachzutragen wäre). Die Sprache, zwischen Natur und Geschichte gestellt^ doch mehr der letztern zugewandt^ vrird an dem Loose der beiden Gebiete Theil nehmen; die Sprach- wissenschaft kann sich also jedenfalls trösten, wenn sie nicht lauter unverbrüchliche Gesetze findet, und wird auch die ge- fundenen nicht überschätzen. Zürich. L. Tobler. In Sachen der wissenschaftlichen Philosophie« Dritter Artikel. Es ist also nicht meine Meinung, dass die Gesammtheit jener im Einfährungsartikel angedeuteten Untersuchungsreihe, welche die Principien alles Begreifens und Wissens^ alles Ge- gebenseins und Erfahrens zu behandeln hätte, mit der „Logik'' und „Erkenntnisstheorie^* erschöpft sein könne. Es sind viel- mehr zwei Untersuchungscombinationen, welche, wie mir scheint, die Untersuchungen, die wir heute unter dem Namen der „Logik^ und „Erkenntnisstheorie^^ befassen, zu ergänzen an- gethan sind — vielleicht sogar für die philosophische Aufgabe, vne sie der Einführungsartikel stellte, von noch wesentlicherer Bedeutung sich erweisen möchten. Die erste dieser zwei Untersuchungscombinationen, als Ganzes vorgestellt, würde kurz zu bezeichnen sein als ,,PhUo- sophisehe Entwlekelungrstheorie/^ Man darf diesen kurzen Ausdruck ja nicht dahin missverstehen, als bedeute er irgend eine naturwissenschaftliche Entwickelungstheorie in philo- sophischer Deutung, „Vertiefung^ u. dgl. ; der kurze Ausdruck soll besagen : eine entwickelungstheoretische Betrachtung der Philo- sophie, insofern ihre Entwicklung als ein (historisch) Gegebenes vorliegt. Der Begriff einer solchen ,,Entwickelungstheorie der Philosophie^' deckt sich nicht so völlig mit demjenigen einer „Entwickelungsge schichte" in dem Sinne, wie solche z.B. ich selbst in Bezug auf Spinoza's Pantheismus 1869 versuchte, Paulsen in Bezug auf Kant's Erkenntnisstheorie 1875, Windelband in Bezug auf Kant's Lehre vom Ding-an-sich 1877 ausgeführt haben. Die Entwickelungsgeschichte ist eine werthvolle 54 K- Avenarius: Vorarbeit für die Enlwickelungstheorie — sie ist aber nicht diese selbst: erstere giebt jede einzelne Entwickelung in ihrer Besonderheit, letztere das Allgemeine der Entwickelungsprocesse. Hierdurch ist das Nähere dieser Disciplin bestimmt: das Allge- meine ist, was in den geschichthch vorliegenden, charak- teristischen philosophischen Entwickelungsänderungen stetig wiederkehrt Das stetig Wiederkehrende sind aber in den charakteristischen Systembildungen nicht die bestimmten philosophischen Lehrinhalte (welche sich wohl durch eine „Schule^ hinziehen und auch wohl hin und wieder neu auf- tauchen, aber ein genügendes Continuum deshalb nicht leiden, weil sie sich in den verschiedenen Systemen widersprechen), sondern das stetig Wiederkehrende sind bestimmte philosophische Probleme .^ (gleichgültig, ob sie ausgesprochener- oder unaus- gesprochenermaassen auftreten^ formuhrt oder nicht formuUrt, bewusst oder mehr unbewusst behandelt werden). Es werden also von der „Entwickelungstheorie" die bestimmten charak- teristischen philosophischen Probleme als das Constante zu betrachten sein; und die Problemlösungen, sofern sie eine be- stimmte Lehrmeinung zum Inhalt haben, als das Variable. So viel ich bis jetzt sehe, wird demnach eine „Entwicke- lungstheorie der Philosophie^^ als Entwickelungstheorie der philosophischen Probleme erscheinen müssen. Hieraus ergiebt sich dann der weitere Charakter der angeführten Untersuchungscombination. An jedem Probleme sind jiämlich eine formale und eine materiale Seite unterscheidbar. Eine formale Seite zunächst insofern als im Problem irgend ein Vor- stellungsinhalt sich, wie es zu bezeichnen mir erlaubt sei, im Zustand des „dubitativen" Denkens (im Gegensatz zum „certi- tudinalen") befindet, welches in der speciellen Form des „Problems" eine Tendenz auf die „Lösung" aufweist, d. h. auf die Herstellung eines „certitudinalen'^ Denkens. Diese „Herstellung eines certitudinalen Denkens*' ist aber^ genauer zugesehen, eine Wiederherstellung des certitudinalen Denkens, welches am Anfang des ganzen psychischen Processes, den wir kurz „Problem" nennen^ stand ; sodass eben dieser Process sich In Sachen der wissenBchaftlichen Philosophie. 55 darstellt als eine Umwandlung eines primären certitudinalen Denkens (in Folge bestimmter Störungen) in ein dubitatives Denken — mit der Tendenz der Rückwandlung in ein erneutes certitudinales Denken (durch die Lösung). Da nun die Philo- sophie, wie sie als ein (historisch) Gegebenes vorliegt, aus nichts Anderem besteht, als aus einer Entwickelung von Problemen und deren Lösungen, so müssen die Gesetze des certitudinalen Denkens, die Störungsgesetze, die Gesetze der Umwandlung eines certitudinalen in ein dubitatives Denken, die Gesetze der Entstehung jener Lösungstendenz und endUch die Lösungsgesetze selbst die Gesetze sein, welche das Allgemeine der philo- sophischen Entwickelung überhaupt und somit den Inhalt jener Entwickelungstheorie nach der einen Seite ausmachen. — Grundlage nach dieser Seite ist die psychologische Erfahrung — also die Erfahrung. Das wäre also die Eine Aufgabe der Entwickelungstheorie ; welche Aufgabe sich kurz als „das Problem desProblemes" bezeichnen hesse: die andere Aufgabe würde sich dagegen auf die materiale Seite der Probleme zu beziehen haben, insofern den Problemen ein bestimmter Yorstellungsinhalt innewohnt Dieser Yorstellungsinhalt, den die Probleme aufweisen, würde jedoch, nach meinem Dafürhalten, erst von dem Punkte an- fangen, Gegenstand einer Entwickelungstheorie zu werden, wo er aufhört, Gegenstand der Entwickelungsge schichte der Systeme, bez. der „Geschichte der Philosophie'* überhaupt ^ also der „Geschichte*' zu sein, sei es, dass der Stoff der Ge- schichte, sei es, dass ihre Methode ihr Ende erreicht hat. In erster Hinsicht glaube ich darauf hinweisen zu dürfen, dass — soviel ich bemerke — die „Geschichte** die Entwicke- lung der Vorstellungsinhalte, welche in die Probleme, bez. deren Lösungen, eingehen, nur zurück verfolgt bis zu ihrem Auf- treten in derjenigen Behandlungs weise , die wir „Philosophie** nennen. Nun bestehen aber diese Inhalte gerade bei den Problemen, deren Yorstellungsinhalte „nicht aus der Erfahrung** stammen sollen, nachweisbar vor demjenigen Zeitpunkt, von welchem an wir heut die Entwickelung der „Philosophie** zu 5(5 B. Avenariua: datiren pflegen: das Auftreten in der Geschichte der Philo- sophie ist ein Eintreten in die „Philosophie. '^ Es würde sich also hier um eine Untersuchungscombination handeln, welche nicht eigentlich der geschichtlichen Entwickelung, sondern der vor-, bez. urgeschichtlichen Entstehung der philosophischen Probleminhalte nachzugehen hätte — nicht den philosophischen Auszweigungen der Probleminhalte, sondern den — um auch einmal diesen Ausdruck anzuwenden — den Wurzeln der vor- philosophischen Vorstellungen, welche philosophische Problem- inhalte zu werden bestimmt waren. Namentlich würde inner- halb dieses Untersuchungsgebietes die Frage nach einer gemeinsamen Wurzel der betreffenden Inhalte zu behandeln sein — also einer Muttervorstellung, aus welcher alle Probleminhalte hervorgegangen sind. Wenn nach der einen Seile die entwickelungstheoretische Behandlung der Probleminhalte da begann, wo die „Geschichte der Philosophie^ ihrent Stoff die Grenzen gezogen hat; so beginnt, wie angedeutet, andrerseits die entwickelungstheoretische Behandlung an der Stelle, wo zwar die Probleminhalte bereits in die geschichthche „philosophische^ Entwickelung eingetreten sind, bez. in ihr stehen, aber die M e t h o d e der rein geschicht- hchen, bez. entwickelungsgeschichtlichen Bearbeitung für ihre Behandlung aufgehört hat: das ist da der Fall, wo die Unter- suchung sich richtet auf das Yerhältniss der durch das philo- sophische Denken hindurchbeweglen Inhalte zu dem Formalen der Denkbewegung selbst wie sie in den Umwandlungen des certitudinalen und dubitativen Denkens ausgedrückt ist. Das heisst: die entwickelungstheoretische Betrachtung der in der „Geschichte" sich vollziehenden Weiterentwickelung der Probleminhalte (sich vollziehend durch die Art, wie sie angefasst, bez. aufgefasst und aufgelöst werden) würde die Aufgabe haben, an den Inhalten dieser Weiterentwickelung wieder die allge- meinen Gesetze nachzuweisen, die wir im formalen Theil kennen gelernt haben würden. Dies würde aber auch — wenigstens wie ich die gestellte Gesammtaufgabe verstehe — das Charakteristische der Behand- In Sachen der wissenschaftlichen Philosophie. 57 lung der vorhergehenden Frage nach der Vorgeschichte der philosophischen Probleminhalte auszumachen haben; welches Charakteristische also in dem gleichen Nachweis bestehen würde : dass dieselben Gesetze, welche die Problem-Bildung und Lösung beherrschen, auch die Erzeugung der Inhalte bestimmen, welche in die Probleme eingehen. Und hierin liegt ausgesprochen, worin die Einheit der drei angegebenen Untersuchungen (des Problemprocesses , der vor- philosoptiischen Entstehung und der philosophischen Weiterent- wickelung der Inhalte) beruht, durch welche Einheit sie überhaupt zu einer eigenen, relativ selbstständigen Disciphn, eben der ver- langten Entwickelungstheorie, verbunden und erhoben werden — ohne welche Einheit dagegen kaum eine dieser drei Untersuchungen allein schon eine in sich geschlossene Entvnickelungstheorie be- deuten würde : diese Einheit liegt in der einheitlichen Subsumtion der drei Untersuchungsobjecte unter die gleichen allgemeinen Gesetze. Diese drei Untersuchungsobjecte sind aber nichts als die drei Momente des Einen Hauptgegenstandes: der philo- sophischen Probleme, — welche drei Momente ich erhalte, je nachdem ich auf die formale oder materiale Entwickelung der Probleme und hinsichtUch der letzteren auf die vorphilosophische oder die philosophische Entwickelung reflectire. Aber immer unter dem Gesichtspunkt allgemeiner Gesetze, welche für alle drei Entwickelungen die gleichen sind. Das ungefähr wäre, was ich unter einer „philosophischen Entwickelungstheorie^ verstehen und als nicht unwesentlich für die weitere Grund- legung einer wissenschaftlichen Philosophie bezeichnen würde. Dass mit dieser Grundlegung wieder nur die Erfahrung als Grundlage verwendet worden sein würde, braucht kaum beson- ders angemerkt zu werden : denn die erwähnten Untersuchungen würden in der Eruirung und Verschmelzung von psycho- logischen, völkerpsychologischen, bez. ethnologischen und sprachwissenschaftUchen, bez. sprachphilosophischen Erfahrungen bestehen — also wieder von Erfahrungen. Es erübrigt nur noch, über die wissenschaftliche Leistung einer solchen Entwickelungstheorie zwei Worte anzufügen; 58 ^ Avenarius: gemäss der engeren Aufgabe dieser Bemerkungen überhaupt sehe ich hierbei davon ab, welcher wissenschaftliche Werth an und für sich der philosophischen Entwickelungstheorie nicht abge- sprochen werden könne ^ und möchte nur darauf hinweisen, welche Bedeutung für die Philosophie man dieser Dis- ciplin zusprechen dürfe. Die Function, welche eine Entwickelungstheorie in Bezug auf die Philosophie zu übernehmen haben würde, resulürt aus dem Umstand, dass in dieser Disciplin, wie sie in 'der oben gegebenen Charakteristik gedacht ist, die philosophischen Probleme, formal und material, im Mittelpunkt der Betrach- tung stehen würden. Nun besteht aber die Philosophie selbst dermalen weniger aus einer Kette von wissenschaftlich con- statirten und controlirten „Thalsachenbestanden^, als vielmehr aus einer Summe von Problemen. Und wer das vermöge eines gewissen Optimismus bestreiten möchte, wird wohl kaum seine Zustimmung verweigern, wenn ich wenigstens hervorhebe, dass bei einer strengeren Auffassung die Philosophie jedenfalls nur mit Problemen beginnt: und sogar Herrn Ulrici^s Ar- tikel hat das Gute, hierfür als Beleg angeführt werden zu können. Wenn es aber das philosophische Problem ist, welches (aus- gesprochener- oder unausgesprochenermaassen) den Ausgangs- punkt des philosophischen Systems bestimmt, so bestimmt auch das Problem durch seinen eigenen Inhalt den Fortgang der Systementvrickelung und damit wesentlich den Inhalt des Systems selbst. Und ist nun gar der Probleminhalt (wie es der Fall bei denjenigen Problemen sein soll, die man noch heute für die x. i§ox. „philosophischen" zu halten geneigt scheint) der Erfahrung weder entnommen noch durch sie er- fassbar: so wird die Bildung des Systeminhaltes um so aus- schliesslicher den subjectiven Triebkräften, welche dem Problem- inhalt, seinem Yerhältniss zum gesammten Bewusstseinsstand innewohnen» preisgegeben bleiben müssen, da andere Factoren, als sie dem sich selbst überlassenen psychischen Mechanismus bereits subjectiv zu Gebote stehen, nicht in Function In Sachen der wissenschaftlichen Philosophie. 59 treten ^). Hier ist die Gestaltung des Yorstellungsinhaltes, der aus einem dubitativen in ein certitudinales Denken übergeleitet werden soll, vermöge seiner Gebundenheit an die Formen jenes Ueberleitungsprocesses durch die allgemeinen Gesetze dieses Processes bestimmt. Nehmen wir nun an (was bei Problem- inhalten von bestimmten psychophysiologischen Eigenschaften wirklich der Fall, hier aber auseinanderzusetzen und nach- zuweisen nicht der Moment ist) — nehmen wir also an, dass aus jenen Gesetzen erfolgte, dass der bewegte Yorstellungs- inhalt sich im Wechsel seiner Zustande (im Uebergang aus einem eventuell primären certitudinalen durch ein dubitatives in ein erneutes certitudinales Denken) in möglich grösster Uebereinstimmung mit sich selbst erhielte, also unter möglich kleinster Abänderung in das philosophische System einträte, so wurde durch den blossen Umstand, dass z. B. ein — wie wir ihn schonend nennen wollen: erfahrungsfreier Yorsteliungs- inhalt zum Problem erhoben worden ist, der Inhalt eines Systems in seinem Charakter gesetzmässig bestimmt werden. Es ist hier irrelevant, den Umfang des Einflusses, der auf den Inhalt eines Systemes durch die Aufnahme eines Probleminhaltes zum Ausgangspunkt seiner (des Systems) Ent- wiekelung ausgeübt wird, in genaueren Maassen zu bestimmen ; es genügt hervorzuheben, dass die Systembildung inhalt- lich unter einem massgebenden Einflüsse über- haupt jener Aufnahme steht. Bezeichnet man den Act der Aufnahme oder Erbebung eines Yorstellungsinhaltes zum Ausgangsproblem einer philo- sophischen Systembildung als „Problematisation^: so er« ^) Bei Seite gelassen ist hierbei der Fall, wo das weiter- blickende Forscherauge des Philosophie Treibenden nach Neben- erfolgen schielt, die meist nichts weniger als theoretischer Art sind. Gleichgültig wie selten etwa dieser Fall eingetreten sein mag, die ausgeführte psychologische Betrachtung, welche die Entwickelung der Philosophie auf ihre Gesammtmotive bin unter- sucht, wird die Mitfunction solcher ausserhalb der rein theoretischen Factoren belegenen „Nebenzweckursachen^' nicht völlig ausser Rech- nung lassen können. 60 ^* AvenariuB: giebt sich aus der Abhängigkeit, in welcher sich der System- inhalt von der Problematisation befindet, auch die Abhängigkeit, in welcher die wissenschaftliche Berechtigung des Systeminhaltes von der wissenschaftlichen Be- rechtigung des problematisirten Yorsteliungs- inhaltes steht. Hieraus folgt, dass bei der Forderung: es soUe der Inhalt einer philosophischen Systembildung wissenschaftlich be- rechtigt sein, die Voraussetzung erfüllt sein muss, dass der zur Problematisation verwendete und somit die Systembildung be- stimmende YorsteUungsinhalt wissenschaftlich berechtigt sei Und hieraus ergiebt sich die methodologische Forderung selbst : b e h u f s einer philosophischen Systembildung, welche für ihren Inhalt wissenschaftliche Berechtigung ver- langen soll, nur solche Yorstellungsinhalte zur Problematisation zuzulassen, welche wissenschaft- lich berechtigt sind. — Erinnern wir uns jetzt, welche Aufgabe diese Erwägungen hatten: es galt nachzuweisen, welche Bedeutung einer Ent- wickelungstheorie (im angegebenen Sinne) für die Philo- sophie zugesprochen werden dürfe. Wir sehen: die aller- geringste für eine — wie wir sie nun nennen wollen: naive Philosophie, deren eines Kennzeichen eben ist, dass sie die historisch überlieferten Probleminhalte in naivem Glauben an deren wissenschaftliche Problemberechtigung zur Proble- matisation zulässt. Die Entwickelungstheorie dürfte dagegen die allergrösste Bedeutung für jede wissenschaftliche philosophische Entwickelung haben: ist doch wenn nicht das einzige, so gewiss eines der wichtigsten Kriterien für die wissenschaftliche Problemberechtigung eben die Entstehung — die Abkunft der Probleminhalte. Nun, über diese Abkunft der Probleminhalte wird, wenig- stens wie heute die Sache liegt, in letzter Instanz eine Ent- wickelungstheorie zu entscheiden haben, da die Entwickelungs- geschichte so tief nicht hinabsteigt. Diese Entscheidung über die Abkunft führt aber alsbald zu einer Unterscheidung hin- In Sachen der wissenschaftlichen Philosophie. gl sichtlich der Legitimität der Abkunft und somit der Legitimität der Anspräche der Probleme. Diese letztere Unterscheidung ist aber um deswillen wichtig und nöthig, weil zunächst sämmtliche Problem] nhalte in völliger Naivität Anspruch auf die Problematisation erheben. Dass es in der That aber Probleme giebt, deren Ursprung in dem Sinne, welchen der Zusammen- hang dieser Erwägungen ergiebt, als in wissenschaftlicher Hin- sicht „illegitim" bezeichnet werden kann, dürfte nicht zu be- zweifeln sein ; wenigstens glaube ich, selbst von den enragirtesten Verfechtern erfahrungsfreier Systembildung nicht ernstlichen Widerspruch befürchten zu müssen, wenn ich als „illegitim" z. B. ein Problem bezeichne, dessen Inhalt nachweisbar einer normalen oder anormalen Bewusstseinstäuschung oder auch bewussten und unbewussten Fälschungen zu be- stimmten Zwecken entstammt. £in solches Problem wird also in der wissenschaftlichen Entwickelung nicht die Fähigkeit haben können, berechtigte Ansprüche auf Problematisation zu erheben. Durch diese Unterscheidung der naiven und der wissenschaftlichen Probleminhalte und mitliin der naiven und wissenschaftlichen Problematisation und der dadurch eingeleiteten Beschränkung der Problematisation auf die legitimen Problem- inhalte geht die philosophische Entwickelungstheorie in eine „Kritik der philosophischen Probleme" über, um in einer „Theorie der Grenzen der wissensehaffcliehen Problematisation" zu enden. Und so ist die Entwicke- lungstheorie die Grundlage einer — wie mr die Gesammtheit der hierhergehörigen Untersuchungen nennen wollen: — „Problematisatlonstheorie" . Nach dem, was in der voraufgehenden kurzen Erörterung gegeben worden ist, verhält es sich also mit der Problematisa- tion nicht anders als es sich mit der j Erkenn tniss" verhält: im Stand der Naivität tritt die Problematisation so unbe- grenzt auf als das Phänomen der „Erkenntniss" — in der wissenschaftlichen Entwickelung werden beiden Be- wusstseinssituationen Grenzen gezogen. Und so ergänzt, wie angekündigt, die Problematisationstheorie die Erkenntnisstheorie, 62 A* Avenarius: welche letztere in ihrer modernen Ausbildung hier für berech- tigt angenommen werden möge, obwohl das „Erkenntnissproblem" bis heute noch nicht das „Rigorosum*' vor der Problematisations- theorie bestanden, ja nur es verlangt zu haben scheint« Ich habe an dieser Stelle noch auf eine weitere verwandte Entwickelung hinzuweisen und wende mich nun mit diesem Hinweis zu der — übrigens mit wenig Worten zu erledigenden — Charakterisirung der zweiten Untersuchungscombination, welche nach meiner oben (S. 53) geäusserten Ansicht die Leistungen der sog. Erkennt- nisstheorie und auch der Logik zu ergänzen berufen sein dürfte. Ebenso nämlich, wie Problematisation und „Erkenntniss** im Stand der Naivität gleich unbegrenzt sind; kann auch im selben Stand das „Begreifen" unbegrenzt sein. Wie die philosophische Systembildung das philosophische Problem ^ so setzt das philosophische Begreifen das philosophisch Unbegriffene voraus. Abgesehen nun von aller — wenn ich den Ausdruck wagen darf: Philosophicität des Inhaltes, so besteht in unserem jetzt vorhegenden Falle einerseits ein Yorstellungsinhalt, welcher sich in einem Zustand des Denkens befindet, der seine speci- fische Färbung durch die Nuance des Unbegriflfenseins , ünbe- kanntseins, einer Befremdung, einer Unklarheit u. s. f. erhält — und andererseits besteht eine Tendenz, diesen Zustand aufzuheben und angesichts des betreffenden Yorstellungsinhaltes ein Denken mit der Eigenschaft der Klarheit, des Begriffenen, Bekannten, Vertrauten u. s. f. vnederherzustellen. Soweit es nun zu unter- suchen gilt, wie ein Vorstellungsinhalt aus einem vorhergehenden, entgegengesetzt charakterisirten in ein Bewusstsein des Unbe- griffenen, der Befremdung u. s. f. tritt und durch diesen Zustand hindurchgehend sich in ein Bewusstsein des Begriffenen (des Begriffenhabens) zurückleitet — soweit würde die Untersuchung des Begreifens einen Theil der Lehre von der Bildung und Lösung der Probleme ausmachen^ bez. eine Entvrickelung dar- stellen, die sich von jener Lehre abzweigt. Zu einer Ergänzung der „Logik und Erkenntnisstheorie" wird die Lehre vom Begreifen durch die aus ihr resultirende, heute übrigens wohl als allgemein bekannt vorauszusetzende In Sachen der wissenschafitlichen Philosophie. 63 Einsicht, dass die Comprehensionalfunction — d. b. diejenige Function einer Vorstellung: durch ihr Eingreifen den Zustand des Unbegriffenseins in einen solchen des Begriffenseins zurückzuwandeln — gar nicht auf objectiv-realen, sondern nur auf subjectiv -psychologischen Werthen der betreffenden Vor- stellung beruht; wie denn auch erfahrungsgemäss die allersub- jectivsten und willkürlichsten Vorstellungen unter Umstanden sich als vortrefflich verwendbar erzeigt haben, ein Begreifen herbeizuführen. Da nun hierin ausgedrückt liegt, dass die Thatsache der Begreiflichmachung an sich und als solche weder zu Gunsten der objectiven Existenz des Unbe- griffenen noch auch all dessen, durch dessen Vorstellung die Erklärung geleistet wird, etwas beweist: so folgt, dass ein Vor- slellungsinhalt nicht um desswegen blos in die wissenschaftliche Erfassung des Seienden aufzunehmen sein kann, weil er die Gesammtheit oder einen Theil des wirklich oder vermeintlich Seienden begreiflich macht; dass es vielmehr wissenschaftlicher sein muss, ein Begreifen abzulehnen, solange die begreiflich- machende Vorstellung nichts Anderes für ihre objectiv-wissen- schaftliche Gültigkeit beizubringen vermag, als die Ueberredun(j, welche leicht in ihrer subjectiven Leistung — eben der Be- greiflichmachung — liegt Das wissenschaftliche Be- greifen hat demnach Grenzen und zwar werden ihm diese durch dieselben Kriterien gezogen sein, welche die Berechtigung der Ansprüche eines VorsteUungsinhaltes , wissenschaftlich als gültig betrachtet zu werden ^ begrenzen — abgesehen von der Function dieser Vorstellungen, einen anderen Vorstellungs- inhalt eventuell begreiflich zu machen. Hierin ist der Unter- schied zwischen einem wissenschaftlichen und dem naiven Be- greifen begründet : das naive Begreifen verlangt von einer Vor- stellung behufs Zulassung zur Begreiflichmachung theoretisch nichts Anderes, als dass diese Vorstellung eben hierzu die sub- jectiv-psychologische Tauglichkeit besitze; darum ward ja vom naiven Begreifen gesagt; es könne unbegrenzt sein, weil die menschliche Naivität eine unbegrenzte sein kann und innerhalb dieser Naivität die unbegrenzten Mannichfaltigkeiten der Subjec- 34 R* Avenarius: tivitatsentwickelung eine unbegrenzte Fülle subjectiver Erklärungen (= Begreiflichmachungen) ermöglicht. Mit dem Gesagten glaube ich den Charakter, vielleicht auch die Nothwendigkeit einer solchen Comprehensionaltheorie, welche eine „Kritik des Begreifens" und die „Theorie der Grenzen des wissensehaftlichen Begreifens"^) enthalten würde, genügend dargelegt zu haben — aber zugleich auch die Breite der Grundlage, welche hier der wissenschaft- lichen Philosophie zugedacht ist. Dass diese Grundlage immer nur diejenige der Erfahrung — der äusseren wie inneren — ist, geht wieder aus den Elementen hervor, aus denen sich ebenso wie die philosophische Entwickelungstheorie die Problematisations- und Comprehensionaltheorie auferbauen — welche Elemente überall Erfahrungen sind, vorwiegend, aber nicht ausschliessUch psychologischer Natur ^). Herr Ulrici meinte (Schluss von Citat 12) es Hesse sich nicht ohne Weiteres behaupten, dass die Erfahrung die „Grund- lage" aller Wissenschaft und Philosophie sei; ich antworte also : nicht aller Philosophie, wohl aber aller Wissenschaft — und der Philosophie nur, insofern diese zugleich „Wissenschaft" ist; und ich sage dies auch nicht „ohne Weiteres", sondern nach Erwägungen, die vielleicht weiter gehen, als Herr Ulrici ver- langte, und vielleicht über mehr Bichtungen sich verbreiten, als er erwartete *) Man sollte auch in dei: Erkenntnisstheorie nirgend von den Grenzen des „Erkennens'* schlechthin, sondern nur von den Grenzen des wissenschaftlichen „Erkennens" sprechen. Die hiermit ein- geführte Präcision würde sich wissensehafitlich wohl lohnen! *) Genaueres Material aus den charakterisirten Theorieen kann an dieser Stelle nicht mitgetbeilt werden; ich habe dasselbe zunächst in Vorlesungen niedergelegt, und hoffe, es in dem grösseren Werke publiciren zu können, dessen Prolegomena ich bereits veröffentlicht habe (Philosophie als Denken der Welt gemäss dem Princip des kleinsten Kraftmasses. Prolegomena zu einer Kritik der reinen Erfahrung. Leipzig, 1876). Auf diese Schrift, welche jene Theorieen wenigstens in Andeutungen enthalt, muss ich auch den Leser des Näheren willen einstweilen verweisen. In Sachen der wissenschaftlichen Philosophie. 65 Ob nun endlich die JErgebnüse — nicht nur, wie Herr Ulrid beansprucht (S. 235), der logischen und erkenntnüs- theoretüehen — sondern wie wir hinzufügen, all der an- gedeuteten Foraehmgen zu Gunsten des menschlichen Wissens^ triebe sprechen werden? Das wird davon abhängen, was zu wissen es Einen treibt! Und da k^nn es wohl geschehen, dass die Naivität ein Mehreres oder Anderes zu wissen verlangt, als wenigstens die Wissenschaft zu gewähren vermag! Aber was soll diese ungünstige Chance für den reinen Wissenstrieb be- fürchten lassen? Dieser wird durch Wissen befriedigt — und falls die Ergebnisse (nach Herrn Ulrici^s eigener Voraus- setzung) wenigstens der „Logik und Erkenntnisstheorie^ wirk- lich festgestellt und dadurch zu einem Wissen geworden sind: so müssen sie zu Gunsten des Wissenstriebes als solchen sprechen, denn wer in intellectueller Freiheit überhaupt nur zu wissen verlangt, würde zum Mindesten jene Ergebnisse über- liefert und durch sie seinen Wissenstrieb befriedigt erhalten. Oder sind für Herrn Uhrid „Logik und Erkenntnisstheorie," von denen er so bedeutungsvoll spricht, überhaupt nicht Wissenschaft? 'Die Frage, ob „Logik und Erkennt- nisstheorie^* in ihren Ergebnissen überhaupt zu Gunsten des Wissenstriebes sprechen, ist also — mild gesagt — ohne rechten Sinn, da sie hiesse: kann ein Wissen zu Gunsten des Wissens- iriebes sprechen? Sind aber die Ergebnisse der „Logik und Erkenntnisstfaeorie'^ nicht festgestellt, so können sie, wie mir scheint, auch nicht zu Ungunsten des menschlichen Wissens*- triebes zeugen — und damit auch nichts gegen die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Philosophie ausmachen, zu deren Ver- wirklichung beizutragen Aufgabe dieser Zeitschrift wurde« — Die nächste Bemerkung des Herrn Ulrici gilt dem Passus des Einführungsartikels (S. 13 f.): „Eine solche einheitliche Wdtauffassung bezeichnet man gewöhnlich als Aufgabe speciell der Philosophie — und nicht mit Unrecht: denn Philosophie ist in letzter Instanz nichts Anderes, wie wir sehen, als das Resultat der Zusammenwirkung der Spedalwissenschaften in einem all- gemeinsten Begriff." Hierzu also bemerkt Herr Ulrici (S. 235 f.) : Viexte^ahrssclirift f. wissenBchaftl. PhiloBophie. m. 1. 5 gg B. ATenarius: 13, yyAbgesehen davon y dass nickt wohl einzusehen ist^ tme neben den Spedcdvnasensehaften noch von Philosophie die "Rede seyn kann, wenn sie nur das ^yüesultat^^ des (postu* lirten) Zusammenwirkens jener isi^ müssen wir diese DefiMr tion der Philosophie nicht nur nach Avenarius' eignen Prä- missen für unbegründet erklären^ sondern sie auch des Wider^ Spruchs mit den Ergebnissen seiner eignen Erörterung zeihen,^^ Die Begründung dieses Einwandes seitens des Herrn Ulrici folge nun zugleich mit der Beantwortung unsererseits: ,yDenn nach ihm selbst (sc. dem Verfasser des Einführungs- artikels) ßndet ja jenes Zusammenwirken der Specicdtvissen- Schäften nicht statt^^ — der Einführungsartikel hatte im Gegen- theil gerade (S, 7 f.) die Thatsache angeführt und zu Grunde gelegt^ dass die Specialwissenschaften einem Punkte zustreben, wo sie ihre specialwissenschaftliche Betrachtungsweise aufgeben und ihre letzten Begriffe untereinander auszugleichen suchen — y^und kann^ weil sie eben Specialwissenschaften sind, nicht stattfinden^^ — der Einführungsartikel sagte gerade (S. 7 f.), weil sie Specialwissenschaften sind, müssen sie, um sich als Wissenschaft zu vollenden^ in jene Zusammenwirkung ein- treten; das kann freilich nicht stattfinden^ solange sie nur Specialwissenschaften im modernen Sinne des Wortes sind — yysondem wird durch die Philosophie vermittelte^ — der Ein«^ führungsartikel machte geltend : dieses Zusammenwirken istPhilo^ Sophie und zwar Philosophie im weiteren Begriff^ wie S. 12 des Einführungsartikels deutlich zu lesen steht. In diesem weiteren Begriff heissen die Untersuchungen, welche die Pnncipien alles Wissens, Begreifens^ Erfahrens, bez. die Wissenschaftlichkeit der Specialwissenschaften selbst betreffen, — „Philosophie". Es ist nicht die Schuld des Einführungsartikels, wenn H^rr inrici die daselbst gemachte Unterscheidung einer Philosophie im weiteren und engeren Sinne in seinem Eifer übersieht oder ignorirt; und so möge es denn auch nicht demEinführungs* artikel zur Last gelegt werden, wenn Herr Ulrici zu dem Schluss kommt, dass nach dem Inhalt des EinführungsartikeU In Sachen der wissenschaftlichen Philosophie. Q^ selbst ^yFhüosophie nickt als blosses jRestdtat des Zusammen- wirkens*^ der Specialwissenschaften bezeichnet werden könne: zu diesem Schluss gelangt Herr Ulrici nur dadurch, dass er an letzter Stelle eine Bestimmung verschweigt^ die er kurz vorher, wo er den Einführungsartikel wörtlich zu citiren hatte, mitab- drucken musste — die determinirende Bestimmung: „in letzter Instanz^M Und zu dem, was die Philosophie in letzter Instanz ist, ist sie in ihrem weiteren Begriff allerdings yyBedingung und Basis**: aber es ist ja eben jenes im Ein- führungsartikel skizzirte Zusammenwirken von Specialwissen- schaften, welches die Philosophie im weiteren Sinne aus- macht. — 14, yyleh beende meinerseits diese Bemerkungen mä dem Hinweis^ dass die neue wissensehafüiche Philosophie conse- quenter Weise nicht nur alle Metaphysik, sondern auch alle Ethik aus dem Bereich der Philosophie verbannen muss.^ (S. 236). Zunächst zwei Worte über die Zulässigkeit der Metaphysik. — Die Metaphysik stellt in ihrem Resultat eine Yorstellungsmasse m dar, welche eine andere Yorstellungsmasse /u, deren Inhalt ver- gleichsweise unbestimmt ist, durch Apperception inhaltlich be- stimmt. Diese inhaltliche Bestimmung wird wissenschaftlich zulässig sein, wenn — abgesehen von den Eigenschaften, welche, eventuell die Yorstellungsmasse ju besitzen muss — der Inhalt der Yorstellungsmasse m wissenschaftlich zulässig ist: hierüber entscheidet aber nicht, ob sich der Metaphysiker bei Yollziehung seiner Apperceptionen wissenschaftlich gestimmt fühlt oder ob ihm sonst so zuMuthe ist; sondern hierüber entscheidet die Ent- wickelungs-, bez. Problematisationstheorie. Die dort gewonnenen Ergebnisse könnten aber die Metaphysik nie und nimmermehr aus dem ^^Bereich der Philosophie'* überhaupt, sondern nur aus dem der wissenschaftlichen Philosophie bannen — dann nämlich, wenn sich erweist, dass ein wesentlicher Inhalt der metaphysischen Yorstellungsmasse m aus normalen oder anormalen Bewusstseins- tauschungen, aus Scheinerfahrungen u. dgl. entstanden sei. Aber muss nun nothwendig der Inhalt m aus solchen 6* QIQ B. Avenarius: wissenschaftlich unzulässigen Quellen herstammen? Es wird das, wie mir scheint, Ischliesslich davon abhängen , was man unter »^Metaphysik'' versteht Versteht man zum Beispiel unter ^Jtfetaphysik'' ihrem Resultat nach die Apperception der Weltvorstellung ^ durch eine Vorstellung m, welche — im Gegensatz zu der sog. sinnhchen Anschauung, wie sie aus dem heutigen Entwickelungsstand der Wahrnehmung des Erwachsenen unmittelbar entnommen erscheint — alles das, was durch be- zügUche eingreifende und übergreifende Mehrerfahrungen sich als Hypostasen von höchstens Hülfsbegriffswerthen erwies, aus sich ausgeschieden hat: so wii*d eine solche, von der heutigen, dem Anscheine nach unmittelbar „sinnlich" erfassten Weltvor- Stellung wesentlich abweichende und in dieser Abweichung „Metaphysik '^ zu nennende, nach der Voraussetzung auch „Metaphysik^ wirklich leistende Vorstellungsmasse m wissen- schaftlich berechtigt sein. Denn ihr Inhalt wäre das Resultat combinirter Apperceptionen , deren einzelne Inhalte sämmtlich der Erfahrung entstammten. Es würde hieraus hervorgehen, dass der Gegensatz, welcher auf dem Grunde einer Psychologie, welche noch mangelhafter war, als die heutige ist, entwickelt wurde, — dass, sage ich, der Gegensatz zwischen Metaphysik und Erfahrung kein absoluter, sondern ein in einer Weiterentwickelung eventuell auszugleichender sei. Doch — wie dem auch sei, ich wiederhole: in keinem Falle hat Herr Uliici Ursache, für die Zukunft der Metaphysik besorgt zu sein — auch wenn sich die Inhalte der Vor- stellungsmasse m nicht in der wissenschaftlichen Philosophie erhalten könnten! Unsere Gesammtcultur ist noch lange nicht so beschaffen, dass den metaphysischen, wissenschafLlich im Denken der Welt nicht zu erhaltenden Vorstellungsinhalten von unten der nährende Boden und von oben der pflegende Sonnen- schein fehlen sollte! So viel zur Metaphysik ^) — das Bemerkte ') Nachträglich werde zur Ergänzung verwiesen auf den Ar- tikel H. Sieb eck 's im II. Jahrg. dieser Zeitschrift (Heffc 1 u. 2): „Die metaphysischen Systeme in ihrem gemeinsamen Verhältnisie zur Erfahrung.'* In Sachen der wissenscliaftlichen Philosophie. 69 wird genügen können, da Herrn Ubici's speciellere Begründung (als Material die Beschrankung der Causalitätsgeltung auf die Erfahrung gebrauchend) uns eine Lehrmeinung unterschiebt, die sich im Einführungsartikel weder als Problemstellung noch als Voraussetzung verwendet findet — Besonders charakteristisch für das Verfahren des Herrn Ulrici ist nun auch der Passus, mit welchem er seine Ansicht Yon der in den Consequenzen der wissenschaftlichen Philosophie liegenden „Verbannung^ der Ethik begründet (S. 236): 15a, yyUnd handelt es sich in der Ethik um das Seyn^ sollende^ — wer das leugnety hat erst nachzuweisen, dass das allgemein menschliche Streben nach einer über das Gegebene hinausgehenden VoUkommenkeit wie alles Pflicktge/ühl , alle moralische Verbindlichkeit y auf blosser Selbsttäuschung und Illusion beruhe, — so ist die Ethik keine ^^wissenschaftliche** Disciplin.** Mir scheint, man könne recht wohl der Ansicht sein (und ich selbst und mit mir, soviel ich weiss, alle Mitarbeiter an dieser Zeitschrift für wissenschaftliche Philosophie sind dieser Ansicht), dass das von Herrn Ulrici sofort als „allgemein menschlich" bezeichnete Streben nach Vollkommenheit, sowie alles Pflichtgefülil und aUe moralische Verbindlichkeit nicht „auf blosser Selbsttäuschung und Illusion" beruht — und dennoch bliebe bestreitbar, dass es sich in der Ethik durchaus um das Seinsollende handle; und umgekehrt, warum sollte nicht Jemand meinen können, es beruhe all das Angegebene auf Selbsttäuschung und Illusion, und doch zugleich zugeben, dass eine Ethik als Wissenschaft vom Seinsollenden bestehen könne: denn dass gewisse Dinge, Handlungen und Verhältnisse sein sollen, das ist ja Thatsache — und warum sollte diese einer Ethik als Wissenschaft nicht erfassbar sein? Herrn Ulrici's im Citat reproducirte Nachweisforderung beruht vermuthlich (und fast möchte ich sagen: hoffentlich) weniger auf seiner Logik , auf die er uns bereits einmal aus- drücklich verwies, sondern wohl mehr auf seiner speciellen Ethik, auf die jene Forderung stillschweigend hindeutet. Denn 70 K« Avenarius: die dichte Verbindung, in welcher hier das „Seinsollende'' mit dem nicht auf Selbsttäuschung und lUusion beruhenden Streben nach Vollkommenheit etc. gedacht wird, enthält schon nicht mehr die blosse Aufgabe einer Wissenschaft, sondern schon eine bestimmte Lösung. Doch gleichviel! Was hat der Umstand, dass als das Object der Ethik das Seinsollende zu gelten habe, mit der behaupteten Nothwendigkeit ihrer Verbannung aus dem Bereich der Philosophie und selbst der wissenschaftlichen Philosophie zu schaffen? Das ist eine sehr ernste Frage, denn das Interesse an der Ethik ist ein sehr ernstes, sehr allgemeines und dabei nicht bloss ein theoretisches; und wer öffentlich von einer Wissenschaft behauptet, sie müsse consequenterweise die Ethik aus ihrem Be- reiche bannen, ein Solcher hat mehr als Ein Mal zu überlegen, aus was für Gründen und mit was für Mitteln intellectueller Befahi^ng er an seine vielleicht weittragende Behauptung gehen will! Wir verlangen also eine ernste Antwort fähiger Ueberlegung — und wer, nachdem er die Frage aufgeworfen hat, keine solche Antwort zu geben vermag^ der wird sich gegen den Verdacht zu vertheidigen haben ^ dass es ihm an Ernst oder an Fähigkeit gebreche. Herr Ulrici hat die Frage aufgeworfen — was wird er antworten? Hören wir! Herr Ukici schliesst (S. 236): 15 h, ^yDenn das Seynsoüende kann kein ErfahrungS" object j kein ^yGegebenes^^ aeyn, da es ja nicht isty sondern eben seyn soW^. So geschrieben im Jahre 1877 und glaube ich kaum, dass in diesem Jahre etwas — — Unqualificirbareres von einem „Philosophen'' geschrieben worden ist! Richtig ! das Seinsollende ist kein „Gegebenes"^ da es nicht ist, sondern sein soll! Aber Erfahrungsobject und ge- geben ist die thatsächliche Existenz sittlicher Verhältnisse, Erfahrungsobject und gegeben ist eine Entwickelung zur Verallgemeinerung und Vervollkommnung dieser sittlichen Verhältnisse — ebenso wie es Erfahrungsobject und In Sachen der wissenschaftlichen Philosophie. 71 gegeben ist, dass diese Entwickelung, weil sie erfahr ungs- massig nothwendig ist, auf der einen Seite die Form des Gewollt- und Angestrebtwerdens^ auf der andern — eben durch ihre Nothwendigkeit — die Form des Seinsollens erfahrungs- gemäss annimmt Also: in der Erfahrung gegeben ist allerdings nicht das, was nicht ist, weil es eben sein soä; wohl aber ist in der Er- fahrung gegeben^ dass Etwas sein soll, weil es erfahrungs- gemäss nothwendig ist zu bestimmten Zwecken. — Herr Ulrici schliesst (S. 236): 16. ^f Diese Bemerkungen indess werden y hoffe ich^ ge- nügen, um den Unbefangenen zu überzeugen j dass die neue vdssenschaftliche Philosophie in Wahrheit der alte dogmatische Empirismus ist^ nur modern aufgestutzt, auf das Dogma von der AUeingüUigkeit und unantastbaren Autorität der naJhir" wissenschaftlichen Forschung und ihrer Ergebnisse basirt, — ** Meine Gegenbemerkungen werden vielleicht genügt haben, den Denkenden befürchten zu lassen, dass Herr Ulrici die wissenschaftliche Philosophie mit so Etwas wie einem alten Sensualismus, die Werthschätzung der naturwissenschaftUchen Methoden mit der Basirung auf ein Dogma Ton der Alleingültig- keit und unantastbaren Autorität der naturwissenschaftlichen Forschung und Ergebnisse, und schliesslich die (vorwiegend auf Grund der neueren Apperceptionslehre und Sprachphilosophie erfolgte) Weiterentwickelung der Auffassung der Erfahrung mit einer „Aufstutzung** eines vor oder abseits von den neueren psychologischen Errungenschaften Steinthal^s, Geiger's, Wundes u. A. liegenden Empirismus verwechselt habe. Wie das Phänomen einer solchen hochgradigen Verwechslung psycho- logisch möglich war — nun, das geht auf das Allergenügendste hervor aus den einzelnen Punkten eben dieser hiermit beendeten kritischen Gegenbemerkungen ! Nachdem ich in dem Yoraufgehenden Herrn Ulrici's Artikel : ,iUeber eine neue Species von Philosoptüe** in, wie ich glaube, allen Punkten besprochen, habe ich einige Bemerkungen zur 72 fi- Ayenarius: Replik, wekhe inzwischen auf meinen ersten Artikel erschienen ist (Zeitschrift für Philosophie etc., N. F. Bd. 72, Heft 1, S. 103—110); hinzuzufügen. 1. S. 104 meint und sagt Herr Ulrici wörtlich, dass die „Yierteljahrsschrift für wiss. Philos.^ sich ihren Titel erst geben durfte, nachdem sie nachgewiesen, dass die von ihr ver- tretene Philosophie die allein wissenschaftliche sei. Eine etwas originelle Zumuthung, dass eine Zeitschrift sich ihren Titel erst so und so lange nach ihrem Erscheinen geben solle! Mir scheint, man könne doch nur verlangen, dass die Philosophie, welche die Zeitschrift von ihrem Erscheinen an vertritt, auch wirklich, der Titelaussage gemäss, wissenschaftlich sei. Dieser Titel sagt übrigens aber nicht aus, dass nur in dieser Zeit- schrift wissenschaftliche Philosophie, sondern dass in dieser Zeitschrift nur wissenschaftliche Philosophie getrieben werde; ich wiederhole also, dass unser Titel nicht mehr oder weniger zu leisten hat, als die Artikel unserer Zeitschrift an- zukündigen (vergl. Jahrg. I, Heft 4, S. 559). 2. Auf derselben Seite erneuert Herr Ulrici seine Be- hauptung: dass die „erkenntnisstheoretische Grund- und Ur- frage^ sich nicht „auf Grundlage der Erfahrung** lösen lasse, weil ihre Lösung über die Erfahrung hinausgehe. Ich meiner- seits will gern meine Antwort wiederholen : dass das scheinbare Hinausgehen über die Erfahrung (wenn anders es sich nicht um Phantasmen einer „schwärmenden Vernunft** handelt) ledig- lich in Gontrolirungen der Erfahrung durch Erfahrung, als In- halt, bestehe und in Verallgemeinerungen, wie sie in der Er- fahrung, als Act, liegen. 3. Auf S. 105 ist zunächst eine Stylbiume des Herrn Ulrici anzumerken : meine Ausführung (Jahrg. I, S. 556 f.), die an dieser Stelle sogar Herrn Ulrici^s Ausdruck „Schrulle** ab- lehnte und wo sie schärfer gefasst erscheinen konnte, doch nur Kant sprechen Hess, wird als — y^geifemde Gegenrede** bezeichnet — Sachlich ist zur angezogenen Stelle zu bemerken , dass Herr Ulrici allerdings einige Worte von mir wiederholte, aber mit diesen dem Zusammenhang entnommenen Worten doch noch In Sachen der wisflenschafüichen Philosophie. 78 nicht den Sinn der ganzen Ausfuhrung wiedergab: Herrn inriGi gilt die Philosophie überhaupt (vgl. seinen 1. Artikel, S. 224 — 5) als Wissenschaft, und als Grund, dass sie Wissenschaft sei, wird angeführt, dass sie selbst sich dafür gehalten und Anderen dafür gegolten habe , und daher wird ihm der Satz : die Philosophie „will** Wissenschaft sein, zur Frage — nicht: wie ist wissenschaftliche Philosophie, sondern: wie ist Philosophie überhaupt möglich; während meinerseits die Unterscheidung zwischen Philosophie überhaupt und wissenschaftlicher Philo- sophie festgehalten blieb, da die Zeit für ein Aufgeben dieser Unterscheidung noch nicht gekommen erschien. 4. S. 106 findet Herr Ulrici, dass ich die von mir ver- tretene Philosophie durch den Titel meiner Zeitschrift „ohne Weiteres^ für Wissenschaft erkläre. Man mag die Kriterien der Wissenschaftlichkeit, die der Einführungsartikel aufstellte, anfechten, bestreiten, widerlegen; aber es gehört viel Affect dazu, angesichts dieser Kriterien zu behaupten, man habe „ohneWeiteres** eine Philosophie für wissenschaftlich erklärt 5. Auf der gleichen Seite erklärt Herr Ulrici, meine „weitläufige^ Darlegung der Entstehung der Erfahrungsbegriffe enthalte „im Wesentlichen nichts Neues und erscheint dbjective Welt schliesst sich in dem Laas*schen Buche ein RecensioiMm. 95 Absohnitt an über die metaphysischen YorauBsetzaiigen für die Kanfsche Transoendentalphilosophie. Eant's Metaphysik ist Bach Laas etwa folgende: Das Ich, yon dem wir nicht aus* zusagen yermögen, ob es vergänglich oder unvergänglich, ein- fach oder zusammengesetzt sei, hat jedenfalls die nöthigen Formen, d. h. Raum und Zeit, um Anschauungen zu empfangen, «0 dass ihm auch nur eine Welt bekannt sein kann, soweit sie in diesen Formen erscheint. Andererseits ist es ein selbst- thätiges Wesen, und gerade durch diese Spontaneität des Denkens wird seine eigenthümliche Natur constituirt. Jedoch ist diese Spontaneität für sich nur unfruchtbar, sie muss von Aussen den Stoff erhalten. Die Natur und ihre Einheit ist nur möglich vermittelst der Beschaffenheit unseres Verstandes, nach welcher alle Vorstellungen der Sinnlichkeit auf ein Bewusstsein noth- wendig bezogen werden. Laas meint nun, es seien diese Voraussetzungen Kant's allerdings sehr geeignet, „die blöde Naivität über den Charak- ter des empirischen Seins nachdenklich zu machen^S aber es trete doch auch dabei „die individuelle Willkür der von Kant beliebten Metaphysik heraus'^ Das Letztere ist ein Moment, das mit Nachdruck in der Kritik der Kant'schen Philosophie betont zu werden verdient. Laas fragt, warum, wenn wir einmal über das positiv Gegebene hinausschritten, wir in uns nur Formen hätten und diese den Materialien aufprägten , die letzteren aber nur empfangen und nicht aus uns produciren könnten? Und andererseits fragt er: Warum die Materialien, •die uns gegeben werden, nicht selbst so beschaffen sein könn- ten, dass wir, um Natur fertig zu bringen, nur aufmerksam und verständig beobachten müssten, und unsere Verknüpfungs- formen und Relationen der Erscheinungselemente Nachbilder und Gegenbilder einer transcendenten Ordnung wären? Ich «timme dem vollständig bei, dass von Kant diese beiden Mög- lichkeiten nicht ausgeschlossen sind, so dass der Zugang einerseits zu dem absoluten Idealismus, andererseits zu dem empirischen Realismus im Gegensatz zu der Transoendental- philosophie gegeben wäre. Mit diesen Bedenken gegen die Metaphysik Kant's hat Laas schon seinen Standpunkt dahin ausgesprochen, dass er principieller Gegner der Transoendentalphilosophie ist, und ich kann nicht einsehen, wie für Laas von dem Gebäude Kant's überhaupt noch etwas stehen bleiben kann. Er will den syn- thetischen Charakter der mathematischen Urtheile nicht aner- kennen, er nimmt es nicht als durch Kant feststehend an, dass 96 Reoenskmen. der Baum nur subjecÜTe Anschauungsform und nicht auoh transcendente Existenzform sei. Kant hat noch viel weniger nach Laas erweisen können^ dass die Zeit nur subjeetiv sei^ für deren Transcendenx der Verfasser mit ziemlicher Ent- schiedenheit eintritt; obwohl er sich auch hierbei bisweilen wieder sehr reservirt äussert. Er glaubt die metaphysische Zeit annehmen zu müssen^ weil sonst völliges Dunkel über die Welt käme, zu deren Erklärung wir doch tou Anfang an getrieben würden^ weil sonst alles transcendent reale Geschehen und weiter damit alle metaphysische Causalrerknüpfung in den bodenlosen Abgrund stürzte. Hiermit sind schon Haupt- abweichungen . des Kritikers von Kant angegeben , und er präcisirt selbst seine Ansicht am genauesten dahin, ' dass, wenn wir das Gegebene aus wirklich ^^efficienten Ursachen" erklären wollen, wir stehen lassen müssen: ,,Eine Vielheit von dyna- misch gegenseitig abhängigen ^ zu einem einheitlichen selbst- genugsamen Weltsystem (Universum) zusammengeschlossenen Substanzen, ihre Kräfte verschiedener Intensität und Qualität, ihre gegenseitigen Einwirkungen (Actives und Passives), ihre gesetzmässigen Veränderungen, ein wirkliches Geschehen in einer transcendenten Zeit/^ Es würde bei diesen Annahmen von der Transcendentaiphilosophie Kaut's nichts übrig bleiben. Wie weit sich Laas von Kant entfernt, sieht man am deutlichsten in seiner Stellung zu den Analogien selbst. Er lässt sie gelten, aber nicht auf Grund der Transcendentai- philosophie. Die zweite besteht nach ihm zu Rechte, weil sie für jede wissenschaftliche Forschung überhaupt unentbehrlich ist. Um nicht alles Forschen von vornherein zu vernichten, müssen dieselben Wirkungen erwartet werden, wenn dieselben Bedingungen sich vorfinden. Sodann hat dieser Satz Geltung,, weil er noch keine ernstliche Ausnahme je erlitten hat. Frei- lich hält sich Laas hier sogar von der Skepsis nicht ganz, fem^ und es ist eine Annäherung an Stuart Mill, der von Laas überhaupt viel berücksichtigt wird^ zu spüren. Im letzten Grunde, sagt Laas, ist der Satz als nicht weiter dedu- cirbar dem Hume'schen Zweifel preisgegeben, aber dieser Zweifel wird zugleich als „widrig^^ bezeichnet. Laas glaubt nicht; dass durch einen hypothetischen spontanen Verstand die Allgemeinheit und Noth wendigkeit des Causalgesetzes besser begründet sei als durch die Erfahrung, und das Gravitations- gesetz steht nach ihm eben so fest, obwohl dies ohne transcen- dentalen Grund sein soll, wie das Gausalitätsgesetz. Sowohl die allgemeinen Naturgesetze als auch die besonderen ruhen Beeennonen. 97 für Laas in gleicher Weise auf empiriBchem Erkenntnitsgrund. Selbst in Bezug auf die Identität ist es Laas fraglich, ob man nicht in gewissem Sinne sagen dürfe, dass sie in der Wahr- nehmung, dem Gegebenen, liege, so dass die Wahrnehmung ihr nicht nur die Anwendbarkeit, sondern auch die Veranlassung bietet. — Dass das Causalitätsgesetz für die transcendente Welt giltig ist, brauche ich nach Angabe seiner Hauptansicht über die transcendente Welt kaum hinzuzufügen. Vom Dogmatismus sucht sich Lcias, wie ich eben schon in Betreff der Gausalität andeutete und früher auch sobon bemerkte, möglichst fem zu halten. Es wird die Berechtigung für die eine und für die andere Ansicht ausgesprochen und erwogen, aber eine bestimmte Entscheidung fällt selten. Dies geht so weit, dass, nachdem Laas zur Erklärung der Welt als nöthig hingestellt hat ein wirkliches Geschehen in einer trans- scendenten Zeit, er doch wieder darauf nur vorsichtig davon spricht, dass eine transcendente Zeit nicht unmöglich scheine, und gegen eine absolute Zeit die antithetischen Erörterungen der Kant'schen Antinomien in's Feld führt. So * sehr es ihn nach der Metaphysik hinzieht, er hält die Augen sich offen und den Verstand klar und lässt sich von dem Zauberlied, das hinüberlockt in jene unsichtbaren Gefilde, nicht vollständig hinreissen. Er erkennt den metaphysischen Trieb als einen gesunden und berechtigten an, will «aber, dass er sich beschränke auf die von dem thatsächlich Wirklichen aufgegebenen echten BäthseL Welche aber diese sind, und woran man sie erkennen soll, das ist mir durch Laas nicht völlig klar geworden. Es würde sich über die Auslegung dieser Forderung sogleich der Streit der Meinungen geltend machen. Laas fragt, ob man sich nicht „ein gesetzmässig geregeltes dynamisches Wechsel- spiel vieler ewigen unter sich zu einer innerlich artikulirten, so zu sagen künstlerischen, systematischen, organischen Einheit verknüpfter Agentien'' denken solle. Er giebt zu, dass er es gerne möchte, fragt aber zweifelnd weiter: „Ob es sich durchführen lässt, was wir gerne hätten? Ob sie sich aus- denken lässt diese an der Zeit hinlaufende Wechselwirkung vieler Agentien?'' und zum Schluss denkt er wieder «in die Möglichkeit der Besignation in dieser Beziehung und daran, dass wir vielleicht darauf nur angewiesen wären, die Erschei- nungen nach synthetischer Einheit zu buchstabiren, um sie als Erfahrui^ lesen zu können. Trotz der Unsicherheit in den eigenen Aufstellungen wirkt das Laas'sche Buch in hohem Grade philosophisch ^erteljalizssolurift f. wiasenscliafa. Pliflosopliie. m. 1. 7 Og ReeensioneD. klärend und anregend, oder es wirkt in diesen beiden Be- dsiehungen gerade desbalb bedeutender, weil das Dogmatische so sehr zurücktritt. Und abgesehen von diesen Vorzügen: Wenn es für die Gegenwart, um in der Philosophie Fort- schritte zu machen, vor allen Dingen darauf ankommt, die Philosophie Kant's genau zu ergründen und zu kritisiren, so dass sie entweder als giltige Basis anerkannt oder verworfen wird, so hat Laas nach diesen beiden Richtungen sich durch sein Buch wesentliche Verdienste erworben. Leipzig. M. Heinze. Spir, A. Denken und Wirklichkeit. Versuch einer Erneuerung der kritischen Philosophie. Erster Band. Das Unbedingte. Zweite umgearbeitete Auflage, (Vn u. 386 S. gr. S^.) Zweiter Band. Die Welt der Erfahrung. Zweite umgearbeitete Auf- lage. (292 S. gr. SO.) Leipzig J. G. Findel. 1877. In der Vorrede giebt der Verfasser die Erklärung ab, dass ihm an der Richtigkeit der in diesem Werke vorge- tragenen Gedanken zu zweifeln nicht erlaubt sei, da dieselben nicht allein für ihn selbst vollkommen evident seien^ sondern auch trotz ihrer Vorlegung zur öffentlichen Prüfung eine nennenswerthe Einwendung nicht erfahren Mtten. Wenn trotz- dem das Werk ziemlich unbeachtet geblieben sei, so schreibt er dies zum Theil seiner unzureichenden Darstellung zu, zum Theil aber auch den Lesern selbst, der bedauerlichen ün- empfänglichkeit der meisten Menschen für Vernunft und Ein- sicht; doch hegt er die ruhige Zuversicht^ dass die Evidenz der darin vorgetragenen Lehren, nicht mehr, wie früher, ver- deckt durch eine zu mangelhafte Darstellung, jeden Widerstand besiegen und den festen Grund zu einer wahrhaft wissenschaft- lichen Philosophie legen wird. Auch am Schluss des Werkes beklagt er noch einmal den Mangel an logischem Denken bei den meisten Menschen, will aber dennoch an der Menschheit nicht verzweifeln. ,,(Jnter der dumpfen Menge giebt es ge- wiss auch hellere Geister, welche sich gegen die Evidenz nicht ganz verschliessen . . . Durch solche verwandte Geister wird die hiergebotene Anschauungsweise einst zum Gemeingut Aller gemacht.^' Dieser von antikem Selbstbewusstsein getragene avis au lecteur zeichnet sich im Ganzen mehr durch Wahrheit als durch Höflichkeit aus, und wird daher Manchem einen neuen Vor wand bieten, das Buch ungelesen hhi Seite zu legen -^ RecemioneD. 99 eine BehandltiBg, welche dasselbe keineswegs verdient, da es auf Grund umfassender Studien und meistentheils eingehendier kritischer Untersuchungen die Erforschung der Wahrheit ohne alle Nebenabsichten sich zur Aufgabe gestellt hat. Deshalb ]«t es nicht zu ignoriren, sondern in denjenigen Punkten^ welche vor der Kritik unhaltbar erscheinen^ mit sachlichen Gründen zu widerlegen. • Der philosophische Standpunkt des Verfassers ergiebt sich theils aus seinen ürtheilen über andere Bichtungen^ theils hat er ihn direct dargelegt. Alle Metaphysik verurÜieilt er in starken Ausdrücken; sie ist ihm bloss eine imaginäre Erweite- rung der Erfahrung, ihr verschiedengestaltetes Unbedingtes oder Absolutes nichts als ein empirischer Gegenstand, eine phan- tastische Zusammenstellung eines in der Erfahrung angelesenen Inhaltes. Ja er erklärt sogar die metaphysische Eichtung für eine Art geistiger Krankheiti welche nicht durch Argumente zu beseitigen sei. ,;Denn was können Argumente bei Menschen ausrichten ; welche sehr gut sehen, wie in allen Zweigen der Wissenschaften wirkliche Erkenntnisse erworben werden und trotzdem im Ernste glauben, dass auf dem von den Meta- physikem eingeschlagenen Wege auch nur ein Atom wirklichen Wissens gewonnen werden könne?" Ebenso schlecht werden diejenigen Philosophen behandelt, welche der Verfasser „Empiristen^ nennt; diese unterscdieiden sich nach ihm kaum von den Metaphysikern und haben dazu noch andere übele Eigenschaften. Er kennt, in Deutschland wenigstens, unter den Philosophen keinen einzigen klaren und „mit sich consistenten*' Empiristen. „Wer hier die Erfahrung als die einzige Quelle der Erkenntniss proclamirt, der stürzt sich sofort in eine — Metaphysik, gewöhnlich in die materia- listische Metaphysik/' Bei einigen neueren Schriftstellern, „welche dem Empirismus zu huldigen vorgeben, herrscht leider aine solche Unklarheit des Denkens, dass man kaum glauben kann, dass sie selber wissen, was sie eigentlich denken und wollen.'' ;,Die in der Philosophie leider so oft angewandte traurige Kunst, aus Nichts Etwas zu machen, wird von den Empiristen am wackersten ausgeübt.'' Auch der neuerdings wieder beliebt gewordene „Mittel- weg" zwischen Metaphysik und Empirismus, welchen Kant einschlug, gefallt dem Verfasser nicht. Eant's Lehre „zeigt nicht viel kritischen Sinn'^ seine transscendentale Aesthetik ,^beruht auf einer vollkommen unhaltbaren, den Thatsachen 100 Becensionen. offenbar widersprechenden Ansicht'^; ebenso unhaltbar ist die Kategorieenlehre. — Alle Diejenigen, welche ans erkenntnisstheoretischen Grün« den bisher annahmen, dass nur die zwei Standpunkte des Empirismus und der Metaphysik überhaupt möglich seien, und daher den £antischen Kriticismus entweder in den einen oder den andern Standpunkt auflösten, werden sehr gespannt sein, welche dritte Richtung hier auftritt. Zunächst unterscheidet der Verfasser seine Philosophie von der Metaphysik: ,J)iese will die Lehre von dem Unbedingten selbst sein. Dagegen kann die kritische Philosophie, soweit sich dieselbe auch über die Erfahrung erhebt, nichts Anderes sein, als die Lehre von dem Begriffe des Unbedingten, von dem Ursprung, der Bedeutung und der objectiven Giltigkeit dieses BegrifPs/' Im Gegensatz zu den „Empiristen'' nimmt der Verfasser an, dass es Einsichten gebe, welche sich durch einen ihnen eigenthümlichen Charakter unterscheiden, der keiner aus der Erfahrung entstandenen Erkenntniss eigen sein kann, also ein Apriori. „Vor allen Dingen ist es nöthig zu begreifen, dass zwischen den apriorischen und empirischen Elementen unseres Erkennens überhaupt keine vollkommene Uebereinstimmung besteht, weil man sie sonst von einander gar nicht würde unterscheiden können. Darin liegt eben das Kriterium einer Einsicht a priori, dass dieselbe nicht allein nothwendig sei, sondern dass die Erfahrung auch mit ihr nicht überein- stimme und daher keine Elemente enthalte, aus welchen jene auf empirischem Wege gebildet werden könnte." Ein ur- sprünglicher Begriff a priori muss nicht nur unmittelbar ge- wiss, selbstverständlich sein, auch nicht aus der Erfahrung stammen, aber die Erfahrung muss doch seine objective Giltig- keit bezeugen. Seine Nichtübereinstimmung muss von der Art sein, dass „die Thatsachen gerade auf Grund derselben für seine objective Giltigkeit Zeugniss ablegen, weil der Begriff sonst wohl noch als ein Gesetz des Denkens, aber nur von sub- jectiver Bedeutung sich erweisen würde. Wenn es aber mög- lich ist, diese beiden Bedingungen zu erfüllen, so wird da- durch die Lehre von der apriorischen Natur des Erkennens und mit dieser auch die Philosophie überhaupt auf eine wissen- schaftliche Grundlage gestellt/^ Dieses apriorische Denkgesetz von objectiver Bedeutung „muss nun in einem obersten unmittelbar gewissen Grundsatze seinen Ausdruck finden, aus welchem mit logischer Noth- wendigkeit . . . gewisse allgemeine Thatsachen des erfahrungs- RecensioDen. 101 massigen Wissens sich ergeben, welche ihren Ursprung nach- weisbar weder in dem Stoffe der Erfahrung selbst, noch in den Gombinationen dieses Stoffes haben können/' Hiermit ist dem Yerfasser die Unterscheidung seines Standpunktes vom empiristischen sehr wohl gelungen, ja sogar so gut, dass selbst ein Metaphysiker kaum etwas daran aus- zusetzen haben dürfte. Um so mehr Grund hat der Empiriker, die folgenden Beweise des apriorischen Denkgesetzes yon ob- jectiver Bedeutung einer genauen Kritik zu unterziehen. Der Verfasser beginnt in dem „Vorbereitung'^ betitelten Abschnitt mit der Feststellung des ,,unmittelbar Gewissen'^ „Man weiss von vorneherein, dass etwas bloss auf zweifache Weise gewiss sein kann^ nämlich entweder unmittelbar oder mittelbar/' Dies kann durchaus nicht zugegeben werden ; mag Jemand immerhin von vornherein ,, wissen", dass etwas un- mittelbar gewiss sei, so lehrt doch die Erfahrung gerade das Gegentheil, nämlich dass alle Gewissheit ohne Ausnahme ver- mittelt ist, wie sich denn dies auch bei allen Erfahrungs- objecten aufzeigen lässt. Weil das Letztere aber bei dem so- genannten Apriori nicht möglich ist, deshalb macht man, um populär zu reden, aus der Noth eine Tugend, und behauptet^ dass es ,,unmittelbar gewiss" sei. Der Verfasser war auf Grund der Thatsachen berechtigt zu sagen, es sei gewiss, dass etwas Unmittelbares gegeben ist; dies darf aber mit Gewissheit im Sinne der Richtigkeit nicht identificirt werden, wenig- stens wenn man sich an den Sprachgebrauch halten will. Daher fehlt die Beweiskraft auch den folgenden Sätzen: ^Mittelbar gewiss ist Dasjenige, dessen Gewissheit eben durch etwas Anderes vermittelt, d. h. von Anderem entlehnt ist. Mittelbar gewiss ist etwas, wenn ich dessen Bichtigkeit aus seinem Zusammenhange mit etwas Anderem, vorher Festge- stelltem einsehe. Ohne etwas unmittelbar Gewisses könnte es also auch nichts mittelbar Gewisses, mithin tiberhaupt gar keine Gewissheit geben'^, sondern nur einen regressus in in- finitum. Hiervon ist nur das zuzugestehen, dass ein Letztes unmittelbar Gegebenes nöthig ist, um dem regressus in inf. ein Ziel zu setzen, alles Uebrige entbehrt der thatsächlichen Grundlage und dient nur als Vorbereitung zur folgenden Deduetion : ,,In jeder Vorstellung ist zweierlei zu unterscheiden, das, was die Vorstellung selbst ist, und das, was sie vorstellt, mit anderen Worten das, was in ihr (von Gegenständen) be- hauptet wird. Das letztere kann unwahr oder zweifelhaft sein, das erstere nie ... In dem Inhalte unseres Bewusstseins 102 Recensionen. haben wir alle und jede unmittelbare Gewissbeit factischer Natur." Danach drängen sich nun yor Allem die folgenden Fragen auf: ^^Das unmittelbar Gewisse faetiseher Natur ist der Inhalt unseres eigenen Bewusstseins; wie kann uns etwas ausserhalb unseres Bewusstseins Liegendes ge- wiss werden? Ferner^ das unmittelbar Gewisse factischer Natur ist stets ein Einzelnes; . . . wie können wir, yon diesen Einzelnheiten ausgehend^ zu allgemeinen Einsichten tou vollkommener Gewissheit gelangen ?'' Diese Unterscheidungen sind etwas gewaltsamer Natur; zunächst ist ganz und gar nicht abzusehen, mit welchem Rechte die Vorstellung als etwas Selbständiges dem Vorgestellten ent- gegengestellt wird. Was ist die Vorstellung ohne Vorgestelltes und umgekehrt? Das Vorgestellte ist aber der ^Gegenstand''; die .^Behauptungen" über diesen mögen auf Grund der Vor- stellung erfolgen, ,4^*' der letztern selbst, wenn sie, wie hier wohl geschieht, als directe Wahrnehmung au^efaast wird, ist jederzeit ein Gegenstand unmittelbar gegeben » und zwar, worauf es den nächsten Folgerungen des Verfassers gegenüber ankommt, ist unmittelbar nichts als der Gegen- stand gegeben. Dass dieser nur in der Wahrnehmung gegeben ist, ist eine vielfach vermittelte Einsicht, zu welcher nur wenige Subjecte gelangen. Deshalb kann, wenigstens auf Grund der Erfahrung, niemals behauptet werden, dass „das unmittelbar Gewisse der Inhalt unseres eigenen Bewusst- seins'' sei« Ehe man die zweite Frage auf werfen kann : „Wie können wir, von diesen Einzelheiten ausgehend, zu allgemeinen Ein- sichten von vollkommener Gewissheit gelangen r^^ muss man sich vergewissert haben, ob man dies überhaupt kann. Die streng wissenschaftliche Untersuchung ergiebt eine verneinende Antwort; des Verfassers eigene Erörterungen zeigen, dass er wenigstens nicht „von diesen Einzelnheiten" aus dazu gelangt, da ihm „der leitende Faden abbricht und er wieder einen neuen Anfang machen muss. . . . Wir müssen uns darauf be- sinnen, ob wir einen allgemeinen Satz kennen, welcher un* mittelbar gewiss, durch sich selbst einleuchtend, kurz selbst- verständlich ist. Wie man schon längst weiss, giebt es in, der That einen solchen, nämlich den Satz der Identität. In diesem letzteren müssen wir also den Ausdruck des Grund- gesetzes unseres Denkens sehen." In den nun folgenden Erörterungen über „die Natur der Vorstellungen und des erkennenden Subjects'' bricht der leitende Beoenüoneii. 103 Faden öfters ab, und der Yer&sser muss sich daher nooh mehrmals auf Sätze besinnen, welche ihm durch längere Be- kanntschaft „unmittelbar gewiss und selbstTerständlich*' ge* worden sind. Denn sie ergeben sich keineswegs mit logischer Nothwendigkeit aus seinen Untersuchungen, sondern yerrathen nur zu deutlich ihren „apriorisoheB^^ Ursprung. Die y^Vor- stellung^^ ist dasjenige, wodurch allein die Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit möglich ist: Uebereinstimmung der Vorstellung mit einem durch sie g^ebenen Inhalt ist Wahrheit, Nichtübereinstimmung Unwahrheit. ;,Die Existenz eines gegebenen Inhalts, welche in ausdrücklicher Beziehung auf einen entsprechenden^ ausser ihr liegenden Inhalt steht , ... ist die Vorstellung. Dasjenige dagegen, worauf sich diese bezieht, ... ist das reale oder objectiye Dasein des Torgestellten Inhalts. Die Eigenthümlichkeit der Vorstellung besteht darin, dass Alles, was in ihr vorhanden ist, nicht ein- fiach an sich, sondern als der Bepräsentant von etwas Anderem existirt; darin, dass sie etwas yon ihr selbst Unterschiedenes — welches man ihren Gegenstand oder ihr Object nennt — Torstellt." Die Vorstellung, wiewohl sie die Eigenschaften des Vorgestellten in sich begreift, hat doch selbst nicht diese Eigenschaften; sie ist z. B. nicht weiss, nicht ausgedehnt, nicht hart und schwer, „die Vorstellung der Sünde ist nicht sündhaft''. „Alle Gegenstände, welche mir bekannt sind, müssen doch in meinem Bewusstsein vorhanden sein, sonst würde ich ja von denselben nichts wissen können; aber mein Bewusst- sein ist nicht selbst alle diese Gegenstände.. Man sieht, das Wesen der Vorstellung besteht im Allgemeinen darin, dass sie selbst an sich nicht das ist, was sie vorstellt, d. h., dass Alles, was in ihr liegt, nicht von ihr selbst, sondern von etwas Anderem — von ihrem Gegenstande — gilt. Was an sich eine ganz reale Welt bildet, findet sich ideell in dem Bewusstsein eines einzigen Subjects zusammen, wird aber darin gerade als eine ganze reale Welt erkannt. Die Eigenthüm- lichkeit dieses ideellen Daseins der Gegenstände (in der Vor- stellung) besteht also darin, dass es das reale, objective Dasein derselben ausserhalb der Vorstellung ausdrücklich bejaht, affirmirt." Die Vorstellung unterscheidet sich vom Bilde eines Gegen-* Standes, weil dasselbe nur einen kleinen Theil des Objects darstellt und an sich, in seinem eigenen Wesen, keine Be- ziehung auf den abgebildeten Gegenstand enthält, während das letztere gerade das Wesen der Vorstellnng ausmacht, und 104 KeoensioiieD. zwar giebt sie zugleich den Glauben an die ausser ihr ror* handene Existenz des Gegenstandes. ,;AlIer Glaube und alle Gewissheit haben ihre Basis und Wurzel in dem Wesen der Vorstellung selbst, der es von Haus aus eigenthümlich ist, die Affirmation des Vorgestellten, den Glauben an dessen Dasein ausser sich zu enthalten/' Trotzdem föUt die Vorstellung nicht mit ihrem Gegenstand zusammen; ,,nie kann ein Gegenstand in die Verteilung selbst kommen, sondern bleibt stets neben derselben liegen." Die zwei Arten von Thatsachen : ,;Es ist ein realer Inhalt vorhanden'* und „Ich erkenne, dass dieser Inhalt da ist'', oder: „Es sind mehrere Zustände oder Phänomene auf einander ge- jfblgt'* und „Ich erkenne die Succession derselben", sind von einander ^^tolo genere" verschieden. ,yDamit ich einsehe und erkenne, dass drei Zustände oder mehr aufeinander gefolgt sind^ muss ich sie alle in einem Bewusstsein, zusammen also zu- gleich haben, weil sie darin mit ausdrücklicher Beziehung auf einander zusammengefasst werden. Wenn nun die an sich successiven Zustände in ihrer Vorstellung zugleich sein müssen, so ist klar^ dass die Vorstellung ihrer Succession etwas von ihrer Succession selbst Verschiedenes ist." — Die letzte Frage ist seit Schopenhauer, welcher sie be- reits richtig beantwortet hat, noch mehrmals behandelt worden, weshalb sie hier nicht mit einem Machtspruch hätte entschie- den werden sollen. Es empfiehlt sich, statt der allgemeinen Begriffe Einzelerkenntnisse zu nehmen, die beliebig ausgewählt werden können ; eind die zwei Thatsachen : „est ist ein Mensch da", und: „Ich sehe oder höre einen Menschen", toto genere verschieden oder gleichartig? Dies entscheidet sich lediglich durch Zurückgehen auf Dasjenige, was bewirkt, dass über- haupt von einer Thatsache gesprochen werden kann, und das ist die Erfahrung, in welcher sie gegeben ist. Nun lässt man in der gewöhnlichen Bedeweise dies weg, und dadurch er- scheinen beide Ausdrucksweisen auf den ersten Anblick auch sachlich verschieden; sobald man aber nach der Begründung einer behaupteten Thatsache fragt, so muss die Berufung auf die Erfahrung erfolgen, ohne dass dadurch der Inhalt der Be- hauptung alterirt wird. Denn es findet zwischen beiden Aus- drucksweisen nur der einzige Unterschied statt, dass im ersteren Falle die besondere Art der Erfahrung nicht angegeben wird, wie dies im anderen Falle geschieht. Dasselbe gilt von den andern Beispielen: „Es sind zwei verschiedene Dinge vor- handen'', heisst nichts Anderes als: Ich habe zwei Dinge Kecensionen. 105 wahrgenommen and dureh Yergleichnng ihre Verschiedenheit erkannt; ebenso: ,,ich habe die Succession mehrerer Zustände oder Phänomene wahrgenommen^^ Denn nnr durch die Wahr- nehmung habe ich ein Recht zu sagen, y^es sind*^ etc. — Wir kehren zu den Bestimmungen des Verfassers über die Vor- stellung zurück. ^;ünter einer Empfindung versteht man einen im Bewusst- sein vorhandenen Inhalt, welcher keine innere Beziehung auf Dinge ausserhalb des Bewusstseins ^ keine Affirmation über dergleichen Dinge enthält. Solcher Art ist die pure Empfin- dung einer Earbe, eines Tons, eines Geschmacks, eines Geruchs und dgl. Unter einer Vorstellung dagegen versteht maa einen im Bewusstsein vorhandenen Inhalt, welcher die Affir- mation von Dingen ausser sich, nämlich den Glauben an das objective Dasein oder Gewesensein des in ihm Vorgestellten enthalt. Solcher Art ist die Vorstellung der Farbe als einer Eigenschaft gesehener Dinge, die Erinnerung an unsere eigenen vergangenen Erlebnisse und Aehnliches.^' Noch eine dritte Eigenschaft kommt der Vorstellung zu: sie ist „in ihrem eigenthümlichen Wesen ein ursprüngliches Factum, wie die Farbe und der Ton. Die Eigenschaften der Vorstellung können aus keinen gegebenen Eigenschaften und Verhältnissen existirender und uns bekannter Gegenstände ab- geleitet werden. Dies bedeutet Leibnizen's Zusatz Nisi intel- lectus ipse zu dem bekannten Dictum Nihil in intellectu quod non in sensu. Dieser Zusatz besagt, dass der Intellect (die Vorstellung) zwar keinen anderen Inhalt haben kann als den seiner unmittelbaren Objecto, d. h. der Empfindungen, dass aber in demselben dieser Inhalt auf eine ganz eigenthümliche Art und Weise existirt, welche aus keiner Einwirkung oder Zusammensetzung der Empfindungen entstehen kann.^' Wenn die Vorstellung nichts von ihrem Gegenstande Unterschiedenes ist, dann hat sie auch keinen Gegenstand, mit dem sie verglichen werden kann, dann hört der Unterschied zwischen Wahrheit und Irrthum auf. „Es kann wohl einzelne Vorstellnngen geben, welchen keine Gegenstände in der Wirk- lichkeit entsprechen, aber die Vorstellung überhaupt kann ohne solche nicht gedacht werden. Denn ' ihr Wesen besteht eben darin, dass sie selbst, an sich nicht das ist, was sie vorstellt; . . . wenn die Vorstellung überhaupt keinen Gegenstand hätte, so würde sie eben nichts vorstellen, also keine Vorstellung, sondern selbst ein Gegenstand sein.^' Doch verbürgt die Vorstellung noch nicht etwa das „Dasein äusserer 1QQ Becensionen. GegenständB im Eanme'^ sondern nur ausser ihr, der Vor- stellung, liegende Gegenstände. ^^Ausserbalb der Vorstellung^ heisst noch nicht: ,,au8serhalb unseres Ich'S ^i^d noch weniger bedeutet es ein reales Dasein im Räume. Was wirklich ausser uns liegt, das können wir doch nicht wahrnehmen und können auch dessen nicht unmittelbar gewiss sein, ,,Unmittel- bar gewiss ist nur, dass bei jeder Perception oder Wahr- nehmung der Vorstellung eine gegenwärtige Empfindung ausser ihr entspricht, und dass sich in der Vorstellung über- haupt kein Inhalt vorfinden kann, welcher nicht in Empfin- dungen vorhanden gewesen wäre." — Wir erfahren hier ausserordentlich viel über die Vor- stellung, leider aber das Eine gerade nicht, was Noth ist, näm- lich ihr Verhältniss zur Anschauung oder zur Sinneswahr- nehmung überhaupt. Es mag unbequem und schwierig sein, im Anfang psychologischer Untersuchungen die Bedeutung der behandelten Begriffe festzustellen und sie im Verlaufe der Untersuchung festzuhalten — aber es ist unbedingt noth- wendig, wenn statt beliebiger Dogmen und Postulate psycho- logische und erkenntnisstheoretische Thatsachen eruirt werden sollen. Wo freilich dies überhaupt nicht die Absicht ist, wie bei der rein speculativen oder metaphysischen Psychologie, da wird man principiell mit den Begriffen möglichst willkür- lieh umspringen, da sich hier die Thatsachen fügen müssen. Wer aber ausdrücklich verheisst, dass er, im Gegensatz zu Andern , der Philosophie die „wissenschaftliche Grundlage^' und einen „festen Boden'' geben will, der sollte sich billigermassen an das allgemein wissenschaftliche Verfahren gebunden er- achten. Es kann dem Verfasser kaum unbekannt sein, dass der frühere Missbrauch des Wortes Vorstellung, vermöge dessen es geradezu alle psychischen Funktionen ohne Ausnahme um- faaste, ziemlich beseitigt ist, und man sich dahin einigt, das- selbe nur von der Beproduetion einer directen Sinneswahr- nehmung oder von der willkürlichen Gombination der Elemente verschiedener Sinneswahmehmungen zu gebrauchen. Wenn er hiervon abweicht, so hätte er jedenfalls die Bedeutung angeben* sollen, in welcher er das Wort Vorstellung anwendet; freilich wären ihm dann einige seiner wichtigsten Eesultate verloren gegangen. Denn wenn er sagt, dass ein Gegenstand nie in die Vorstellung selbst kommen kann, sondern stets neben der- selben liegen bleibt, so fragt man sich vergebens, auf welche thatsächlich vorhandene psychische Fanction dies passt. Wenn er femer verlangt, um Wahrheit und Unwahj^eit zu unter- Beeensionen, 107 sdMideOy dass die Voratellang einen Gegenstand haben aoUe mit dem sie yergliohen werden nnd von dem sie abweichen könne, aa kann hier unter Yoratellung nnr die Beprodnction von directen SinneBwahmehmongen yeratanden sein, welche mit den letzteren selbst verglichen werden soll. Da nun aber weiter von einer ,;Beproductionsfähigkeit" and yon einem ;; Vermögen der Vorstellung, den einmal gehabten Inhalt in sich zu reproduciren'^; die Bede ist, so wird hier offen- bar die Vorstellung, sofern sie etwas wirklieh Vorhandenes bezeichnen soll, der directen Sinneswahmehmung gleichgesetzt. Dagegen hat wieder der Satz: „Die Möglichkeit der Unwahr- heit setzt die Vorstellung yoraus'', nur dann einen Sinn, wenn man die letztere als Beproduction auffasst. Dazu wird die Vorstellung noch ausserdem mit dem Bewusstsein und dem Intellect in so nahe Verbindung gebracht^ dass sie yon beiden kaum yerschieden erscheint. Hierauf passt nun auch wieder die Behauptung, dass zum Wesen der Vorstellung der Glaube an das Dasein des Vorgestellten gehöre; denn dieser Glaube findet sich, im kritiklosen natürlichen Denken wenigstens, in Bezug auf den gesammten Inhalt des Bewusstseins oder In- tellects ohne Ausnahme, und ist keineswegs der „Vorstellung^* im Sinne einer besonderen Function eigenthümlich. Was soll endlich der Unterschied zwischen „einzelnen Vorstellungen, welchen keine Gegenstände in der Wirklichkeit entsprechen, und der Vorstellung überhaupt, welche ohne solche nicht gedacht werden kann; denn ihr Wesen besteht eben darin^' etc. ? Ist dies etwa „wissenschaftlich", dass der allgemeine Begriff, der das „Wesen'' der unter ihm be- fassten einzelnen Vorstellungen enthält, zu einem Theile der letzteren in oontradictorischen Gegensatz gestellt wird? Aber es kommt noch besser! Vermittelst eines Bäsonneynents , in welchem der Begriff „Vorstellung'' wiederum statt des Begri ffs Denken gebraucht wird, gelangt der Verfasser zu dem Besultat, dass „es einzelne Vorstellungen eigentlich gar nicht giebt, sondern nur einen einzelnen (individuellen) Inhalt derselben, und dass die Vorstellangen sich nur durch ihren Inhalt von einander unterscheiden und einen Anschein der Individualität erhalten. Das eigentlich Vorstellende, Vergleichende, Urtheilende und Schlnssfolgemde ist also nothwendig eine Einheit, welche einen mannigfaltigen Inhalt in sich fasst nnd alle Operationen, welche wir bei der Vorstellung constatirten , an demselben vollführt. Diese Einheit nennt man das erkennende und denkende Subject.'* 108 Kecensionen. Gewiss eine überraschende Wendung! Fast könnte man auf die Vermuthung kommen, den Verfasser habe bei seinen Untersuchungen das zweite Erkenntnissprincip t. Kirchmann*s geleitet: ^Das sich Widersprechende existirt nicht^^ und nur deshalb habe er die Vorstellung mit 'widersprechenden Be- stimmungen ausgestattet, um zu Gunsten der Einheit des Subjects ihre Nichtexistenz zu erweisen. Denn nur diese passt in das System, und diesem zu Liebe wird den Thatsachen Gewalt angethan. Nicht yiel besser ist es mit den Beweisen für die ,,Einheit des erkennenden und denkenden Subjects'^ bestellt. Im zweiten Bande handelt der Verfasser in einem besonderen Kapitel vom Ich und lehrt mit Locke, dass die Einheit des Ich an die Continuität des Selbsbewusstseins, die letztere aber an die Erinne» lung gebunden sei. Wenn er sieh hiermit auf den empirischen Standpunkt stellt; warum ignorirt er die Beweise der Empiriker^ durch welche das Selbstbewusstsein lediglich als eine Species des Bewusstseins dargethan wird? Leider ist ihm die Einheit des Subjects so selbstverständlich, dass er sich die Sache sehr leicht macht; so sagt er: ,,Die Einheit des erkennenden Suh- jects läugnen, heisst ja^ sich selber läugnen, und Dies ist, gelinde gesagt, das Wunderlichste, was einem denkenden Menschen je passiren kann/' £& heisst aber nur, sich selber als Einheit läugnen. Weil er früher das Unmittelbare, das Gegebensein der äusseren Gegenstände, nicht als Unmittelbares gölten liess, deshalb muss er nun das Mittelbare, die logischen Gesetze, herbeiziehen, um nur wieder zum Unmittelbaren zu gelangen. Das identische Subject soll, im Unterschiede von den „objectiren, gleichsam physischen^' Gesetzen seines In- haltes, „logische'' Gesetze haben^ und: „ein logisches Gesetz ist die innere Disposition, etwas yon Gegenständen zu glauben''. Diese Verwendung der Logik ist jedenfalls neu ; bisher glaubte man, und zwar aus guten Gründen, dass die Logik mit dem Glauben an die Gegenstände nicht das Geringste zu schaffen habe. Die Geschichte der gewöhnlichen Logik lehrt nun femer, wie die „allgemeine apriorische Einsicht", der „unmittelbar gewisse, durch sich selbst einleuchtende, selbstverständliche" Satz der Identität sehr allmälig entstanden ist; erst Sokrates hat ihn, wenn auch nicht formulirt, so doch factisch angewandt, stand aber damit unter seinen Zeitgenossen ziemlich vereinzelt da, und zwar zeigt sich gerade bei Sokrates der Ursprung des Satzes sehr deutlich. Weil das natürliche Denken der Mit- RecenMODeB. 109 unterredner des Sokrates sich fortwährend in widersprechenden Aeusserungen erging, deshalb wies er sie auf die „logische^' Nothwendigkeit hin, denselben Begriff in derselben Bedeutung zu gebrauchen, und dies ist wohl auch gegenwärtig noch der einzig berechtigte Gebrauch des Satzes. Will man freilich ihn zu einem Denkgesetz von „objectiver Bedeutung^' stempeln, dann muss man auch behaupten, dass er nicht aus der Er- fahrung stammen könne, weil diese keine wahrhaft identischen Objecto aufweise. Darum kümmert sich aber weder die Logik, noch das natürliche Denken, welchem die Identität des Namens genügt, um die Identität des Objects ohne Weiteres zu be- haupten. Für seine „objectiven" Zwecke stellt der Verfasser neben der gewöhnlichen noch eine zweite Formel des Satzes vom Widerspruch auf: „Zwei verschiedene Affirmationen, Behaup*- tungen, welche sich auf denselben Gegenstand in derselben Hinsicht beziehen (wie „A ist rund*' und „A ist viereckig") können nicht beide wahr sein.'' Vorher hat er es mit Kant für unpassend erklärt, in den Satz des Widerspruchs Zeitver- hältnisse aufzunehmen und daher das bekannte ,)Zugleich'' beseitigt. Für seine zweite Formel dürfte es ihm aber doch unentbehrlich sein; denn eine weiche Masse A kann sehr wohl in diesem Augenblick rund, im nächsten viereckig sein. Dann hat man freilich nicht mehr „dasselbe Ding''; dies heisst aber nichts Anderes, als: In dem Complex von Eigenschaften, welche wir als ,iDing bezeichnen^', hat sich eine Eigenschaft verändert, was sich durch directe WahrnehmuDg ei^iebt. Dem- nach ist die Identität von A an die Identität seiner Eigen- schaften gebunden. Dass aber die Eigenschaften „rund'* und „viereckig'' nicht demselben Object zugleich angehören können, erklärt sich sehr einfach daraus, dass jede concreto Anschau- ung einen bestimmten Inhalt hat, und vice versa jeder be- stimmte Inhalt in einer Anschauung gegeben ist. „Rund'' und „viereckig" sind nun nicht als Ein bestimmter Inhalt gegeben ; wer daher dennoch Beides vereinigt, widerspricht der Erfahrung, wie denn überhaupt jeder Widerspruch irgendwie an einer der Erfahrung widersprechenden Behauptung gegeben sein muss. Dies bestätigen auch die Beispiele des Verfassers, auf Grund deren er dem Satz des Widerspruchs noch weitere Ausdehnung geben will; er meint, die Sätze: „das Viereckigeist an sich, als solches (ohne Bedingung und Vermittelung) roth'', oder „das Bothe ist an sich etc. süss", enthielten eben so sehr einen logischen Widerspruch, wie der obige Satz. Aber diese Sätze wider- 110 Recenrionen. sprechen in enter Linie der Erfahrang, welche nichts Vier- eckiges etc. an sich aufweist. Nur wenn man yon der Er- fahrung abweicht, sind überhaupt Widersprüche möglich, wcfem man nicht unberechtigter Weise Veränderung und Widersprueh identifieirt. Hält man sich aber innerhalb der Erfahrung, woran bis auf Weiteres jeder Fhilosoph wohl thun dürfte, so kommt man vollständig mit der üblichen Formel des Wider- spruchs aus; Abweichungen yon der letzteren sind nur aprio- ristischen Neigungen gegenüber am Platze. Die Erfahrung entscheidet denn auch darüber, ob eine „unbedingte und un- vermittelte Vereinigung des Verschiedenen möglich ist'^, was der Verfasser verneint. In dem Satze: ^^das Eothe ist aus- gedehntes haben wir eine jedenfalls ausnalimslose Vereinigung des Verschiedenen, welche man nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch ,,unbedingt und unvermittelt^* nennen kann. Denn man darf sagen: das Bothe als solches, seinem ,, Wesen'* nach ist ausgedehnt, weil die Qualität roth in jeder Erfahrung ohne Ausnahme mit der Qualität „ausgedehnt'' ver- bunden ist, „Wesen" etc. aber nichts Anderes als dies bedeutet, nämlich für die „wissenschaftliche'^ Auffassung. Wir können demnach dem Verfasser nicht zugeben, dass es ihm gelangen sei, den „IJebergang von der Logik zur .Ontologie^' aufzuzeigen, müssen vielmehr nach wie vor daran festhalten, dass die logischen Gesetze nichts Anderes als Regeln für das Denken als der Vereinigung, Trennung und Beziehung von Wahmehmui^^en, Vorstellungen und Begriffen sind. Die Nichtbefolgung der logischen Gesetze führt sicher zum Irrthum, ihre Befolgung dagegen nur zur sogenannten formalen Wahr- heit, da sie über den Inhalt nicht das Geringste entscheiden. — Aus Bücksichten des Baumes haben wir uns an dieser Stelle darauf beschränkt, das Wichtigste zu kritisiren, was der Verfasser zur Begründung seines obersten Denkgesetzes von objectiver Bedeutung beigebracht hat. Est ist dies quantitativ nur ein kleiner Theil* des mit iobenswerther Präcision und Kvxze des Aasdrucks abgefassten Werkes, dessen sonstiger Inhalt sehr beachtenswerth ist, weil er durchweg den gewissen- haften und selbständigen Denker zeigt. Wenn daher gerade Dasjenige, worauf der Verfasser wohl den meisten Werth legt, weniger gelungen, oder, ohne Euphemismus, ganz unhaltbar erscheint, so hat dies vornehmlich seinen Grund darin, dass der Verfasser etwas Unmögliches möglich zu machen unter- nommen hat, nämlich den Beweis des Apriori aus den That- sachen; das ist aber nichts Anderes als die beabsichtigte Ver- 111 einigang von WiderBprüohen. Seitdem die dreisten Aacht- «priiche des Dogmatismus, welcher sich auf BegrÜDdimg über- haapt nicht einlässt, einigermassen in liisscredit gerathen sind, versncht man zwar häufig genug auf rationellem Wege sum Apriori zu gelangen, aber ohne Erfolg; es bleiben immer auf der einen Seite die Thatsachen, auf der anderen das Apriori unvermittelt neben einander. Wenn man erst aus der Ge- schichte des Apriori die Ueberzeugung erlangt hat, dass es seinen Ursprung der Negation der Erfiedirung yerdankt, dann yerzicfatet man darauf, es yermifctebt der Erfahrung zu be- gränden. Denn dann hat man den Grund eingesehen^ aus welchem der ^^leitende Faden abbrechen" muss, und wundert sich nicht mehr darüber, dass das Apriori noch immer, wie einst das Schelling'sche Absolute, ;,aus der Pistole ge- schossen wird^^ Leipzig. C. Göring. flohrdder, Snuit. Der Operationskreis des Loi calouls. Leipzig, Druck und Verlag von B. G. Teubner. 1877. (VI u. 37 8. gr S».) M. 1. Die ursprünglich zuerst vonLeibniz ausgesprochene Idee, den Formalismus der yon Aristoteles überkommenen Logik in ein festes mathematisches System zu bringen und so die Lösung der einschlägigen Angaben yon dem subjectiyen Denkyermögen des Einzelnen yöllig unabhängig zu machen, diese grossartige Idee iheilte leider mit den ihr aufs Engste yerbundenen Schwestern^ der Pasigraphie und der allgemeinen geometri- schen Charakteristik, das Loos^ über das erste rudimentäre Stadium nicht hinauszukommen. Erst hundert und fünfzig Jahre später ward ihr das Glück zu Theil^ yon dem trefflichen englischen Mathematiker Boole wieder aufgenommen und nun- mehr in zwei umfangreichen Werken (London 1847 und 1854) gleich zu hoher Vollendung geführt zu werden. Andere englische Gelehrte, wie Ellis und Cayley, arbeiteten specielle Partieen der neuen Disciplin weiter aus, wogegen letztere auf dem Continent so gut wie gar keinen Anklang fand und ledig- lich die durch originelle Auffassung ausgezeichneten Gebrüder Grassmann, yon den englischen Mustern durchaus nnbeeinflusst, die Grundzüge der Denkrechnung in ihren arithmetischen Lehr- büchern zur Darstellung brachten. Der Verfasser der yor- liegenden Schrift gehört zu jenen Mathematikern Deutschlande, welche yon Anfang an der philosophischen Seite ihrer Wissen- 112 BecenuoneQ. Schaft eine besondere Theilnahme zugewendet haben ^ eine Theilnahme, die besonders in seinem grossen „Lehrbuch der Arithmetik und Algebra^^ (Leipzig 1878) und vielleicht noch prägnanter in der Oelegenheitsschrift „Ueber die formalen Elemente der absoluten Algebra'' (Stuttgart 1873) sich aus- spricht. Die formale Algebra hat es mit Zahlen im weitesten Sinne zu thun, das heisst mit gleichartigen discreten Elementen, welche nach an sich willkürlichen und erst später beliebig begränzten Yerbindungsgesetzen gegenseitig unter sich ver- knüpft werden. In dieser ihrer allgemeinsten Formulirung begreift diese mathematische üniversalwissenschaft die Logik als besonderen Fall in sich, als einen Specialfall von beson- ders hervorragender Wichtigkeit, der wohl eine gesonderte Bearbeitung verdiente. Wenn man die Yorrede liest, gelangt man denn auch zu der Yermuthung, es habe dem Yerf. zuerst die Absicht vorgeschwebt, Boole's Methoden bei uns einzubürgern, bei eingehenderem Studium aber habe er sich überzeugt, dass denselben noch eine Menge überflüssigen alge- braischen Beiwerkes beigemischt sei, und dass erst allmalig der Plan, eine neue Grundlage für den Logikcalcul zu schaffen, bei ihm Platz gegriffen habe. So gelangte er^ offenbar erst all- malig und nicht mit Einem Ansatz, dazu, alles ünndthige auszuscheiden und vor Allem den Ballast constanter Grössen soweit als nur immer möglich zu entfernen. Diesen Yersuch, die formale Logik in der denkbar einfachsten Gestalt darzulegen, hat der Yerf. im vorvergangenen Jahre der Oeffentlichkeit über- geben^ indem er eine mehr populäre Ausführung des Gegen- standes, die denn auch im Interesse des grösseren Publicums sehr zu wünschen wäre, der Folgezeit vorbehält. Der einleitende Paragraph gliedert den Logikcalcul in eine „Bechnung mit Begriffen'^ und in eine ,36cbnung mit Urtheilen'^, welche beide Theile übrigens mit einander in so naher Be- ziehung stehen, dass der zweite unmittelbar aus dem ersten hergeleitet werden kann. Die Gesammtheit der einer be- stimmten Glasse von Denk-Objecten angehörigen Individuen wird, ebenso wie eine algebraische Zahl, durch einen Buch- staben bezeichnet, welcher, wenn die Individuenanzahl sich auf Eins reducirt, auch zur Charakterisirung eines Einzel- begriffes, eines Eigennamens dient. Die vier Species der Arithmetik flnden ihre logischen Analoga in den vier Grund- operationen der Determination (Multiplication), Addition (CoUection), Division (Abstraction) und Subtraction (Exception). Nur darf hiebei nicht übersehen werden, dass von irgend Rece&sioneo. 113 welohem FandamentalanterBohied 9 wie er in der Zahlenlehire die BechnuDgsopeiationen der ersten und zweiten Stufe trennt, hier keine Bede sein kann, wie denn auch die logischen Operationen recht gut in bloss drei wirklich yerschiedene zu- sammengerogen werden können, in die Multiplication, Addition und Opposition (Negation). Angesichts dieses Sachverhaltes möchte man yielleicht geneigt sein, die üebertraguug der arithmetischen Kunstwörter auf logische Vorgänge für ein vages Analogiespiel zu halten, allein dem ist in Wirklichkeit nicht so ; das Gesetz der Permanenz, welches Hankel in seinen YorlesuDgen über die Theorie der complexen Zahlensysteme (Leipzig 1867, S. 10 ff.) entwickelt hat, bethätigt auch hier noch seine Gültigkeit, und in der That exi stiren nicht nur Aehnlichkeiten, sondern auch Identitäten, welche die Berechtigung der gewählten Kamen ausser Zweifel setzen und die Ueber- tragung mathematischer auf logische Begriffe rechtfertigen. Lediglich in diesem Sinne durfte oben auch von con- stanten Grössen im Logikcalcul gesprochen werden — ein Ausdruck, der übrigens nicht vom Verf. herrührt, sondern für welchen Beferent die volle Verantwortung übernimmt. Die mit logischen Begriffen identiffcirten Buchstaben a^ b, c . . . können im Allgemeinen in jeder neuen Aufgabe auch wieder einen neuen Begriff repräsentiren, sind also in gewissem Sinne variabel; dem gegenüber könnte man sich auch gewisse häufig vorkommende Begriffe durch Symbole ausgedrückt denken, welche ihre Bedeutung ein für allemal beibehalten und somit den Constanten Grössen äquivalent sind. Je weniger solche Symbole nothwendig, je einfacher und bekannten mathematischen Zeichen adäquater sie sind, um so mehr Anspruch auf den Titel einer einfachen und naturgemässen wird die von ihnen abhängige Operationsmethode machen können. Gerade in diesem Puriücationsgeschäft hat Schröder vor Boole das Bichtige getroffen ; er befindet sich in der Lage, ausschliesslich mit den beiden Gonstanteu 0 und 1 auszukommen, indem ersteres Symbol „eine Glasse, zu welcher gar kein Individuum gehört'', letzteres „die Gesammtheit alles Dessen, wovon überhaupt die Bede sein kann'', umfassen soll. Gestützt auf diese Festsetzung lässt sich dann ein sowohl seines metaphysischen Charakters als auch seiner Verwendbarkeit willen bemerkenswerthes Gesetz von folgendem Wortlaut formuliren: „Aus jeder in der Logik geltenden allgemeinen Formel muss sich wiederum eine richtige Formel ergeben, wenn man die Plus- und Minuszeichen durchweg mit Multiplications- und Divisionszeichen und ausser^ VieTte^jahnschrift f. wisaenseliaflL Philosophie. III. 1. 8 < 114 BecenBionen. dem die Symbole 0 und 1 mit einander yertauscht'^ Diese Begel gestattet, die einzelnen logischen Wahrheiten genau in derselben Weise dual einander zuzuordnen, wie dies in der Ton einer entsprechenden polaren Gegensätzlichkeit beherrschten Geometrie der Lage üblich ist; natürlich kann es wie dort, so auch hier, sich selbst dual zugeordnete Sätze geben. Wie jede Wissenschaft beginnt auch die unsrige mit Definitionen und Axiomen. Abgesehen von der schon erwähnten Disponirung über die Zeichen der Kuli und Einheit, bedarf es eigentlich nur einer Definition der Gleichheit, des Productes und der Summe. Das Product ab yersinnlicht das zweien Begriffsgebieten gemeinsame Gebiet, die Summe (a-|-&) jenes Gebiet, zu welchem sich a und i gegenseitig ergänzen. Geo- metrische Darstellung der Begriffe durch Kreise, wie solche in der formalen Logik seit alten Zeiten gebräuchlich ist, führt uns das Wesen dieser Definitionen unmittelbar yor's Auge. Wir möchten bei dieser Gelegenheit auf eine interessante und unseres Wissens noch niemals hervorgehobene Wechsel- beziehung zwischen diesen logischen Grundbegriffen und der Lehre von der Flächenbestimmung in der Geometrie aufmerk- sam machen. Sobald die ümfangslinie eines • begräozten Elächentheiles keine mehrfachen Funkte aufweist, liegt der Begriff des Flächeninhaltes offenkundig zu Tage; sowie der Perimeter jedoch zu verschiedenen Malen sich selbst durch- setzt, muss man nach dem Vorgänge von Meister und MÖbius die einzelnen Flächenzellen mit Ooefficienten versehen und jede Flächenzelle mit der ihr zugetheilten Zahl multiplicirt in Bechnung bringen^), so dass etwa, wenn den fünf eine Figur bildenden Partieen von der Grösse a, ij Ct d^ e resp. die Coefficienten a, ßj y^ <5, 6 zukommen ^ der Flächeninhalt durch den Ausdruck {aa -|- 6^ + cy + d verbunden sind und durch dies ihr gegenseitiges Verhalten die Aufstellung resp. Verificirung der Sätze 0 . a = 0, l-|.a=l, a.l = a, a+0 = a ermöglichen. Die Logik be- zeichnet in ihrer gewöhnlichen Terminologie das, was hier Ergänzung genannt wurde, als contradictorischen Gegensatz. Dass in der That nur ein einziger solcher, zu jedem a nur ein a, oder non-a vorhanden, lässt sich erweisen, sobald vor- her der Beweis dafür geführt worden ist, dass für simultanes Bestehen der Gleichungen ac=bc, a-]- c=b-]rC nothwendig a = h wird, und damit ist dann die aristotelische Basis der Logik unter einem wesentlich neuen Gesichtspunkt wieder ge- wonnen. Eine unmittelbare Folge der Einführung des Index 1 ist der Satz (öi)i = ö, speciell (0)i = l, (l)i = 0. Daran schliesst sich eine Entwickelung allgemeiner logischer Functions- ausdrücke von beliebig vielen „Yariabeln'^ nach solchen Functions- Aggregaten, welche ausschliesslich die beiden ,)Con- stanten^' 0 und 1 in sich enthalten, dafür aber jeweils mit aus den Veränderlichen zusammengesetzten Goefdcienten be- haftet sind. Der in der Vorlage gegebenen recurrenten Fassung der Vorlage wäre vielleicht folgende independente vorzuziehen : Um f{a(^^ . . . a^^^) in der erwähnten Weise zu entwickeln, bilde man sämmtliche Combinationen mit Wiederholungen, welche aus den beiden Elementen 0 und 1 zur Classe n ge- bildet werden können , und multiplicire jedes /*(on*'0 ^^* dem Producte a^^^ a^^^ . . . a^*^\ indem man noch jedem Factor, welcher mit einer Null der Functionsklammer gleichwerthig ist, den Index 1 beisetzt. Die Grössen a werden die „Constituenten^^, die Grössen f die „Coefficienten'^ der Entwickelung; mit den Aggregaten selbst rechnet es sich leicht, da beim Multipliciren immer eine grosse Anzahl von Gliedern in Wegfall kommt. Die betreffende Regel nennt der Verf., wohl im Hinblick auf Becensionen. 117 «in AnalogoA der symbolischen Invariantenlehre, die „XJeber- schiebangsregel^. Neue Gesichtspunkte bietet das wichtige {sechzehnte) Theorem , welches besagt, dass die Gleichungen ■a-\'b=^0 und a& = 1 resp. in die Doppelgleicbung a = 6 = 0, at=&s=sl eich auflösen. Damit ist es denn auch möglich geworden, für irgend welche wie immer gestaltete Classen- misdrücke die Negationen hinzuschreiben und somit auch an logischen Gleichungen jene Operation durchzufahren, welche man in der Sprache der Algebra „Eine Gleichung auf Null bringen" nennt. Ein sehr eleganter, vom Verf. ob seiner Wichtigkeit auch mit zwei verschiedenen Beweisen bekräftigter, Satz sagt aus, dass man die Negation eines entwickelten Aus- druckes einfach durch Negirang der sämmtlichen in demselben vorkommenden Goefficienten erhält. In die zuletzt genannten Sätze verlegt der Autor den wesentlichen Vorzug seiner eigenen Methode vor derjenigen Boole's. Insbesondere aber ist von Wichtigkeit die Einführung einer arbiträren Grösse, welche dnrch das zwanzigste Theorem, „das Haupttheorem, in welchem der ganze Logikcalcul gipfelt^, geleistet wird. Mit ihm ist denn auch der eigentlich rechnerische Apparat so gut wie abgeschlossen; und es handelt sich mehr nur noch darum, -die Verwendung desselben nach zwei Seiten hin, nach der mathematischen wie nach der logischen, klarzustellen. So hat «s allerdings zunächst für den Mathematiker Interesse; zu sehen, wie in diesem Specialgebiete der formalen Algebra die ihm geläufigen Begriffe der Elimination, der Bestimmung einer Gleichungswurzel , eines simultanen Systems von Gleichungen u. s. w. ihre Aussenseite wechseln, allein das logische Sub- strat fehlt ja keinem dieser Begriffe, wie denn z. B. der an sich rein mathematische Satz, dass (alle Gleichungen eines Systemes unter Voraussetzung der uns bekannten Vorschriften in eine einzige zusammengezogen werden können, sich mit der bekannten Wahrheit deckt, dass für das Zustandekommen eines Schlusses die Anordnung der Prämissen willkürlich ist. Während die formale Algebra im Allgemeinen nur Probleme stellt und die möglicher Weise zu ihrer Lösung führenden Wege andeutet, während ferner die gewöhnliche Algebra die in ihr Bereich fallenden Fragen nur zum Theile abschliessend zu. behandeln vermag, kennt die logische Algebra überhaupt keine unlösbare Aufgabe, und insoferne wird m^H Schröder Eecht geben müssen, wenn er (S. 24) behauptet; jene sei eben- «osefar die vollkommenste, als die elementarste Disciplin» welche der menschliche Geist construiren könne. Wß Recensionen. Der Kern der Theorie findet sich in dem sehr umfäng- lichen zweiten Paragraphen, während der dritte wesentlich der Discussion eines complicirten von Boole herrührenden Beispieles gewidmet ist. Dieselbe ist in der That recht geeignet, die Vortheile der Theorie im richtigen Licht erscheinen zu lassen , einmal weil so ziemlich alle Einzelsätze aus dem früheren Theile dabei eine Bolle spielen, und dann, weil die Entscheidung des vorgelegten Gomplexes von Fragen auf bloss reflectirendem Wege^ ohne die Hilfsmittel des Calculs, selbst für denkgeübte Männer eine harte Nuss abgeben würde. Der vierte Paragraph, welcher es hauptsächlich mit der Special- bedeutung der inversen Bechnungsoperationen zu thun hat und dabei vielfach in eine einlässliche Kritik der Boole'schen Aufstellungen sich vertieft, kann und muss seiner engeren Tendenz halber in diesem für ein allgemeineres Publicum bestimmten Berichte bloss erwähnt werden. Die Schrift Schröder*s hat den Aufbau einer strenge formalen Denklehre aus den einfachsten Gründen und mit den elementarsten Hilfsmitteln um ein sehr Beträchtliches gefördert, wo nicht zum vollen Abschlüsse gebracht. Gegner dieser seit Aristoteles für alle anderen Abzweigungen des Wissens und Erkennens maassgebenden Doctrin hat es von je gegeben (vgl. Drobisch's Logik, Vorrede zur ersten Auflage), und diese werden wohl auch an dem neuesten Fortschritt, den dieselbe durch ihre enge Verbindung mit der Mathematik zu machen wusste, Vielerlei auszusetzen wissen. Allein das wird die vollzogene Thatsache nicht aus der Welt schaffen. Ein nicht unberech- tigter Wunsch des Beferenten, den wohl mancher Leser mit ihm theilt, wäre allerdings der gewesen, dass der Verf. die Abstraction etwas weniger hätte walten lassen, als er es factisch that; mehr Exempel wären bei der Leetüre sehr angenehm^); wenn z. B. Boole in einem seiner charakteristischen Beispiele (Transactions of London, 1869) eine Gesellschaft von r Personen einführt, von denen p Böcke und q Westen tragen und nun nach der Anzahl derjenigen fragt, welche weder Bock noch Weste tragen, so ist man ungleich rascher orientirt, als dies z. B. die immerhin nicht ganz einfache Formulirung des Generalproblemes in § 3 gestattet. Auch das englische Vorbild ist bei eingehenderem Studium der Schröder'schen Ideen vor- ^) In dieser Hinsicht sei auf ein sehr lichtvolles Referat von Schubert im Jahresberichte der mathematischen Gesellschaft zu Hamburg verwiesen. Selbstanzeigen. 119 ]äQ% nicht wohl zu entbehren. Allein das sind Accidentien, nnd zndem verspricht uns ja der Verf. gegenwärtiger Abhand- lung, welche einstweilen mehr den Zweck eines Programmes verfolgt; eine populärere und ausführlichere Darstellung nach- folgen zu lassen. Wir wünschen, dass dies recht bald ge- schehen möge, glauben aber, dass auch die hier besprochenen y^olegomena zu einer neuen Darstellung der formalen Logik'', wie man sich füglich ausdrücken könnte^ unter Mathematikern wie Philosophen bereits jetzt sich ein theilnehmendes und ansehnliches Publicum erwerben werden. Ansbach. S. Günther. Selbstanzeigen. Zur gefälligen Beachtung. Beim Beginn des neuen Jahrganges erlaubt sich die Redaction in geneigte Erinnerung zu bringen, dass — gemäss demProspect dieser Zeitschrift (vergl. Jahrg. I, Heft 1 u. 2) — die „Selbstanzeigen" nur auf da^enige aufmerksam machen sollen , worin nach der eigenen Auffassung der Herren Autoren das Neue, hez.Cha/if*akteri8ti8che ihrer neuerschienenen Werke besteht. — Von der Thatsache ausgehend, dass die durch eine grosse literarische Production gebräuchlich und nothwendig gewordenen kurzen Notizen, welche — ohne irgend welche Kritik zu üben — dennoch unter der Rubrik „Recensionen'' in den wissen- schaftlichen Zeitschriften gebracht zu werden pflegen, oft eben durch ihre Kürze den Herren Autoren Anlass zu Klagen über „Missverstehen, bez. Kichtbemerken ihrer eigentlichen Intentionen" geben — von dieser nicht seltenen Wahrnehmung ausgehend hofft die Redaction durch die Rubrik „Selbstanzeigen'* solche in manchem Betracht unentbehrlich gewordene kurze Recensentenanzeigen durch authentische Idttheilungen zu ersetzen, welche, da sie von den Yerfassem der Werke selbst herrühren, sowohl den Herren Autoren die Gewissheit einer ihren wissenschaft- lichen Intentionen entsprechenden Berichter- stattung, als auch den geehrten Lesern die Garantie einer im Sinne der Verfasser zuverlässig unver- 1 120 Selbstanseigen. fälschten Charakteristik der neuen Erscheinungen su bieten. Zugleich giebt der Autor den Lesern ein Mittel in die Handy die Darstellung der Becensentenreferate zu con- troliren — ein Umstand, weldier auf die Zuverlässigkeit ^er letzteren nur günstig zurückwirken kann. Die erwähnten Leistungen der ,,Selb8tanzeigen'' dürften als Vorzüge zu be- zeichnen sein^ welche diese Institution auch für den Fall empfehlen, dass die Herren Autoren anderweite, eingehende und competente Beurtheilungen ihrer Werke bestimmt erwarten. Demgemäss hofft die Redaction, den wissenschaftlichen Ansprüchen der Verfasser wie der Leser gleichmassig gerecht zu werden, und zwar um so mehr, als sie sich dadurch die Freiheit bewahrt, in der Rubrik der ^^Recensionen'' auch wirk- lich, wenn nöthig längere, immer aber kritische Be- sprechungen der neueren Werke und dadurch eine Förderung der daselbst niedergelegten Problembehandlung zu geben. Von solchen y^Recensionen" sind die selbstangezeigten Werke durch die blosse Thatsache der ^^Selbstanzeige^' nicht ausgeschlossen. Lidem die Redaction sich beehrt, ihre Einladung an die Herren Autoren zur Benutzung der Rubrik der „Selbstanzeigen'^ hiermit ergebenst zu erneuern, erlaubt sie sich, darauf hinzu- weisen, dass als zur Erfüllung des Zweckes der „Selbst anzeigen' ' ungeeignet insbesondere solche Notizen betrachtet und mithin Ton der Zulassung ausgeschlossen werden müssten, welche 1) den Charakter von buchhändlerischerseits erlassenen An- zeigen behufs geschäftlicher Einführung der betr. Werke nicht überschreiten ; 2) welche wesentlich nur eine Copie der Capitel- überschriften enüialten; und 3) welche ihre Problembehandlung und Lösung einfach als eine „neue'^ und ,,eigenthümliche'' be- zeichnen, ohne anzugeben, worin eben das „Neue" und „Eigen- thümliche'^ bestehe. Dringend wünschenswerth ist, dass der Umfang der ,,Selbst- anzeigen'' den im Prospecte zur Verfügung gestellten Raum von ^3 bis ^/s Druckseite innehalte, und dass sowohl die Titel- angabe als der Text der „Selbstanzeige'' in deutlich lesbarer Handschrift eingesandt werde; letzteres erscheint um so mehr erfordert, als es nicht möglich ist, Abzüge der „Selbstanzeigen'' den Herren Verfassern zur Revision vorzulegen. Die Redaction übernimmt keine Verpflichtung zur Auf- nahme, bez. Rücksendung eingesandter und keine andere als die ihr zukommende juristische Verantwortlichkeit für die ver- öffentlichten „Selbstanzeigen". Selbatanseig«!. X21 Byk, 8. A. Die Physiologie des Schönen. Leipsig, Moritz Schäfer, 1878. (YI. u. 286 8. gr. 8.). Der Verfasser ist bestrebt, die Lehre vom Schönen Tom nnberechtigten Einflüsse der Torgefassten Meinung über die Bescbaflfenheit des metaphysischen Principes zu befreien und sowohl die Entwickelung als die Auseinanderlegung desselben in seine manigfaltigen Formen aus seiner inneren und äusseren l^othwendigkeit im Zusammenhange mit der des empfindenden fiubjectes zu erklären. Dazu schien ihm die physiologische Methode am geeignetsten» die uns den fortschreitenden geistigen Process innerhalb der Bedingungen der Materie vorführt. Der Verf. fiucht aus der ersten einfachen ästhetischen Thatsache die weitere Entwickelung und Entfaltung der manigfaltigen Gestalten innerhalb derselben Form abzuleiten und nachzuweisen , dass sie nur durch das Hinzukommen neuer logischer Momente, psychologischer Ideen associationen oder äusserer Umstände ans ihr entstanden sind. Ebenso erklärt er daraus die manig- faltigen Gestalten, die dieselbe ästhetische Form bei ver- achiedenen Völkern angenommen hat und macht auf den Ein- fluss aufmerksam 9 den das Leben und die technischen Be- dingungen auf die Gestaltung der Kunst ausgeübt haben ^ wie auch auf die Rückwirkung ihrer Gestalten auf das Schönheits- ideal, was er an der Hand der Geschichte und der ästhetischen Thatsachen festzustellen sich bemüht. Diese Methode hat der Verfasser auch bei seiner Behand- lung des Hässlichen festgehalten, dessen Fortschreiten von seinem Entstehen aus den Trümmern des über sich selbst hinaustreibenden Schönen er stetig bis zu seiner höchsten Stufe verfolgt, in der es als unvereinbarer ViTiderspruch das Wesen des Schönen selbst ergreift, welches der Verfasser in der allen Erörterungen vorangehenden analytischen Untersuchung des Schönen als abstracten Urtypus aller Schönheitsformen hin- gestellt hat. Srdmann^ Benno. Immanuel Kaut's Kritik der reinen Vernunft. Herausgegeben von B. Er d mann. Leipzig, Leop. Voss. 1878. XVI. u. 676 S. Die Veranlassung zu dieser Ausgabe bot die Wahr- nehmung, dass in den bisherigen Ausgaben nicht wenige sach- lich bedeutsame Differenzen der beiden ersten Auflagen der Kr. d. r. V. übersehen worden sind, und dass der in Folge der schnellen Niederschrift sowie des nachlässigen Druckes der Schrift sehr mangelhafte Text eine um vieles grössere 122 Selbstanseigen« Menge von Correcturen fordert^ als bisher yenucht- worden Bind. Der Text der zweiten Auflage ist; wie nicht gerecht- fertigt zo werden braucht, zum Grundtext gewählt. Diejenigen sachlichen Differenzen , die einen unmittelbaren Vergleich mit der späteren Bearbeitung zulassen, sind als Anmerkungen, die anderen (Vorwort, Deduction, Kritik der Paralogismen) als Beilagen angefügt worden. Die sprachlichen Veränderungen^ sowie die Correcturen des Herausgebers sind in einem ;^n- hang zur Textrevision^' verzeichnet. Die Originalpaginirnng der zweiten Auflage ist durch Bandzahlen zum Abdruck ge- bracht worden. Der Herausgeber schlägt vor, dieselbe künftig* hin als Normalpaginirung zu benützen. Srdxnann, Benno« Eant's Kriticismus in der ersten u. zweiten Auflage der Kr. d. r. V. Eine historische Untersuchung. Leipzig, L. Voss. 1878. XI. u. 247 S. Kant selbst hat mehrfach erklärt, dass die zweite Be* arbeitung seiner Kr. d. r. V. durch die Missverständnisse und Angriffe bedingt sei, die das Werk in seiner ursprünglichen Gestalt erfahren habe. Der Verfasser giebt daher nach einer Analyse der ersten Auflage, soweit die letztere für die spätere Umarbeitung in Betracht kommt, eine historische Darstellung der Bewegung um die Kr. d. r. V. in den Jahren 1782 — 1786, einerseits der Gegner, Vermittler und Anhänger ^ andererseits des Spinozastreits. Aus der Art der Bück Wirkung dieser Be- wegung auf K., die sich in den Schriften desselben aus dieser Zeit documentirt und durch mannigfache andere Quellen näher bestimmt wird, ergeben sich sodann die Motive, die für die Neubearbeitung wirksam waren: der Wunsch nach Erläuterung des Sinnes der Lehre, das Streben nach Hervorhebung der positiven Bedeutung derselben in metaphysischer und ethischer Hinsicht, der Versuch einer Abwehr des ihm von allen Seiten aufgebürdeten Idealismus, die Absicht einer Klärung der Argumentation der Deduction. Das letzte Gapitel sucht zu zeigen, inwiefern diese neu hinzugetretenen Motive den Inhalt wie den Zusammenhang der ursprünglichen Gedanken in mehr- facher Hinsicht modiflciren mussten: der kritische, anti- dogmatische Hauptzweck wird schärfer betont, obgleich andrer- seits durch eine missverständliche Einleitung geschwächt und durch Andeutungen seiner positiven Bedeutung verdunkelt. Die Wirklichkeit der Dinge (u. des Ich) an sich, die anfangs selbstverständliche Voraussetzung war, wird nicht bloss wie in den Prolegomenen specifisches Merkmal, sondern Problem, d. i. ein Gegenstand besonderer Beweise. Philosophische Zeitschriften. 123 Beady Carreih« On the Theory of Logic : an Essay. London, C. K^an Faul & Co., 1878. (XIL and 258 pp. 8.) This is an attempt to reconstitnte the science of Logic by combining hannonizing and systematizing the yiews of J. S. Milly A. Bain and H. Spencer. It does so chiefly in two ways, 1) by regarding Logic as an abstract science coordinate with Mathematics, and treating not of thought or language, bnt of the relations of phenomena as such (whilst Mathematics treats of the quantitative relations of phenomena, Logic treats of their qualitatiTe relations): 2) by readopting the synthetic Order of exposition, so that Liduction finds its place between Definition (with some simpler topics) and Deduction, instead of being treated apart as by J. S. Mill. Philosophische Zeitschriften. Philosophisohe Monatshefte. Unter Mitwirkung von Dr. F. Ascherson etc., redigirt und herausgegeben von G. Schaarschmidt. Band XIV, Heft 5: K. Ch. Planck: Das Causalgesetz in seiner rein logischen und in seiner realen Form. — L. Wei s: Herder und die moderne Naturphilosophie (zugleich Anzeige von V, Bärenbach, Herder als Vorgänger Darwins). — Fr. Michelis, die Philosophie des Bewusstseins ; bespr. von C. Schaarschmidt. — A. Meinong, Hume-Studien, I; angez. von demselben. — L. Eabus, Philosophie und Theologie; rec. von F r e d e r i c h 8. — ■. K. Schramm, Die Erkennbarkeit Gottes etc. ; rec. von demselben. — J. E. Erdmann, Grundr. der Geschichte der Philosophie, 3. Aufl.; angez. von C. Schaarschmidt. — Litteraturbericht : Boeckh, Huber, Späth, Bahnsen, Wildauer, Emminger, Lütze, Bullinger, Weil, Weber. — Bibliographie von F. Ascherson. — Philos. Vorlesungen. — Kecensionen- Verzeichniss. — Aus Zeitschriften. — Miscelle. Band XIV, Heft 6: Baumann: Kurze Darstellung der Philosophie Fr. v. Baader's. — Tobias, Grenzen der Philo- sophie etc.; bespr. von E. Arnold t. — A. Spir, Denken und Wirklichkeit; bespr. von Th. Lipps. — R. Eucken, Ge- schichte und Kritik der Grundbegriffe der Gegenwart; bespr. von G. Schaarschmidt. — E. Pfleiderer , Die Idee eines goldenen Zeitalters. — H. Spitta, Die Schlaf- und Traum- 1 ^24 PhüOBophiBche Zeitschriften. zustande der sdenschL Seele; beapr. yon Böhm. — Bins, üeber den Traum; bespr. von demselben. — Lltteratnrberiohi : Kirchner, Grant-Imelmann, Jan Holland, v. Bärenbach^ Haber, Spaeth^ Kaulich. — Bibliographie von F. Ascherson. — FhiloB. Vorlesungen. — Eecensionen-Veraeichniis. -r- Au« Zeitechriften. - — Miscelle. Baad XIV, Heft 7: C. Schaarschmidt : Zur Wider- legung des subjectiven Idealismus. — Cohen, Kantus Begrün- dung der Ethik; bespr. von Knauer. — Ueberhorst, die Ent- stehung der Gesichtswahmehmung ; bespr. von W. Schuppe. — H. V. Stein, Ueber Wahrnehmung ; bespr. v. demselben. — €1. Blaeumker^ Des Aristoteles Lehre von dem äusseren und inneren Sinnesvermögen; bespr. von J. Neu haus er. — J. A- Piväny, Entstehungsgeschichte des Welt- und Erdgebäudes etc. ; bespr. von Siegfried. — Bibliographie von F. Ascherson. — Recensionen- Verzeichnisa. — Aus Zeitschriften. — Miscelle. 2eit80hrift für Philosophie und philosophische Kritik, herausgegeben von J. H. v. Fichte, H. Ulrici and J. ü. Wirth. N. F. Band LXXIII, Heft 1: B. Weiss: Untersuchungen über Fr. Schleiermachers Dialektik (l. Theil). — Fr. Bertram: Die Unsterblichkeitslehre Plato's (2, Hälfte). — lif. Schasler: Zur Geschichte der Ironie. — K. Seydel: Ueber die Frage nach der Erkenntniss der Dinge - an - sich. — Becensionen: Persönlichkeits -Pantheismus und Theismus; von Fr. Hoff- mann (1. Hälfte). — Philosophie der Freiheit dargestellt für deutsche Laien; von A. Krohn. — A. Emminger, Die vorsokratischen Philosophen etc.; von demselben. — T. Wildauer, Die Psychologie des Willens bei Sokrates etc.; von demselben. — W. Biehl, Die Erziehungslehre des Aristoteles; von dem- selben. — In Sachen Herder's und Darwin's ; von v. B ä r e n - bach. — Bibliographie. Heft 2: G. Glogau: Darlegung und Kritik des Grund- gedankens der Cartesianischen Metaphysik. — E. Dreher: Zum Verständniss der Sinneswahrnehmungen (IV). — Recen- sionen: Persönlichkeits - Pantheismus und Theismus; von Fr. Hoff mann (2. Hälfte). — W. Shields, Eeligion and Science in their Belation to Philosophy ; von A. Krohn. — Newman Smyth, the Beligious Feelinllg; von demselben. — J. Kreyen- bühl, Beligion und Ohristenthum ; von demselben. — S. A. Byk, Die vorsokratische Philosophie der Griechen etc., II. Theil; von demselben. — G. B. Halstead, Boole's Logioal Method; von H. Ulrici. Philosophische ZeitsehrifteD. 12&- B^Tiie Phüosophique de la Franoe et de l^tranger, dingte par Tb. Bibot (Paris, Librairie Oermer Bailli^re et Cie.) Uly 7: G.Oompayre: Origines de la Psychologie ^yo- lutionniste : La Psychologie de Lamarck. — T. Y. Gharpen- tier: La Logiqae du hasard, d'aptis J. Y enn. — D. Nolen? Les nouvelles Philoeophies en AUemagne. — Notes et docu- ments: Le Sens muscnlaire, d'apr^s G. H. Lowes. — Essais sor le syllogisme. L Les trois Figures, par P. Tanner y. -— Analyses et eomptes rendus: Steinthal, Der Ursprung der Sprache. — Lilienfeld, Gedanken über die Socialwissenschaft der Zukunft. — Revue des P^riodiques ^trangers. III, 8: H. Spencer: Etudes de sociologie (dorn. art.). Th. Bibot: Les Theories allemandes sur l'espace tactile. — T. Y. Charpentier: La Logique du hasard ; d'apres J. Yenn (flu). — Analyses et eomptes rendus: Ferrier, Lectures on cerebral localisation. — Fechner, Yorschule der Aesthetik. — Lexis, Theorie der Massenerscheinungen in der menschl. Ge- sellschaft. — Hess, Dynamische Stofflehre. — Ferraz, Philo- sophie du devoir. — Revue des Päriodiques ^trangers. UI^ 9 : W. W u n d t : Sur la th^orie des signes locaux. — N. Grote: Essai dune Classification nouvelle des sentiments. — F. Paulhan: La Theorie de Vinconnaissable de H. Spencer. — Notes et documents: Le lapsus de la vision, par Y. Egger. — Application de l'algebre au syllogisme, par P. Tannery, — Analyses et eomptes rendus: Dauriac: Des Notions de matiöre et de force dans les sciences de la nature. — Gizycki : Philosophische Gonsequenzen der Lamarck - Darwin'schen Ent- wickelungstheorie. — Flint: The Theism. — Revue des Periodiques. Wndy a quarterly Review of Psychology and Philosophy> ed. by G. G. Robertson. (London ^ Williams and Norgate.) No. 11: G. J. Romanos: Consciousness of Time. — A. Bain: Education as a Science (III). — Grant Allen: The Origin of de Sublime. — D. Greenleaf Thompson: Intuition and Inference (I). — A. Sidgwick: The Negative Character of Logic. — W. H. S. Monck: Butler's Ethical System. — W. Cunningham: Political Economy as a Moral Science. — Critical Notices : Pillon's Introd. to Hume's Treatise of Human Nature, and Meinong's Hume- Studien, by G. C. Robertson; Huber's Forschung nach der Materie, by A d a m - / 126 Bibliographische Mittheilangen. 80 n. — Reports: An Infant's Frogress in Language, hj F. Pollock; Note Deafness^ by Edith Simoox and Grant Allen. — Notes and Discussions: The Genesis of Disintereeted Benevolenoe, by F. Friedmann; Mr. Sully on Fessimism, by Caryeth Eead; Prof. Jevons on Mill's Experimental Methods, by Adamson; Necessary Connexion and Inductive Beasoning, by W. G. Da vi es. — New Books. — News. No. 12: G. Stanley Hall: The Muscular Ferception of Space. — A. Bain: Edncation as a Science (IV). — D. Greenleaf Thompson: Intuition and Inference (II). — A. J. Balfour: Transcendentalism« — G. Barzellottir Philosophy in Italy. — Critical Notices: Read's Theory of LogiC; by J. V e n n ; Perez' Trois premi^res ann^es de l'Enfant, by F. Pollock; Turbiglio's Antitesi tra il Medioeyo e TEti moderna nella storia della Filosofia, by B. Flint; Erdmann's Axiome der Geometrie, by .T. F. N. Land. — Reports : Con- sciousness ander Chloroform, by H. Spencer; The Semi- circular Ganais and the „Sense of Space'', by G. G. Robert- son. — Notes and Discussions: Logic and the Elements of Geometry, by Dr. H i r s t and G. C. Robertson; Hegelianism and Psychology, by R. B. H a 1 d a n e ; The Rule of Three in Metaphysics, by J. T. Lingard; The Foundation of Arith- metic, by HensleighWedgwood. — New Books. — News. La FiloBofia delle Souole Italiane ^ Rivista bimestrale. Diretta da T. Mamiani e L. Ferri. XVIII, 1: T. Mamiani: Della crescente necessitä delle sintesi abbreviative. — G. Barzellotti: La critica della conoscenza e la metafisica depo il Kant. — F. Bonatelli: Truccioli di filosofia, ossia Girolamo Clario. — G. AUieyo: La personalitä umana. — Bibliografia: A. Conti; P. Siciliani; G. Fontana; A. Paoli; A. Martinazzoli. — Periodici di filo- sofia. — Notizie. — Recenti pubblicazioni. BlbllograpUsche Mittheilnngen. Bonwetseh^ Fast. G. Nathanael^ die Schriften Tertullians naoh der Zeit ihrer Abfassung untersucht, gr. 8. (89 S.) Bonn, A. Marcus. 2 Mk. Bonssinesq (J.)* — Conoiliation du veritable determiniBme meoanique aveo Tezistenee de la vie et de la liberte morale. In-8. 5 fr. Extrait des M^moires de la Soci^t^ des Sciences de Lille. Bibliograpliische Mittibeilnngen. 127 Byk, S. A., die Physiologie d. SohSnen. gr. 8. (287 S.) Leipiig, M. Schäfer. 6 Mk. Carette (le colonel £•). — ^Stades sur les temps antehistoriques. Premiere ^tade: le Langage. In-8. 8 fr. Caspar!, Otto, Virohow und Hseckel vor dem Forum der methodologiBChen Forsohuxig. gr. 8. (32 S.) Aagsbnig, Lam- part & Co. 1 M. Barwin's, Ch», gesammelte Werke. Autoris. deutsche Ansg. Ans dem Engl, übers, von J. Vict. Canis. Mit über 200 (eingedr.) Holz- schn., 7 Fhotogr., 4 Karten u. dem Fortr. d. Verf. 80 — 85. (Schluss-) Lfg. gr. 8. (12. Bd. I. Abth. X, 400 u. 2. Abth. VI, 104 S.) Statt- gart, SchweizerbarL 1 Mk. 20 Ff. Deschamps, Frof. Dr. Ars^ne, la genese du soeptieisme 6rudit chez Bayle. gr. 8. (238 S.) Li^ge. Bonn, Strauss. 6 Mk. Bieterioh, Dr. Konr., Kant und Rousseau, gr. 8. (XIII, 200 S.) Tübingen, Lanpp. 4 Mk. Doergens, Hermann, Grundlinien einer Wissenschaft der Qe- schichte. 2 Bde. gr. 8. Leipzig, C. F. Winter. 6 Mk. 60 Ff. Inhalt: 1. Ueber das Bewegungsgesetz der Geschichte. 2. verm. Ausg. Mit 2 das Wachsthum der Ideen in der Geschichte veran- schaulichend. (11 th.) Schichtenkarten. (VI, 98 S.) 1 Mk. 60 Ff. — 2. Die Nationalitäten. Uebersicht und Ergebnisse der aus ihrem An- theile hervorgegangenen staatspolitischen Entwicklung Europas. 2. er- gänzte Ausg. Mit 6. Anh. päpstl. u. staatl. Urkunden in ihren Ur- texten, sowie e. chronolog. Frojection die Signatura Temporum dar- stellend, (in gr. Fol.) (XI, 379 S.) 5 Mk. Döring, Dir. Dr. A«, lieber den Begriff der Philosophie, gr. 8. (V, 52 S.) Dortmund, Koppen. 1 Mk. 20 Ff. Engels, Frdr., Herrn Eug. Dühring's Umwälzung der Wissen- schaft. Philosophie. Folitische Oekonomie. Socialismus. 8. (274 S.) Leipzig, Genossenschaftsdruckerei. 3 Mk. £rdmann, Privatdoc. Dr. Benno, Elant's Kriticismus in der 1. und 2. Aufl. der Kritik der reinen Vernunft. Eine histor. Unter- suchung, gr. 8. (XI, 247 S.) Leipzig, Voss. 7 Mk. 20 Ff. Fichte, J* H* y*. Der neue Spiritualismus, sein Werth u. seine Täuschungen. Eine anthropolog. Studie, gr. 8. (105 S.) 2 Mk. Francke, Dr. Karl Bemh., die Psychologie und Erkenntniss- lehre des Arnobius. Ein Beitrag zur Geschichte der patrist. FhUo- sophie. gr. 8. (82 S.) Leipzig, Böhme. 1 Mk. 20 Ff. Onjan. — La Morale dlfepicure et ses rapports avec les doctrines eontemporaines. In-8. 6 fr. 50 cts. Haeckel, Ernst, freie Wissenschaft und freie Iiehre. Eine Ent- gegnung auf Bud. Virchow*s Münchener Bede über „Die Freiheit der Wissenschaft im modernen Staat*' gr. 8. (106 S.) Stuttgart, Schweizer- bart. 2 Mk. Jellinek, Dr. Geo«, die sooialethische Bedeutung von Becht, Unrecht und Strafe, gr.8. (IV, 131 S.) Wien, Holder. 2 Mk. 80 Ff. Kant's, Immannel, Kritik der reinen Vernunft. Herausg. von Benno Erdmann. gr. 8. (XVI, 676 S.) Leipzig, Voss. 4 Mk. 50 Ff. Kirchmann, Fräsid. a. D. y*, über die Wahrscheinlichkeit. Ein Vortrag. (Aas: „Verhandl. der philosoph. Gesellschaft; zu Berlin'*.) gr. 8. (60 S.) Leipzig, Koschny. 1 Mk. 20 Ff. I 128 Bibliographische MittheiiiingeD. Krause, Albr*^ Kant und Helmholta über den Ursprung und die Bedeutung d. Baumanschauung und der geometrischen Axiome, gr. 8. (VI» 94 S.) Lahr, Schauenbnrg. 3 Mk. Meylan^ A.^ Jean Jacques Rousseau. Sein Leben u. seine Werke. Biographische, krit. u. histor. Stndie nebst bisher noch ungedmckten Aktenstücken and einem Portrait J. J. Uoasseau^s (Holzschnitttafel). 8. (IV, 151 S.) Bern, Haller. 2 Mk. — , Jean-Jacques Rousseau, sa vie et ses oeuvres, lätude bio- graphique, critiqne et historique, accompagn^e de documents officiels et in^dits. Avec an portrait de J.-J. Boasseaa (Holzschnitttafel). 8. (IV, Ibd S.) Ebd. 2 Mk. Morlejy John^ Diderot and the Encyolopaedists« 2 vols. 8to. 11. 6s. Mühry, Dr. Adf«, über die exaote Natur-Philosophie. 2. verm. Ausg. 8. (VI, 101 S.) Göttingen, Dieterich's Verl. 1 Mk. 20 Ff. Pelletan OB^ST^i^®)* — Uu Roi philosophe ; le Qrand Frederic. NouTelle Edition. In-12. 3 fr. 50 cts. Pfleiderer, Otto^ die Religion, ihr "Wesen und ihre G-eschichtr^ aaf Grand d. gegenwärt. Standes der philosoph. a. d. histor. Wissen- schaft dargestellt. 2 Bde. 2. Aafl. gr. 8. (XIII , 413 n. 495 S.) Leipzig, Fues. 12 Mk. Bami^re (le P. Henry), — Xi'Accord de la Philosophie de saint Thomas et de la science moderne au sujet de la composition des Corps. In-S. 1 fr. 25 cts. Reich; Dr. Ed*9 die Gestalt d. Menschen u. deren Beziehungen zum Seelenleben, gr. 8. (XII, 360 S.) Heidelberg, C. Winter« 10 Mark. Bnbinstein, Dr. Snsanna^ psychologisch - ästhetische Essays, gr. 8. (199 S.) Heidelberg, C. Winter. 6 Mk. Sammlung physiologischer Abhandlungen heraasg. t. W. Preyer. 2. Reihe. 2. Heft. gr. 8. Jena, Fischer. 1 Mk. 60 Pf. Inhalt: Entwarf einer Psychologie der Licht- and Farbenempfindang von Dr. A. Glassen. (50 S.) Sanctis^ Minister Francesco de^ die 'Wissenschaft und das lieben. Inaagnralrede. Antoris. deatsche Ansg. Mit einem Vorwort v. Prof. Carl Goldbeck. 8. (VI, 32 S.) Berün, Friedber^ & Mode. 80 Pf. SauY^ (Mgr.). — De l'Union substantielle de Täme et du corps. In-8. S fr. Schäffle^ Minister a. D. Dr. Alb. £• Fr«, Bau und lieben des socialen Körpers. Encyclopädischer Entwarf einer realen Anatomie, {| Physiologie and Psychologie der menschl. Gesellschaft, mit besond. Bücksicht aaf die Volks wirthschaft als socialen Stoffwechsel. 3. Theil. Specielle Socialwissenschaft 1. Hälfte, gr. 8. (XV, 575 S.) Tübingen, Lanpp. 10 Mk. (l~-3: 34 Mk.) Schmitz-Dnmonty O«, die mathematischen Elemente der Er- kenntnisstheorie. Grandriss einer Philosophie der mathemsbischen Wissenschaften, gr. 8. (XV, 452 S.) Berlin, C. Dancker. 12 Mk. Sehnedermann 5 Oberlehrer Dr. Frz.^ über die beiden Haupt- perioden in Schillers Ethik mit Bücksicht aaf das Verhältniss des Dichters za Kant. gr. 8. (33 S.) Leipzig, Hinrich*8 Verl. 60 Pf. Picrar'flehe Hoflrachdnickani. Stephan 0«ibel * Co. in Altenlmrg. üeber das Yerhältniss der Gefahle zu den Yorstellimgen. Das VerhäUniss der Gefühle zu den übrigen Bestand- theilen des psychischen Geschehens bildet eines jener Probleme der Psychologie y bei denen diese, wie es scheint, nicht über den Streit gewisser principieller Gegensätze hinaus kommt. Die einander bekämpfenden Anschauungen nehmen zwar zuweilen veränderte C^talten an, aber unter der neuen Maske entdecken wir bei näherem Zusehen doch meistens wieder ein längst be- kanntes Gesicht. £in derartiger Zustand der Dinge pflegt be- kanntlich ein ziemlich sicheres Zeichen dafür zu sein, dass man es mit einer Frage zu thun hat, bei deren Beantwortung eine Neigung besteht, speculative Erwägungen oder ethische Forderungen heranzuziehen. Wenn selbst andere Motive dieser Art fehlen , so macht sich mindestens jener speculative Ein- heitstrieb bemerklich, welcher alle Erscheinungen möglichst aus einer Quelle abzuleiten und, wenn ihm die Erfahrung keine zureichenden Gründe an die Hand giebt, schliesslich durch einen Machtspruch sein Ziel zu erreichen sucht. So hat man denn auch den Dualismus von Gefühl und Vorstellung meistens dadurch beseitigt, dass man das Fühlen und Begehren als eine Form des Yorstellens betrachtete oder auf eine Wechselwirkung der Vorstellungen zurückführte. Diese Anschauung, die zuletzt in Herbart's Mechanik der Vorstellungen ihren vollendetsten Ausdruck fand, stützte sich auf die naheliegende Wahrnehmung der Abhängigkeit, in welcher sich unser Gefühlsleben von unsern Vorstellungen befindet Eben desshalb liegt der ent- gegengesetzte Versuch, den Gefühlen das Primat einzuräumen Vierte^ahnsehrift f. wiflsenschaftl. Philoaopliie. m. 2. 9 130 W. Wundt: uod womöglich die Formen des Yorstellens aus den Formen der Gefühle abzuleiten, offenbar ferner. Doch liesse sich die besonders durch Christian Wolff und seine Schule ausgebildete Theorie, welche in dem Gefühl einen dunkeln Erkenntniss-w process sieht, in gewissem Sinne hierher beziehen. Sobald man nämlich jenes Primat des Gefühls im genetischen Sinne auffasst^ also die Erkenntnissformen vorgebildet sieht in Ge- fühlsformen, ist es offenbar ziemlich gleichgültig, ob man sagt, das Gefühl sei ein unentwickeltes Erkennen, oder das Er- kennen sei ein entwickeltes Gefühl. Eine ausgeprägtere Ge- stalt hat aber diese Lehre vom Primat des Gefühls erst in jenen Hypothesen angenommen, welche dem Gefühl eine Art causaler Wirksamkeit gegenüber allen andern psychischen Pro- cessen zuerkennen und hierdurch Rechenschaft davon zu geben hoffen, dass dasselbe nicht bloss im Anfang aller psychischen Entwicklung stehe, sondern auch fortan alles Vorstellen, Denken und Wollen begleite. Diese Anschauung, an die sich schon bei früheren Philosophen^ z. B. bei Fr. H. Jacobi, Anklänge finden, hat auf psychologischem Gebiete in neuerer Zeit besonders Fortlage zur Geltung gebracht, ihre eingehendste Begründung aber hat dieselbe wohl in den Arbeiten von A. Horwicz ge- funden ^). Zwar bezeichnet Fortlage als „Trieb", was Horwicz in der Regel dem „Gefühl" zuschreibt, ein sachlicher Unterschied dürfte aber zwischen den Ansichten Beider kaum vorhanden sein. Auch darin berühren sich die Auseinandersetzungen dieser Forscher, dass sie physiologischen Analogieen einen hohen Werth beimessen, die sich freilich im einzelnen, vermöge der zwanzigjährigen Entwicklung der Physiologie^ die zwischen ihren Arbeiten liegt, sehr verschieden gestalten. Neben diesen einander entgegengesetzten Anschauungen^ von denen die eine die Gefühle aus den Vorstellungen und die andere die Vorstellungen aus den Gefühlen hervorgehen lässt, *) Fo^rtlage, System der Psychologie. 2 Bde. Leipzig 1855. A. Horwicz, Psychologische Analysen, Bd. 1 und 2. Halle und Magdeburg 1872—1878. Ueber das VerhSltniss der Gefühle zu den Vorstellangen. 131 bat als eine dritte noch diejenige ihre Vertheidiger gefunden, welche C^fQhl und Vorstellung als ?511ig von einander unabhängige und gleich selbständige Formen der Innern Erfahrung be- trachtet. Sie ist besonders in der in der WolfTschen Schule entstandenen, dann auf Kant übergegangenen und auch in neuerer Zeit nicht ganz verlassenen Annahme eines besonderen Gefühlsvermögens vertreten. Auch die letzte Arbeit von Leon Dumont lässt sich, bei machem Eigenthümiichen, was sie ent- hält, wohl hierher rechnen^). Offenbar ist aber noch eine vierte Auffassung möglich, die den Eindruck, welchen der Thatbestand der innern Er- fahrung auf uns macht, vielleicht am unmittelbarsten repro- ducirt, ohne auf Deutungen und Hypothesen sich einzulassen. Es ist diejenige, die zwischen der Annahme eines Primates des einen oder andern Bestandtheils der inneren Wahrnehmung und der Zulassung mehrerer gleich selbständiger Functionen ge- wissermassen in der Mitte steht, indem sie Vorstellung und Gefühl als die einander coordinirten Theil- erscheinungen eines und desselben inneren Vor- ganges auffasst, wobei alles, was wir als Affect, Trieb, Begehren, Wollen bezeichnen, wiederum als Theilerscheinung oder specielle Gestaltung des Gefühls angesehen wird. Diese Ansicht berührt sich mit der zuletzt angeführten am nächsten. Immerhin besteht der beachtenswerthe Unterschied, dass sie Ge- fühl und Vorstellung nicht als verschiedene Vorgänge auffasst, sondern als Bestandtheile eines und desselben Processes, dessen Trennung sie nicht als eine wirkliche, sondern als ein Resultat psychologischer Abstraction betrachtet. Natürlich kann der letzteren das Recht nicht genommen werden, die Erscheinungen auf diese Weise zu zerlegen. Aber die psychologische Analyse überschreitet ihre Befugniss, wenn sie solche Bestandtheile des Geschehens, die erst durch Abstraction gewonnen worden sind, als reell geschiedene Vorgänge ansieht oder gar auf verschie- dene psychische Kräfte zurückführt. ^) L^on Dumont, Vergnügen und Schmerz. Leipzig 1876. (Internationale wissenschaftliche Bibliothek.) 9* 132 W. Wundt: Der Vei*U*eter dieser vierten Ansicht wird vor allem auf die unmittelbare AutTassung der Thatsachen des Bewusstseins sich stützen können, für welche Gefühl und Vorstellung stets einander begleitende und sich wechselseitig bestimmende innere Erfahrungen sind, wobei bald das eine bald das andere dieser Elemente pravalii^n mag, ohne dass wir jedoch jemals im Stande wären, die völlige Unabhängigkeit des einen vom andern nachzuweisen. Diese natürliche Auffassung, welche sich uns vor jeder psychologischen Untersuchung aufdrängt, muss sich zwar gefallen lassen durch die letztere beseitigt zu werden, sobald dieselbe ausreichende Gründe beibringt. So lange aber dies nicht der Fall ist, so lange derartige Gründe nur in vor- gefassten Meinungen bestehen oder in Hypothesen, welche man in die Erscheinungen hineininterpretirt, — so lange wird auch jene Auffassung, welche als der unmittelbarste Ausdruck des thatsächlichen Verhaltens gelten kann, das gute Recht für sich in Anspruch nehmen dürfen, dass sie unter den verschiedenen Voraussetzungen die einfachste und am wenigsten zu Hülfs- hypothesen genöthigt ist. Die unmittelbare innere Erfahrung bezieht bekanntlich den- jenigen Bestandtheil unseres inneren Geschehens, den wir Vor- stellung nennen, im allgemeinen auf ein Object, die Gemüths- bewegungen jeder Art aber auf subjective Zustande des eigenen Bewusstseins. Die psychologische Untersuchung des causalen Zusammenhangs beider Thatsachen vermag nun nirgends über die ebenfalls schon der einfachen Erfahrung sich auf- drängende Bemerkung hinauszukommen, dass wir unsere sub- jectiven Zustände vielfach durch die Objecte, anderseits aber auch nicht minder die Auffassung der letzteren durch die ersteren bestimmt finden. Schon in meinen „Grundzögen der physiologischen Psychologie'' habe ich den verschiedenen Er- klärungsversuchen gegenüber geglaubt betonen zu müssen, dass in dieser Beziehung die einzige uns tliatsi^chlich gegebene Ein- heit eben die durchgängige Verbindung der Vorstellungen und Gefühle ist, und dass wir daher keinen Grund haben zu irgend einer Voraussetzung, wekhe jene erst in unserer Abstraction Ueber das Verhältoiss der Gefühle ku den Vorstellungen. 133 ^h trennendeo Bestandtheäe der inneren Erfahrung zu Pro- cessen macht, die in Wirklichkeit getrennt und eventuell sogar von einander unabhängig sein sollen. Zu meiner Verwunderung ist dieser Versuch, Hypothesen abzuwehren auf einem Gebiete, auf welchem dieselben bis dahin von zweifelhaftem Nutzen ge- i^esen sind, gänzlich missverstanden worden. Denn Horwicz glaubt, dass ich das „Wesen und den Grund der Gefühle^ in ^em Conslrast suche ^). Dieses Missverständniss kann nur daraus entsprungen sein, dass ich — wie übrigens jeder An- dere, der mit dem Thema sich beschäftigt hat, und gelegen4ich Horwicz selbst thut — die Existenz der Gegensätze von Lust und Unlust als eine charakteristische Eigenschaft aller Gemüths- bewegungen bezeichnete. Wenn aber Jemand die Eigenschaft «ines Gegenstandes fär die Ursache desselben ansehen wollte, so würde ich dies unter allen Umständen für verkehrt halten, und es ist mir in der That niemals beigefallen, mich zu dieser Ansicht zu bekennen. Vielmehr habe ich es ausdrücklich als «ine „ursprüngliche Eigenthümlichkeit des Bewusstseins** be- zeichnet, „durch seine Empfindungen und überhaupt durch seine inneren Zustände in einer Weise bestimmt zu werden, die sich zwischen Gegensätzen bewegt** ^). Der Umstand, dass ge- wisse Empfindungen, wie dunkle Farben, tiefe Töne, vorzugs- weise äiit Unlust-, andere, wie helle Farben, hohe T5ne, mit Lustgefühlen sich verbinden, schien mir*dan]| allerdings des Ver*' suchs einer Erklärung aus der Beschaffenheit dieser Empfin- dungen bedürftig. Aber durch diesen Versuch konnte doch nur höchstenfalls anschaulich gemacht werden sollen, dass in der Beschaffenheit der Empfindungen und auch unseres Be- wusstseins die Anlage zu solchen gegensätzlichen Zuständen gegeben sei. Im übrigen habe ich es allgemein als eine Eigenschaft unserer inneren Zustände bezeichnet, dass an ihnen drei Elemente zu unterscheiden seien, Intensität, Qualität und 4vefühlston, von denen jedoch die ersteren ebenso wenig wie der ^) Horwicz, Analysen II, 2. S. 32. *) Physiologische Psychologie S. 456. 134 W. Wandt; letztere für sich vorkommen. Das Gefühl aber glaubte ich, der unmittelbaren Auffassung gemäss, als die Art betrachten zu können, wie das Bewusstsein oder Selbstbewusstsein in jedem Moment auf das innere Geschehen reagirt Ich habe übrigens ausdrücklich abgelehnt damit etwas neues sagen zu wollen, theils desshalb, weil eben offenbar diese Auffassung ausserhalb der psychologischen Schulen die allgemeine ist, theils desshalb^ weil diejenige psychologische Theorie, welche die Gemuths^ bewegungen als unmittelbare Reactionen der Seele bezeichnet^ ohne Zweifel das nämliche meint, nur dass sie den meta- physischen Begriff der Seele dem substituirt, was uns allein empirisch gegeben ist, dem Bewusstsein. Horwicz hat es nun allerdings in seinen „psychologischen Analysen^* an angeblichen Beweisen für das Primat der Ge-^ fühle nicht fehlen lassen, ja man kann wohl sagen, ein wesent* lieber Zweck des Werkes besteht in dieser Beweisführung. Gerade dadurch aber, dass der Verfasser offenbar sogleich mit einer bestimmten vorgefassten Meinung an jede einzelne Ana- lyse herantritt und sich fragt, in wiefern das Einzelne sich seiner Anschauung fugen will, hat er in Bezug auf diese Seite seiner Unter- suchungen, wie mir scheint, den sonst in röhmenswerther Weise eingenommenen Standpunkt unbefangener Prüfung ver- lassen. Die Vorstellung von dem Primat der Gefühle bildet bei ihm, wie sich die Herbartianer ausdrücken würden, die herrschende Apperceptionsmasse, welche sich alles assimilirt was sie vorfindet. Wer nicht unter dem Einfluss dieser herrschen- den Vorstellung steht, der wird in den vorgeblichen Bewisisen höchstens mehr oder weniger treffende Belege für den innigen wechselseitigen Zusammenhang der Gefühle und Vorstellungen erblicken oder wohl auch für den übrigens von unbefangenen Beobachtern längst anerkannten Satz, dass die ursprünglichsten Zustände unseres Bewusstseins ungeschieden enthalten, was erst in der späteren Entwicklung, zum Theil sogar erst in der psychologischen Abstraction sich trennt, — manchmal freilich kann man sich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass der Verfasser in den Verlauf des Denkens Gefühle hineininlerpretirt Ueber das Verhältniss der Gefühle zu den Vorstellungen. 135 hat, von weicben wiederum, derjenige, der jener herrschenden Vorstellung entbehrt, dahingestellt lassen muss, ob sie sich wirklich darin befinden. Derartige Analysen subjecti?er Vor- gänge, welche es unternehmen, irgend welche innere Er- fahrungen gleichzeitig zu beschreiben und zu interpretiren, haben nicht selten auf den Leser eine bestechende Wirkung. Unwillkürlich wird derselbe von der nämlichen herrschenden Vorstellung erfasst, auch er denkt und fühlt nun in die Dinge hinein, was seine Autoren ihm vordenken und vorfühlen, und es bedarf zuweilen einer energischen Besinnung , um sic(i zu überzeugen, dass man nur dem guten Beispiel gefolgt ist. Fortlage z. B. stellt mit grösster Anschaulichkeit den Zustand des Fragens, des Lauschens und Aufmerkens dar, welcher nach ihm das Wesen des Bewusstseins ausmachen soll, und ähnlich schildert Horwicz, wie, in dem Moment wo eine Vorstellung in unser Bewusstsein eindringen will, in uns die Fragen sich überstürzen: was ist das? woher kommt das? was wird daraus? — Fragen, die freilich zunächst nur in der Form von Gefühlen in uns liegen sollen; aber solche Betrachtungen scheinen es ihm dann unzweifelhaft zu machen, dass allem Appercipiren und Denken Gefühle vorangehen ^). Gewiss, man kann sich vorstellen, dass solche Fragen und Gefühle das Denken beherrschen, ja noch mehr, man kann sich in diese Vorstellung so hineindenken, dass man sich einbildet, das sei immer und überall der thatsächhche Verlauf unserer Gedanken. Und wer vermöchte den Gegenbeweis zu führen ? Ich kann nur versichern, dass ich meinerseits — sofern ich nicht etwa durch die fesselnden Schilderungen psychologischer Autoren präoccupirt bin — von einer derartigen Fragethätigkeit höchstens dann etwas zu merken glaube, wenn die appercipirten Vorstellungen zu Gegenständen des Nachdenkens gemacht werden, nicht aber bei dem unmittelbaren Bewusstwerden der Vorstellungen. Handelt es sich hier um ein bestreitbares Resultat angeb- licher Beobachtung, dessen Unsicherheit nur die trügerische ') Psychologische Analysen, II, 1. S. SO. 136 W. Wandt: Natur der subjectiveo Beobachtung blosssteilt, so verhält es sich anders mit jenen Beweisgründen, die auf die thatBächliche Yer«- bindung der Gefühle und Vorstellungen hinweisen, um daraus die Priorität des Gefühls zu folgern. Jene Verbindung kann man zugeben, aber für die daran geknüpfte Folgerung ist nirgends ein zwingender Grund zu finden. Die Verbindung von Empfindung und Bewegung soll beweisen , dass der Be** wegungstrieb oder das Muskelgefühl die ursprünglichste psychi* sehe Function sei, die Verbindung der Aufmerksamkeit mit Gefühlen, dass die Perception auf Gefühlen beruhe, die Wirk- samkeit des Willens bei der Wiedererinnerung soll darthun, dass alle Reproduction von Gefühlen ausgehe^). Selbst wenn man hier allen Prämissen zustimmt, so ist doch die daran ge- knüpfte Schlussfolgerung in keiner Weise bindend. Nun wer- den aber auf diese Folgerung dann wieder weitere Folgerungen gebaut, für die nichts spricht als eben die bestrittene Voraus- setzung, auf die sie sich stützen: so z. B. wenn Horwicz be- hauptet, der Grad der Bewusstheit der Vorstellungen hänge ab von dem Grade ihrer Gefühlsbetonung ^) , oder wenn er die Forderung aufstellt und zu erfüllen trachtet, alle höheren Ge- fühle seien als Complicationen und Combinationen der ein- fachsten sinnlichen Gefühle aufzufassen '). Zu einer solchen Auffassung muss man freilich kommen, wenn man, um die Priorität des (^efühls zu wahren, den Satz verficht, die intellec- tuellen, ästhetischen, sittlichen Gefühle eilten stets den Vor- stellungen, an die- sie geknüpft sind, voraus. Um dieser Be- hauptung nichts zu vergeben, zieht es Horwicz z. B. vor, zur Erklärung des rhythmischen Gefühls hypothetische Nerven- fibrationen zu erfinden, die unmittelbar gefühlt werden sollen, nur um dem Zugeständniss auszuweichen, dass das rhythmi- sche Gefühl an ein gewisses Zeitverhältniss der Vorstellungen gebunden ist ^). Hierdurch würde ja der Schein entstehen, als ^) Vergl. namentlich Horwicz, Analysen I, S. 191 u. f. ») a. a. 0. I, S. 259. >) Ebend. H, 2, S. 66. «) Ebend. H, 2, S. 144. lieber das Yerhältniss der Gteföhle zu den Vorstellungen. 137 könnten unter Umstanden Vorstellungen den Gefühlen yoran- gehen, und das rerstösst gegen die Voraussetzung. Ueber- haupt kann ich nicht umhin, den weitgehenden Gebrauch be- denklich zu finden, den sich Horwicz von physiologischen Hypothesen zu machen gestattet. Ohne Zweifel sind wir be- rechtigt uns über den Zusammenhang Rechenschaft zu geben, der zwischen den psychologischen Vorgängen und den physio- logischen Processen in den körperlichen Substraten derselben stattfindet; aber von der hypothetischen Annahme solcher physiologischer Processe, die von physiologischer Seite noch nicht nachgewiesen sind, wird man doch nur einen sehr vor- sichtigen Gebrauch machen dürfen. Ich irre wohl nicht, wenn ich als einen entscheidenden, wenn auch selten direct hervorgehobenen Grund für die An- nahme einer Priorität des Gefühls die subjective Beschaffenheit desselben ansehe. Vorstellungen von äusseren Gegenständen zu eriangen^ dazu bedarf es, so vermutliet man, jedenfalls einer gewissen psychischen Entwicklung. Aber irgend welche innern Zustände sind doch nothwendig als ursprünglich gegeben vor- auszusetzen: diese Zustände sollen, eben weil sie bloss sub- jectiver Art sind; Gefühle sein. Nun ist wohl zuzugeben, dass den ausgeUldeten Vorstellungen und Gefühlen unentwickelte innere Zustände vorangehen werden, die sich nicht vollständig decken mit dem, was wir im ausgebildeten Bewusstsein an- treffen. Aber ob es angemessen ist^ diese unbestimmten Zu- stände, welche die Anlage zu allen späteren EntVricklungen in sich schliessen, Gefühle zu nennen, ist eine andere Frage. Denn voraussetzen müssen wir allerdings von denselben, dass sie die Anlage zu Gefühl und Vorstellung gleichmässig in sich tragen. Und gerade dies deutet die psychologische Termino- logie, wie sie sich allmälig ausgebildet hat, nicht unangemessen an, indem sie jene elementaren Vorgänge, in die sich uns die complexen Producte unseres Bewusstseins zerlegen, und denen wir desshalb die ursprünglichen Zustände des unentwickelten Bewusstseins analog denken, Empfindungen nennt. Die Empfindung aber denkt man sich demzufolge als einen ein- 188 W. Wandt: fachen Zustaud und doch zugleich als einen solchen, der irgend eine Intensität, eine qualitative Beschaffenheit und eine Gefühlsfarbung besitzt, und der eben hierdurch zu allen com- plexen Erzeugnissen des Bewusstseins die Anlage in sich trägt Man könnte nun freilich meinen, es sei im Grunde ein blosser Wortstreit, ob solche ursprungliche Zustande, die doch nie- mals direct zu unserer Beobachtung kommen, Gefühle oder Empfindungen genannt werden sollen. Aber dass hier das Wort nicht ganz so gleichgültig ist, zeigt der Erfolg. Wer jene Zustande Gefühle nennt, der hat eben die ausgebildeten^ durch psychologische Abstraction von den Vorstellungen ge- schiedenen Gefühle im Auge und überträgt nun sofort die so angenommene Priorität des Gefühls auf alle späteren Vorgänge. Gewiss ist die schon von Herbart gemachte und auch gelegentlich von Horwicz wiederholte Bemerkung eine sehr richtige, dass dem Bewusstsein keine Priorität zukomme vor dem was uns bewusst ist In der That, die ganze Unter- scheidung des Bewusstseins von seinem Inhalt ist ja nur ein Erzeugniss psychologischer Reflexion: gegeben sind uns nur Zustände, deren wii* uns bewusst sind. Eben darum ist es fruchtlos nach dem Wesen des Bewusstseins zu fragen, denn diese Frage lässt sich doch nicht anders beantworten, als indem man auf die einzelnen inneren Erfahrungen hinweist, dei*en wir uns bewusst werden. Aber wie mit dem Bewusstsein und seinem so genannten Inhalt, so verhalt es sich nicht selten auch mit den einzelnen Bestandlheilen des letzteren, — und so dürfte es insbesondere sich verhalten mit den Vorstellungen und den Gefühlen. Unsere psychologische Reflexion trennt dieselben, aber wir haben keinen zureichenden Grund anzu- nehmen, dass sie wirklich getrennt sind. Unsere inneren Zu- stände sind im aUgemeinen immer complexer Art, und es kann sich daher nur um die Frage handeln, was denn unsere Re- flexion nachträglich zu einer solchen Trennung veranlasst Natürlich sind hier psychologische Motive wirksam, wie dies schon der Umstand bezeugt, dass, bevor die Wissenschaft»- liehe Reflexion beginnt, schon die Sprache jene Trennung an- Ueber das Verhältaiss der Gefühle zu den Vorstellungen. 139 gedeutet hat* Auch scbeiut es nicht schwer, sich über diese Motive im allgemeinen Rechenschaft abzulegen. Zunächst können die nämlichen Vorstellungen bei den wechselnden Zustanden des Bewusstseins von wechselnden Gefühlen begleitet sein. Sodann aber empfinden wir gerade dieses wechselnde Element unmittelbar als dasjenige, welches den Werth bestimmt , den die Vorstellung jeweils für uns besitzt, und welches so den Anlass bietet, dass die Vorstellung selbst von uns gesucht oder gemieden wird. Man kann zugeben, dass hierin nichts anderes als eine Umschreibung dessen enthalten sei, was wir ohnehin schon unter Fühlen oder Begehren verstehen. Darin macht sich eben die elementare psychologische Natur dieser Vorgänge geltend, welche es ebenso wenig gestattet, von ihnen eine eigentliche Definition zu geben wie von der einfachen Em- pfindung oder von dem Bewusstsein selber. Nur die innigere Beziehung, in der sie zu unserm Selbstbewusstsein stehen, wird immer als das unterscheidende Merkmal festgehalten werden können, durch welches sie allem sonstigen Inhalt desselben gegenöbertreten. Von dieser Beziehung wird daher auch die psychologische Theorie vor allem Rechenschaft geben müssen« Die Frage, wie weiterhin die Abhängigkeit der Gefühle von den Vorstellungen oder dieser von jenen zu eiidären sei, wird dann erst in zweiter Linie in Betracht kommen. Nun ist es eine unmittelbar wahrgenommene Thatsache unseres Bewusstseins, dass die wechselnden Zustände desselben mit einander in Ver- bindung stehen. Vermöge dieser Verbindung tritt jeder neue Eindruck in Beziehung zu früheren Vorstellungen, und ordnen sich die angesammelten Vorstellungen nach innerer Verwandt- schaft und äusserem Zusammensein in zahlreiche sich durch- kreuzende Reihen. Wenn uns daher in der unmittelbaren Auf- fassung das Fühlen und Begehren als die subjective Ergänzung der Vorstellungen erscheint, so wird anzunehmen sein, dass bei dieser subjectiven Reaction das Bewusstsein mit allen den Eigenschaften betheiligt sei, die es vermöge der ihm zu Gebote stehenden Vorstellungs- und Gefühlsverbindungen angenommen hat. Hierdurch wird sich aber auch alsbald der die Vor- 140 ^- Wandt: stdlaogen begletlende Gemotlisziulaiul io unserer ionereo Wabr- nehmaiig scheiden von den Vorstellungen selber. Denn eine und dieselbe Vorstellung wird ja nach vorausgegangenen Er- lebnissen und bereil liegenden Vorstellungsverbindungen ver- schiedene Gemdthsreaclionen erwecken können. In der Vor- stdlung selbst findet immer nur die nnmittdbare Wechsel- wirkung des Bewusstseins mit der Aussenwelt ihren Ausdruck. In der Gemüthsbewegung dagegen sjuegelt sich die Art, vrie das Bewusstsein vermöge seines Gesammtsuslandes, sräier dauernden und vorübergehenden Anlagen jene Wechselwirkung aufnimmt. Je verwickelter die Anlagen eines Bewusstseins, je reicher die frAheren Eriebnisse desselben sich gestalten, um so mannig- faltiger werden daher die Formen der Gemüthserregung sein und um so weniger werden sie sich aus der Natur deijenigen Vorstellungen, mit denen sie unmittelbar in Verbindung treten, voraus bestimmen lassen. In dem unentwickelten Bewusstsein des Kindes mag das Gefühl noch ein Zustand sein, der grossen- tbeils von der Intensität und Qualität der unmittelbaren Sinnes- empfindungen abhängt und darum mit diesen Elementen un- trennbar verschmolzen ist Zusammengesetztere Gefühle und Strebungen werden dagegen offenbar erst möglieb, wenn mehr oder weniger zusammengesetzte Vorstellungsverbindungen dem Bewusstsein jeden Augenblick zu Gebote stehen. So verbinden steh schon mit den einfiicheren Vorstellungscomplexen ver- schiedenartige Affecte, auf welche die vorhandenen Dispositionen einen Elinfluss gewinnen. Die intellectuelien, moralischen und ästhetischen Gefühle endlich setzen voraus, dass ein reicher Schatz geordneter Vorstellungsreihen durch das Denken ver- arbeitet sei. Der Versuch, diese complexen Gemüthszustände als einfache Resultanten sinnlicher Gefühle aufzufassen, ist darum noch immer gescheiteil. Hier überall ist der Gemüths- zustand offenbar nicht sowohl von den unmittelbar in das Be- wusstsein eintretenden Vorstellungen als von den Beziehungen abhängig, in denen dieselben zu den vorhandenen dauernden Anlagen stehen. Diese Beziehungen machen sich aber nicht Ueber das VerhältniM der Qefiihle zu den VorsteHangen. 141 etwa in der Weise geltend, dass die neuen Yorateilungen die älteren in das Bewusstsein hereini*afen. Von einer solchen Wirkung sagt uns die innere Walimehmung im aligemeinen nichts. Wo überhaupt Associationen auftreten, da ist dies ein nebenhergehender, für die Gemüthserregung selbst offenbar verhältnissmässig gleichgAltiger Vorgang. Vielmehr scheint es, als wenn hiebet die durch Association wachgerufenen Vor- stellungen gar nicht anders wirkten als die ursprünglichen eben* falls, indem auch an sie Gefühle gebunden 'sind. Dadurch mag die ursprüngUche Gemüthserregung verstärkt werden, und nur insofern ist zuzugestehen, dass in der Association ein wichtiger Factor für die Entstehung namentlich der zusammengesetzteren Gefühle .liegen kann. Im allgemeinen aber ist die Beschaffenheit des Gefühls, wie sich gerade an den compUcirteren Formen zeigt, offenbar weniger von den unmittelbar im Bewusstsein anwesenden Vor- stellungen als von den ursprungUchen Anlagen und älteren Erwerbungen des Bewusstseins abhängig. Wie wollten wir uns anders die unverkennbare Entwicklungsfähigkeit des Ge- müthslebens erklären, wobei insbesondere alle zusammen- gesetzteren Gefühle als verhältnissmässig späte Erzeugnisse auf- treten? Bestätigt wird aber- diese Folgerung wohl durch dia Thatsache, dass, wo wir über den Grund solcher zusammen- gesetzter Gefühle i*eflectiren, wir uns immer auf früher erwor- bene Eindrücke und Gedankenverbindungen hingewiesen sehen. Hieraus entspringt dann freilich der nicht seltene Fehler, dass man in die Natur des Gefühls selbst eine derartige Reflexion verlegt, wovon doch die psychologische Wahrnehmung nicht das geringste entdecken lässt. So lässt sich z. B. das intellectuelle Gefühl der Zu- stimmung nur daraus begreifen, dass ältere intellectuelle Er- werbungen einem neuen Gedanken übereinstimmend entgegen- kommen. Aber da -wir jener älteren Gedankenreihen nicht un- mittelbar uns bewusst werden, sondern sie uns erst nach- träglich, durch eine oft mühsame Reflexion, vergegenwärtigen 142 W. Wundt: können, so bleibt nur übrig anzunehmen, dass unser Bewusst- sein in der Art seiner Reaction auf einen neuen Eindruck durch Vorstellungen, die früher in ihm anwesend waren, be- stimmt wird, ohne dass doch diese Vorstellungen selbst in das Bewusstsein eintreten. Dass nicht minder bei den höheren ästhetischen Gefühlen associatire Verbindungen der unmittelbaren mit den unserm Bewusstsein verfügbaren Vorstellungen eine wesentliche Rolle spielen, ist wohl allgemein anerkannt. Darum erfordert ja der ästhetische Genuss eine lange Vorbildung. Wo diese mangelt, da bleibt das Bewusstsein gerade vollende- teren Kunstformen gegenüber gleichgültig oder geräth durch sie in Verwirrung, weil den äusseren Eindrücken die inneren Be- ziehungen mangeln, durch die sie erst ihren Gefühls werth empfangen können. Aber auch hier würde es nicht gerecht- fertigt sein, sich die Wirksamkeit dieses associativen Factors der ästhetischen Eindrücke in der Form wirklich vollzogener Associationen zu denken. Die Zergliederung eines Kunstwerks ist ja verschieden von dem ästhetischen Genuss. Schlimmsten Falles kann sie ihn aufheben, indem die unmittelbare Macht des Eindruckes durch die eintretende Reflexion verdrängt wd, und besten Falles kann sie ihn verstärken^ indem die an- geregten Vorstellungen selbst wieder zur Quelle ästhetischer Wirkungen werden. Immer also kommen wir darauf zurück, dass das Gefühl selbst nicht in den unmittelbar gegenwärtigen Vorstellungen oder ihrem Verhältniss, sondern in einer Rück- wirkung besteht^ die das Bewusstsein auf die Vorstellungen ausübt, Und die, wenn wir sie zergliedern, auf die Beziehungen zurückweist, in denen sich die unmittelbar gegenwärtigen zu früheren Vorstellungen befinden. In diesen Beziehungen zu früheren Vorstellungen findet offenbar auch der Herbarfsche Versuch, die Gemüthsbewegungen abzuleiten aus einer Mechanik der Vorstellungen, seine relative Berechtigung. Aber nicht nur ruht diese Mechanik selbst auf zweifelhaften Grundlagen, sondern gegen ihre hypothetische Ueber- tragung auf die Gemüthsbewegungen erheben sich noch be- Ueber das Verhältniss der Gefühle zu den YoratelluDgen. 143 sondere Bedenken, auf die ich jedoch hier nicht wieder zurück- kommen will^). Ebenso bedeutsam wie diese unbegrenzte Abhängigkeit der Gemüthserregung- von der ganzen Anlage und dem gesammten Erwerb des Bewusstseins därfle vielleicht die weitere Thatsache sein, dass uns das Gefühl als ein einheitlicher Zustand oder Yorgaitg bewusst wird. So mannigfach die Gefühle auch in der Zeit wechseln können, so scheint doch in jedem Moment das Gemüth nur in einer bestimmten Weise erregt zu sein. Auf den ersten Bück widerspricht dem allerdings die Existenz zwiespältiger Gemüthslagen , in denen mindestens zwei Ge« fühle neben einander bestehen. In der ungewissen Erwartung bewegt uns gleichzeitig Furcht und Hoffen, der Zweifel besteht aus Zustimmung und Widerspruch, das Komische verdankt, wie man annimmt, seinen Ursprung dem Contrast der Gefühle. Gewiss wäre hier die Annahme verfehlt, dass nur eine rasche Successidn diese zwiespältigen Gemüthsstimmungen hervor- bringe. Denn das Eigenthümliche der letzteren besteht gerade darin, dass ihre verschiedenartigen Componenten gleichzeitig in sie eingehen. Aber hiermit ist auch schon angedeutet, dass solche Gemüthserregungen nicht bloss aus einer Summe ver- schiedener Gefühle bestehen, sondern dass aus diesen eine Re- sultante hervorgehL Wie also eine zusammengesetzte Vor- stellung aus vielen Bestandtheilen sich aufbaut, so können sich auch an einer Gemüthsbewegung mehrere Gefühle als ihre Elemente betheiligen. Aber während unser Bewusstsein zweifel- los mehrere Vorstellungen enthalten kann, die einander nicht in merkUcher Weise beeinflussen, resultirt, wie es scheint, aus den gleichzeitig vorhandenen Gefühlen immer ein einheitlicher Zustand. Es giebt nicht mehrere Gemüthslagen neben einander, sondern nur eine einzige, die übrigens mehr oder weniger zu- sammengesetzt sein kann, und die stetig in der Zeit sich ver- ändert. Wenn wir uns nun vieler unverbundener Vorstellungen gleichzeitig bewusst sein können, so ist es möglicher Weise *) Vergl. meine phyBiologische Psychologie, S. 461, 798. 144 W. Wundt: nur diese Einheit unserer Gemüthslage, durch die wir zunächst veranlasst werden von der Einheit unseres Bewusstseins zu reden. Umgekehrt liegt aber auch in jener Einheit der Ge* müthserregung wohl ein Zeugniss dafür, dass wir es bei ihr mit einer Art i*esuUirender Kraft zu thun haben, in welcher die Componenten, die sie zusammensetzen, meistens nicht mehr einzeln zu unterscheiden sind. Da wir uns nun von der Entstehungsweise dieser Re- sultante nicht unmittelbar Rechenschaft geben können, so bleibt nichts übrig als anzunehmen, dass psychische Vorgänge, die uns nur in ihren Endwirkungen bewusst werden, an denen aber die ursprünglichen und erworbenen Eigenschaften des Bewusstseins betheiUgt sind, den Gemülhserregungen zu Grunde liegen. Es verhält sich in dieser Beziehung mit den letzteren wohl ähnlich wie mit den Vorgängen bei der sinnlichen Wahr- nehmung, bei denen uns ebenfalls nur die Aesultate einer psychischen Synthese bewusst werden, nicht aber die Elemente,, die in eine solche Synthese eingehen. Wie man nun bei der sinnUchen Wahrnehmung trotzdem diese Elemente nachzuweisen und mit Hülfe derselben, sich wenigstens in hypothetischer Weise von den Processen Rechenschaft zu geben vermag^ die bei der WahrnehuMing wirksam sind, so wird es auch bei den Gefühlen die Aufgabe der Psychologie sein, eine Art Recon- strucüon der nicht zu unserem Bewusstsein gelangenden Vor- gänge vorzunehmen. Damit soll übrigens keineswegs behauptet werden, dass diese Elemente absolut unbewusst seien, sondern nur, dass sie vollständig in dem aus ihnen resultirenden Effecte aufgehen, ähnlich wie bei der Bildung einer Gesichts- vorstellung Localzeichen und Innervationsempfindungen in ende Zusammenfossung sind, nicht mehr gleich den ThdUen des Weltraums (oder der Peripherie) bloss in der UneiBwirkenden Einheit mit dem übrigen Ganzen ihre intenätät haben, kann und muss auch ebendesshalb jenes rein centrale und nach innen gerichtete Streben sich geltend machen. Da es aber innerhalb der Urkörper selbst wegen der entgegen- gesetzten (peripherisch heissen und lichten) Grundbeziehung sich nicht verwirklichen kann, so muss es sich durch selb- 164 K. Ch. Planck: standige Ausscheidung aus dem Urkörper bethäügen, ab- eine selbständig neue und rein nach innen zusammenstrebende Concentrirung^ die im GegensatE zu jener urspröngtichen un- mittelbar kosmischen Hineinbeziehung in die ganze Peripherie nun selbständig für sich besteht. Wie also schon alle Stofflichkeit nur kraft der ineinander wirkenden Zusammenfassung oder innerlich concentrirten Her- vorbringung ist, so sind auch diejenigen Weltkörper, welche eine selbständig nach innen gehende und ebendamit individuelle Entwicklung nehmen, die planetarischen (im weitesten Umfange dieses Wortes) nur durch die Consequenz der vollen selbsülndig innerUchen Concentrirung, als eine selbständig ausscheidende Geburt aus jenem noch individuabtätslosen und noch von der ursprünglichen Gesammteinheit beherrschten Mutterschossie. Und nur kraft dieses Ursprunges können diese Weltkörper in ihrer reifsten Stufe (wie sie in unserer Erde vorhanden ist), auch die vollendet innerliche Concentrirung, die organische und geistige, zu ihrem Entwicklungsziele haben. So sehr nämhch die neue Centrumsform ihrem Ursprünge nach rein centrale Zusammenfassung und ebendarum hinsicht- lich des innern Verhältnisses ihrer Theile noch individualitälslos glühendes Ineinanderwirken ist^ so tritt doch eben durch die Ausscheidung aus dem Urkörper auch ein ganz anderes freieres Yerhältniss ihrer Theile ein. Diese sind ja jetzt nicht mehr innerhalb der ursprünglichen noch rein selbstlos zusammen- fassenden Einheit, sondern sind nach der Peiipherieseite hin zugleich frei für sich, und indem jeder in sich schon, nicht bloss in seinem Yerhältniss zum Ganzen^ Intensität ist, so müssen sie sich je(zt gegenüber von jeaev einseitigen an** fanglichen Zusammenfassung in ihrer relativen Selbständigkeit geltend machen, als selbstische Zurückziehung in sich, Erkaltung und Verdunkelung. Und indem in dieser Verselbständigung der Theile auch die innere Einheit derselben sich stetig mit- behauptet und so selbst zu einer individuellen umbildet (wenig- stens bei den planetarischen Körperii im engeren Sinne), so entwickelt sich die ganze Reihenfolge der besonderen Stoffe als Sinnesanschauung und logisches Causalgesetz. 165 der naiurlichen Stufen, welche das innere Yerhaltniaa der Theile %H ihrer nun gleichfalls individuellen Einheit durchlauft. Das nothwendige Ziel dieser Entwicklung aber ist, dass auch in der individuellen Losscheidung und Umbildung schliesslich die ur- sprüngliche und beherrschende innerlich centrale Einheit der Theile, die als ^e noch individualitatslos warme und lichte (oder innerlich universelle) im unentwickelten Kerne des Planeten vorhanden ist, sich mitbehauptet und milverwirklicht. Und so geht sie nun nicht mehr unmittelbar in sich selbst in individuelle Theilform über (womit sie zu irgend welcher unorganisch äusserlichen Form erlöschen wurde), sondern sie bethätigt sich wieder (gleich dem Ursprünge des Planelen selbst) als aus- scheidender Concentrirungsact, der erst mittelbar, durch organisirendes Ergreifen der schon vorhandenen indi- viduellen Stoffe, sein inneres Streben nach individueller Centrumsform verwirklicht. Diese aber kann ihre conse- quentere Form nicht im blossen unmittelbaren TheiUeben haben, wie in der Pflanze und im nervenlosen Thiere; sondern als innerlich beherrschende centrale Einheit setzt sie sich dadurch erst vollständiger, dass sie sich als Nervensystem mit innerlich zusammenfassendem Gentralorgan von der bloss vegetativen Seite ihrer LeibUchkeit abscheidet Und da jener individualitatslose Kern des Planeten, von dem diess organisirende Entwicklungs- streben ausgeht, noch innerlich universelle, von aller besonderen Theilbestimmtlieit freie Einheit ist, so muss sich diese zuletzt auch in ihrer organisirenden Thätigkeit als eine solche Centrumsform setzen, die ihrer hödisten Stufe nach von aller unmittelbaren Rückbeziehung auf die besonderen Theil- bestimmtheiten ihres Nervenlebens geschieden, und insofern unsinnlich universeile oder geistige Zusammenfassungs- form ist. Innerhalb des Nervensystems nun ist die eigenthümliche innere Einheit, auf welcher das psychische Leben ruht, nach organisch^-stofflicher Seite zunächst durch das stetige chemische Ineinanderwirken der Theile vermittelt. Denn wie schon die Stofilichkdt selbst ihrem Ursprünge nach nur die rein ineinander 166 K. Cb. PU^k: ^wirkende Einheit der Ausdehnung ist, niobt eine fnr gich be- stehende Substanz (was, wie wir anderwirts nachgewiesen haben ^), in reine Widerspruche hineinführt), so ist auch die chemische yeii>indung der indiriduellen Stoffe nur ihr erneutes- volles Ineinanderwirken, ihr wahrhaftes inaerffiches sieh Durchdringen (nicht ein bloss mechanisches sich Aneinander- lagem kleinster Theile), wenn auch diess Ineinanderwirken als< von Individuellem ausgehend selbst wieder zu einem neuen äusserlichen Theildasein erlöschen muss. Durch die stetig in- einander wirkende unselbständige Offenheit der Theile, zu weicher die Nervenmasse in spedfischer Weise organisirt ist, werden also die psychischen Organe zu einer individuellen Er- neuung der ursprünglichen noch individuaUtatslos ineinander wirkenden Einheit und Concentrirung. Sie werden selbst zu einer stetig unmittelbaren inneren Einheit, deren Theilzustande ebendamit auf untersch^end unmittelbare Weise Zustände des übrigen Ganzen und des zusammenfassend«! Ceniralorganes werden. AHein diess ist doch nur die eigenthümliche physische Seite dieses Yertiältnisses. Dass dagegen die Theilzustande der Nervenzweige innerlich unterschieden oder empfunden werden, diese psychische Natur jenes inneren Einheitsver* hältnisses, beruht vielmehr darauf, dass das zusammenfiassende Centralorgan , unbeschadet jener innerlich offenen Einheit mit den Nervenzweigen, doch smner organischen Anlage nach zu- gleich ein gegen sie abgegliedertes, relativ für sich bestehendes Ganzes ist, das in seinem orgamsch-chemischen Processe zu-* nächst in sich selbst zu jener innerlich offenen Einheit zusammengefasst ist, und von hieraus erst, als dieses relativ besondere Ganze, mit den sensibeln Nervenzweigen in jenem» organisch offenen inneren Einheitsverhältniss ist. Dadurch kommen ihm die Theilzustande der sensibeln Nervenzweige- zugleich in der Form eines Andern, eines von ihm selbst unterschiedenen und ebensosehr ausser ihm liegenden Theilzustandes zu. Und eben diess macht ja das Wesen der V Vergl. namentUdi „^^g. Cansidgesete^, 8. 16 ff. Silmetantchaaaog und logisches Causalgesetz. IQ'J siBiiHcheii Empfindung aus, dass das Centralorgan den Zustand des Nenrenzweiges innerlich als seinen Zustand mitgelbeilt erhjdt, und doch in der Form eines von ihm selbst unter- schiedenen objeetiven Theilzustandes. Erst durch diese relative Scheidung also, die innerhalb des unmittelbaren inner- lich offenen Einheitsverhältnisses vorhanden ist, wird dasselbe in die subjective Form, in die der innerlichen Selbstunter- scheidung erhoben, so dass aber diese hier noch bloss in der unmittelbaren inneren Beziehung des Centralorgans auf die sensibeln Nervenzweige selbst vorhanden ist. Und hiemit erst ist nun auch deutlich, wie dieses Verhältniss des Centralorgans zu den peripherischen Nervenzweigen die gegenbildlich indivi- duelle Erneuung jenes oben erörterten anfanglichen Grundver- hältnisses von Gentrum und Peripherie ist, das wir in Wärme- strahlung und Licht gefunden haben. Denn in diesem ersten Grundverhältniss der Natur ist das Gentrum ungeachtet seiner relativen Scheidung von der Peripherie doch individualitätslos universelle Hineinbeziehung in diese, ist noch rein unselbständige innere Einheit mit ihr. Das empfindende Gentralorgan hingegen ist in seiner innerlich offenen Einheit mit den Nervenzweigen doch zugleich in organisch individueller Weise gegen sie ab- gegliedert, und so erhält jetzt jenes selbstlos lichte Hinein- scheinen in die Peripherie sein individuelles Gegenbild an dem subjectiven Erscheinen des peripherischen Nervenzu- standes im Gentralorgane. Nach diesem rein erscheinungsgemässen Begriffe der Em- pfindung ist also dieselbe identisch mit dem in seiner vollen innerlichen Natur erkannten organischen Vorgange selbst. Es kann nicht mehr, wie bei der äusserlich mechanischen Auf- fassung desselben, von einem blossen Reize und einer sub- jectiven Reaction auf denselben die Rede sein, sondern der psychische Vorgang ist in unzertrennlicher Weise eins mit dem leiblich-räunUicheiiy und jene schon oben bekämpfte Trennung der intensiven Seite der Empfindung (als einer angeblich punk- tuellen) von der räumlich extensiven Seite ^ wornach sie un- mittelbar eine Mehrheit von Theilzuatänden in sich enthält, zeigt 168 K. Cfa. Planck: sich jetzt in ihrer ganzen Unhaltbarkeit. Indem z. B. die Haut- fläche und durch sie das Nervenorgan des Tastsinnes eine Ein- wirkung erleidet, so n^ird dabei das raumhch-örtliche der Ein- wirkung kraft jener stetigen innerlich offenen Einheit, die in den Nerven stattfindet, in einer von der intensiven Eigenthnro- lichkeit des Nervenzustandes unzertrennlichen Weise zu einer inneren Bestimmtheit des Centralorganes und damit zum In- hah der suhjectiven Unterscheidung. In einer noch ungleich schärferen Weise wird hei dem Auge (zufolge der specifischen Natur dieses Sinnes) die räumlich - örüiche Seite der im Auge sreRenwärtigen Licht- und Farbenerscheinung zugleich mit deren eigenthiimUch quahtativer Natur zum unmittelbaren Inhalt des ganzen Nervenzustandes und des Centralorganes. Denn auch in seinem Yerhältniss zur äusseren Einwirkung ist ja der Nervenzustand (hier und bei allen Sinnesorganen) ein inner- lich offener, kein gegen die Einwirkung mechanisch äusser- licher^ so dass ebendamit die specifische Natur des Einwirkenden in ihm offenbar werden kann. Und wenn auch z. B. *der Seh- nerv selbst kein durchsichtiges Medium für die Fortpflanzung des Lichtes ist; so werden doch kraft seiner innerlich offenen und unselbständigen Einheit mit den durchschienenen Theilen der Netzhaut die örtlichen Theilzustände dieser zu unmittelbaren Zuständen des ganzen Nervenorgans. Die Erklärung mittelst sogenannter Localzeichen, welche bei dem Begriffe des blossen mechanischen Reizes und der suhjectiven Reaction auf den- selben zu Hilfe genommen werden muss, erweist sich also als ein künstlicher Nothbehelf, der nur durch eine dualistische Trennung des psychischen Vorganges von dem organischen und durch eine demgemässe Verkehrung der Empfindung in eine falsche subjective Selbstthätigkeit herbeigeführt wird. Die in- teressante Entdeckung des sogenannten Sehpurpurs der Netz- haut, in welchem durch chemische Einwirkung die Licht- und Farbenerscheinung selbst sich ihrer eigenthumlichen Natur ge- < mäss abbildet, gibt von der äusseren physischen Seite her unmittelbar die Erklärung davon, wie das Hereinscheinen des Gegenstandes in das sensible Organ zu einem hereinwirkenden SinnesanscbaauQg und logittohes Causalgesetz. 169 Zustand des ganzen Nerven und des Centralorgans werden kann. Und zugleich ist diese Entdeckung eine vollständige Bestätigung derjenigen Ansicht, die wir schon fHlher über die Art der Licht- und Farbeneinwirkung aufgestellt haben ^), so wie nament- lich auch unsere Auffassung der Rothblindheit und überhaupt der unterscheidenden Natur und Wirkung des Roth (im Gegen- satz gegen die bekannte Helmholtz-Young'sche Hypothese) da- durch vollständig bestätigt wird, dass eben das Roth auf den Sehpurpur am schwächsten einwirkt Denn so liegt also der lebhafte Eindruck des Roth, wie wir es a. a. 0. ausgeführt haben, nicht nach der Seite der erregenden physischen Ein- wirkung, sondern der subjectiven Auffassung des Centralorganes, welche das eigenthümliche objecti ve Erscheinungswesen des Roth selbst inne wird. Dadurch nämlich, dass die Empfindung mit dem in seiner vollen innerlichen Natur erfassten Wesen des organischen Vor- ganges selbst identisch ist, wird die relative Selbständigkeit der subjectiven Auffassung im Centralorgan^ wie Verf. dieses gleich- falls längst dargethan hat'), durchaus nicht aufgehoben. Sondern eben die eigene höhere Natur des organischen Verhältnisses, das durch jene relative Scheidung des Centralorgans zu einem inner- lich subjectiven erhoben ist, begründet auch die relativ selb- ständige und von der Art der blossen physischen Einwirkung selbst so vielfach abweichende Form der subjectiven Auffassung (z. B. bei dem einfach Sehen mit den zwei Augen, bei der Auffassung des Grössemasses, und der Entfernung u. s. w.). ^) Anthropologie und Psychologie, S. 87 ff., 92 ff., und „Seele und Geist'S S. 434 ff., 451—456. ') In gleicher Weise hat er vor allem auch hinsichtlich der geistigen Thätigkeiten gezeigt, dass, so sehr sie auch nur in und mit organiiehen sich vollsiehen, sie desshalb nicht weniger geistig freie sind, da der Geist (und analog das ganse Seelenleben) eben durch die hÖhexe innerliche Natur seiner Organisation in Frei- heit gesetzt ist gegen die niedrere bloss physische Seite der or- ganischen Processe, von weicher der Materialismus das Seelenleben abhängig macht. 170 K. Ck PUnek: Und 80 hat denn Verf. dieses gerade in seiner neuesten Schrift selbst (& 155 — 61) , so sehr säe die Erklärung der Sinnes- anschanung aus einem causalgesetdichen Verstand^sacte bekämpft, doch in nachdräcklicber und angehender Weise ausgeführt, dass es nicht die vereinzelte objective ErscheinungsfiNrm ist, die als solche auch zur Empfindung wird, sondern dass die Erscheinung immer nur theils nach ihrem objectiv gegebenen und bedingenden Gesammtzusammenhang, theils gemäss der Gesammtheit der eignen subjectiven Anlage und Lebensgewohnheit (d. h. der unbewusst ihrer früheren Bestimmtheit gemäss fortwirkenden Nacherinnerung) auf- gefasst wird. Nach dieser Seite liegt das Wahre an der jetzigen Theorie. Allein alle die mannigfachen subjectiTen Abweichungen der Sinnesauffassung von der blossen physischen Einwirkungs- form begründen doch nicht jenen subjectiv idealistischen Ur- sprung der Sinnesanschauung überhaupt, sondern erklären sich (wie wir a. a. 0. und anderwärts nachgewiesen haben) voll- kommen gerade aus der wahrhaft objectiven und naturgetreuen ursprunglichen Gesammtnatur der Sinnesempfindung. Dass die ganze Grundform unserer Sehempfindung, die Erscheinung einer räumlich entfernten Oberfläche, erst Sache der auf den Reiz hin reagirenden subjectiven Thätigkeit sei, diess ist ebenso wenig aus jenen subjectiven Abweichungen zu be- gründen, als es mit dem Wesen der logisch causalgesetzUchen ThäÜgkeit und mit dem wahren Bepiffe der betreffenden Naturformeu selbst, des Lichtes, der Farben u. s. w. zu ver- einigen ist. , Und jetzt, nachdem wir in dem wahrhaft naturgemässen Grundbegriffe der Sinnesempfindung feststehen und ihre volle innerlich leidentliche Naturbedingtheit erkannt haben, jetzt machen wir uns den reinen Widerspruch, in welchem sich die Kantische Auffassung der Raumanschauung und jede erst subjectiv secundäre Erklärung derselben bewegt, vollkommen deutlich. Ein Innewerden eines Räumlichen, eine inner- liche Unterscheidung desselben , ist die Ranmanschauung, oder (nach objectiver Seite ausgedrückt) ein inneres Erscheinen eines SiiinesaDschainiiig und logisches Cansalgesetz. 171 Räumlicheii. Wie Usst üch diess ftonsi irgend denkea, als so, daw sie inneiüche Einheit mit einem Rftumlichen ist? Eben darin besteht ja die Ansehauung, dass das Räomliobe in der Form eines vom Subjeet Unterschiedenen, ihm EntgegengesetHen und ausser ihm Liegenden, doch zugleich ihm innerlich ist und in diesem Sinne in ihm hereinwirkt. Und eben diess haben wir oben aus der innerlich organischen Natur der Empfindiing und aus den entgegengesetzten Seiten erklart, welche die inner- lich offene Einheit des Gentralorgans mit den sensibehi Nerven- zweigen in sich schliesst. Darauf antwortet man nun freilich von Kantischer Seite, diess Räumliche, mit dem das Subjeet in solcher Einheit ist^ sei selbst nur subjective Erscheinung. Das heisst also, es ist kein vom Subjeet unabhängiges Hereinwirken eines Objectiven, gegenüber von welchem das Subjeet sich wahrhaft leidentlich und empfanglich verhielte, sondern es rAhrt vom Siibjecte selbst her. In welcher Weise also? Als ein im Subjeet selbst auf unmittelbare leidentliche Weise vorhandener Unterschied? Wäre diess der Sinn, dann wäre nur dasselbe gesagt, was auch wir wollen, dass das psychische Subjeet selbst eine objectiv räumliche und organische Seite in sieh schtiesst, die ihm in dieser innerlichen Weise erscheint. Da diess aber nicht der Sinn sein soll, so bleibt durchaus nichts übrig, als dass jenes Räumhehe selbst nur durch die Thätigkeit des Subjects, durch den Act des innerlichen Unterscheidens selbst in ihm erscheint, (mag nun dieser, wie bei Kant, als mne schon ursprüngliche und unmittelbare Auffassungsform gedacht werden oder, wie in der jetzigen Theorie, als eine erst empiristisch vermittelte und entstandene). Damit aber sind wir an jenem gewaltsamen Widerspruch angelangt, den das Fichte'sche Ich auf sich nehmen wollte, und an dem es zu Grunde gegangen ist, dass das reine Subjeet selbst, das doch nur naturlose Thätig«- keit sein soll, sich dennoch in sich selbst als diesen Gegensatz, als diese erscheinende innere Leidentlichkeit setzt Ist es nun der reine Widerspruch, dass das naturiose und unraumliche Subjeet sich von sich selbst aus als jene innerlich leidentliche und empföngliche Einheit mit einem Räumlichen setze, so 172 K. Ch. Planck: bleibt nur das Andere übrig, dass diesdbe eine wahrhaft ob- jective und empfänglich leidenüiche Naturbediogtheit im Sub- jecte selbst ist, jene oben erklärte innerlich organische Ein- heit, in wddier Psyclüsches und raumlich Leibliches auf un- zertrennliche Weise eins ist, und welche wir als gegenbildliche Erneuung des ursprunglichen Grundverhältnisses der Natur er- kannt haben. Zu dem Obigen kommt nun aber noch die Durch- einanderwirrung ganz ^verschiedener psychischer Stufen und Gebiete, zu wdcher die Kantische Auffassung der Raumanschauung und jede ihr ähnliche führt Denn nach dieser Theorie wäre also schon die unmittelbare Sinnesauffassung selbst, vor allem die unmittelbare Sehemp6ndung, diess Innewerden einer räumlich objecliven Erscheinung^ nur als ein selbstthätig subjectiver schaffender Act, als ein rein psychisches, wenn auch durch irgend welche (rein intensive) Einwirkungen ver- anlasstes Produciren zu denken. An die Stelle einer leidentlich empfänglichen, organisch innerlichen Naturbedingtheit, als welche die Sinnesanschauung sich darstellt, würde jener rein schaffende und unsinnlich selbstthätige Act treten. Denn unsinnKch wäre er ja, sofern er rein innerlich psydiischer Art wäre (wenn auch durch weiche Einwirkungen von unbekannter rein inten- siver Art veranlasst). Demnach würde hier schon die unmittel- bare Sinnesauffassung zu einem gleichen rein selbständig inner- lichen Acte, wie es die sinnliche Einbildungskraft ist; ja sie wäre insofern »och selbständiger als diese, weil sie ja das sinnliche Raumbild rein schaffen würde, während die Ein- bildungskraft immer nur am Inhalt früherer Sinnesauffassungen das Material ihrer Thätigkeit hat. Der Stufennnterscfaied der unmttelbaren Sinnltchkeit (oder unmittelbaren Reziehung auf die Nervenzustände) und des sinnlichen Rewusstseins, weldiem die Erinnerung und Einbildungskraft angehört, würde also auf- gehoben. Schon die unmittelbare Sinnesauffassung würde zu einer räumlich ordnenden und nach dieser Seite rein schaffenden Einbildungskraft. Und so wird bei Kant in widersinniger Yer- Sinnesaoachauung and bgiiches Causalgeaetz. X78 kehrung da» reine Subject, diese innerlich centrale Einheit, sum Prindp aller räumlichen und mtliehen Verausserlicfaung und sondernden Auseinanderiegung gemacht, statt dass umgekehrt das Aussereinander in seiner stetigen reinen Zusammengehörig- keit und Zusammenfiissung als die Grundlage und Quelle des innerlich Centralen erkannt wäre. Allein nicht weniger als der Unterschied der sinnlichen Stufen wird auch der Gegensatz der unsinnlich geistigen Thätig- keits- und Unterscheidungsformen von den sinnlichen aufge* hoben. Denn schon die Raum- und Zeitanschauung wird ja zu einem rein selbstthätigen Acte verkehrt, der durchaus kein empfanglich passives Innewerden eines realen zeitlichen und räumlichen Unterschiedes in sich schliesst, sondern diese Formen erst selbstthätig hervorbringt. Und so wird dieser Act zu einem unsinnlichen, obgleich er, in reinem Widerspruch damit, eben die Grundformen alles Sinnliehen zu seinem schaffenden Inhalt haben soll Kein Wunder, wenn bei einer solchen idealistischen Aufhebung und Durcheinanderwirrung aller organisch psychischen Stufenunterschiede auch schon jene ordnende „Synthesis^ der sinnlichen Einbildungskraft als eine unbewusst durch die logi- schen Kategorieen bestimmte und beeinflusste gedacht wird, oder wenn bei Schopenhauer die Sinnesanschauung selbst vollends zu einem schaffenden Yerstandesade verkehrt wird, der gemäss dem (empiristisch mbsverstandenen und veräusserlichten) logi- schen Causalgesetze die erscheinende Gegenstandsform erst her- vorbringen soIL Die jetzige Theorie aber, mit ihrer auch von Zeller vertretenen Erklärung der Sinnesanschauung aus soge- nannten unmittelbaren Schlüssen^ (obgleich dieselbe nicht all- gemein getheilt wird), zeigt ja auch nach dieser Seite, in diesem Zusammenwerfen der unmittelbaren Sinnesauffassung mit einer unsinnlieh intelligibeln Thätigkeit, wie sehr sie in dieser idealisti- schen Aufhebung und Yermengung der organisch -psychischen Stufenuntei-schiede mit Kant, Schopenhauer u. s. w. überein- stimmt. Gegenüber von all diesen bisher erörterten Widersprüche i und dieser Yermengung ganz verschiedenartiger Stufen und 174 K. Ch. Planck: Gebiete hatten wir daran fest, data nur durch de» oben ent-* wickelten Begriff der Sinnesempfindiing und Sinnesanachauuog, sowie andererseits des logischen Causaigesetaes, in gleicher Weise der wahrhaflen Natur und Erscheinung, wie der roll- ständigen Scheidung des Geistigen und LogisdMu von allem Sinnlichen und Empirischen, ihr volles Recht wird. Nur von jener obigen Grundanschauung aus erscheint schon der erste Anfang der Natur, diess scheinbar Aeusseiüchste und Selbst« loseste, in seiner innerlich centralen und zum Geiste hinaielenden Einheit. Nur so wird ferner auch der organische Nerven- und Gehirnvorgang nach seiner vollen innerlich psychischen Natur erkannt im Gegensatz zu seiner mechanischen Veräusseriichung; und nur so wird endlich in der Sinnesempfindung selbst, wie in der ganzen objectiven Natur ^ die wahrliafte Erscheinung wieder in ihr Recht eingesetzt, im Gegensatz gegen jene wider- sprechende Wdt idealistischen Scheines, zu welcher die jetzige Sinnestheorie und die mechanische Auffassung der Grundformen der Natur sie gemacht hat Und doch, eben indem so die Wurzel des Geistes in der vollen Natur selbst erkannt ist, tritt er zugleich auch erst in seiner vollen Reinheit und Scheidung von allen niedreren und sinnlichen Thatigkeiten hervor Er ist als diejenige innere Zusammenfassungs- und Unterscheidungs* form erkannt, wetohe im Gegensatz zu aller Sinnlichkeit und allem sinnlichen Bewusstsein (sinnlicher Erinnerung und Ein- bildungskraft) kraft ihrer ganzen organischen Abgliederung und Centrumsstufe von aller unmittelbaren Beziehung auf die be- sonderen T h e i 1 bestimmtheiten (d. h. Nervenzustfinde und Sinnes- empfindungen) geschieden und frei ist, und ebendamit wieder innerlich universelle Einhdt ist, gleich der anfauchen Grundform der ganzen Natur- und Erdentwickelung. Und nur so kann dann auch das Logische in seiner ganzen inhaltslos formalen Reinheit, aber d>endamit auch in seiner univer- sellen (auf keine empirisdie Beziehung beschränkten) Gilligkeit und Bedeutung zum Bewusstsein kommen, und ihm gegen- über wiederum das Reale als das nothwendige Gegentheil der blossen logischen Einheit, als der unendliche stetige Unter- Sinnesanschauung und logisches Caosalgesetx. 175 jBchied, in welchem aber die Einheit und Identität selbst erst zu realer Kraft kommt, als seine innere centrale Zusammen- fassung. Kurz nach allen Seiten ergibt sich das, was das Ziel der neueren wissenschaftlichen Entwickelung ist, das wahrhaft realistische und mit der voUen Natur geeinigte Gegenbild jenes ▼on der Natur noch entfremdeten und mittelalterlich idealisti- schen Bewusstseins , das in der Kantischen Kritik seinen Aus- druck fand. Biaubeuren. K. Ch. Planck. Zur Entwiokeliing der Willensäusserungen im Thierreioh. Erster Artikel. Ein Versuch, sammtliche Willensäusserungen oder eine Gruppe derselben auf eine Grundform zuruckzufühi*en und die phylogenetische Entwickelungsreihe derselben zu zeigen, war vor der Kenntniss der biologischen Entwickelungsgesetze, welche bei der Entwickeiung der Organformen zur Geltung kommen, nicht gut möglich, ist aber auch nach unserem Bekanntwerden mit diesen Gesetzen bis jetzt, meines Wissens, noch nicht ge- macht worden. In ihrer psychologischen Werthigkeit sind die Willens- äusserungen zum Nahrungserwerb, zum Sdiutz, zur Liebes- werbung und Brutpflege noch nicht einmal systematisirt, ge- schweige, dass deren allmälige Entstehung und Entwickeiung gezeigt worden wäre. Wir haben ein System aller animalischen Bewegungen, also auch der wiUkührlichen, von Job. Müller, aber das ist ein System in Rücksicht der physiologischen Werthigkeit Die Eintheilung der sog. thierischen Kunsttriebe von Reimarus. aber hat nur noch historisches Interesse. Um die Willensäusserungen der verschiedenen Thiere be- urtheilen zu können, ist es unbedingt nothwendig, deren Be- ziehungen zu einander zu kennen. Wenn schon die einzelnen Organformen ohne Kenntniss der Entwickelungsreihen unver- ständlich sind, so gilt das noch vielmehr von dem psycholo- gischen Werth einer Willensäusserung; denn die morpholo- gischen Gebilde können wir noch unmittelbar mit den Sinnen wahrnehmen y von dem Willen resp. Trieb eines Thieres beobachten wir nur den äusseren Effect. Es würde aber sehr Zur Entwickeluug der WilieusäusseruDgen im Thierreich. 177 übereilt und falsch sein, wenn man nach jedem verschiedenen Effect einer willkührlichen Bewegung auf einen anderen Willen schliessen wollte. Der äussere Erfolg ist abhängig von den morphologischen Verhältnissen eines Thieres und diese sind Producte der Selection. Wie wir in vorliegender Arbeit sehen werden, kann ein und dieselbe Bewegung, die Gontraction des gesammten Körpers: 1) ein Entfernen vom Ort der Gefahr, 2) ein Bergen der feineren Organe, 3) ein Zurück- ziehen in die schätzende Hülle, 4) sogar ein Auspressen von Vertheidigungsmitteln u. a. m. zur Folge haben. Wollte man nun den Willen der verschiedenen Thiere nach dem äusseren Effecte beurtheilen, so müsste man im ersten Falle annehmen, das Thier sei sich bewusst, dass es sich durch Entfernung vom Ort der Gefahr vor dieser retten könne, im zweiten Falle musste man dem Thiere ein Bewusstsein davon zuschreiben 1) welches die feineren Organe sind, 2) dass diese am meisten gefährdet sind und 3) dass durch deren Beschädigung das Thier am meisten verliert; im dritten Falle musste man glauben, das Thier habe ein Bewusstsein von der Werthigkeit seiner Hülle und von der Zweckmässigkeit seines Zurückziehens; und im vierten Fall müsste man gar ein Bewusstsein nicht nur vom Vorhandensein der Waffen, sondern auch von deren Werthig- keit resp. deren Wirkung voraussetzen. Damit kämen wir aber dahin, schon bei den niedersten Thieren, nämlich bei den Protozoen und Zoophyten klare Vorstellungen und Ideenver- bindungen anzunehmen. Die wissenschaftliche Wertlüosigkeit der meisten bisherigen Beu^theilungen thierischer W^illensäusserungen hat ihren Grund zum grossen Theil darin, dass man dieselben nach dem äusseren Erfolg, nach ihrer Zweckmässigkeit beurtheilt hat Nun hatte man ganz Recht, wenn man bei den niederen Thieren nicht die klaren Reflexionen über die relative Zweckmässigkeit der Be- wegungen voraussetzte, wie solche beim Menschen in den meisten Fällen stattfinden, und so kam man auf die Theorie des Instinktes. Auch Brehm, der uns ja das meiste Material an Beobachtungen über Thiergewohnheiten gesammelt hat, weiss Vierteljahrssclirift f. wissenschaftl. Philosophie. III. 2. ]2 178 O. H. Schneider: dieselben aber nicht nach deren psychologischen Werthigkeit zu beurlheilen, und aus diesem Grunde hat sein Werk ?erhältniss- massig wenig wissenschaftlichen psychologischen Werth. Brehm geht der Annahme vom Instinkte zu Leibe/ fallt aber in den anderen Fehler, alle Gewohnheiten der Thiere für zweck- bewusste zu halten. Das kommt nur daher, weil er sie einzig nach ihrer Zweckmässigkeit, nach dem äusseren Effecte beurtheilt. Die Erhaltung der Art erweist sich als der Endzweck aller thierischen Bewegungen , und insofern als der Effect einer Willensäusserung diesem Endzwecke dient, ist allerdings der Zweck einer Bewegung nicht die Bewegung selbst, sondern der äussere Erfolg derselben. Dass aber dieser Effect ein zur Er- haltung der Art (wozu natürlich auch die Erhaltung des Indi- viduums bis zu einer gewissen Zeit nöthig ist) zweckmässiger ist, das hat seinen Grund nicht immer in den Reflexionen eines Thieres, sondern in den meisten Fällen liegt die Ursache hierzu in der Selection. Die Folgen der Selection sind eben nicht nur die alleinige Erhaltung der relativ zweckmässigen Organe und physiologischen Funktionen, sondern auch der zweckmässigen Willensäusserungen. — Dass die Zweckmässigkeit des Effectes einer Bewegung sehr oft ihre Ursache in der Selection hat, geht schon daraus hervor, dass dieser Effect ganz und gar durch die morphologischen Gebilde bedingt ist und man diese selbst als durch die Selection entstandene annehmen muss. Um aber die Bewegung und somit den Trieb resp. Willen kennen zu lernen, welcher einem Effecte zu Grunde liegt, ist es nothwendig diejenige Bewegung aufzufuhren, welche ver- schiedenen Effecten gemeinsam zukommt. Das ist die *eine Aufgabe vorliegender Arbeit. Eine andere Aufgabe ist die, zu zeigen, dass alle verschiedenen Schutzbewegungen, auch solche, denen verschiedene Triebe zu Grunde liegen, sich aus einer Grundform entwickelt haben, dass die verschiedenen Triebe Differenzirungsprodukte eines urspräuglich einzigen Triebes sind. Dabei kommt von selbst zugleich die Frage zur Er- ledigung, innerhalb welcher Thierklasse eine solche Willens - differenzirung zuerst deutlich zu erkennen ist, welche gewiss Zar Entwickelung der WillensäusserungeQ im Thierreicb. 179 för die yergleichende Psychologie ebenso grosse Bedeutung hat, als die Gewissheit voin ersten Auftreten bestimmter Organe für die yergleichende Anatomie. Die Besprechung der Differenzirungen soll sich aber in vorliegender Arbeit nur auf die Triebe beschränken, welche sich direkt aus der Grundform entwickeln. Es werden also folgende Fragen zu beantworten sein: 1) Welches ist die Grundform der Schutzbewegungen, und ist diese eine willkührliche? 2) Welche verschiedenen Effecte sind auf diese Grundform und den sie bedingenden Grundtrieb direkt zurückzuführen? 3) Welche anderen Triebe und Bewegungen diiTerenziren sich direkt aus der Grundform , und in welchen Thierklassen ist diese Differenzirung zuerst deutlich erkennbar? Hierzu will ich gleich im Voraus bemerken^ dass, wenn auch die meisten hier zur Sprache kommenden Thatsachen den Zoologen bereits bekannt sind, ich es doch nicht unterlassen habC; alle diese Beobachtungen auch selbst anzustellen, sie also sämmtlich zu conlroliren und zwar von den oben angeführten Gesichtspunkten aus, da die meisten Beobachtungen hierüber bisher ohne bestimmten psychologischen Gedanken gemacht wurden, wobei dann oft das wichtigere Element übersehen und Unwichtigeres festgehalten wurde. Aus letzterem Grunde ist von dem ungeheuren Material, welches z. B. Brehm über Thiergewohnheiten gesammelt hat, nur weniges für eine wissen- schaftliche vergleichende Psychologie zu verwerthen. Zu einer solchen Verwerthung müssen alle Gewohnheiten noch einmal von den oben besprochene i Gesichtspunkten aus beobachtet werden; wozu ich, soweit dieselben besonders Seethiere be- treffen, an Kreta's Küste und in Neapel reichliche Gelegenheit gehabt habe. — Wie das Prinzip aller physiologischen Vorgänge in einem Thiere und überhaupt in einem Bion ein zweifaches ist, näm- lich ein centrifugales und centripetales, resp. ein Prinzip des Abgebens und Aufnehmens; so lasst sich auch, wenigstens bei den niedersten Thieren, in den Willensäusserungen 12* 180 <^* H. Schneider: nur ein doppeltes Prinzip beobachten, ein expansives und contractives; und nach meiner individuellen Ansicht lassen sich alle Willensausserungen auch der höchst entwickelten Thiere aus diesen beiden BewegungsprinapieU; resp. aus zwei Trieben, einem Expansionstriebe und Contractionstriebe ableiten. Der Contractionstrieb bildet nun die Grundlage alles WoUens zum Selbstschulze, und die Contraction des ge- sammten Körpers, wie wir sie bei den niedersten Thieren beobachten, ist die Grundform aller Schuizbe- wegungen, und zwar i) weil sie die Schutzbewegung ist, welche in der phylo- genetischen Entwickelungsreihe zuerst auftritt und bei den niedersten Thieren Oberhaupt die einzig vorhandene bildet; 2) weil sie die einzige Schutzbewegung ist, welche in irgend welcher Formabänderung in allen Thierklassen von den Protozoen bis zum Menschen vorkommt; 3) weil sich die übrigen Schutzbewegungen direkt oder indirekt aus ihr differenziren. — Die niederen Protozoen (Moneren, Amoeben und Rhizo- poden) zeigen nur primitive Willensäusserungen zur Nahrungs-^ suche und zum Schutze, ersteren liegt das expansive, letzteren das conti*active Prinzip zu Grunde. Zur Nahrungssuche und Ortsbewegung hierzu stülpen die Moneren und Amoeben eine oder mehrere Partien des Proto^ plasmas aus, und die Rhizopoden dehnen^ wie bekannt, einen Theil der Sarkode zu einer Menge Pseudopodien aus, die nach Ha ekel u. a. Zoologen nur als weiter entwickelte homologe Formen der primitivsten pai*tiellen Verlängerungen, wie wir sie bei den Moneren beobachten, zu betrachten sind, und mit Hilfe deren die Thiere sowohl Ortsbewegungen ausführen, als auch tastend nach Nahrung umhersuchen. Um bei der Nahrungs^ suche möglichst vielseitige Berührungen mit andern Körpern zu bekommen, werden möglichst viele Sarkodefaden gebildet und diese im Yerliältniss zur Körpergrösse ungemein lang ausgestreckt Wird dagegen ein Rhizopod unangenehm berührt, so zieht Zar £ntwickelang der WilleDsimsserangen im Thierreich. Igl ev zum Schutze alle ausgestreckten Theile zuräck und zu einem leblos scheinenden Klümpchen zusammen. Das ist die einzige Scbutzbewegung, der er überhaupt fähig ist. Wenn auch bei dem grössten Theile des ganzen Thier- reiches die Lokomotion sowohl zur Nahrungssuche, wie auch zum Schutze (Flöchten) stattfindet, so gilt das doch nicht von den Rhizopoden, die sich überhaupt nur sehr langsam zu be- wegen vermögen und zwar, wieHäckeP) beobachtet hat, und wie auch ich es gesehen habe, in ganz analoger Weise, wie die Echinodermen, besonders die Echiniden, indem sie ihre Pseudo- podien wie diese ihre Ambulacralfusschen anheften und durch Contraction ders^ben den übrigen Körper nachziehen. Solch langsame Lokomotionen sind zur Flucht schon gar nicht ge* eignet y sondern können nur die Nahrungssuche bezwecken; und für den Selbstschutz bleibt also, wie bemerkt, nur das Zusammenziehen. Bemerkenswerth ist jedenfalls die Thatsache^ dass man die rein physiologischen Bewegungen von den Willensäusserungen auch bei diesen niedersten Thieren schon deutlich unterscheiden kann ; und dass beide bis zu einem gewissen Grade unabhängig von einander sind. Als physiologische Bewegung ist die con- tinuirliche Sarkodeströmung von beiden Seiten der Pseudo* podien zu betrachten, welche, da sie diesen Fäden entlang geht und an deren Spitzen sich von 8er einen auf die andere Seite fortsetzt, eine centrifugale und centripetale zugleich ist, und augenscheinlich dazu dient, in ihrer centripetalen Richtung Nahrungspartikelchen dem Körper zuzuführen und in ihrer centrifugalen Richtung die Sekretionen fortzuschaffen, gleichwie bei den entwickelteren Thieren das Blut die aufgenommene Nahrung allen Theilen des Körpers zuführt und zugleich die Sekretionen mit fortnimmt und in den betreffenden Organen zur Weiterschaffung abgiebt. Die Willensäusserungen dagegen bestehen in dem Aus- strecken resp. partiellen Verlängern der Sarkodemasse zu den ^ Häckel: „Die Radiolarien" S. 181—132. 182 O. H. Schneider: feinen fadenförmigen Pseudopodien, in deren hin und her tasten- dem Suchen nach Nahrung, in dem Zusammenziehen der Sar- kode zum Schutz und in dem Anheften der Fäden und den Contractionen derselben zur Lokomotion. Hier könnte man freilich die Frage auf werfen, ob die letzteren Bewegungen in der That willkuhriiche sind, also auf einem Tiieb beruhen, oder nur automatische, von denen das Thier nichts fühlt. Das einfache Ausstrecken und Zusammen- ziehen könnte allerdings auch nur eine physiologische Ursache haben ; ja, das Zusammenziehen zum Schutze macht nicht nur bei den Rhizopoden, sondern auch bei den Wimperinfusorien, bei allen Zoophyten, den Holothurien, Gasteropoden und den meisten Würmern den Eindruck* einer automatischen und* wenn man will, einer rein mechanischen Bewegung; und zeigten die Thiere ihr Bewusstsein nicht bei ihren Bewegungen zur Nahrungssuche und Liebeswerbung, so würde ich nichts gegen die Ansicht Hacke Is sagen, nach welcher die Bewegungen dieser niederen Thiere auf gleiche Stufe mit den Bewegungen, welche bei Pflanzen vorkommen, zu stellen sind. Auf jeden Fall hat Häckel, der wohl die meiste Kenntniss der niederen Thiere besitzt, richtig beobachtet, dass deren Be- wegungen sich bedeutend von denen der höheren Thiere unter- scheiden. Das tastende Umhersuchen dagegen , welches auch ich sehr deutlich schon an Rldiolarien beobaclitet habe, sowie das Ausstrecken der Pseudopodien, Anheften und die Con- traction derselben zur Ortsbewegung ist nicht aus physiologi- schen Ursachen allein zu erklären. Es ist nicht der Zweck vorliegender Arbeit auf die Unter- schiede der Pflanzenbewegungen und derjenigen der niederen Thiere näher einzugehen; aber soviel sei hier bemerkt, dass ein Umhersuchen durch so lebhatles Hin- und Hertasten, wie es die Rhizopoden zeigen, und wie es sich in den verschiedeil- sten Formen durch alle Thierklassen fortsetzt, dass ein augen- scheinliches Suchen nach einer Beziehung zur Aussen weit ohne besonderen äusseren Reiz bei keiner Pflanze vorkommt Sind aber die Bewegungen zur Nahrungssuche auch bei den Proto- Zur EntwickeluDg der Willensäusaerungen im Thierreicb. 183 zoen schon willkübrliche , so haben wir keinen Grund , der Schutzbewegung den Charakter einer bewussten Action ab- zusprechen, um so mehr, als sich dieselbe Bewegung, nur in gewissen Modificationen^ in allen Thierklassen, zum gleichen Zwecke ausgeführt, wiederfindet, und dort zweifellos eine be* wusste ist. Aber diese Thiere haben ja weder Sinnesorgane noch überhaupt Nerven! Wenn wir allerdings nicht wussten^ dass sich die Proto- zoen auch ernährten und fortpflanzten ohne besonders differen- zirte Organe hierzu, dann würden wir auch nicht berechtigt sein, eine Zustandsunterscheidung, d. h. ein Fühlen oder Empfinden bei denselben für möglich zu halten ohne Nerven- apparate ; denn das Reaguren auf einen Reiz ist ja noch kein Beweis für das Vorhandensein einer Bewusstseinserscheinung* So sehen wir aber, dass alle vegetativen Funktionen stattfinden ohne besondere morphologische DitTerenzirungen hierzu ; warum soll nun nicht auch ein Fühlen, ein Spüren irgend welcher Zustandsveränderung ohne Nerven stattfinden können, umsomehr als wir bei der Nahrungssuche der Thiere deutlich wahr- nehmen, dass sie gewisser Unterscheidungen fähig sind, ohne welche Fähigkeit das Tasten keinen Zweck hätte, gar kein Tasten genannt werden könnte? Max Schultze^) sagt sehr richtig: „Die von mehreren Seiten erhobenen Zweifel gegen die Existenz einer organischen Substanz, welche, ohne deutlich faserig zu sein, ausgezeichnete Contractilität besitze, empfinde ^ und auf die Empfindungen reagiren könne, ohne dass besondere, von den Muskelfasern verschiedene, empfindende Organe in derselben differenzirt seien, werden durch die unbefangene Beobachtung des Spides der Gromia- und anderer Foraminiferenfortsätze gänzlich be- seitigt/' Sowohl das Ausstrecken zur Nahrungssuche als auch das ^) Max Schultze: „Ueber den Organismaa der Polytha]a< mien" S. 16—17. Leipzig 1854. 184 G. H. Schneider: Zusammenziehen zum Schutz Seitens der Rhizopoden können ivir also ohne Bedenken als willkührliche Bewegungen be- trachten, freilich nicht in dem Sinne, dass diese Thiere eine Vorstellung vom Zwecke derselben hätten, wohl aber in der Bedeutung 4 dass sie einen Trieb zur Ausführung dieser Be- wegungen fühlen. Dass aber mit einer unangenehmen Be- rührung der Trieb zum Zusammenziehen und bei Nahrungs- mangel der Trieb zum Ausstrecken entsteht, diese zweck- mässigen Verhältnisse müssen wir uns durch die Selection ent- standen denken, so gut als andere zweckmässige Erscheinungen der Lebewesen. — Das Zusammenziehen hat hei den Moneren und Amoeben nur einen Effect, nämlich die Entfernung der angegriffenen Theile vom Ort der Gefahr. Bei den Rhizopoden dagegen ist dieser Effect bereits ein mehrfacher. Es entfernen sich nicht nur durch die Contraction die unangenehm berührten Theile vom Ort dieser Berührung, sondern es werden auch die Sar- kodefaden eingezogen und so also die feineren tastenden Theile der Sarkode geborgen; und da die Foraminiferen ein- oder mehrkammerige Schalen und die Radiolarien Kieselgitter gleich- sam als schützende Hüllen ausscheiden, in denen sich immer die Hauptmasse des Körpers befindet, und in welche die Sar- kodefäden zurückgezogen werden, so ist das Zusammenziehen zugleich ein Zurückziehen in die schützende Hülle. Dieser dreifache Effect wird aber nur durch eine einzige Bewegung erzielt , durch die einfache Contraction des ganzen Körpers, und es ist klar, dass diese eine Bewegung auch nur durch einen undifferenzirten Schutztrieb verursacht wird, während die Mannigfaltigkeit des Effectes durch die Organisation resp. morphologische Beschaffenheit der Thiere bedingt ist. Bei den meisten Wimperinfusorien fällt der eine Effect, das Zurückziehen in schützende Hüllen, einfach deshalb weg, weil diese Thiere keine Hüllen bewohnen. Um so eclatanter sind die beiden anderen Effecte, die sich besonders schön bei den Vorticellen und Stentoren beobachten lassen. Wird ein Vorticellenstöckchen unangenehm berührt, so fahrt das schön iZur Entwickelang der Willensäusserangen im Thierreich. ]g5 :aasgebreitete Glockenbäumchen , wie bekannt, zu einetn un- förmigen Klumpen zusammen; damit werden aber die Glocken- Ihiere in einem Augenblicke sehr weit vom Ort der Gefahr entfernt; und zu gleicher Zeit werden die grossen Wimpern, welche das Peristomfeld umgeben ^ eingelegt. Derselbe Effect entsteht, wenn sich ein angehefteter und lang ausgestreckter :Slentor plötzlich zusammen- und sich damit nach der Anhefte- stelle zurückzieht. Nun ist das Entfalten der Wimpern und Strudeln mit den- selben vom Ausstrecken des öbngen Körpers offenbar unab- hängig, und der Expansionstrieb ist bei den Wimperthieren also in einen Strecktrieb und Strudeltrieb differenzirt, ja, man kann ausserdem noch einen Schwimmtrieb und Tasttrieb unter- scheiden, da alle die betreffenden Bewegungen in verschiedener Weise und in gewissem Grade unabhängig von einander aus- geführt werden. Während aber der Nahrungs- resp. Expan- sionstrieb so weit differenzirt ist, so scheint der Schutz- resp. Contractionstrieb noch ein einfacher^ undifferenzirter zu sein; denn ich habe nie beobachtet, dass ein Wimperthier zum Schutze nur die Wimpern einlege oder nur den übrigen Körper 2usammenziehe. Handelt es sich in der That um den Schutz bei irgend welcher unangenehmen Berührung, so erfolgt immer Beides zugleich; mit der Gontraction des Körpers erfolgt das Einlegen der Wimpern, wie es scheint, von selbst^ ohne dass hierzu noch ein besonderer Trieb nötbig wäre. Das hat aber nichts Befremdendes, weil sich der Nahrungstrieb überhaupt früher weiter entwickelt als der Schulztrieb, wie ja auch der Nahrungstrieb der Rlnzopoden sich schon in einen Streck-, Lokomotions- und Tasttrieb differenzirt hat, während der Schutztneb der einfachen Bewegung nach noch ein einziger, undifferenzirter ist. Aber sdbst bei den Zoophyten, speziell bei den KoraDen- ihieren, ist das Zusammenziehen des Körpers und das Einziehen der Tentakeln im Allgemeinen psychologisch, wie es scheint, noch nicht gelrennt; mit der Gontraction des Körpers ziehen sich immer zugleich die Tentakeln zusammen. Dass sie dabei 186 G. H. Schneider: ganz eingezogen und von der lederartigen Oberhaut des Thierei» ganz überdeckt und so voUkommen geschätzt werden, darf man nicht als ein Bestreben des Thieres deuten, sie zu bergen, sondern das liegt in der Organisation resp. in der Stellung der Tentakeln und in der Art und Weise, in welcher die Con- traction verlauft, nach welcher die Theile, die sich beim Aus* strecken zuletzt herauskehren, nämlich der Mund und die nächste Umgebung, zuerst und am meisten zurückgezogen werden. Trotzdem aber bei der Nahrungssuche ^die Tentakeln Be- wegungen ausführen, welche von einer Expansion und Con* traction des übrigen Körpers ganz unabhängig sind, so beobachtet man dagegen, dass bei der Schutzbewegung die Contraction de» Körpers und das Einziehen der Tentakeln immer zusammen erfolgt Berührt man nur leise eine Tentakel, so ist bei dem geringen Reiz natürlich auch der Contractionstrleb sehr gering^ wie ja eine solche graduelle Yerscliiedenheit schon bei den Protozoen zu beobachten ist, es zieht sich dann diese Tentakel etwas zurück, während die anderen mehr oder weniger ihre Stellungen behalten; aber zu gleicher Zeit kann man eine, wenn auch noch so geringe Contraction des ganzen Körpers wahrnehmen, Ist endlich die Berührung eine äusserst vorsichtige und leise, und findet sie nur an einer Tentakelspitze statt, so erfolgt zwar nur das Zurückbiegen dieser Spitze; allein in diesem Falle hat das Thier auch höchst wahrsch^nlich keinen Schutztrieb, son- dern die Berührung ist dem Thier nur insofern nicht gleich- giltig, als es gewöhn l ist, die Tentakeln frei im Wasser schweben zu lassen und dieselben von jedem festen Körper, den sie he-* rühren, zu entfernen, falls dieser nicht ein Nahrungsobjekt ist. Bei den freischwimmenden Coelenteraten ist nun allerdings ein von der allgemeinen Körpercontraction unabhängiges Zu- sammen- resp. Zurückziehen der Tentakeln und Fangladen zu beobachten, so dass man hier auch eine anianglidie Dilfferen- zirung des Contractionstriebes annehmen kann; allein wegen der eigenthümlichen Organisation dieser Thiere vermag man über dieses Bewegungsverhältniss nicht sicher zu urtheilen. Die Quallen sind, abgesehen von der Schwimmbewegung, überhaupt Zur EntwickeluDg der WiUeiuiiasserungeD im Thierreich. 187 keiner stärkeren Confraction fähig, und bei den Siphonophoren sind ja die einzelnen Organe zugleich selbststandige Individuen. Die so weit degenerirten Spongien erinnern in ihrer Con- traction der Sarkode mehr an die Rhizopoden, als an ii*gend welche andere Thiere. Die freischwimmenden Coelenteraten und Rorallenthiere haben nun aber noch ein anderes Schutzmittel ausser der Con- traction an sich, das ist das Yerthddigen mit den Nesselorganen. Die wichtigste Funktion dieser Gebilde ist wohl das Vergiften kleinerer Beutethiere; allein da sich die Nesselkapseln bei jed- weder Berührung entladen, so dienen sie, ohne dass das Tfaier vielleicht das geringste Bewusstsein davon hat, zugleich als Ver- theidigung. Die Mesenteriallllamente der Actinien sind aus- schliesslich zu letzterem Zwecke vorhanden. Dieselben werden, wie auch ich das so oft beobachtet habe, bei jedesmaligem starken Zusammenziehen überall aus dem Körper herausgepresst Ob aber die beiden verschiedenien Vorginge, die Contraetion und das Heraustreten der Nesselbatterien, auch psychologisch verschieden sind und auf einem zweifachen Triebe beruhen, ist nicht sicher festzustellen. Es hat mir, wenn ich solche Tliiere reizte, zuweilen scheinen wollen, als ob das Austreten der Mesenterialfilamente nicht allein vom Zusammenziehen des Kör- pers abhängig wäre^ indem sie zuweilen sofort ausgepresst wurden und in anderen Fällen wieder nicht zum Vorschein kamen, wenn auch der Körper bereits sehr stark zusammen- gezogen war; allein diese Verschiedenheit kann auch an mor- phologischen Verhältnissen liegen. Im Allgemeinen erfolgt das Heraustreten der Nesselbatterien erst bei stärkerer Contraetion und macht den Eindruck, als ob es eine unmittelbare Folge der Contraetion sei. Als ich mir einst eine grosse Anzahl von Eupagurus Pridanxii, welche mit Adamsien versehen waren, in meinem Privataquarium in Neapel hielt, um näher zu unter- suchen, auf welche Weise der Einsiedlerkrebs die U^bersiede- lung der Adamsia zu Stande bringt^ beobachtete ich sehr ofl, dass, wenn ich den Krebs attakirte, er die Actinie mit einer Scheere in deren Tentakelkranz kneipte; und darauf traten 188 G. H. Sehneider: jedesmal die Waffen des Blumenthieres heraus, weil sich in Folge dieser Behandlung Seitens des Krebses das Thier sehr stark zusammenzog. Es könnte noch die Behauptung aufgestellt werden, dass das Thier die Contraction nur als Mittel zum Zweck benutze. Auf diesen Gedanken kann man kommen, wenn man die Willensäusserungen nur nach dem äusseren Effect der Be* wegungen beurtheilt. Bei dem grössten Theile der niederen Thiere ist das Zusammenziehen die einzige Schutzbewegung^ deren sie fähig sind; und die zwedimässigen äusseren Erfolge derselben sind nur als unbewusste Effecte zu betrachten, von denen es auch gar nicht nothwendig ist, dass sie den Thieren bewusst sind ; sie kommen in dem einen Fall so gut zu Stande, wie in dem andern. Der Trieb zur Contraction genügt, nach- dem ein Thier so oder so organisirt ist, um sich auf diese oder jene Weise schätzen zu können. So haben wir auch das Aus- pressen der Waffen Seitens der Actinien wohl nur als einen äusseren Effect der Contraction anzusehen, was noch mehr ein- leuchten wird, wenn wir jetzt die Effecte betrachten, welche die einfache Contraction bei den Echinodermen , Wurmern und Mollusken zur Folge hat. Es ist bekannt, dass die Röhren holothurie, wenn man sie in die Hand nimmt oder sie in Spiritus thut, im ersten Fall zuweilen, im letzten Fall fast immer die ganzen Eingeweide zum Mund berauspresst Dieser merkwürdige Vorgang nimmt nach meinen Beobachtungen folgenden Verlauf. Nimmt man das Thier aus dem Wasser, so zieht es sich einfach zusammen ganz in der Weise wie die Actinien. Die nächste unmittelbare Folge davon ist, dass das aufgenommene Wasser in weitem Strahle ausgespritzt wird, ähnlich wie ja die Muscheln auch beim plötzlichen Schliessen ihrer Schale das Wasser im Strahle auspressen. Es wäre jedenfalls sehr naiv, wenn man annehmen wollte, das Thier ziehe sich zusammen mit der Vorstellung, den Angreifer dadurch voll zu spritzen. Der Wasserstrahl ist eben nur ein unmittelbarer und unbewusster Effect der Con- traction. Behält man nun die Holothurie noch länger in der Zur Entwickelung der WillensäusseroikgeQ im Thierreich* lg9 Hand und reizt sie womöglich noch besonders, so wird die CkMStraetion immer iatensiyer; und was geschieht nun? Es tritt die bekannte milchweise klebrige und ungemein haftende Substanz ausy mit welcher man in Ekel erregender Weise besudelt wird, und die sich sehr schwer wieder entfernen lässt Da diese Substanz kleineren Thieren auch den Tod bringt, wie ich beobachtet habe, weil sich dieselben nicht wieder los machen können, und da jedenfalls auch allen grösseren Seethieren so gut wie dem Menschen diese klebrige Hasse unangenehm ist, so ist das Aus- pressen dieser Substanz als ein Vertheidigungsmittel zu be* trachten. Diese Vertheidigung ist aber ebensowenig bewusster Zweck der Coniraction, als es das Wasserausspritzen ist, son- dern kann eben nur als ein unbewusster, zweckmässiger, durch die Seleclion erworbener Effect des bewussten Zusammen- ziehens betrachtet werden. Quält man nun die Holothurie noch weiter oder wirft sie zur Tödtung in Spiritus, so steigert sich die Intensität der Con- traction noch mehr und, jedenfalls gegen das Interesse des Thieres, bis zu einem solchen Grad, dass schliesslich die Ein- geweide zum Mund herausgepresst werden. Von diesem Effect der Contraction wird nun Niemand mehr behaupten wollen, dass er ein dem Thiere bewusster Zweck sei; denn es kann unmöglich im Interesse des Thieres liegen, die feineren Organe, welche allgemein im Thierreiche bei irgend welcher Gefahr so viel wie möglich geborgen werden, blos zu legen und den An- griffen auszusetzen, während sie im Leibe durch die derbe lederartige Haut des Tliieres sehr gut geschützt sind. Sobald ich eine Röhrenholothurie nur einige Zeit in die Hand nahm, wurde durch die Contraction wohl das Wasser ausgespritzt und die Vertheidigungssubslanz ausgepresst, aber niemals wurden die Eingeweide herausgedrückt, was indessen regelmässig er- folgte, wenn ich die Thiere in Spiritus warf, wo dann die Contraction durch den Alkohol offenbar so beeinflusst wurde, dass sie sich über den Willen des Thieres hinaus steigerte. Wenn nun das Ausspritzen des Wassers und das Aus- pressen der Eingeweide kein bewusster Zweck, sondern nur 190 &• H. Schneider: unmiitelbare Folge der Contraction ist, so kann man auch das Heraustreten der Vertheidigongsinasse nur als einen unbewusslen unmittelbaren Effect der Contraction betrachten ; und man sieht hieraus, wie das Vertheidigen der Actinien und anderer niederer Thiere zu beurtheilen ist. Aehnliche Erscheinungen werden wir unten bei den Gasleropoden wieder finden. i Was nun die Contraction an sich bei den Holothurien be- trifft, so scheint auch bei diesen Thiereu der Schutztrieb noch ein^ einfacher oder sehr wenig differenzirter zu sein. Fast alle Holothurien ziehen bei jedweder unangenehmen Berährung, die einen Schutztrieb erweckt, gleich den ganzen Körper stark zu- sammen, wobei immer auch die Tentakeln eingezogen werden. Die Pentacta (Klettenholothune) vermag die baumt'örmig ver- ästeUen Tentakeln allerdings eine nach der andern zu con- trahiren, ohne dass der übrige Körper im geringsten Masse dabei in Mitleidenschaft gezogen würde ; die Contractionen der einzelnen Tentakeln sind ganz unabhängig von einem Zu- sammenziehen der übrigen Körperlheile. Aber zu welchem Zwecke werden diese Tentakelcontractionen ausgeführt? Um die Tentakel in den Mund zu stecken und sie abzuschlecken, also die kleinen Thierchen, welche sich daran gesetzt haben, zu fressen; also wieder zum Nahrungserwerb ^). Beim Schutz- trieb ist die Sache anders. Wenn man das Thier auch nur an einer Tentakel irgend ein wenig unangenehm berührt, so dass das Thier einen Schutztrieb fühlt, so zieht sich auch, nicht allein diese Tentakel, sondern zugleich der übrige Körper wenn auch nur wenig zusammen. Nur bei ganz leisen Be- rührungen ist letzteres nicht der Fall; allein dann weiss man auch nicht sicher, ob ein Schutztrieb überhaupt entstanden ist. Immerhin ist zu vermutheU; dass eine anfängliche Differen- zirung des Contractionstriebes bei der Pentacta vorhanden ist Bei den Echiniden und Ästenden beschränkt sich die Con- *) Diese Art der Ernährung Seitens der Pentacta ist meines Wissens erst im neapolitaner Aquarium deutlich beobachtet worden; und ich kann mich mit zu den ersten Beobachtern derselben zählen. n Zur Entwickelang der WillentSusserungen im Thierreich. 191 traction zum Schutze, soweit sie äusserlich und sichtbar ist, nur auf die Ambulakralfösschen ; und zwar hat sie bei diesen Thieren wieder einen anderen Schutzeffect, als bei allen bisher besprochenen. Da diese Echinodermen immer eine grosse Anzahl dieser Saugfusschen an ihrer Unterlage angeheftet haben, um sich daran fortzuziehen^ so ist, sobald die Fusschen contrahirt wer- 4len, der Erfolg der^ dass sich die Thiere fester an die Unter- lage anziehen und nun nicht so leicht abzunehmen sind. Wenn man plötzlich einen Echiniden anfasst, so kann man dieses festere Anziehen an einem kleinen Ruck spuren. Bei den Ophiuren ist der Effect des Contractionstriebes ein Anziehen der Arme, welches aber, wie wir unten sehen werden, regelmässig zu einer ganz neuen Schutzbewegung, zum Flächten fuhrt. Bei den Würmern und Gasteropoden verursacht der Gon- tractionstrieb dieselben Effecte, als bei den bisher besprochenen Thieren, nur zuweilen in ausgeprägterer Form. Wie bei den Actinien und Holothurien, so werden auch bei manchen Schnecken durch die Gontraction des Körpers gewisse Yer- theidigungsmittel ausgepresst. DoUum spritzt, gereizt, aus der Mundöffnung in weitem Strahle eine starke Säure aus, Aplysia giebt Anilin yon sich, und auch Pneumodermon sondert bei Angriffen eine Flüssigkeit ab. Ganz wie bei den genannten €oelenteraten und Echinodermen erfolgt das Auspressen dieser Yertheidigungsmittel nicht sofort, sondern erst, wenn die Gon- traction einen gewissen Grad der Intensität erreicht hat, wie ich sehr oft constatiren konnte. Der Gontractionstrieb allein genügt auch hier bereits, um einen solchen Effect zu erzeugen, und es ist bei den Schnecken so wenig anzunehmen, dass das Auspressen der Veriheidigungsflüssigkeiten ein bewusster Zweck der Gontraction sei, als bei den vorher genannten Thieren. So gut das Vorhandensein dieser Flüssigkeiten resp.' das physio- logische Vermögen sie abzusondern ein Produkt der Selection ist, so gut ist es auch die Organisation, wonach sie bei der Gontraction des Körpers heraustreten. 192 Gt. H. Schneider: Bei allen Röhrenwürmern aad solchen Schnecken, welche ein (iehause bewohnen, ist der Effect der Contraction stets eia Zurückziehen in die schützende Hülle, welcher bei diesen Thieren nun bedeutend ausgeprägter ist als etwa bei den Rhizo- poden. Da nun manche Schnecken und einige Serpeliden am vorderen Körperende eine kalkige Platte haben, welche in die Oeffnung des Gehäuses resp. der Röhre passt, so yerbindet sich mit dem Effect des Zurückziehens zugleich noch ein an- derer, nämlich das Verschliessen der Oeffnung. Dass auch dieser zweckmässige Effect nur ein unbewusster ist, zu dem ausser dem Contractionstrieb kein anderer Trieb mehr erforder- lich ist, sondern der ganz davon abhängt, ob durch die Se* lection eine Verschlussplatte erworben wurde oder nicht, braucht wohl kaum noch besonders hervorgehoben zu werden. Die Patellen erzeugen durch ihre Contraction denselben Effect als die Echiniden und Astenden, sie ziehen sich fest an ihre Unterlage, wodurch dann der Rand ihrer Schale zugleich mit dem Gestein in Berührung kommt, so dass die Thiere vollständig bedeckt werden. 'Bei den Muscheln ist die Contraction des Schliessmuskels jedenfalls unabhängig vom Einziehen des Fusses und anderer Körpertheile ; denn die Muschel streckt den Puss zur Lokomo- tion heraus und zieht ihn wieder zurück, ohne dabei die Schale zu schliessen« Trotz dieser Unabhängigkeit zieht eine Muschel, wenn man nur den ausgestreckten Fuss berührt, nicht nur diesen zurück, sondern schliesst auch stets die Schale, so dass bei der Schutzbewegung diese Unabhängigkeit nicht zu merken ist und es zweifelhaft bleibt, ob der auf Schutzbedürfniss be- ruhende Contractionstrieb bei diesen Mollusken differenzirt ist oder nicht. Die Schnecken zeigen nun eine solche Difierenzirung schon ziemlich deutlich. Berührt man eine Helix nur leise an den Fühlhörnern,* so stülpen sich diese ein, ohne dass sich die Schnecke in das Gehäuse zurückzieht; reizt man dagegen den ausgestreckten Schneckenkörper in der Nähe des Schalenrandes, so zieht sich das Thier in die Schale zurück; zu gleicher Zur Entwickelung der WiliensäuatieruDgen im Tbierreich. 193 Zeit stülpen sich aber auch die Fühlhurue r, ob* gleich sie nicht berührt wurden, ein. Das ist ein sehr bezeichnendes Faktum für die Art und Weise, in welclier die Differenziruug des Contractionstriebes vor sich geht. Schon bei den oben besprochenen Thieren der drei untersten Klassen ist, wie bereits hervorgehoben wurde, eine verschiedene Inten- sitätsstärke des Contractionstriebes bemerkbar, bei ganz leiser Berührung zieht sich das Thier oft nur wenig zusammen, bei stärkerem Reize dagegen mehr. Diese geringere Con- traction beschrankt sich nun nach und nach nur auf einzelne und zwar auf die gereizten T heile. ^chon bei den Holothurien imd Coelenteraten ziehen sicb^ ob- gleich der Contractionstrieb noch nicht deutlich differenzirt ist. die Tentakeln, wenn nur diese leise berührt werden, etwas mehr zusammen, als der übrige K&rper. Das tritt nun bei den Schnecken deutlicher zu Tage; hier ist die Contraction der Fühlhörner nicht nur etwa bei der Nahrungssuche, sondern auch beim Schutzbedürfniss in gewissem Sinne unabhängig von der Contraction des übrigen Körpers, so dass man bei den Schnecken wohl zwei Schulz- lesp. Contractionstriebe zum Schutz annehmen muss, nämlich einen weniger intensiven Trieb zum Einstülpen der Fühlhörner und einen intensiveren zur Contraction des ganzen Körpers. Dieser letztere schliesst aber den ersteren allemal mit ein, der weniger intensive Trieb ist ein Theil des intensiveren. Diese Difl'erenzirung ist also keine solche im Sinne etwa der Coordination , sondern im Sinne der Subordination; und diese Subordination ist hervorgegangen aus einer einfachen gra- duellen Abstufung und aus einei' aUmäligen Lo- kal isation der Contraction beim schwächeren Schutzlrieb. Viel deutlicher ist dieses Verhältniss der unterordnenden Willensdifferenzirung, wie wir gleich sehen werden, bei allen höheren Thieren ausgeprägt. Ehe wir zur Betrachtung derselben übergehen, sei noi-h einmal hervorgehoben, dass sich nach dem Vorhergeheüdeii Vierteljalirsschrift f. wissenschaftl. Philosophie. III. 2. 13 194 (*. H. Schneider: fast säminüiche Schutzgewohnheiten, welche in den vier unteren Klassen des Thierreiches und bei einem Theil der Mollusken vorkommen, nur durch die Organisation bedingte verschiedene zweckmässige Effecte eines einzigen Triebes resp. Willens sind. Zurückziehen vom Ort der Gefahr, Einziehen der empfindlicheren Organe, Auspressen von Ver- theidigungsmitteln, festeres Anziehen an die Unterlage, Zurückziehen in schützende Hüllen und Ver schliessen der Hüllen, all diese verschie- denen zweckmässigen Bewegungen erklären sich aus dem einzigen Vermögen auf eine unange- nehme Empfindung hin den Körper zusammen-4 ziehen zu können. Diese mannigfachen Effecte sind als Producte der Selection, und die Eigenschaft der Thiere, nach einem äusseren Reiz einen Tneb zur Gontraction fühlen und diese Gontraction ausführen zu können, ist ebenfalls als ein Produkt der Selection zu betrachten. — Zwischen aUen bisher besprochenen Thieren und allen höheren von den Gephalopoden und Grustaceen an aufwärts ist in psychologischer Beziehung nun ein bedeutender Unterschied beinerkbar. Während die Gephalopoden in morphologischer Beziehung ja mit den Gasteropoden zur Molluskengruppe ver- einigt sind, entfernen sich erstere in psychischer Beziehung sehr weit von letzteren, wie denn überhaupt eine psychologische Eintheilung der Thiere wesentlich andere Gruppen bilden würde als die morphologische. Ein i'äuberisches Leben und eine hohe Entwickelung der Sinnesthätigkeiten und der Willensäusserungen bedingen sich gegenseitig; die Gephalopoden, insbesondere die Octopoden gehören aber mit zu den fürchterlichsten Räubern des Meeres ; daher erklärt sich ihre hohe geistige Entwickelung, welche zu den psychischen Aeusserungen der anderen Mollusken einen starken Gontrast bildet. Psychisch stehen alle Gephalo- poden den Wirbelthieren näher als den Gasteropoden ^). — ^) Die Mollaskenklasse ist auch in rein morphologischer Be- ziehung eine ziemlich unglückliche; Gephalopoden und Gastero- poden sollten besser zwei verschiedene Thierklassen bilden. Zur Entwickelung der Willensäusserungen im Thierreich. I95 Bei allen ausgebildeten Arthropoden, Cephalopoden und den meisten Vertebraten hat der allgemeinere Contractionstrieb den Effect, welchen wir am besten mit dem Worte ,,Ducken^ bezeichnen, weil dieser Trieb ein Anziehen aller Extremitäten einschliesst, wodurch die Thiere alle mehr oder weniger an die Unterlage gedrückt werden. Man glaube aber nicht etwa, dass das Ducken eines Arthropoden dem Ducken eines Raubsäuge* thieres psychologisch gleichwerthig sei, zwischen dem einen und dem andern liegt eine lange Enlwickelungsreihe. Von diesem allgemeineren Contractionstrieb, der das Ducken erzeugt, ist nun bei aUen hier genannten höheren Thieren der jenem unter- geordnete^ weniger intensive Contractionstrieb, welcher seine Wirkung nur auf einzelne Theile erstreckt, ganz deutlich differenzirt; aber das Yerhältniss der Subordination dieser beiden Triebe bleibt bei allen höheren Thieren bis zum Menschen bestehen. Wenn man, wie ich es oft gethan habe, vor ein Insekt oder einen Krebs ein Bretichen stellt, in dem sich ein kleines Loch befindet, durch dieses Loch eine Borste oder ein sehr dünnes Reis steckt und damit die Fühlhörner des Arthro- poden bei^ührt^ so werden nur diese zurückgebogen (der Krebs legt die Augen zurück, wenn sie berührt werden), ein Ducken erfolgt dabei nicht. Naht man demselben Thiere aber mit der Hand, so duckt es sich; und beim Ducken werden immer zugleich auch die Fühler resp. Augen mehr oder weniger zurückgelegt. Auch bei den Cephalopoden ist das Ducken und das Zurückfahren mit einer Armspitze ganz deutlich von einan- der getrennt, letzteres ersterem aber untergeordnet Diese partielle Contraction resp. das Zurückziehen einzelner Theile beschränkt sich indessen bei allen Arthropoden haupt- sächlich auf die Fühlhörner und erstreckt sich noch wenig auf die Beine. Wenn man ein Insekt in der vorhererwähnten Weise an einem Beine beunruhigt, ohne ihm auch mit der Hand zu nahen, so wird in der Regel nicht dieses Bein einzeln zurückgezogen, wie das bei den höheren Wirbelthieren der Fall ist, sondern das Thier duckt sich, wenn es nicht zu fliehen 13* 196 Gr- H. Schneider: * vermag, ^ur die höheren Krebse ziehen ihre Scheeren unab- hängig vom Ducken zurück, wenn man sich diesen naht. Das Ducken ist am besten bei solchen Thieren ausgebildet, welche nicht gut zu fliehen vermögen, weniger bei solchen, die sich ihres besseren Fluchtvermögens bewusst sind. Die Krabben ducken sich, so oft sich ihnen ein verdächtiges Ding nähert; Hummern und Langusten legen in diesem Falle nur ihre Fühl- hörner zurück^ gehen gravitätisch rückwärts, ducken sich fast gar nicht, sondern fliehen durch Schwanzschläge, wenn ihnen ein Feind gefährlich zu werden droht. Für die Maja hat das Ducken einen ganz besonderen Werth. Da sie sich mit Algen besteckt oder mit Steinen und Muschelschalenstückchen bedeckt und sich zum Theil in den Sand vergräbt, so scheint sie, wenn sie sich geduckt hat, mit dem Boden eins zu sein. — Bei den Pagurenarten hat die allgemeinere Coniraction den £fi'ect des Zurückziehens; dieses Zurückziehen geschieht aber mit voll- kommenem Bewusstsein der Zweckmässigkeit. Diese Krebse schätzen den Besitz eines Gehäuses so hoch, dass sie, wenn sie ohne solches sind, in der grössten Angst umherrennen und darnach suchen und dabei an kein Fressen denken, sondern die besten Bissen ruhig liegen lassen, so lange sie ihren Hinter- leib nicht wieder geborgen haben. Findet sich kein Gehäuse, so wird letzterer in der Noth auch unter einen Stein oder einen Algenfetzen gesteckt. Ein gefundenes Gehäuse wird sehr sorgfaltig von innen und aussen untersucht und etwaiger In- halt mit der Scheere herausgezogen. Alle diese Thatsachen habe ich in meinem Privataquarium in Neapel vielfach beobachtet. Ein Eupagurus Pridauxii wusste die Leinwand, mit welcher ich ein IVatica-Gehäuse, das mit einer Adamsia versehen war, fest verstopft hatte, nach fünfzehn Minuten mühevoller Arbeit zu entfernen ; das ist ein Beweis dafür, dass der Krebs die Werthig- keit eines solchen Gehäuses vollkommen kennt und zwar jeden- falls besser, als wir sie kennen. Das Zurückziehen der Paguren ist nun darnach nicht mehr als ein unbewusster Efiect der Contraction zu betrachten, wie bei den Schnecken, sondern als zweckbewusste That, die aber zur Gewohnheit geworden ist, Zur Entwickelung der WillensäusseruDgeD im Thierreich. 197 und deren Entstehung immerhin der Contractionstrieb zu Grunde li^ Mit welch klarem Bewusstsein das Zurückziehen Seitens der Paguren geschiebt, beweist die Thatsache, dass, wenn man ein Loch in die Schale macht, der Krebs sich nicht mehr zurückzieht, sondern die Schale womöglich verlässt. Eine sehr interessante hierher gehörige Beobachtung machte ich einst im Aquarium zu Neapel mit Herrn Dr. S. gemeinsam. Eine Schild- kröte hatte einen gio^sen Paguren in ihrem Bassin entdeckt. Sie schwamm auf ihn zu; der Krebs zog sich mit raschem Ruck zurück und verhielt sich ruhig in seinem vermeintlich sicheren Versteck. Vergebens versuchte die Schildkröte das harte Gehäuse zu zerbeissen; nach längerem fruchtlosem Be- mühen liess sie dasselbe wieder liegen und schwamm seitwärts, beobachtete es aber. Der Pagurus kam ruckweise heraus und suchte zu entfliehen, sofort kehrte auch die Schildkröte wieder zurück und packte die Schale, in welche der Krebs wieder verschwunden war, von neuem ; lange Zeit biss sie au derselben herum, aber der Krebs schien sich sicher zu fühlen und blieb ruhig in seiner Schale. Endlich gelang es der Schildkröte ein Loch in das Gehäuse zu beissen ; und von diesem Augenblick an streckte sich der Krebs heraus, zog sicii nicht ein einziges- mal wieder zurück, sondern zappelte mit seineu Beinen so lange herum, bis ihn das ungeschickte Reptil fallen liess; er floh und konnte sich noch rechtzeitig zwischen Steinen ver- stecken. Bekanntlich gelingt es gar nicht oder nur sehr schwer, einen Paguren aus seinem Gehäuse herauszuziehen, er lässt sich meist lieber zerreissen als seine Hülle zu verlassen. Nahm ich aber vom Gehäuse des Eupagurus Pridauxii die Actinie her- unter oder bohrte ich ein Loch in die Schale, dann verhess der Krebs immer freiwillig seine Wohnung. In ein Helix- gehäuse kann man ein Loch machen an welcher Stelle man will, kann auch die Schnecke am hinteren Körperende zer- drücken oder zerschneiden, sie verlässt das Gehäuse nicht, son- dern weiss sich nur zusammenzuziehen. Das beweist klar ge- nug, dass bei den Schnecken nur der Contractionstrieb bewusst, das Zurückziehen aber nur ein unbewusster in der Selection 198 <^- H. Scbueider: erworbener Effect der Contraction ist, während das Zurück- ziehen bei den Krebsen im vollen Bewusstsein des Zweckes, resp. der Werthigkeit stattfindet. Von den Krebsen an aufwärts ist nun bei allen Thieren das Zurückziehen in die Hüllen ein zweckbewusstes. Entstanden ist dasselbe offenbar bei den Würmern, und zwar hat es sich weniger direkt aus dem Zurückziehen ohne Bewusstsein des Zweckes, sondern in psychologischer Hinsicht wohl mehr aus dem Trieb zum Flüchten und Verstecksuchen entwickeh. Bei den Insekten und Spinnen äussert sich der Con- traclionstrieb, ähnUch wie bei vielen Krebsen, hauptsächlich im Ducken. Bei allen Arthropoden hat dasselbe den Charakter einer willkührlichen und zweckbewussten Bewegung, die aber zur vererbten Gewohnheit geworden ist. Der letztere Charakter tritt besonders bei den Insekten sehr hervor. Die Wirbelthiere, insbesondere die warmblütigen, zeigen nun nach zwei Richtungen hin eine weitere Differenzirung des allgemeineren Contractionstriebes. Einmal beschränkt sich die partielle Contraction nicht mehr auf ganz bestimmte Theile, sondern dehnt sich auf jede einzelne äussere Gliederung aus. Je nach dem Angriffe können die höheren Wirbelthiere einzeln mit dem Kopf, mit einem Bein, mit einem Flügel oder Arm, mit einer Hand, ja mit einem einzelnen Finger „zurückfahren^ und die Augen oder den Mund schhessen, ohne den übrigen Körper zusammen zu ziehen, obgleich trotz der versduedenen Organiss^on der Trieb zur Conti*action des ganzen Körpers noch existirt, sich aber nur in anderer Weise äussert als bei den niederen Thieren. Schon von den Arthropoden an kann von einer Contraction des ganzen Körpers im strengsten Sinne bei keinem höheren Thiere die Rede sein, sie erstreckt sich hier nur auf die Beugemuskeln. Trotzdem ist wohl der Trieb und ist auch der Effect desselben ungefähr der gleiche als bei den niederen Thieren, der Körper wird schmnbar verUeinert, in jedem Falk verkürzt. Um diesen Effect des allgemeineren Contractionstriebes bei den Vertebraten näher zu besprechen, muss ich gleich die zweite Differenzirung berühren. Während Zur Entwickelung der WilienBäusserungen im Thierreicb. 199 Dämlich der lücht zweckbewusste Contracüoiistrieb sowohl für den ganzen Körper als fär einzelne Tbeile bestehen bleibt, aber so leicht ausgelost wir^, dass die Contraction nicht nur den Charakter einer Gewohnheit überhaupt hat, sondern sich einer reinen Reflexbewegung nähert, bildet sich ein vollkommen zweckbewusstes Einziehen dei* einzelnen Körpertheile sowolü, als ein Zusammenziehen des ganzen Körpers aus. Alle höheren Wirbelthiere zeigen ein Ducken und Einziehen einzelner Tiieile, welches auf klaren Vorstellungen des Zweckes beruht und ein willkühriiches im engeren Sinne ist; aber auch der ursprüng- liche, nicht zweckbewusste Trieb zur Contraction des ganzen Körpers oder einzelner Theile ist noch erhalten, wie sich denn bei aller Triebs- resp. Willensdifferenzirung ganz allgemein das Gesetz geltend macht, dass ein einmal entstandener Trieb in irgend welcher Form bestehen bleibt; dass somit Schutzgewohnheiteu, welche niedere Thiere haben, auch bei den höheren Wirbel- thieren und beim Menschen noch vorkommen, obgleich diesem nun ganz andere Schutzmittel zu Gebote stehen. Ich will au dieser Stelle nur noch ein Beispiel hierzu erwähnen, welches dieses €resetz erhellt. Die niedrigste Art und Weise des will- kührlichen Vertheidigens z. B. ist das Beissen mit den Kiefer»; dann entwickelt sich das Wehren mit den Extremitäten, erst bei den Wiiiielthieren und nur in einzelnen Fällen kommt ein Vertheidigen mit umliegenden Dingen vor, und nur der Mensch weiss sich mit künslüchen Waflen und mit der Rede zu ver- Iheidigen. Trotzdem nun dem Menschen diese vollkommenen Vertheidigungsmittei zu Gebote stehen, finden sich auch in der krit herstammend und in der modernen Physik als Theorie der Gase von besonderer Bedeutung, meiner Ansicht nach die- jenige, welche vom kritischen Standpunkte der Erfahrungs- theorie aus die allein haltbare ist 2. Die aton^istisch-dynamische, aus der elfteren entstanden, nachdem durch Roberval der Gedanke von in den einzelnen Theilen der Materie wirkenden Kräften ausgesprochen, durch Newton's Nachfolger die Idee der fernwirkenden Kräfte eingebürgert war, wohl zuerst durch Boskovich consequent (als sog. einfache Atomistik) durchgeführt. Atome, welche an- ziehende oder abstossende Kräfte auf einander ausüben, bilden bis zur Gegenwart die Grundlage der meisten Erklärungsver- suche der Physik. Gegenüber der „einfachen" kann man eine „corpuscuiare^ Atomistik unterscheiden. 3. Die plerotisch-kinetische Theorie betrachtet den Raum als stetig erfüllt mit Materie, deren Theile sich durch Bewegung differenziren und durch dieselbe auf einander wirken. ]hr Hauptvertreter ist Descartes. iNeuerdings ist sie der mathe- matischen Physik zu Grunde gelegt worden und hat von da aus zu dem merkwürdigen Versuche einer Begründung der Atomistik geführt^ von welchem ich im Nachstehenden aus- führlich reden werde. 4. Die plerotisch-dynamische Theorie denkt sich den Baum stetig erfüllt von Materie, deren Theile alle auf- einander durch anziehende und abstossende Kräfte wirken. Ihr Vertreter ist Kant in den „metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" . Während diese letzte Theorie in der Physik keine Rolle gespielt hat, scheint es in der jüngsten Zeit, dass alle anderen 208 K. Lasswitz: Theorieen durch die Erfolge, der kinetischen Atomistik verdrängt zu werden Aussicht haben. Es ist daher natürlich, dass man nach einer Vertiefung der Grundlagen der kinetischen Atomistik strebt und die Principien derselben begreiflich und sicher zu machen sucht. Nach meiner Ansicht ist dies nur möglich durch ein Zurückgehen auf den Ursprung unserer physikalischen Erkenntniss; nur aus der Art und Weise, wie unser Naturerkennen überhaupt durch Vermittelung unserer Sinne zu Stande kommt^ kann man eine Begründung der Prin- cipien der physikalischen Theorieen geben, wie ich dies an anderer Stelle ausführlich dargelegt habe ^). Auf anderem Wege hat ein berühmter englischer Physiker^ Sir William Thomson^), die Begründung der kinetischen Atomistik gesucht, indem er auf die Stetigkeil der Materie zurückgriff und, auf die Ergebnisse einer mathematischen Ab- handlung von Helmholtz^) gestützt, die Theorie der Wirbel- atome aufstellte. Da diese Theorie auch bei hervorragenden deutschen Physikern lebhaften Anklang gefunden hat, so scheint es angemessen, eine sorgfältige Prüfung derselben vorzunehmen. Soll eine Theorie wissenschaftliche Bedeutung besitzen, so darf sie nicht bloss in irgend einem Theile der Physik von prak- tischem Vortheil sein^ sie muss^auch das Erkenntnissbedürfniss des Geistes überhaupt befriedigen. Der Bau der Wissenschaften muss ein einheitlicher sein. Obgleich in letzter Zeit schon mehrfach populäre Dar- stellungen der Thomson'schen Wirbeltheorie gegeben worden sind ^), wird es doch nöthig sein, eine ausführliche Erörterung ^) Atomistik und Kriticismus. Ein Beitrag zur erkenutiiitts- theoretischen Grundlegung der Physik. Braunschweig 1878. *) Philosophical Magazine. Vol. 34. 4tk. Ser. p. 15. 1867. ^) Crelle-Borchardt's Journal für die reine und angewandte Mathematik. 1858. Bd. 55. S. 25. *) Tait, Vorlesungen über einige neuere Fortschritte der Physik. Deutsch von Wertheim. Braunschweig 1877. S. 241 ff. — 0. E. Meyer, Die kinetische Theorie der Gase. Breslau 1877. S. 243 ff. — Der Naturforscher. Herausgeg. von W. Sklarek. XL Jahrg. Nr. 51. S. 477 ff. lieber Wirbelatome und stetige Raumerfullung. 209 derselben ihrer Kritik voranzuschicken, um nicht nur die Re- sultate, sondern auch die Fundamente klar zu steilen. Wir beginnen mit den mathematischen und experimentellen Grund- Jagen 1). Es wird verlangt, dass man sich eine „vollkommene" Flüssigkeit vorstelle, welche als ein Continuum aufgefasst wird und deren Theilclien keine Reibung erleiden. Jeder Rauni- punkt bestimmt durch seine Lage ein Flüssigkeitstheilchen, dessen Dimensionen sämmtlich als „unendlich klein" anzusehen sind; zugleich kommt jedem Punkte eine bestimmte Dichtigkeit zu, welche, mit dem Volumen des durch ihn bestimmten un- endlichkleinen Flussigkeitselementes multiplicirt, die Masse des- selben darstellt. Man nimmt nun an, dass jedes noch so kleine und in beliebiger Richtung in der Flüssigkeit gedachte Flächen- t hei leben einen gewissen, von der Lage des Punktes zur gegebenen Zeit abhängigen Druck erleide. Der Regriff des Druckes ist nur eine andere Fassung für den RegrifT einer Rewegungsursache, und die erwähnte Annahme sagt daher lediglich aus, dass die Flüssigkeit in Rewegung ist, und dass man nur in Gedanken von der thatsächlichen Rewegung abstrahirt, indem man einen bestimmten momentanen Zustand ins Auge fasst; ferner dass die Raumtheile der Flüssigkeit ihre Rewegung durch ihre gegenseitige Rerührung auf einander übertragen. Die Annahme der Vertheilung eines bestimmten Druckes in der Flüssigkeit enthält also das kinetische Prin- cip der Theorie in der Fassung der mathematischen Mechanik. In dieser bewegt gedachten Flüssigkeit erleidet im Verlaufe einer beliebig kurz gedachten Zeit jedes unendlichkleine Theilcheii eine Veränderung, welche aus einer Verschiebung, einer Drehung und einer Ausdehnung gewisser Art zusammengesetzt ist. In Rezug auf die Drehung der unendlichkleinen Flüssigkeits- theilchen ergiebt die Rechnung Folgendes: *) Vergl. hierüber Helm hol tz in Crelle's Journ. Bd. 55. — Kirch hoff, Vorlesungen über mathematische Physik. Leipzig 1876. — Tait, a. a. 0. — Auch Gröbli, Specielle Probleme über die Bewegung geradliniger parall. Wirbelfäden. Zürich 1877. Vierteljahrssclirift f. wissenschafll. Philosophie. III. 2. 14 210 K.« Lasswitz: 1. Wenn es einen Zeiimomeat giebt, in welchem ein be- stimmtes Flüssigkeitstheüchen nicht rotirt^ so rotirl dieses Flussigkeitstheilchen überhaupt niemals. Eine vorhandene Rotation kann also niemals veniichlet und ein nicht rotirendes Theilchen niemals in ein rotirendes umgewandelt werden. 2. Wenn es einen Zeitmoment giebt, in welchem die Axe der Rotation zweier unendlich naher Theilchen mit der Ver- bindun£;sHnie der Theilchen zusammenfällt, so findet dieses Zu- sammenfallen jederzeit statt. Zieht man also, von einem be- Uebigen Theilchen ausgehend, diurch die benachbarten Theilchen eine Linie so, dass ihre Richtung überall mit der Drehungsaxe der Theilchen, durch welche sie hindurchgeht, übereinstimmt, so haben alle auf dieser Linie liegenden Theilchen die Eigen- schaft, dass sich, wie auch ihre Bewegung sich ändern mag, doch immer wieder eine Linie von gleicher Eigenschaft durch dieselben Theilchen legen lasst. Eine solche Linie nennt Helm- hollz eine Wirb elli nie. Diejenigen Theilchen, welche zu irgend einer Zeit sich auf einer Wirbellinie befinden, bleiben also immer auf einer solchen. Sehen wir nun die- jenigen Wirbellinien als identisch an, welche immer durch ein und dieselben Flussigkeitstheilchen hindurchgehen, so können wir von einer Veränderung einer Wirbellinie im Laufe der Zeit sprechen. Denn während die einzelnen Theilchen sich in ihren Lagen verschieben, ändern sich auch die Richtungen der Ver- bindungslinien der einander unendhch nahen Theilchen, welche mit ihren Drehungsaxen übereinstimmen, d. h. es ändert sich die Wirbelünie. Die Gesaram theit aller Wirbelhnien, welche von einer ver- schwindend kleinen Fläche ausgehen, constituirt einen Wirbel- faden. Ein solcher Wirbelfaden umfasst also alle diejenigen Flussigkeitstheilchen, welche auf benachbarten Wirbelhnien hegen, und ist als ein unendlich dünner Flüssigkeitsfaden an- zusehen. Er hat die Eigenschaft, dass das Producl aus einem beliebigen Quersi;hnilt desselben mit der Drehungsgeschwindig- keit dieses Querschnitts erstens von der Zeit unabhängig, und zweitens in demselben AugenbUcke für alle Theile des Wirbel- Ueber Wirbelatome und stetige KanmerfüUung. 211 fadens gleich gross ist. Hieraus folgt zunächst, dass, wenn die Rotationsgeschwindigkeit des Fadens an einer Stelle abnimmt^ daselbst sein Querschnitt sich vergrössern muss, und umgekehrt Der zweite Tfaeil des Satzes aber ergiebt die wichtige Eigen- schaft, dass ein Flüssigkeitsfaden innerhalb der Flüssigkeit nie*- niais ein Ende haben kann. Seine Enden müssen entweder in der Oberfläche der Flüssigkeit hegen, oder er muss in sich selbst zurücklaufen. ^ Befinden sich in einer Flüssigkeit Wirbeltaden, so trägt jedes Element eines Wirbelfadens einen gewissen Theil bei zu der Bewegung irgend eines Punktes der Flüssigkeit. Giebt es in einer Flüssigkeit nur einen ein- zigen Wirbelfaden, so bleibt derselbe im Allgemeinen an seinem Orte, und jedes Flüssigkeitstheilchen, das sich in endlicher Ent- fernung von ihm befindet, beschreibt um ihn einen Kreis mit gleichbleibender Geschwindigkeit. Giebt es mehrere Fäden, so wirken dieselb.en (durch Vermittelung der nicht wirbelnden Flüssigkeit) auf einander ein. Doch nur für wenige sehr einfache Fälle vermag die Analysis die entstehende Bewegung zu bestimmen. Um die mögUchen Wirbeibewegungen der Anschauung näher zu bringen, sollen noch einige Resultate der Rechnung hier angegeben werden. Zwei parallele, entgegengesetzt rotirende Fäden schreiten mit gleichbleibender Geschwindigkeit senkrecht zu ihrer Verbind ungsUnie fort. Die Theilchen der Flüssigkeit, welche sich zwischen den Fäden befinden, bewegen sich in derselben Richtung wie die Fäden, und zwar die in ihrer Mitte befind- lichen mit der vierfachen Geschwindigkeit. Bilden die Wirbel- tädeU; indem sie sich stetig an einander schhessen^ einen Cyhn- der von endlichem Querschnitt, so bleibt dieser Querschnitt, wenn er eine Ellipse ist, immer eine Ellipse. Dieser elUptische Cylinder dreht sich mit einer bestimmten Winkelgeschwindig- keit um seine Axe, wobei zugleich die einzelnen Wirbelfäden untereinander relative Verschiebungen erleiden; und zwar be- schreiben die einzelnen Flüssigkeitstheilchen innerhalb des Cylinders Kreise mit gleichbleibender Geschwindigkeit, jedoch 14* 212 K. Lasswitz: jedes Theilchen einen anderen Kreis mit anderem Radius und Centrum. Sind alle vorhandenen Wirbellinien Kreise, welche dieselbe Axe haben, so entsteht ein ringförmiger Wirbel; auch dieser Zustand, einmal vorhanden, besteht immer. £in solcher Wirbel- faden behält denselben Radius, schreitet aber in der Richtung seiner Axe fort, während die denselben umgebende Flüssigkeit dwch die Oeffnung des Ringes in der Richtung des Fort- schritts des Fadens hindurchströmt. Dabei rotirt jeder Quer- schnitt des Ringes so ^ dass die Flüssigkeitstheilchen auf der inneren Seite des RiTi|es dieselbe Richtung haben wie die fort- schreitende Bewegung des Ringes selbst Zwei hinter einander auf gleicher Axe fortschreitende Wirbelringe verhalten sich so, dass, während der vorangehende seine Bewegung verlangsamt und sich dabei erweitert, der zweite, bei rascherem Fortschritt sich verengend, durch denselben hindurchgeht, worauf der zweite dasselbe Spiel wiederholt ; begegnen sich zwei Ringe mit gleichen Radien, gleichen und entgegengesetzten Rotations- geschwindigkeiten, so werden sie sich einander nähern und dabei sich gegenseitig erweitern und zwar das erstere mit bis ins Unendhche abnehmender, das zweite mit immer grösserer Geschwindigkeit. Aehnlich verhält sich ein einzelner Ring einer festen Wand gegenüber. £inem solchen Wirbelring ist auf keine Weise beizukommen ; vor einem rasch genäherten Körper weicht er aus oder schlingt sich um ihn herum; keine Macht vermag ihn zu zertrennen. Die dargestellten Sätze werden durch die Erfahrung be- stätigt. Zwar in einer „vollkommenen", *d. h. reibungsfreien Flüssigkeit kann man keinen Wirbelring erzeugen, erstens weil wir keine solche kennen und zweitens weiJ, wie gesagt, solche Wirbel ewig sind. Aber in „reibenden" Flüssigkeiten ist es möghch, sie zu erzeugen; zu beobachten sind sie am be- quemsten in Gasen, die man durch fein vertheilte Staub- theilchen sichtbar gemacht hat. Solche Wirbelringe sind die- jenigen, welche man beim Tabacksrauchen bilden kann Tait verfuhr methodisch folgendermaassen : Er nahm einen hölzernen Ueber Wirbelatome und stetige Raumerfüllang. 213 Kasten, dessen eine Wand durch ein strammgespanntes Stück Zeug ersetzt war, während die gegenüberliegende eine kreis- förmig oder sonstwie gestaltete Oeffnung besass. In diesem Kasten wurde chemisch der fein vertheilteste Saimiakstaub er- zeugt. Ein Schlag auf die elastische ^and trieb nun einen Theil der im Kasten befindhchen Luft sammt dem in ihr schwebenden Salmiakstaub heraus, und der letztere machte die Bewegung der die Saimiaktheilchen mitreissenden Lufltheilchen sichtbar. Die Reibung der Luft an der Wand der Oeffnung beim Heraustreten bewirkt nun in der That, dass bei jedem Schlage ein Wirbelring aus dem Kasten hervorkommt, welcher das theoretisch geforderte Verhalten zeigt (natürlich bis auf die Unzerstörbarkeit). £r erweitert sich, wenn seine Gesammt- bewegung sich verlangsamt, er prallt von anderen Ringen ab und verhält sich wie ein elastischer Körper, er führt um seine Gleichgewichtsgestalt (den Kreis) Schwingungen aus, wenn die- selbe gestört wird, u. s. w. Als Sir William Thomson die Helmholtz'sche Theorie und das Tait'sche Experiment kennen gelernt hatte, da sagte er: Jetzt haben wir das einzig wahre Atom (the only true atom)! Diese Wirbelringe sind die Atome. Denn in der Wirbelbewegung haben wir ja jetzt eine unvertilgbare Eigen- schaft der Materie wirkUch nachgewiesen. Hier ist also ein Ding, das niemals entstehen kann, es sei denn durch einen Schöpfungsact, und das niemals vergehen kann; es behält für alle Ewigkeit bestimmte Eigenschaften und erklärt somit die Constanz der Eigenschaften der chemischen Elemente. Es wird dadurch begreiflich, warum die Atome eines bestimmten Stoffes in allen Gegenden der Welt in gleichen Phasen schwingen, wie das die Spectralanalyse verlangt und wie es sonst nur bei zu- sammengesetzten Molekeln erklärbar wäre. Es ist damit zu- gleich ein Atom geschaffen, das die Eigenschaft der Elasticität besitzt, das biegsam und plastisch ist und dabei doch undurch- dringlich. Selbst eine Wirkung in die Ferne können diese Atome mit Leichtigkeit ausüben, vermittelt durch die nicht mitwirbelnde Materie. Zwar die Gravitation ist damit nicht 214 K* Lasswitz : erklärbar '), aber auf die elektrodynamische Fernwirkung wird auf diese Weise ein Licht geworfen. Uebrigens behält man alle Yortbeile, welche die kinetische Atomistik zur Naturer- klärung besitzt und gewinnt diese Fernwirkung nur noch zur beliebigen Verwendung» hinzu. Endlich wird es gewiss auch möglich sein, die Gesetze der Wärme und die Thatsachen der Chemie aus der Energie und der Form der Wirbelatome zu erklären. Um dies Alles leisten zu können ist weiter nichts zu thun als anzunehmen, dass der Weltraum mit „Etwas^ erfüllt ist, das wir eine vollkommene Flüssigkeit nennen, und das gewissermaassen Materie^ d. h. wahrnehm- barer Stofi* dadurch wird, dass gewisse Theile desselben in mannichfaltigster Weise von Ewigkeit her, oder, wie Thomson sagt, durch einen Schöpfungsact (an act of creative power) in Wirbelbewegung verselzt sind. Die Thomson'sche Wirbeltheorie setzt also voraus^ dass der Raum continuirlich von einer absoluten Flüssigkeit erfüllt sei ; sie setzt ferner voraus, dass diese Flüssigkeit in Bewegung sei, und dass die Theile derselben lediglich durch Bewegung atif einander wirken. Denn wie ich bereits bei Darstellung der mathematischen Grundlagen betonte, setzen dieselben die Fort- pflanzung eines Druckes nach allen Riebtangen voraus, was tatsächlich nur ein anderer Ausdruck für die Fortpflanzung der Bewegung der Theile ist. Wenn wir uns nämlich ein an- schauliches Bild der Vorgänge in der FlüssigkeiC machen woflen, so ist mit „Druck^ als „Ursache einer Bewegung^ gar nichte gesagt, sondern die Ansehauimg muss immer zurückgehen auf die thatsächliche Bewegung der Masse selbst. Man kann auch nicht sagen, dass nur diejenigen Theile des Raumes von Ma- terie erfüllt seien, welche die Wirbel enthalten, weil eben erst durch die Wirbelbewegung die Materie gesetzt sei und nicht- bewegte Materie, Materie ohne Energie, nicht auf unsere Sinne wirken könne; sondern es liegt im Wesen der Theorie, dass auch d^ nicht wirbelnde Materie bewegt ist, wie dies >) Tait, a. a. O. S. 24«, 249. lieber Wirbelatome und stetige Raumerfüll ung. 215 unzweifelhaft aus den mathematischen Grundlagen hervorgeht Es muss also auch dieser nicht wirbelnde Theil der Flüssigkeit Energie und damit Realität im physikalischen Sinne, ebenso wie die Wirbel, besitzen. Demnach muss die Th«mson'sche Wirbeltheorie zu derjenigen Gruppe der Theorieen der Materie gezählt werden, welche ich als plerotiscb-kinetiscbe bezeichnet habe. Sie tritt dadurch unmittelbar in eine Reihe mit der Theorie des Descartes. Es ist nicht nur interessant, die genannten beiden Theorieen 'mit einander zu vergleichen, welche schon durch den Gebrauch der Wirbelbewegung an einander erinnern; es ist auch im höchsten Grade lehrreich zu sehen, wie der menschliche Er- kenntnisstrieb bei seinen rastlosen Versuchen des Regreifens immer wieder in gleichem Wirbel getrieben wird; es ist aber geradezu nothwendig, neben die moderne Theorie diejenige des scharfen Denkers Descartes zu stellen, wenn man die Theorie der stetigen Raumerfüllung zu prüfen unternimmt Ich werde daher zunächst eine Darstellung der physikalischen Theorie des Descartes geben, und an die zugleich durch die Geschichte derselben zn beleachiende Kritik die Resprechung der Thomson'schen Theorie anschliessen. Es mag hier gleich erwähnt werden, dass das Urtheil über die Theorie der Wirbel- atome, insofern sie sich auf die Annahme der Plasticität als einer Grundeigenschaft der Materie stützt, abweisend ausfallen muss. Alles Nähere kann des beschränkten Rauoies wegen erst in dem im nächsten Hefte folgenden, die hier nur ge- gebene Einleitung abschliessenden Artikel auseinandergesetzt werden. Gotha. K. Lasswitz. Znm ethischen Problem. Es ist eine bemerkenswerthe Tbatsache, dass in dem so- genannten practischen Theile der Philosophie noch immer eine altherkömmliche Glaubens - Dogmatik herrscht , welche ' anzu- tasten die Kritik bis jetzt eine heilige Scheu hatte. Auch einem Feuerbach und einem Straiiss war die hergebrachte ethische Doctrin ein noli me tangere, und selbst der Materialismus will mit dieser Moral nicht ernstlich brechen. Es dürfte deshalb sehr an der Zeit seyn^ d£tö unbefangene kritische Denken auf diese ethische Frage zu lenken. So war es mir denn eine an- genehme Ueberraschung, als ich in Heft 1 des Jahrgangs II dieser Zeitschrift dem Aufsatze des Herrn A. Schäffle „Ueber Kecht und Sitte vom Standpunkte der sociologischen Erweite- rung der Zuchtwahl - Theorie" begegnete, durch welchen wenig- stens ein beachtenswerther Griff in jene alte dogmatische Doctrin gethan wird. Es scheint mir zwar eine einseitige Schemati- sirungs- Liebhaberei zu seyn, wenn die Entwicklung von Sitte und Recht lediglich unter die Rubrik der Darwin'schen Zucht- wahls - Theorie gebracht wird, und ich halte dies um so weniger für gerechtfertigt, als dieser Theorie auch in Sachen der Na- tur schwer wiegende Bedenken entgegenstehen. Doch auf diese Einregistrirung unter einen besondern analogen Namen und das Bestreben, diese Analogie möglichst zutreffend durch- zuführen, kommt am Ende nicht sonderlich viel an, wenn nur der wesentliche Gedanke, von dem dabei ausgegangen wird, richtig und probehaltig ist. Diesen Gedanken spricht Herr Schäffle in den Worten aus: Es erscheine als zulässig. Recht und Sitte als gesellschaftlich gesetzte, nach den geschichtlichen Bedingungen der gesellschaftlichen Gesammt- Erhaltung sich regelnde, aus der Erfahrung über Wohl und Wehe gewonnene, von den geschichtlich gegebenen Trägern der Macht im Bande mit den idealistischen Gesellschafts - Kräften äusserlich und in- A. Steudel: Zum ethischen Problem. 217 nerlich erzwungene, durch Vererbung und Gewohnheit befestigte Ordnungen des Thuns und Lassens, als Ordnungen der subjec- tiven Organisation zur Eegelung des socialen Zusammenlebens anzusehen (S. 44 — 45). Eecht und Sitte seien entwickelungs- geschichtlich nothwendige Attribute des zur gemeinschaftlichen Selbsterhaltung genöthigten Menschen (S. 49), und es sei sich aller mystischen Erklärung derselben zu entschlagen (S. 59). Ich freue mich^ im Allgemeinen meine vollständige lieber- einstimmung mit diesem Gedanken aussprechen zu können. Es ist jedoch mit diesem Gedanken die ethische Frage noch kei- neswegs vollständig erschöpft. Hiezu wird vielmehr noch eine ganze Reihe daran sich knüpfender Untersuchungen erfordert. Icli meinerseits glaube diesem Erfordemiss in meiner ,,Kritik der Sittenlehre'^ ein Genüge gethan zu haben^ und es wäre mir daher von Interesse gewesen , wenn Herr Schäffle in seinem Aufsatze auf den Inhalt jenes meines ihm offenbar bis dahin unbekannt gebliebenen Buches Eücksi cht genommen hätte; wie es mir denn überhaupt sehr wünschenswerth wäre, ein unbe- fangenes Urtheil über die von mir in dieser Frage gepflogenen Untersuchungeü und entwickelten Ansichten zu vernehmen. Es hat sich mir seit lange mit unabweislicher Intensivität das Bedürfniss aufgedrängt, gegenüber von dem besonders seit Kant Mode gewordenen Speciiliren einer apokryphen Vernunft, welches des Schwindels nur zu viel mit sich fuhrt, mit, einer Philosophie des nüchternen, unbefangenen Verstandes aufzutre- ten; und so habe ich mir die Aufgabe gestellt, diese meine Philosophie in einem systematischen, alle philosophische Haupt- fragen umfassenden Werke mit dem Titel „Philosophie im üm- riss" möglichst gedrängt darzulegen. Von diesem Werke ist der erste, die theoretischen Fragen besprechende Theil vor mehreren Jahren, und von dem zweiten, die practischen Fragen besprechenden Theile die erste Abtheilung unter dem Special- Titel „Kritik der Sittenlehre" im Spätjahr 1876 erschienen. In diesem Buche sind daher meine Untersuchungen der ethi- schen Frage enthalten. Ich habe es wahrhaftig für sehr an der Zeit gehalten, insbesondere über die veralteten und verschimmelten, von Ge- schlecht zu Geschlecht sich vererbenden Sittlichkeitsbegriffe endlich einmal mit der Lauge einer verständigen Kritik her- zufahren, mit den hier nach altem Herkommen mit unange- griffener geheiligter Auctorität allgemein herrschenden Vor- urtheilen und lUasionen gründlich aufzuräumen, Klarheit und durchsichtiges Verständniss in diesen Knäuel miss verstand lieber \ 218 A. Steudel: und vielfach sich widersprechender Anschaaungen, und Licht in das hier obwaltende mystische Dunkel zu bringen. Dabei habe ich mich indessen keiner Täuschung darüber hingegeben, dass meine Kritik und die daran sieh knüpfende Beform der Sittenlehre sich keines sofort sich sichtbar machen- den Erfolges werde erfreuen dürfen. Inveterirte, seit undenk- lichen Zeiten wie ein gefeites Evangelium für heilig gehaltene Doctrinen und Glaubenssätze sind, insbesondere auf schrift- stellerischem Wege, äusseret dentlich schwer zu corrigiren. Die Menge hält sich ferne von wissenschaftlichen Erörterungen, zu ihr vermag daher ein solches reformatorisches Unternehmen gar nicht durchzudringen, und wenn es auch wirklich an sie heranträte, so würde sie es sich nicht zu einem klaren und durchschlagenden Verständniss zu bringen vermögen. Philo- sophen aber, welche in einer bestimmten Frage bereits Stel- lung genommen haben, pflegen sich — das ist eine Erfahrungs- Thatsache — daraus durch keinerlei Angriffe und dnrch keine, wenn auch noch so gewichtige Argumente verdrängen zu lassen, und sind dabei in der Kegel nur darauf bedacht, solche sie be- drohende Neuerungen, so gut es eben gehen mag, wenn auch nur durch Ignoriren derselben, von sich abzuwehren, ohne mit redlichem, wissenschaftlichem Ernst und mit ruhiger objectiver Hingebung an die Sache sich auf die Streitfragen selbst einzu- lassen. Ich durfte mir daher auf näher eingehende, zumal beiföllige, Besprechungen meines Buches keine grosse Hoffnung machen, namentlich nieht in Becensionen der gewöhnlichen Art, in welchen sieh nur selten auf eine wirklich wissenschaft- liche Discussion des Inhalts des recensirten Buches eingelassen zu werden pflegt. So war ich denn auch nicht im mindesten überrascht, als ich in Bd. XIII S. 381 ff. der Philosophischen Monatshefte eine nichts weniger als freundliche und günstige Becension meines Buches von Professor Lassen las. Wie konnte diese auch günstig ausfallen, da der Becens^at sagt, unsere beiderlei Ansichten seyen durch Entfernungen getrennt, welche nur durch Sirius - Weiten gemessen werden können? Diese Becension gab mir jedoch keinen Anlass zu einer Ent- gegnung, da die Freiheit des Urtheils in Becensionen anerkannt werden muss, und die Becension keine wesentliche sachliche Unrichtigkeiten, namentlich keine Entstellungen enthält, ihre Mäkeleien über die Disposition meines Buehes aber, gegen w^elche ich mich wohl hätte verth^idigen^ können, für die Sashe selbst, um wtelche es mir zu thun war, von gar keiner Erheb^- lichkoit sind. Zum ethischen Problem. 219 Nun hat aber die Zeitschrift für Philosophie und philo- öophische Kritik van Fichte, Ulrioi und Wirth Bd. 72 S. 153 if. unter der Bubrik „B^ensionen" einen Aufsatz von Professor TJlrici über mein Buch gebracht, zu welchem ich nicht still- schweigen kann, da er fast nichts als XTnrichtigkeiten und Un- wahrheiten enthält, auf welche dann — also in ganz unbe- gründeter Weise — gehässige Verunglimpfungen gegen mich gebaut werden, welche darauf berechnet zu seyn scheinen, und jedenfalls^ wenn ich dazu stillschweigen würde, die Wirkung haben müssten , von der Leetüre meines Buches zurückzu- schrecken. Gegenüber von solchen Unwahrheiten, Entstellungen und Invectiven ist es für mich eine Forderung der Ehre, von dem Bechte der Vertheidigung Gebrauch zu machen. Daneben erachte ich es jedoch auch für eine Pflicht gegen die freie wissenschaftliche Bichtung, welche ich vertrete, sie nicht auf eine solche zum mindesten leichtfertige Art beschmutzen tmd schädigen zu lassen, sondern sie hiegegen in Schutz zu nehmen. Dabei dürfte indessen das, was ich vorzutragen habe, zugleich einen weiteren Beitrag zur Lösung des ethischen Problems, wenn auch nur in einigen Detailfragen, liefern. Vor Allem muss ich bemerken, dass der Aufsatz Ulrici's d«n Namen einer Becension gar nicht verdient. Eine Becen- sion soll doch ein Urtheil über den Inhalt des recensirten Buches geben; sie muss daher diesen Inhalt seinen wesent- lichen Partien nach dem Leser vorföfaren und ihn besprechen. Hier aber erfährt der Leser von dem Inhalt« des recensirten Buches so gut als gar nichts. Die Besprechung beschränkt sich vielmehr einmal auf eine 8telle der Eiinleitung, in wel- cher ich nur auf ein Resultat meiner im ersten Theile des Werkes geführten Untersuchungen zurückweise, und dann aaf einige kritische Bemerkungen, zu denen mich gewisse in den Schriften Ulrici's selbst enthaltene Erörterungen veranlasst kabeu; wa also meine eigenen positiven Gedanken gar nicht zur Spvaehe kommen. Der Itfhalt des recensirten Buches ist kurz folgender: Die Eifileitting giebt zuerst eine kurze Erörterung über den meist missTerständlich viel zu weit gefassten Begriff des W^illens, und dann eine aosiührlioke Abhandlung über die Frage der menechlichen Willens -Freiheit, in welcher ich durch die ganz unabhängig' von den Ergebnis»^ meines theoretischen Philo- sophirens, ganz voraussetzungslos und analytisch gehaltene Un- teffiBUohung zu dem Besultate gefülirt werde*^ dass es keine Fr^heit des menschlichen Willens gebe und der Glaube »i 220 A. Steudei: diese Freiheit auf einer Illusion beruhe. Dieses Resultat habe ich jedoch keineswegs zur Grundlage und zum Ausgangspunkt meiner darauf folgenden Kritik der Sittenlehre gemacht, viel- mehr ist auch diese Kritik ganz voraussetzungslos und rein analytisch gehalten. Ich gebe hier im ersten Buche eine Auf- führung und Kritik der Ansichten und Aufstellungen anderer, und zwar in Betreff des Begriffs und Wesens der Sittlichkeit, in Betreff der aufgestellt werdenden Moralprincipien , der Be- griffe von gut und böse, der Begründung des Sittengebots, unter Erörterung der Begriffe des Sollens, der Pflicht, der Schuld, des Gewissens; sodann in Betreff der Beziehung der Sittlichkeit zu Gott, der Frage einer sittlichen Weltordnung und einer Theodicee, und endlich in Betreff des Verhältnisses der Sittlichkeit zur Glückseligkeit. Im zweiten Buche ent- wickle ich dann positiv meine eigenen Ansichten und meine Gedanken über eine Reform der Sittenlehre. Das Ergebniss dieser Erörterungen geht dahin, dass der hergebrachte Begriff der Sittlichkeit, wonach sie das verdienstliche und zum An- spruch auf Belohnung berechtigende Befolgen eines verbind- lichen Sittengesetzes, die Unsittlichkeit aber eine strafbare Schuld sein soll, an unauflöslichen Widersprüchen laborirt; dass es ein wirkliches, für den Menschen verbindliches Sitten- gesetz gar nicht giebt und nicht geben kann^ da alle Sitten- gebote nur Ausflüsse der Selbstgesetzgebung des Menschen sind, eine solche Selbstgesetzgebung aber keine positive Verbindlich- keit begründet; dass die Begriffe von gut und böse sich schliess- lich nur auf die Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit unserer Gefühle und Empflndungen beziehen; dass die Vorstellung eines sittlichen Gottes, eines Gottes als sittlichen Gesetzgebers und sitt- lichen Richters, ohne welche Vorstellung der hergebrachte Be- griff der Sittlichkeit gar nicht durchführbar ist, eine gänzlich unhaltbare, mit dem Begriff eines absoluten Gottes im ent- schiedensten Widerspruche stehende Vorstellung ist; dass bei dem hergebrachten transscendentalen Begriff der Sittlichkeit Gott unausweichbar der Grund und die wollende Ursache des Bösen, und daher eine Theodicee auf keine Weise zu begründen ist. An die Stelle jener hergebrachten transscendentalen Sitt- lichkeit tritt dann folgender andere Begriff der Sittlichkeit. Es herrschen im Menschengeschlechte seiner einmal von Natur so angelegten Oekonomie nach zwei sich entgegengesetzte Arten von Instincten und Trieben, die socialen und humanistischen Triebe und Instincte auf der einen, und die antisocialen, rein egoistischen Triebe und Instincte auf der anderen Seite. Der Zum ethischen Problem. 221 in seinem Wohlbefinden, in seinem gemüthlichen und glück- lichen Zusammenleben verletzte oder doch gefährdete Theil der Gesellschaft macht nun natürlicher Weise Opposition gegen die ihn behelligenden antisocialen Triebe und Instincte, sucht sich ihrer zu erwehren und so weit möglich ihnen vorzubeu- gen, oder wenigstens einen Gompromiss mit ihnen einzugehen. Das ist denn auch natürlicher Weise das Interesse und die sich geltend machende Stimmung der sich bildenden Volks- gemeinschaften, in denen sich eine ein solches autisociales Ge- baren verdammende, und dagegen eine den humanistischen und socialen Trieben entsprechende Lebensweise thunlichst för- dernde Volkssitte ausbildet, welcher der Einzelne bei Ver- meidung des Tadels und der Missachtung der Gesellschaft, ja auch wohl eines missliebigen Einschreitens gegen ihn sich zu fügen hat. Dies ist nun das wahre Princip dessen, was man das Sittliche nennt. Die Bildung dieses Sittlichkeitsprincips ist hiernach ein rein menschlicher Process, bei dem von der Wirkung einer göttlichen Gesetzgebung nicht die Rede seyn kann, wenn auch das, was sich so als Volkssitte gestaltet, ver- möge der bei allen Völkern sich bildenden religiösen Vorstel- lungen stets durch diese tingirt zu werden pflegt. Sittlichkeit in dem hiernach sich ergebenden Sinne, also gereinigt von allen transscendentalen Beziehungen zur Gottheit, ist somit ihrem Entstehen und ihrem wahren Wesen nach nichts an- deres, als durchaus autonome, nach Umständen calculirende Lebensweisheit. Anstatt nun diesen meinen Gedankengang darzulegen und zu besprechen , beginnt die sogenannte Recension nach einigen bedeutungslosen sprachlichen Bemerkungen, welche keiner Ent- gegnung bedürfen, mit den sich ausschliesslich auf die Frei- heitsfrage beziehenden Worten: üra meine eigene Auffassung (worüber, ist nicht gesagt) nach Geist und Gehalt zu charakterisiren, werde es genügen, die Schluss - Stelle der Einleitung, in welcher ich das Re- sultat meiner Erörterung der Freiheitsfrage zusammenfasse, herzusetzen. Darauf giebt die Recension abschriftlich (übrigens mit einem Druckfehler) eine auf S. 105 — 6 des Buches meiner Abhandlung über die Freiheitsfrage angehängte Bemerkung, worin ich sage, dass das Resultat meiner vorstehenden, ganz objectiv und analytisch gehaltenen Erörterungen der Freiheits- frage zugleich eine nothwendige Folge des Verhältnisses der geistigen Substanz zu der Welt und zu den Menschen sey, wie 222 A. Steudel: «B sich im ersten Theile meiDes Werkes in Folge der dort angestellten theoretischen Untersuchun- gen herausgestellt habe. Von diesen in meinem ersten Theile gepflogenen Untersuchungen ist jedoch meine in dem recen- sirten Buche (S. 7 — 105) stehende Erörterung der Freiheits- Arage ganz uDabhängig^ sie hält sich durchaus selbstständig und nimmt gar keinen Bezug auf das im ersten Theil untersuchte Yerhältniss der geistigen Substanz zur Welt und zum Men- schen, und durch jene meine von der Becension wiedergegebene Bemerkung sollte^ wie in derselben ausdrücklich gesagt ist, nur die Gongruenz des Resultats meiner Untersuchung der Freiheits- frage mit der aus den Besultaten der im ersten Theil enthal- tenen theoretischen Untersuchungen sich ergebenden Conaequen- zen constatirt werden. Und nun stellt es die Becension, indem «ie des Inhalts meiner, in dem recensirten buche ent- haltenen Abhandlung über die Freiheitsfrage mit keiner Sylbe Erwähnung thut, so hin, als ob ich in jener Be^ merkung das Resultat dieser meiner Erörterung der Freiheits frage zusammenfasse. Das ist somit geradezu unwahr. Hierdurch ist nun von selbst die Aeusserung der Becension gerichtet: dass die Anführung jener meiner Bemer- kung genügen werde^ um meine Auffassungen (der Sittlichkeits- frage ?!), von denen die Becension mit keiner Sylbe Kunde giebt, nach Geist und Gehalt zu charakterisiren. Ich brauche hiernach dem Urtheil über dieses Verfahren der Becension keine weiteren Worte zu leihen. Nach Anführung jener meiner Bemerkung sucht mich dann die Becension mit den Worten niederzuschlagen: „Dieser" — also der in jener Bemerkung, nicht in mei- ner Abhandlung über die Freiheitsfrage enthaltenen — „Lö- sung der Freiheitsfrage wird jeder philosophische Forscher den Einwand entgegen halten : Aber wie kommt es oder wie lässt es sich erklären, dass Gott in dem einen Menschen als eingefleischter Egoist^ als abgefeimter Betrüger, als verstock- ter Verbrecher, in dem andern als sich hingebender Gatte und Vater, als aufopfernder Patriot und Menschenfreund er^ scheint oder sich darlebt? Da wir auf diese Frage keine Antwort erhalten, weil sie sich von des Verfassers Prämissen aus nicht beantworten lässt etc." • Darauf habe ich vor Allem zu bemerken, dass das, was ich in der allegirten Bemerkung sage, gar keine „Lösung" der Freiheitsfrage ist und seyn will, sondern nur eine Bemission auf die im ersten Theil enthaltenen Untersuchungen , dass so- Zum ethischen Problem. 223 mit die Exclamation der Beceusion nur jenen ersten Theil, und nicht das recendirte Buch, treffen würde, von dessen Ab- handlung über die Freiheitsfrage, welche Abhandlung allein eine Lösung dieser Frage geben will, die Rccension gar keine Notiz nimmt. Im Uebrigen ist jener Einwand vom Standpunkte der An- nahme eines sittlichen Gottes aus gestellt, und ruht auf der Prätension, dass nur derjenige das Pradicat eines Philosophen yerdiene, der sich auf diesen Standpunkt stelle. Hier hätte daher der Recensent allen Anlass gehabt, sich auf das Kapitel des recensirten Buches einzulassen, das von der Beziehung der Sittlichkeit zu Gott handelt, und wo ich unwiderleglich nach- gewiesen zu haben glaube, dass die Vorstellung eines sittlichen €k)ttes ihrer Widersprüche wegen eine schlechterdings unhalt- bare ist, was also auch von dem Standpunkte gilt, auf welchen sich der Kecenseut hier gestellt hat. Die Kecension berührt jedoch das Alles gar nicht. Ob nun der Kecensent von jenem seinem Standpunkt aus ohne Weiteres berechtigt war, dem- jenigen, der denselben nicht mit ihm theilt, die Eigenschaft eines philosophischen Forschers abzusprechen, was von ihm stillschweigend per consequentiam geschieht, diese Frage be- antwortet sich hiemach von selbst. Ich kann mich daher über jenes Urtheil um so leichter trösten, als dasselbe auf dogma- tischer, ketzerrichterlicher, mit der Yoraussetzungslosigkeit der Philosophie unverträglicher Bornirtheit beruht. Was aber die von der Recension mir entgegengeworfene Frage betrifft: wie es komme, dass Gott sich in der Mensch- heit in so verschiedenartigen Weisen und Gestalten darlege, so wäre es eine Yermessenheit, die Motive Gottes bei seiner Ausgestaltung zur Welt — oder auch von Ulrici's Standpunkt aus seiner Weltregierung — mit positiver Bestimmtheit dar- legen zu wollen. Es können hier mit Sicherheit nur in nega- tiver Weise unberechtigte und unhaltbare Aufstellungen zurück- gewiesen, in positiver Weise aber kaum mehr als Vermuthun- gen gegeben werden. In beiderlei Beziehungen glaube ich das Mögliche geleistet zu haben; und wenn die Becension sagt: man erhalte auf jene Frage von mir keine Antwort, weil eine solche von meinen Prämissen aus nicht möglich sei, so beweist dieses nur, dass der Becensent sich mit meii^en Büchern nur sehr oberflächlich beschäftigt haben kann. Ich habe mich über diesen Gegenstand schon in meinem ersten Theile (Abth. II S. 368, 396, 397, 404) folgendermaassen ausgesprochen: Wir müssen uns bescheiden , uns in dieser Beziehung überall keine 224 A. Steudel: Vorstellung von dem göttlichen Leben machen zu können. Es sei jedoch ein vollkommen berechtigter Gedanke, dass Gott, da es für ihn in seiner reinen Wesenheit kein mit Beizen, Em- pfindungen und Gefühlen ausgestattetes Leben geben könne, in seiner peripherischen Ausgestaltung zur Welt ein solches reizvolles, psychisches Leben habe leben, die mit dem psychi- schen Leben nothwendig gesetzten Gegensätze selbst an sich habe erleben, und auf dem Meere der daraus sich entwickeln- den Illusionen sich habe wiegen wollen, ohne dass übrigens darin das wahre Seyn und Leben Gottes an sich zu erkennen wäre. In dem recensirten Buche selbst sodann habe ich (S. 377 ff.) nachzuweisen gesucht, dass gerade von dem her- gebrachten sittlichen Standpunkt — also von dem meines Be- censenten — aus eine Theodicee, eine wirkliche Rechtfertigung Gottes wegen des Bösen in der Welt durchaus unmöglich sei (s. auch S. 594), und mich dabei noch weiter ausgesprochen, wie folgt: Alle Moralprincipien seien selbstverständlich nur für Menschen und zur Ordnung menschlicher Verhältnisse aufge- stellt, passen daher auf Gott gar nicht. Es sei eine Anmassung, zu statuiren, dass diese Moralprincipien, nach welchen dem einen dieses, dem andern jenes als sittlich gut und wünschens- werth gelte, für Gott in irgend einer Weise verbindlich seyn sollen, dass der absolute Gott sich solchen durchaus hypothe- tischen Menschensatzungen unterzuordnen und sich zum Voll- strecker derselben herzugeben habe, um sittlich zu seyn. Der Mensch nenne das Eine, da es ihm angenehme Gefühle und Empfindungen mache, gut, das Andere, da es ihm unangenehme Gefühle und Empfindungen mache, schlimm und böse; aber er habe kein Recht, dem hiernach für ihn sich bildenden Maass- stab auch Geltung für Gott beizulegen. Gott habe es so ge- wollt, dass das ganze Menschenleben und die Menschenge- schichte eine Combination und ein fortdauernder Conflint von mit einander im Kampfe liegenden Gegensätzen seyn solle; er habe nicht die langweilige Einförmigkeit eines idyllischen that- losen Dahinlebens der Menschheit gewollt, sondern eben das durch die Reibung jener Gegensätze bedingte und getragene bunte und wechselvolle Farbenspiel des Menschenlebens gerade in der Gestaltung, in der es sich vor unseren Blicken entrolle, mit all seinen Jllusionen, Schwachheiten und Verirrungen. Zu dem so von Gott ganz direct Gewollten und nicht blos Zuge- lassenen gehöre auch das, was der Mensch das üebel und das Böse nenne. Dieses Böse sei sonach nichts weniger, als etwas gegen Gott sich Auflehnendes, eine sich ihm entgegensetzende Zum ethischen Problem. 225 Macht, die er zu bekämpfen und mit Strafen zu yerfolgen hätte. Der menschliche Begriff des Bösen falle vielmehr in Beziehung auf Gott ganz in sich zusammen. Was Gott wolle, das könne für ihn nicht böse seyn, und wegen dessen bedürfe es für ihn keiner Bechtfertigung, keiner Theodicee. Der Begrifl^ des Bö- sen habe in Beziehung auf Gott keinen Sinn und keine Be- deutung. Alles das gewinne sein genügendes und vollständig beruhigendes Verständniss in der Einsieht, dass Welt und Menschheit nichts anderes seyen, als das peripherische Leben Gottes selbst, dass er das in der Menschheit sich manifesti- rende vielbewegte und vielgestaltige psychische Leben, das eben durch den Gonflict aller jener Gegensätze bedingt sei, äusserlich an sich habe erleben wollen. Wer möchte sich nun erheben und mit Gott darüber rechten, warum er gerade ein solches, aus Lust und Schmerz, aus Genuss und Mühsal zu- sammengesetztes Leben für seine irdisch - menschliche Darlebung sich gewählt habe? Angesichts der Menschheitsgeschichte dürfe man wohl sagen, es gehöre zur Bestimmung, zum göttlichen ürgedanken der Menschheit, dass sie eine bleibende Schatti- ning von Glück und Unglück, von Lust und Unlust darstelle. (S. 363, 596—98.) Wenn dann die Becension weiter sagt: Mein „extrem pan- theistischer Gottesbegritf'' und meine Metaphysik seien „im Grunde der einzige Grund'', weshalb ich dem Menschen alle Freiheit abspreche, so muss man daraus mit Nothwendigkeit schliessen, dass der Recensent meine Abhandlung über die Freiheitsfrage gar nicht gelesen habe; denn dann müsste er ja gefunden haben, dass in derselben von dem in meinem ersten Theile gefundenen Gottesbegriff mit keiner Sylbe die Bede ist, dass ich vielmehr die Untersuchung ganz selbstäp- dig ohne jede Voraussetzung in ganz analytischer Weise ge- führt habe, und dass bei dem Besultate dieser Untersuchung mein Gottesbegriff entfernt keine Rolle spielt. Wenn die Recension bei dieser Gelegenheit das ganz un- motivirte Urtheil hinwirft, dass meine Metaphysik auf sehr schwachen Füssen stehe, so muss ich dahin gestellt seyn lassen, was den Recensenten zu Aussprechung dieses Urtheils bewogen haben möge. Jedenfalls muss ich demselben, so lange es nicht genügend begründet wird, jeglichen Werth absprechen. Der Umstand, dass meine Philosophie von derjenigen des Herrn Professors allerdings bedeutend divergirt, und dass ich häufig — auch in dem recensirten Buche — in den Fall gekommen bin^ ihm polemisch entgegentreten zu müssen — und das wissen- Yierteljalirssclirift f. wiasenschaftl. Philosophie. III. 2. 15 226 A. Steudel: schaftliche Eecht, meine stets motiTirte Urtheile immer auch frei auszusprechen, muss ich mir wahren — dieser Um- stand für sich könnte fttr ihn das Eecht nicht hegründeu, mit einem solchen verletzenden Urtheil, ohne es ii^end wie zu be- gründen, vor die Oeffentlichkeit zu treten. Die in der Note geschehene Allegirung der früher in jener Zeitschrift erschie- nenen vielfach anerkennenden Becension des ersten Theils meines Werks und eines nachgefolgten weitem Aufsatzes über denselben von H. Schwarz kann ich nicht als eine solche Be- gründung anerkennen. Jedenfalls war es übrigens, wenn der Kecensent jene Aufsätze allegirte, eiqe Forderung der Billig- keit, auch meiner (in derselben Zeitschrift Bd. 64 8. 305 ff. und Bd. 66 S. 322 ff.) darauf erschienenen Erwiderungen zu gedenken. Ich bin überzeugt, dass jeder unbefangene Leser des ersten Theils meines Werks ein ganz anderes Urtheil, als mein Kecensent, darüber fallen wird. — Es verbreitet sich indessen dieser erste Theil nicht bloss über diejenigen Fragen, welche man speciell zur Methaphysik zu rechnen pflegt, son- dern über alle theoretische Hauptfragen der Philosophie, namentlich diejenige der Erkenntnisstheorie. Dabei bemerke ich gelegentlich, dass ich für meine theo- retische Philosophie absichtlich nicht den Namen einer Meta- physik in Anspruch nehme, da dieser Name nach Speculation schmeckt, ich aber das, was man unter Speculation begreift, worüber ich mich ebenfalls in meinem ersten Theil (Abth. I S. 49 ff.) ausgesprochen habe, als eine verfehlte und unbe- rechtigte Art des Philosophirens, entschieden verwerfe. Die darauf folgende Bemerkung der Eecension: Die That- sache, dass wir das unabweisliche Bewusstseyn der Freiheit unsrer Wiilensentschli essung (wenigstens in den allermeisten Fällen) haben, läugne ich selbst nicht, weil sie sich nicht läugnen, nicht abweisen lasse, ist eine abermalige Unrichtig- keit. Ich sage (8. 43 — 44 meines Buches) ausdrücklich: Ich müsse durchaus bestreiten, dass es ein Bewusstseyn der Freiheit gebe; denn der Gegenstand des Bewusstseyns könne immer nur etwas Thatsächliches seyn, was die Freiheit nicht sey, die für uns immer nur in der Form eines Gedankendings existire, was, wie ich (S. 38) angeführt habe, Uirici selbst an- erkennt. Das Thatsächliche aber, dessen wir uns hier bewusst werden, sei nur der Umstand, dass wir keinen inneren Zwang fühlen, durch welchen wir zu unserem Wollen genöthigt würden. Wenn wir nun aber schliessen, dass eine Nöthigung, welche wir nicht fühlen, auch thatsächlich nicht bestehe, so sei dies Zum ethischen Problem. 227 ein FehUohluss. Was man Bewusstseyu der Freiheit nenne, sey sonach ein blosser Glaube, der jedoch nicht gerechtfertigt sey (ß. 72 ff.). Wenn die Recension dann weiter sagt: Dass jenes (an- gebliche) Bewusstseyn der Freiheit eine Selbsttäuschung sey, habe ich „in objectiTer analytischer Weise" — also abgesehen von jenem (mir unterstellten) metaphysischen Argument — nicht bewiesen, weil es sich in „objectiver analytischer" Weise, also von gegebenen Thatsachen aus, nicht beweisen lasse; so wäre vor Allem festzustellen, wem denn in der Freiheitsfrage die Beweislast obliege, ob demjenigen, welcher die Freiheit, oder demjenigen, welcher die Unfreiheit des menschlichen Willens behauptet. Auch hierüber habe ich mich in meinem Buche (S. 38) und zwar dahin ausgesprochen, dass, da weder für das Eine, noch für das Andere eine Vermuthung spreche, derjenige, welcher eines von beiden behaupte, dafür beweis- pflichtig sey. Es liegt hiernach auch denjenigen, welche die Freiheit behaupten, die Verbindlichkeit ob, dafür einen strin- genten Beweis zu erbringen, und sie können die Gegner nicht damit abfertigen, dass sie ihnen die Beweislast zuschieben. Nun hat aber Ulrici (s. S. 38 meines Buches und S. 156 oben der Becension) selbst anerkannt, dass sich die wirkliche Ex- sistenz der Freiheit auf keine Weise darthun lasse. Ich aber glaube allerdings auf objective, analytische Weise und auf den Grund psychischer Thatsachen einen yoUen Beweis dafür geführt zu haben, dass es keine mensch- liche Willensfreiheit gebe, dass eine solche eine Unmöglichkeit sey, wofür ich auf jene meine Abhandlung über die Freiheits- frage verweisen muss. Davon ist es aber dann eine selbst- verständliche Folge, dass der Freiheitsglaube ein^ Selbsttäu- schung ist. Wenn diese Nichtexistenz der Freiheit Consequenzen mit sich führt, welche dem Einzelnen unerwünscht sind, so kann dieses natürlich nicht als ein Gegenai^ment geltend ge- macht werden. Ich sage allerdings, das menschliche Handeln sey ein mit schlechthiniger Noth wendigkeit determinirtes ; von Natur- nothwendigkeit aber habe ich nicht gesprochen. . Die Belehrung der Becension, dass es keine schlechthinige Naturnothwendig- keit gebe, trifft mich daher gar nicht, und war um so un- nöthiger, als ich (Th. I, Abth. I, S. 395 — 96) selbst geltend mache, dass die Noth wendigkeit der Naturgesetze keine imma^ nente, begriffliche, sondern nur eine hypothetische sey, die Ge- setze daher auch andere seyn könnten. 15* 228 A. Steudel: Die Invective^ dass es einen starken Mangel an „objectiyer, analytischer Weise'' der Erörterung und Auffassung verrathe^ wenn ich dem menschlichen Wollen und Handeln alle Freiheit abspreche und doch von Eecht und Sittlichkeit rede — wobei man übrigens nicht begreift^ was hiebei die Art und Weise der Erörterung der Freiheitsfrage zu schaffen haben soll — , hätte mein Becensent sich ersparen können, wenn er das, was ich in dieser Beziehung ausgesprochen habe, gelesen hätte oder hätte beachten wollen. Er scheint davon auszugehen, dass unter Sittlichkeit nichts Anderes verstanden werden könne^ als was man gemeinhin und herkömmlicher Weise darunt-er zu be- greifen pflegt , nehmlieh eine mit Freiheit geschehende und als ein Verdienst zuzurechnende Befolgung eines transscendentalen Sittengesetzes. Ich habe jedoch an die Stelle dieses Begriffs einen ganz andern Begriff von Sittlichkeit — von Becht spreche ich gar nicht — zu setzen gesucht, und muss zum Yerständ- niss dessen Einiges aus meinem Buche ausziehen. Ich ss^e z. B.: Das Trachten nach dem Wohle der ganzen Gesellschaft gestalte sich bei einzelnen Völkern zu einer Volkssitte. Wer nun dem in dieser Volkssitte sich kund thuenden allgemeinen Willen; das Wohl des Granzen nach Möglichkeit zu fordern, gemäss lebe und handle , wozu vor Allem auch die Sorge für sein eigenes körperliches und geistiges Wohlergehen gehöre, der sey sittlich; wer diesem allgemeinen Willen entgegen lebe und handle» der sey unsittlich. Sittlich sey ein Individuum um so mehr, je mehr man bei ihm versichert seyn könne, dass es immer nur der allgemeinen Sitte und dem allgemeinen Wohle gemäss handeln werde. Dies treffe bei den sogenann- ten schönen Seelen zu, denen ein unsittliches Handeln von Natur eine Unmöglichkeit sey, deren Sittlichkeit aber eben deswegen keine verdienstliche sey, weil sie bei ihnen Natur- gesetz sey. Sie seyen gerade deswegen in ausgezeichnetem Maasse sittlich, und ihre Sittlichkeit sei eine liebenswürdige, weil sie nicht sittlich sein woUen, über Sittlichkeit gar nicht reflectiren. Ich verwerfe eine Sittenlehre keineswegs, ich be- streite ihr nur die Berechtigung, sich einen transscendentalen Charakter beizulegen, und beschränke sie auf das lediglich im Diesseits sich bewegende Streben nach einem möglichst glück- lichen und angenehmen Zusammenleben der Menschen. Es sey dies freilich eine Sittlichkeit ohne Freiheit. Darin liege jedoch kein Widerspruch, da an diesem Begriffe von Sittlichkeit keine transscendentale Pflicht, kein Verdienst und keine Schuld, keine Belohnung und keine Bestrafung hänge. Die Calculationen der Zum ethischen Problem. 229 Lebensweisheit bleiben dieselben, ob man das Bestehen der Freiheit yemeine oder bejahe. Es wäre indessen, wenn man die üeberzeugung gewonnen habe, dass der Freiheitsglaube auf Selbsttäuschung beruhe, nichts yerkehrter, als sich deshalb einem indolenten und thatlosen Fatalismus zu ergeben. Man solle leben, denken und handeln, als ob man frei wäre; das Naturgesetz werde sich darin nichts dest«weniger mit Sicher- heit vollziehen. Dabei sey auch kein 'Qrwsd vorhanden, sich des Begriffs der Sittlichkeit zu entschlagen; denn das Norm- gebende in diesem Begriff sey das objectiv Gkite, und nicht die subjective Gesinnung des Handelnden. So seyeu denn auch diejenigen, in denen ein guter Wille, die guten socialen In- stincte präponderiren , vollkommen berechtigt, gegen solche, welche durch Hingebung an ihre antisocialen Instincte das all- gemeine Wohl gefährden und verletzen, Unwillen und Miss- achtung zu hegen und zu äussern, und hierdurch in diesen Motive zum Guthandeln zu schaffen zu suchen. Zu allem die- sem brauche man keine wirkliche Freiheit des Willens, son- dern nur das berechtigte Waltenlassen des in Allen sich äussern- den und im practisohen Leben mit unwiderstehlicher Gewalt und unwillkürlich sich geltend machenden, wenn auch illu- sorischen, Geftlhls der Freiheit, das der Mensch mit den Thieren theile. So lasse sich denn eine Sittlichkeit recht wohl auch bei Verneinung der menschlichen Willensfreiheit anneh- men, und es sey Ulrici nicht beizustimmen, wenn er (in seinem Naturrecht S. 10, 65) meine: wer die Willensfreiheit läugne, läugne auch alle Ethik, und damit den Unterschied von Eecht und Unrecht, wahr und unwahr, gut und böse ; er müsse conse- quenter Weise alle Staats- und Gemeinde verbände, die nur auf den Begriffen von Gesetz, Eecht und Pflicht ruhen, für sinnlose Traditionen erklären und auf deren Abschaffung dringen. Im Gegentheii entsprechen die socialen Institutionen dem natür- lichen Bedürfniss der Mehrzahl der Menschen, und üben einen wohlthätigen sittlichen Einfluss aus, auch wenn keine Willens- freiheit bestehe. Wir müssen nur wünschen , dass die Sitten- lehre von all den abergläubischen Beigaben, mit denen sie ver- brämt werde , gereinigt und ihr der angedichtete transscenden- tale Charakter genommen werde. Dem gemeinen Wohl werde dadurch sicherlich kein Eintrag geschehen. Aber freilich müsste man dabei auch darauf bedacht seyn, ein naturwüchsiges, kräf- tiges, freies, durch keinen Aberglauben mehr verkümmertes Volksleben auf jede Weise zu fördern (S. 521 — 22, 524, 538, 588—591). 280 A. Steudel: Alles das ist mit der Einsicht recht wohl zu vereinigen, dass es nur Gott ist, der sich auch im Menschenleben dar- lebt. Ist es denn nicht auch Gott, der in der Natur und ihrem Leben waltet? Und doch geschieht dies unter der Form constanter Naturgesetze, die nach Umstanden auch der Mensch sich dienstbar machen kann. In gleicher Weise hat sich das freie Walten Gottes im psychischen Leben des Men- schen an die Form bestimmter Gesetze gebunden, auf deren erfabrungsmässige Eenntniss der Mensch mit vollem Beoht seine socialen Institutionen gründet. £s ist daher durchaus unbe- gründet, wenn Ulrici meint : wenn es keine menschliche Freiheit gebe und Gott im Menschen willkürlich schalte» so seyen alle der- artigen Listitutionen sinnlos. — Ach, ich weise und begreife es wohl, wie schwer es ist, sich von traditionellen und in Saft und Blut übergegangenen illusorischen Anschauungen los zu sagen, und wie derjenige, der sich über solche zu erheben wagt, dem Altgläubigen als leichtsinniger und mit dem Anathem zu belegender Ketzer erscheinen muss, wie er nicht hoffen darf, seine errungenen Einsichten von diesem mit vorurtheib- loser Euhe beurtheilt zu sehen ; aber ich gebe mich der Hoff- nung hin, dass auch hier die wirkliche Einsicht allmälig sich in immer weitere Bereise verbreiten werde. Warum ich, wie die Becension mir vorrückt, durch meine eudämonistische Weisheitslehre, auf welche ich hier nicht näher eingehe, mich mit mir selbst in Widerspruch setze^ sehe ich nicht ein. Dabei will ich nur kurz constatiren, dass, wie überhaupt jede Sittenlehre auf einen, wenn auch etwas her- ausgeputzten, Eudämonismus hinausläuft^ so auch Ulrici nicht umhin kann, sich zu einem solchen zu bekennen, wofür ich mich auf dessen eigene Worte (S. 160 der Becension): dass das sitt- liche Sollen auch auf Verbesserung und Verschönerung unseres Daseyns gehe, und auf das von mir S. 134, 178 und 202 meines Buches von ihm Angeführte beziehe. Nun ist es aber, worüber ich mich ebendaselbst (S 466«— 67 und 580) ausgesprochen habe, unwidersprechlich, dass, wo ein eudämonistischer Zweck des Handelns statuirt wird, von Pflicht und von verdienstlicher Sittlichkeit schlechterdings nicht die Bede seyn kann. ]>a ich die Berechtigung der staatlichen Institutionen zur Förderung der Sittlichkeit, zu denen auch die Criminaljustiz gehört, ausdrücklich anerkenne, so ist die Insinuation, dass ich als Ober-Tribunal-Frocurator bei der Criminaljustiz mitgewirkt habe, wiewohl sie nach meiner Anschauung nicht nur eine Zum ethischen Problem. 231 TÖUig unberechtigte, sondern auch eine völlig sinn-, zweck- nnd nutzlose Institution " sei, ein Hieb in die Luft. Sie zeigt übrigens, dass es dem Becensenten nicht bekannt ist, welche Stellung früher die Procuratoren in Württemberg eingenommen haben, worüber ihn zu belehren hier nicht die Stelle ist. Ich beschränke mich daher auf die Bemerkung, dass ich als Pro- curator mit der Griminaljustiz lediglich nichts zu schaffen. ge- habt habe. Indessen mochte es sich doch wohl yon selbst ver- stehen, dass gesetzlich normirte amtliche Functionen ausser allem Rapport mit den philosophischen Privat ansichten eines Beamten bleiben müssen. Wenn die Becension es sodann so hinstellt, als ob, wenn jenen staatlichen Institutionen ein Einfluss auf das Wollen und Handeln eines Verbrechers eingeräumt werde, Gott sich selbst belehren, in Folge davon seinen Willen ändern und sich fortan in dem Verbrecher anders darleben würde, als er bisher ge- than, was doch ein eigenthümlicher , seltsamer Gott wäre, so zeigt damit der Eecensent nur, dass er sich in meine Auffas- sung des peripherischen Darlebens Gottes im Menschen gar nicht hineindenken kann oder nicht hinein denken will. Vom Standpunkt jener seiner Bemerkung aus müsste er mir zu- muthen, so viele bich darlebende Götter anzunehmen, als es Menschen giebt. Zum Verständniss meiner betreffenden Auf- fassung muss ich auf das verweisen, was ich darüber im vierten Buche meines ersten Theils (namentlich Abth. U S. 384 ff.) ausgeführt habe. Ich sage daselbst insbesondere (S. 396, 397, 406): Bei Gott als solchem in seiner universellen Einheit könne an ein menschliches seelisches Leben schlechterdings nicht ge- dacht werden, er habe nur das an Millionen einzelner Indivi- duen sich abwickelnde Spiel eines psychischen Collectivlebens äusserlich an sich erleben wollen. Aber das sey nicht das Seyn und Leben Gottes an sich in seiner Universalität und Einheit. Gott lebe zwar in dem irdischen psychischen Farben- spiel, aber nicht sein Leben als Gott, als universelle geistige Substanz. Bis hieher hat es sich eigentlich nur um die Freiheits- frage gehandelt, auf deren Erörterung durch mich jedoch die Becension gar nicht eingegangen ist. Wie nun der Becensent an meine Kritik der Sittenlehre kommt, meint er: Es werde genügen, an einem einzelnen Beispiel zu zeigen, wie ich Kritik übe ; und da liege es ihm am nächsten, mein Verfahren, dur,ch das ich die Grundlage seiner Ethik als unhaltbar darzuthun suche, zu charakterisiren. Darauf giebt derselbe eine kurze 232 A. Steudel: Zusammenstellung dieser Fundirung seiner Ethik, führt dann einige der von mir dagegen erhobenen Ausstellungen auf, wor- unter die hauptsächliche die ist, dass er die Vorstellung des Guten aus dessen Begriff ableite, während die Vorstellung doch das Frius des Begriffs sey. Daran hängt er dann nur die kurze Bemerkung, dass ich ihn gründlich missyerstanden habe, lieber meine Kritik der Sittenlehre selbst aber und deren Er- gebnisse, insbesondere über die nach dem Sichlusse der Kritik in Bach II vorgetragene Reform der Sittenlehre hat er nicht einmal ein Wort; vielmehr schliesst mit jener Bemerkung der ganze Aufsatz ab. So ist also von dem ganzen Inhalte meines Buches, von der Abhandlung über die Ereiheitsfrage , von der Kritik der Sittenlehre, von der aufgestellten Reform der Sitten- lehre, in dem Aufsatze — abgesehen von jener ganz abgeris- senen Detailpolemik gegen mich — so gut wie mit keiner Silbe die Rede. Und das soll eiue Recension meines Buches seyn ! Das ist der Aufsatz um so weniger, als die Streiche, die darin gegen mich geführt werden, in der Hauptsache gar nicht gegen den Inhalt dieses Buches gerichtet sind. Gesetzt nun aber endlich auch, ich hatte in den von der Recension angeführten Ausstellungen die betreffenden Darle- gungen Ulrici's wirklich missverstanden — wiewohl er nicht sagt, worin diese Missverständnisse liegen sollen — mit wel- chem Rechte sollte sich darauf ein verdammendes ürtheil über den ganzen Inhalt meines Buches gründen lassen? Ein solches Miss verstand niss würde hieza in keiner Weise „ge- nügen^^ Doch ülrici hat mir solche Missverständnisse durch das, was er vorbringt, keineswegs nachgewiesen. Jedenfalls habe ich seine betreffenden Aeusserungen in meinem Buche wortgetreu allegirt; und wenn er die Sache nun anders gemeint haben sollte, als seine Worte lauten, so hätte eben er selbst ein solches Missverständniss verschuldet. Zum Beweise dafür, dass ich ihm nicht Unrecht gethan habe, erlaube ich mir hier nur noch auf einige Stellen aus seinem Buche „Glauben und Wissen" hinzuweisen. Er sagt hier S. 182: Die Vorstel- lung des ethisch Guten könne uns nur aufgehen, wenn und indem wir Strebungen und Handlungen nach ihrem sittlichen Werthe, in ethischer Beziehung gegen einander abwägen. Dabei müsse der allgemeine, for- male, kategorische Begriff des sittlich Guten in ähnlicher Weise, wie die logischen Kategorien, unserer un- terscheidenden Thätigkeit ursprünglich inhäri- ren, wenn uns das sittlich Gute zum Bewusstseyn Zum ethischen Problem. 233 kommen solle. Dann S. 186: Der ethisch kategori- sche Normalbegriff des Guten leite nnsern Verstand im Unterscheiden nnd Auffassen der menschlichen Willens- thätigkeit dergestalt, dass ohne solche Leitung eine Vorstellung von Gut und Böse gar nicht entstehen könnte. Femer S. 189: Der kategorische Begriff des Guten sei ursprünglich unbewusst in der Seele vorhanden. Endlich 190: Weil wir uns Terpflichtet fühlen, überall das Gute zu wollen und zu thun, und weil dies Wollen ohne die Erkenntniss, was in jedem einzelnen Falle das Gute se j , also ohne den allgemeinen Begriff des Guten unmög- lich sey, so fühlen wir uns zugleich verpflichtet, uns einen solchen Begriff zu bilden und ihn zum Sittengesetz zu erheben. — In dem^ was ülrici in der Recension diesfalls sagt, fasst er sich den Worten nach allerdings etwas vorsich- tiger; doch würde die Kritik auch hieran wieder allerlei aus- zustellen haben. Allein ich verzichte auf eine solche aber- malige Kritik. Nur das muss ich noch bemerken, dass der Leser aus dem, was die B^cension hier sagt, über die Pointe des Streites un- möglich klar werden kann, dass es vielmehr hiezu erforderlich gewesen wäre, auf meine betreffende Kritik viel näher einzu- gehen. Dieselbe steht in meinem Buche in dem Abschnitt „Absolutheit und Apriorität des Sittengebots'' (S. 252 ff.). Dabei sage ich: Ulrici habe dieser Frage eingehende Reflexionen ge- widmet, suche aber dann zu zeigen, dass das Resultat, zu dem er gekommen, theils ein schwankendes, theils ein widerspre- chendes sey, und dass er sich bei seinen Erörterungen zum Theil in einem Zirkel bewege, und bemerke schliesslich : Der- selbe scheine mir durch seine Ausführungen gerade den Be- weis geliefert zu haben, dass weder ein Angeborenseyn , noch eine Apriorität der sittlichen Elemente im Menschen in seinem Sinne sich begründen und durchführen lasse (S. 265). Bei diesem ürtheil muss ich auch durchaus beharren. Die Bemerkung der Recension, dass mir im Verlauf mei- ner kritischen Erörterungen überhaupt mehrfach Missverständ- nisse passirt seien, ist bei ihrem Mangel an aller Begründung werthlos. Was schliesslich die Anordnung meines Buches betrifft, welche, wie es scheint, von der Recension ebenfalls getadelt werden will; wenn sie am Schlüsse sagt: ich habe die ver- schiedenen Theorien nicht in dem historischen Zusammenhang, in dem sie stehen, und aus einander sich entwickelt haben. 234 A. Steudel: Zam ethischen Problem. sondern jede für sich behandelt^ und nur die Periode von Kant bis auf die Gegenwart eingehender berücksichtigt; so bemerke ich hierüber Folgendes, was zugleich auch zur Verständigung gegenüber von den betreffenden Ausstellungen der erwähnten Lasson' sehen Becension dienen mag. Ich habe keine Ge- schieh t e , sondern nur eine Kritik der Sittenlehre schreiben wollen. Da es jedoch keine Sittenlehre für sich in abstracto giebt, sondern nur die betreffenden Lehren und Aufstellungen der einzelnen Philosophen, so konnten auch nur diese Lehren und Aufstellungen im Einzelnen, durch deren grosse Mehrzahl indessen doch im Ganzen' derselbe Begriff der Sittlichkeit wie ein rother Faden hindurchläuft, der Gegenstand der Kritik seyn. Dies führte jedoch keineswegs die Nothwendigkeit mit sich, diese Systeme nun selbst der Beihe nach, eines nach dem an- dern, Yorzunehmen. £s erschien das vielmehr aus Gründen, über welche ich mich in dem Buche selbst (S. 141 — 42) aus- gesprochen habe, als unthunlich ; und es war von mir wohl er- wogen, wenn ich anstatt dessen der Kritik eine stofflich nach den einzelnen in einer Ethik zum Vorwurf kommenden prin- cipiellen Fragen gegliederte Anordnung gab , bei welcher sie nicht an Namen und Systeme gebunden war^ sondern unter den ersten und aus dem Inhalte der letzten eine sachdienliche Auswahl treffen konnte. Eine solche einschränkende Auswahl war aber schlechterdings geboten, wenn das Buch nicht wegen seines massenhaften Stoffes und der dabei unvermeidlichen Wie- derholungen ungeniessbar werden sollte. Daraus ist es nun auch zu erklären , wenn in demselben hauptsächlich nur die Leistungen der neuern Zeit in Sachen der Ethik Berücksich- tigung gefunden haben. Und diese Einschränkung erschien um so unbedenklicher, als die früheren diesfälligen Leistungen theils antiquirt sind, theils die sonst gepflogene Kritik von selbst auch auf sie ihre Anwendung findet, die Kritik also auch unter dieser Einschränkung Anspruch auf ein, was den Umfang betrifft, vollständiges Genüge machen kann. Es leitet mich bei meinem ganzen philosophischen Begin- nen nur das redliche Bestreben, einerseits zu zeigen, wie die Philosophie bisher meistens auf verfehlten Bahnen gewandelt sey, zu welchen Bahnen ich namentlich diejenige der phanta- sirenden Speculation rechne, und andererseits dieselbe auf eine neue gesichertere Bahn, diejenige des verständigen Denkens, zu leiten, welches jedoch keineswegs mit Nothwendigkeit zu dem entgegenstehenden Extrem des Materialismus (les extremes se touchent) führen muss. Dass das erstere Geschäft mich Recensionen. 23Ö anfs Vielfachste in Gonflict mit der hergebrachten Art des Philo- sophirens und den Ergebnissen desselben bringen musste, war natürlich unvermeidlich; ich glaubte mich jedoch dabei der Anerkennung versichert halten zu dürfen, dass es mir immer nur rein um die Sache, welche aber freilieh mit allem Ernst und allem Nachdruck verfochten werden musste, zu thun ge- wesen ist. Ich kann es daher nur in hohem Grade be- dauern, dass jenes mein Beginnen bei Herrn Professor Ulrici eine solche Gereiztheit, einen solchen jede Gerechtigkeit des XJrtheils ausschliessenden AfFect, wie ein solcher in seiner Recension sich ausspricht, hervorgerufen hat. Mein Versuch einer Reform der Philosophie in der erwähnten Richtung ist» wenn man ihn auch als einen revolutionären prädiciren will, gewiss ein wohlberechtigter, und die von mir entwickelten An- sichten sind, wie ich denke, wohl fundirt. Wenn denselben jedoch von Dissentienten mit wissenschaftlichen Gbründen und in wissenschaftlichem Ernst entgegen getreten werden will, so soll mir das nur willkommen seyn. Ein ehrlicher Kampf kann die Sache der Wahrheit immer nur fördern, wogegen ich oberflächliche, wegwerfende und leidenschaftliche ürtheile, wie diejenigen •des Herrn Professors ülrici, für werthlos erachten muss. Stuttgart. • A. Stau de 1. Becensionen. HorvBioB, Adolf. Psychologische Analysen auf physiologischer Grundlage. Ein Versuch zur Neubegründung der Seelenlehre. Zweiter Theil. Zweite Hälfte. Die Analyse der qualitativen Geßihle. Magde- burg. Verlag der Faber'schen Buchdruckerei, A. & R. Faber. 1878. VIII. 524 S. Im Vorwort zum ersten Theil des verdienstlichen Werkes, von welchem der Schluss des zweiten Theils uns hier vorliegt, hat der Verfasser seine Ansicht über das Verhältniss der Psy- chologie zur Philosophie ausgesprochen ; die Psychologie ist ihm die philosophische Grundwissenschaft, und nur, wenn sie als Unterbau dient, wird ein haltbares System der Philosophie auf- gerichtet werden können. Ebendaselbst hat er auch die physio- 236 Recensionen. logische Grundlegung der Psychologie gerechtfertigt, sowie den leitenden Gesichtspunkt seiner psychologischen Analysen ange- geben: sein Bestreben ist, ^alle Seelenprocesse and £in ein* faehes physisch -psychisches Grundelement zurückzuführen^» Dieses Grundelement ist das Gefühl. Die hier zu besprechende zweite Hälfte des zweiten Theiles handelt von den ^qualitativen Gefühlen^. Die historische Ueber- sicht über die Entwickelung der psychologischen Theorieen^ welche der Verfasser in den früheren Abtheilungen seines Werkes gab, hat er hier aus guten Gründen weggelassen; wo die Theorieen so weit auseinandergehen , wie es hinsichtlich der Gefühlslehre der Fall ist, da kann eine einfache Zusammen- stellung derselben kaum anders als desorientirend wirken. Den rettenden Faden im Labyrinthe der psychologischen Theorieen, ^unsere einzige Zuflucht in der Noth^, bildet die Physiologie, welche zunächst „in Ansehung der sinnlichen Ge- fühle uns darüber aufklärt, in welchen Organen und durch welche Functionen derselben Gefühle zu Stande kommen^^; denn „seelischer und Nervenprocess bedingen einander wechsel- seitig in allerwesentlichster Weise". Die neueste physiologische Theorie lehrt nun , dass in der Nerven Substanz „positive und negative Molekulararbeit^' stets neben einander hergehen, dass alle Nervenfunction von den Gegeiisätzen der Erregung und Hemmung, des Verbrauches und des Ersatzes von Kraft be- herrscht wird; die Anwendung auf die Gefühle, welche ja gleichfalls von einem ebenso durchgehenden Gegensatze des Angenehmen und des Unangenehmen, der Lust und der Unlust sich ganz und gar beherrscht zeigen, „springt gleichsam mit Gewalt in die Augen'', und zwar ist dieser Parallelismus so verführerisch, dass ihm gegenüber Vorsicht und Unbefangenheit in der Fragestellung dringend geboten erscheint: „Unsere frage lautet völlig voraussetzungslos : unter welchen Verhältnissen der Nervenreizung haben wir sinnliche Gefühle? unter welchen an- genehme? unter welchen unangenehme? sind wir jemals und wann völlig gleichgiltig?*' Die ans dem psychophysiscben Grundgesetz abgeleitete Annahme „negativer Empflndungsgrössen'% als welche die un- bewussten Zustände des Seelenlebens angesehen werden, erscheint dem Verfasser unhaltbar, da er im ersten Theil nachgewiesen hat, dass „das Unbewusste nicht ein negatives, sondern ein ver- mindertes, schwaches Bewusstsein^' ist. „Die Curve oder Inten sitätsscala beginnt also nicht mit unendlich negativen Werthen, sondern mit unendlich kleinen positiven. Was man Recensionen. 237 Schwelle des Bewnsstfieins nennte ist kein absoluter Nullpunkt, sondern ein ganz yanabler Beizzustand.'^ ,,Demgeniäs6 decken sich die Begrifft £rregungsgrÖ6se (Fechner^s psycho- pbysischer Process), Empfindung und Bewusstsein^', und dieser Satz „bildet die Grundlage für die Betrachtung der Lust- XJnlustbewegung der Gefühle im Yerhältniss zu den Intensi- täten der Reize und Empfindungen^^ Diese Abweisung negativer Empfindungsgrössen erscheint durchaus gerechtfertigt^ da sie offenbar nur den negativen Werthen des Logarithmus ihre Einführung in die Psychologie verdanken. Am deutlichsten tritt der Widersinn derselben, wie auch der Verfasser bemerkt hat, in Fechner's Worten hervor : yyMan kann ganz in demselben Sinne sagen: man empfindet im unbewussten Zustande weniger als nichts, als man im Falle von Schulden sagen kann, man hat weniger als nichts/^ Denn es hat schon für die genauere psychologische Untersuchung seine grossen Bedenken, zu sagen : yjch empfinde nichts^', da hiervon der bekannte Nachweis Schopenhauer s gilt, dass ^»Ich" = ist ,,Ich denke^S was bei der Empfindung ja noch weit mehr der Fall ist. Demnach wird der Satz: ,,Ich empfinde nichts'* niemals einen concreten Zustand als Grundlage haben, welcher dazu berechtigte, ihn in der exacteu Psychologie zuzulassen; aber viel weniger noch kann man behaupten : „Ich empfinde weniger als nichts". Deshalb weist der Verfasser die Unterscheidung negativer und positiver Zustände von der Gefühlslehre mit Recht ab. Auf Grund physiologischer Erörterung gelangt er nun zu den folgenden vier Sätzen, aus welchen er die Grundzüge der allgemeinen Gefühlslehre ableitet (S. 13): 1) Es giebt für jedes empfindende Organ und für den Organismus im Allgemeinen eine Gleichgewichtslage, um welche unsere Gefühle gravitiren, dergestalt, dass die Ent- fernung von derselben unangeuehm, die Wiederannäherung an dieselbe angenehm empfunden wird. 2) Es werden im Allgemeinen nicht die Zustände, sondern nur deren Veränderungen empfunden. 3) Das zu 1) erwähnte Gleichgewicht ist ein relatives und labiles, innerhalb gewisser Grenzen veränderliches. 4) Es giebt weder einen Nullpunkt des Reizes, noch des Gefühles. Den beiden ersten Sätzen entsprechen im rein psycho^ logischen Gebiete diese: „Das subjective, psychische Correlat des objectiven Molekular-Gleichgewichts ist die Gewöhnung; 238 Recensionen. der Gonirast ist das Neue, Ungewohnte/^ Beides, Ge- wohntes und Ungewohntes geht in fliessei^er Reihe in einander über. Das wahre Wesen des Gefühlsvor^nges wird nun in der Art und Weise der organischen, ,,spontanen und auto- nomen^' Reaction auf die Veränderung zu suchen sein^ welche im Interesse der „Selbst erhaltung, d. h. zur Bewahrung der Form und des Wesens'' des Organismus sich vollzieht; die Wurzel des Gefühls ist das ,,Innewerden des Nutzens oder Schadens'^ Bas Gefühl hängt nun weiter unzertrennlich zusammen mit dem Begehren: „es giebt kein Gefühl, das nicht sofort Begehren ist, es giebt kein Begehren, das nicht seinen Grund in einem Gefühl hat Das wahre Urbild dieses Yerhältnisse& ist das Yerhältniss zwischen Empfindung und Bewegung/' Durch diese Bestimmung soll einestheils die zu gewaltsame Sonderung von Gefühl und Begehren^ andrerseits die völlige Identificirung beider verhindert werden. Der Satz: „Es giebt kein Gefühl, das nicht sofort Be- gehren ist^^, wird sich mit der psychologischen Erfahrung schwerlich in Einklang bringen lassen. Wenn auf ein starkes Begehren das Lustgefühl der Befriedigung folgt, so dürfte ea wohl die Regel sein, dass hier, und zwar oft verhältnissmässig lange Zeit, sich keinerlei Begehren zeigt. Vielmehr wundem sich aufmlrksame Beobachter in diesem Falle über den Zustand vollkommener Wunschlosigkeit , in welchem sie sich befinden^ während sie' sich doch vollkommen glücklich fühlen; erst wenn der Gedanke sich einstellt, dass dieses Gefühl des Glücks ebenso sein Ende finden wird, wie alles Andere, dann kommt sofort das Begehren nach seiner ewigen Dauer. An und für sich aber schliesst ein starkes Lustgefühl wohl sogar in der Regel daa Begehren aus. — Das Gefühl, als Grundelement des psychischen Lebens, ist der stete und unzertrennliche Begleiter aller seelischen Thätig- keiten, woher die mannichfaltige,. dem Psychologen oft Schwierig- keiten bereitende Verschiedenheit der Gefühle. Der Verfasser nimmt drei verschiedene Grunddassen von Gefiihlen an: I. Die qualitative Gcfühlsentwickelung: „Die natürliche organische Verschiedenheit der Seelenthätigkeit be- gründet eine ebenso mannichfaltige Verschiedenheit der Gefühle. ** Nach dieser qualitativen Verschiedenheit ergeben sich nun in der ersten Grnndclasse die folgenden vier Abtheilungen: Recensionen. 2S9 1) Die Sinnes- und Gemeingefühls-Empfindungen, deren Oefuhlsgehalt man allgemein unter dem Ausdruck der sinnlichen Gefühle begriffen hat. 2) Die ästhetischen Gefühle, d. h. diejenigen Lust- Unlust-Gebilde, welche der weiteren Bewusstseinsentwickelung Gewöhnung, Erinnerung, der Wahrnehmungs- und Vor- stellungs-Bildung entsprechen. Zu ihnen gehören auch Raum- und Zeit -Sinn mit den ihnen zugehörigen Formen der Symmetrie- und Bhythmus-Gefühle. 3) Die intellectaellen Gefühle, d. h. diejenigen, welche dem eigentlichen höheren Denken und dem durch dasselbe hervorgerufenen theoretischen Interesse entsprechen. 4) Die; moralischen, d. h. die den Verhältnissen des Begebrens und Willens entsprechenden Gefühle. TL Die Denkentwickelung oder die Entwicke- lung zum Denken: diejenigen Gefühle, welche sich zur Einheit des Denkens und des entschiedenen Wollens entwickeln. III. Die Secundär-Entwickelung oder die Ent- Wickelung von Gefühlen aus Gefühlen, Gefühle höherer Ordnung, Gefühle von Gefühlen, z. B. die Furcht vor dem Schmerz einer Operation. Der Grundgedanke dieser Eintheilung dürfte von bleibendem Werthe sein, da er sachlich begründet ist; im Einzelnen werden sich freilich hinsichtlich der I. und II. Classe die specifischen Unterschiede nicht immer genau feststellen lassen, nach welchen ein concreter Geftthlszustand in die eine oder andere Classe einzureihen wäre. Von diesen drei Arten der Gefühlsentwickelung wird im vorliegenden Bande nur die erste, die qualitative Besonde- rung behandelt; hinsichtlich der beiden andern verweist der Verfasser auf die Fortsetzung des Werkes. Die nun folgende Analyse der einzelnen qualitativen Ge- fühle ist von einer Vollständigkeit, wie sie bisher wohl kaum geboten worden ist, und zeichnet sich durch reiche Fülle von Beobachtungsmateria], eindringenden Scharfsinn und sorgfaltige Kritik aus. Der Verfasser erkennt höhere Gefühle an, aber sie sind ihm das Product einer immer höher gipfelnden Ent- wickelung; dies gilt speciell auch vom Mitgefühl, „dem Grund- und Eckstein aller Tugenden^: „Ein Kind hat zuerst weder Mitleid noch Mitfreude^ , ebenso ist andrerseits auch die Schadenfreude ein Resultat höherer Bewusstseinsentwickelung. Den EinfluRs der Entwickelung und Bildung schlägt er sehr hoch an, indem er die ursprüngliche Naturanläge durch sie 240 Recensionen. veredelt werden lässig und in idealer Aufifassnng die so f|;e- wonnene höhere Bildungsstufe als die eigentliche ^Katur** des Menschen zu erweisen bestrebt ist. Dieses ebenso schwierige als wichtige Problem nimmt er in Angriff^ indem er es versucht, das Bild einer Entwickelung des Gefühlslebens zu zeichnen, welches von den elementarsten und niedersten sinnlichen Gefühlen ausgehend zu immer um- fassenderen Complexen und immer höher entwickelten Gefühls- einheiten aufsteigt. Die Art, wie er immer das Eine aus dem Andern abzuleiten, wie er z. B. die eigentlichen Sinnes- gefühle auf die frühesten Stadien der vegetativen Gemein- gefühle zurückzuführen^ wie er die ästhetischen als die hohem Gomplicationen und Gontinuitäten der Sinnesgefühle zu erklären, die intellectuellen Gefühle wieder als die höhere, strenger einheitliche Synthese ^aller harmonischen und Con- tinuitäts-Bildungen darzustellen versteht, dürfte sieber als neu und originell anzuerkennen sein. Und auch das wird man ihm zugeben müssen, dass er es verstanden hat, seinen Deductionen durch reiches thatsächliches Material und durch den Nachweis der überall erkennbaren üebergangsglieder eine möglichst ge- sicherte Grundlage zu geben. Wenn die bisherigen, die Capitel I— VIII, S. 1—226 füllen- den Untersuchungen noch über zumeist bekannte Gebiete (nament- lich über die ästhetischen und die formalen intellectuellen Ge- fühle ist ja viel geschrieben) sich erstreckten, so beginnt mit den nun folgenden moralischen Gefühlen ein ganz un- bekanntes Land, ein bisher fast ganz unbebautes Gebiet, ein Chaos durcheinander schwirrender vager Meinungen, Welches um so drückender empfanden wird, als es sich hier um Dinge und Fragen handelt, die mit dem Wohl und Wehe jedes Ein- zelnen wie mit dem der Gesammtheit in engstem Zusammen- hange stehen. Auch hier geht der Verfasser entschlossen an's Werk und sucht Ordnung zu schaffen, und man kann nicht läugneu; es gelingt ihm, so etwas wie ein System der mora- lischen Gefühle zu Stande zu bringen. Schon auf dem Gebiete der intellectuellen Gefühle war eine doppelte Strömung der formalen Einheits- und der materialen Erfolgs-Gefühle zu unterscheiden gewesen. Diese bilden nun die beiden Quellströme für die moralische Gefühlsentwickelung. Die erstere führt zu den formalen Beurtheilungsgefühlen, die sich um die Begriffe der Kraft, des Muthes, der Treue und Consequenz u. s. w. grup- piren. Die zweite, viel umfassendere Hauptabtheilung der Recensiooen. 241 materialen moralischen Gefühle wird weiter eingetheilt in die Eigex^ und Selbst-Gefühle einerseits und in die Mit- und Fremdge fühle andrerseits. Die erste Gruppe ist wieder die kleinere und umfasst diejenigen Gefühle, welche sich auf die eigene Gefühls- und Willensthätigkeit und auf die eigene Person hcziehen. Es sind das diejenigen Gefühle, welche um den Egoismus als ihren geistigen Schwerpunkt gravitiren^ als: Eigenliebe, Selbstgefälligkeit, Eitelkeit, Selbstsucht, Stolz, Kochmuth, Scham, Beue, Ehrgefühl u. s. w. Entgegen der üblichen Meinung, welche im Egoismus das materiale Grund- gefühl erblickt, aus dem sich die Specialgefühle des Stolzes, der Ehre u. s. w. erst entwickeln, weist der Verfasser nach, da SS die Entwicklung gerade den umgekehrten Verlauf nimmt, einzelne von den Specialgofühlen zu immer einheitlicher ge- stalteten Gefühlsgruppen verschmelzen, welche dann in den höheren Persönlichkeitsgefühlen ierst ihre spätere einheitliche Spitze gewinnen. Den Ausgangspunkt der ganzen Entwickelung bildet der „Erfolgs äffe et", und der Verfasser legt Werth darauf, an der besonderen Art dieser Complexbildung ihre Verwandtschaft mit den ästhetischen Harmoniegefühlen nach- zuweisen. Mit der Herausbildung des Persönlichkeitsgefühles (welche in früher dargelegter Weise mit der Ausbildung der entsprechenden Erkenn tniss Hand in Hund geht), ist eine neue wichtige Entwicke- luDgsstufe erreicht. Wie in theoretischer Beziehung die Er- kenntniss, so ist auch in pathischi^r Hinsicht das Gefühl der eigenen Person nur möglich in und mit der Erkenntniss und dem Gefühl der fremden Person. Man erkennt sich nur im Spiegelbilde der Andern, die Andern nur aus der Analogie von sich selbst. Dieser innige Wesenszusammenhang des Selb st- und Mitfühlens hildet nun den Ausgangs- und Keimpunkt, das einheitliche genetische Princip für die ganze höhere sitt- liche Gefühlswelt; das Mit- und Gleichfühlen des Gleichen unter Gleichen ist der organische Mittelpunkt aller Moral und Gerechtigkeit, aller menschlichen Verhältnisse, aller Verbände in Staat, Gesellschaft, Kirche u. s. w. Die speciellere IJntereintheilung macht sich dem Verfabser von selbst. Ergehtaus von den einfachen Mitgefühlen, die völlig voraussetzungslos und ohne Rücksicht auf die zwischen den Menschen bestehenden Verhältnisse, sich oft so gewaltsam aufdrängen wie das Mitleid mit einem in Gefahr Befindlichen. Die Gruppe von Mitleid, Mitfreude, Schadenfreude, Neid, Miss- gunst zeigt in diesen mehr elementaren Gefuhlsverhältnissen VierteljahrsBchrift 1 Wissenschaft!. Philosopliie. III. 2. 16 242 Recensionen. einen^ so zu sag^n, dialektischen FortBchritt. Die genannten anti- pathischen Affecte — in dem bewussten Gegensatz des eignen Subjectd zum fremden wurzelnd — bilden gewissermaaMen das Ferment der weiteren Entwickelung. „Es ist das erste Symptom, der erste rohe kindische Gebrauch, den das höher entwickelte Subject von der ihm eben zum Bewusstsein kommenden Eigen- freiheit und Autonomie zu machen versteht.^ Damit ist der üebergang zu den menschlichen Verhält- nissen und historischen Verbänden von selbst gegeben. Die Gruppe der „Erwiederungsgefühle" (Dankbarkeit — Rache — Undankbarkeit — Vergebung) bezeichnet die niedrigste Stufe dieser ^historischen Gefühlsentwickelung^. Auch hier tritt schon die Tendenz, sich von dem momentanen Gefühlsanlasa zu emancipiren und sich zu festern und dauernden Ge- fühlshaltungen zu erheben, deutlich erkennbar hervor. In der folgenden Gruppe der materialen Schätzungsgefühle (Achtung — Verachtung, Ehrerbietung — Abscheu, Ehrfurcht — moralischer Ekel) tritt dieser Hinweis auf dauernde Gefühls- lagen noch schärfer hervor, während die nun folgende grosse und wichtige Gruppe der Liebesgefühle ganz und gar auf einer solchen dauernden Gefühlshaltung beruht (Verfastiier führt dafür den Terminus „Gefühlshabitus^^ ein). Nach sehr eingehender, das gesammte thatsächliche Material in ziem- licher Vollständigkeit berücksichtigender Analyse der einzelnen Liebesarten (Verwandtenliebe: Mutter-, Vater-, Kindes-, Geschwister - Liebe ; Liebe zum andern Geschlecht: Romantische Liebe, verständiges Ehebegehren, sinnliche Leiden- schaft, Gattenlitbe, Galanterie und Coquetterie; allgemeine Menschenliebe: Umgang, Verkehr, Freundschaft, Bekannt- schaft, Höflichkeit, Urbanität, Leutseligkeit), — sowie des Hasses (Abneigung, Gleichgültigkeit) gelangt der Verfasser zu dem Manchen wohl etwas frappirenden Resultat, dass „die Liebe den allgemeinsten und der Menschennatur in ihren wesentlichsten Grundzügen am meisten entsprechenden, ihnen angemessensten Geftthls- habitus bilde". Der Verfasser steht einerseits auf dem Boden eines hohen ethischen Idealismus, von dem aus er es z. B. unternimmt, das Gebot Christi, Böses mit Gutem zu vergelten, psychologisch zu rechtfertigen und die allgemeine Menschenliebe als das natür- liche Froduct einer normalen Gefühlsentwickelung nachzuweisen. Andrerseits bewegt er sich durchaus auf dem Boden thatsäch- licher inductiver Forschung und eines nüchternen realistischen K I Beeensionen 243 Bmpirismus ^ welcher den Thatsachen unbefangen ins Gesicht blickt and den Forderungen des „gesunden Menschenverstandes'^ (trotz mancher frappirender Paradoxieen) Gerechtigkeit wider- fahren lässt, indem er mit Vorliebe den Fingerzeigen des Sprachgebrauches, der gemeinen Eede weise und der Aoschau- cingen von JedermaDu nachgeht. Als ein besonders prägnantes Beispiel dieser zugleich idealen und realen Anpassung lässt «ich das Capitel von der romantischen Liebe bezeichnen^ welche sich dem Verfasser zufolge rein natürlich auf sexueller Grund- lage entwickelt, aber über dieselbe hinauswachsend zu einem hohen sittlichen Ideal wird. Seine Ansichten hierüber sind in folgenden Sätzen zusammengefasst, die zugleich als Probe seiner Darstellung dienen mögen: ^s ist mit der Liebe wie mit der Ehre, auch sie ist zum grossen Theil schon ein historisches Gefühl, d. h. durch die besondere Weise unsrer Gulturentwickelung bedingt und durch die Sitte beherrscht. Die Institution der Ehe bildet einmal die überlieferte, durch Recht und Sitte geheiligte Form der Gemeinschaft zwischen Mann und Weib, den Eahmen, in welchem dieses Gefühl sich allein entwickeln kann; und das wirkt wieder zurück auf die Art des Gefühls, entzündet es höher, macht es reiner und feiner, ausdauernder und opfer- bereiter. Das ist der erziehende Einfluss der Sitte und darin besteht zugleich die hohe veredelnde. Macht echter Weiblichkeit. Eben dadurch, dass es nicht möglich ist, die stärkste Leiden- schaft, den mächtigsten Grundtrieb zu befriedigen, ohne die ganze Person einzusetzen und dranzugehen, wird dieser Trieb einerseits stärker und mächtiger wie ein gestautes Wasser, andrerseits reiner und edler, geadelt durch den höheren Werth des erstrebten Gegenstandes. Gerade die Grösse des Opfers, das ich bringen, der hohe Preis, den ich zahlen muss, macht das erstrebte Gut in meinen Augen werthvoUer und lockender. Daraus erklärt sich die hohe Gluth und Innigkeit, die unser Gefühl so oft annimmt, die schwärmerische Illusion, mit der es sein Object zu umhüllen pflegt und die leidenschaftliche Zähigkeit und Ausdauer, mit der es demselben nachstrebt." Der Begriff des „Gef ühlshubitus^S der dauernd ange- nommenen Gefühlshaltung, in welchem die Entwickelung der Mit- und Selbstgefühle, der Erwiederungs- und Liebesgefühle gipfelt, bildet zugleich den Uebergang und die Grundlage für die letzte Hauptabtheilung der historischen oder Ver- band-Gefühle. Dieselben wurzeln durchweg im Begriff der Pflicht, welchen der Verfasser aus der Willenslehre und 16* 244 Recei»H>iieD. Ethik anticipirend , hier einer vorläufigen Analyse unterzieht'; er kommt zu dem Resultat, dast» ^^das Pflichtgefühl erstlich ein habituelles, anerzogenes, angewöhntes Gefühl ist, welches eben deshalb mit allen unsren Gefühlen , wie man zu sagen pflegt, mit unsrer ganzen Denk- und Sinnesart innig Terwachsen, mit unauslöschlichen Zügen in Herz und Gemüth eingegraben ist, und zweitens, dass es ein Verbandgefühl ist, d. h. ein Gefühl, welches sich auf ein über uns stehendes^ uns mit allen unsem Gefühlen und Gefühlscomplcxen umfassendes, tragendes, be-* dingendes, höheres Ganze bezieht." (S. 477.) Und es ist hierzu noch hinzuzunehmen, was er S. 48 1 foststellt, „dass alle Pflicht Liebespflicht ist, auf Liebe beruht, ganz und gar Liebe ist'*. Auf dieser wiederum hochidealistischen Grundlage breiten sich nach Art concentrischer Ringe in immer weiteren Sphären die Verband gefühle gegen Familie, Gemeinde, Kreis, Staate Volk, Nation, die gesellschaftlichen Gefühle in sehr complicir* ten Verhältnissen, endlich die allgemeinen Sittlichkeits- und die religiösen Gefühle aus. — Diese kurze Inhaltsangabe würde ihren Zweck vollkommen verfehlen, wenn sie dem Leser einen Ersatz für das Buch selbst bieten würde; vielmehr soll sie lediglich dazu dienen, die Aufmerksamkeit auf dasselbe als ein des gründlichsten Studiums durchaus würdiges hinzulenken. Und zwar verdient es nicht nur die Beachtung der Psychologen, sondern es ist auch vorzüglich geeignet, die psychologischen Anschauungen weiterer Kreise in wesentlichen Punkten zu fördern und zu berichtigen. Die empirische Psychologie steht, indem sie ohne vorgefassfe Meinung die Thatsachen sammelt und sichtet und nach wissenschaftlicher Methode verwerthet, in der Mitte zwischen zwei entgegengesetzten Ansichten speculativen Ur- sprungs, welche beide eine ziemliche Popularität erlangt haben. Die Psychologie der spiritualistischen und dualistischen Meta- physik stellt den Menschen als ein Muster von theoretischer und praktischer Vollkommenheit dar, welche er mühelos von Natur besitzen soll ; die moderne materialistische Reaotion gegen diese phantastischen Annahmen glaubt unfehlbar das Richtige zu treffen, wenn sie in allen Punkten einfach das Gegentheil behauptet, und kümmert sich daher ebensowenig um die That- sachen wie ihre idealistischen Antipoden Hiermit sind natür^ lieh nicht die eigentlichen wissenschaftlichen Vertreter des Materialismus gemeint, welche ja im Kampfe mit der specula« tiven Philosophie zum Theil die Psychologie wahrhaft gefördert haben, und jedenfalls auf einem Niveau stehen , von dem aus Selbstanzeigep. 245 sie über wissenschaftliche Streitfragen mitreden können ; diese haben mit denjenigen, welche sich heutzatage Materialisten nennen, kaum etwas Anderes gemein als den Namen. Diese letzteren, die populären Ausläufer des gegenwärtig von allen wissenschaftlichen Männern aufgegebenen Materialismus, suchen häufig mit widerwärtiger Dreistigkeit ihren Euhm darin, ihr eigenes Mass von Denken, Fühlen und Wollen, von Kenntnissen und Bildung allen Andern wenigstens theoretisch aufzubürden. Mit der bekannten Sicherheit aller Speculativen, für welche ja ihre Dogmen stets absolute Gültigkeit haben ^ stellen sie die Resultate ihrer persönlichen Erfahrung als allgemein und noth- -wendig hin und sehen daher selbstverständlich Alles , was sie bei sich selbst nicht vorfinden, als überhaupt nicht vorhanden An; ein Standpunkt, welchen sie gern mit der Etiquette der „Bescheidenheit*^ versehen, während sie abweichende Ansichten als anmaassend oder auch als heuchlerisch von vornherein ver- werfen. Dieser Unfug , welcher sich der Bequemlichkeit sehr empfiehlt, hat sich gegenwärtig recht eingebürgert und wirkt AVLoh in praktischer Beziehung höchst verderblich. Deshalb wäre es dringend zu wünschen, dass eine wirklich wissen- .srhaftliche Psychologie, so lange es noch Zeit ist, an die Stelle der speculativen Phantasiegebilde träte, seien diese nun spiri- tualistischen oder materialistischen Ursprungs. Diesen so noth- -wendigen Umschwung einzuleiten, erscheinen die „psychologischen Analysen*^ sehr geeignet, auch durch die Art ihrer Darstellung, w^elche durch häufig eingestreute typische Geschichten und Anekdoten die übliche Trockenheit der Lehr- und Handbücher vermeidet. Leipzig. G. Göring. Selbstanzeigen. ^Die „Selb8taiiMig«n'* sclili«sBen «ine Becension der betreffenden Werke in dieser Zeit- •clirift nicht ans.) Capeaius, J. Die Metaphysik Her hartes in ihrer Entwicklungsgeschichte und nach ihrer histo- rischen Stellung. Ein Beitrag zur Geschichte der nach- kantischen Philosophie. Leipzig, 187S. H. Matthes. (XII u. 108 S. gr. 8.) Der erste Theil gibt die bisher hauptsächlich von Harten- stein und Zimmermann behandelte Entwicklungsgeschichte der H.'schen Metaphysik in theilweiser Abweichung von jenen Au- 246 SellMteoMigen: toren. £s werden in denselben (1788 — 1806) vier Perioden (statt, wie bei Zimmermann^ zwei) unterschieden. Dadurch gelingt eine genauere Sonderung der einzelnen Factoren, welche die Entwicklung H.'b bedingen, und unter denen als grundlegend der durch Wolff vertretene Bationalismus und als weiter richtung- gebend besonders die Wiesenschaftslehre Fichte's erscheint. Die Haupt tendenz war auf eine psychologische Erklärung der be- handelten ErscheiDungen gerichtet. — Im Zusammenhang mit den Eesul taten der Entwicklungsgeschichte bestimmt der zweite Theil die bist. Stellung der H.'schen Metaphysik in anderer Weise^ als es bisher yielfach üblich war: Zunächst wird einem weit verbreiteten Yorurtheil gegenüber die durchaus negirende Hal- tung H/s zu Kant nachgewiesen, und sodann die positive Stellung seines Systems als diejenige eines logischen — dem WolflTschen zumeist verwandten — Bationalismus bestimmt, im Gegensatz^ zu der von Kant ausgehenden Richtung des sog. Idealismus,, für welche die Bezeichnung eines psychologischen Bationalismus gewählt wird. Der letzte Abschnitt gibt eine kritische Beleuch- tung des H.'schen Bationalismus, namentlich im Zusammenhang mit der Kantischen Formulirung des re^tionalistischen Problems.. Hoppe, J. I. Die Schein- Bewegangen. Wtirzbnrg,. A. Stuber, 1879. (XII u. 212 S. gr. 8»). M. 4. Der Verfasser ist von dem undeutlichen Sehen eines kleinen Gegenstandes ausgegangen, der, wenn man mit den Augen auf demselben verweilt, bald den Eindruck zu machen pflegt, als ob er sich fortbewege. Diese Erscheinung erklärt sich aus dem Zucken der Augenmuskeln in Folge der Sehan- strengung. Somit wurden zunächst die hieraus sich ergebenden Scheinbewegungen nebst den verwandten Erscheinungen, nament- lich die Bewegungen der Statuen und Bilder, erörtert und auf- gehellt. Die gefundene Erklärung führte nothwendig dazu, die- jenigen Scheinbewegungen, die sich aus zurücklaufenden oder gekreuzt laufenden Bildern des bewegten Auges nun einmal nicht erklären lassen, wie die scheinbare Bewegung des Ufers,, bei ruhigem Stehen am Ufer in ruhigem Hinsehen auf dasselbe^ ebenfalls auf feine Zuckungen der Augenmuskeln zurückzu- führen, welche Zuckungen aber, da sie nicht aus anstrengender Bethätigung der Augenmuskeln entstellen können, vom Yer^ fasser als reflectorischc Zuckungen der Augenmuskeln in Folge des vom bewegten Waseer her die Netzhaut treffenden Lichtreizes aufgefasst werden, wodurch zugleich die rück- läufige Form der Scheinbewegung erklärt wird. Diese Theorie der durch Bewegungsreize, welche bei der Abprägung von wirk Selbstanieigen. 247 Hohen Bewegungen aof der Netshant entstehen, veranlassten Be- flezbewegnngen ist anoh bei den übrigen Scheinbewegungen soweit verwerthet worden, als der geometrische Verlauf der Bilder über die Netzhaut oder das Denken in den reproducirten 'Vorstellungen früher wahrgenommener Bewegungen sur Er- klärung nicht oder nicht allein genügte. Auch die scheinbaren Bewegungen beim Eisenbahnfahren, die Scheinbewegungen des Mondes u. a., ferner die Reizung, welche durch gesehene Bewegungen auf die Netzhaut und durch Fortleitung auf das Gehirn ausgeübt wird^ der Begriff der »Bewegung" sowie das Verhalten der Geistesthätigkeit im Zustande der V^ahmehmung des Scheines sind möglichst genau erörtert worden. Einige allgemeine Betrachtungen über ,,Percipi est esse'', über Subjectivität der Naturauffassung und Fhänomenalität der Wirk- lichkeit etc. schliesaen den Versuch. Mühry, Adolf. Ueber die exacte Natur-Philo- sophie. Göttingen, Dietrich^ zweite venu. Ausg. (IV, 101 S., kl. 80.) 1878. Unser Wissen von den Naturverhältnissen muss die Grund- lage bilden für die Philosophie überhaupt; in der neusten Zeit hat jenes Wissen sehr rasch sehr grossartige Erweiterungen gewonnen. Die Auffassung der Natur ist vornehmlich eine kosmologische geworden. Es ist jetzt erkannt, dass im ganzen Weltall gelten nicht nur dieselben mathematischen, mechani- schen, physikalischen und chemischen, sondern auch dieselben logischen Gesetze. Aber es mangelt noch an der Anerkennung der letzteren, und damit zunächst auch der Teleologie, welche vor allem der richtigen Begriffsbestimmung bedarf, um deut- lich hervorzutreten, nämlich als die in den Theilen eines Ganzen bestehende Proportionalität, (auch in einer blossen Maschine), welche nie ohne Denken' zu Stande kommen kann. Das im Universum so rein naturwissenschaftlich anzuerkennende Denken ist aber identischer Art mit dem Denken, oder dem Geiste, des Menschen, denn yerschiedene logische Gesetze kann es nicht geben, obgleich in Vergleichung mit jenem das mensch- liche Denken nur eine minimale Grösse darstellt. Aus dieser Auffassung der allgemeinen Stellung des Geistes im grossen Ganzen der Natur ergeben sich wichtige Folgerungen für die Philosophie, Yon denen einige zu ziehen schon unternommen worden ist. Sie identificirt das Subject, nicht wie früher vom Pantheismus geschah, nicht auch mit dem Physischen im engeren Sinne; sondern nur mit dem objectiven Geiste im Weltall. Damit hat die Philosophie in richtiger Weise die ihr zukommende Analogie 248 Philosophische Zeitschriften. mit der Copernicanischen Weltanschauung gewönnet! (welche manchmal unrichtig in Anspruch genommen wird). Qtiiilones, XJbaldo B. La Religion de la Ciencia. (Filosofia racional.) Madrid, Libreria Bailly-Balieri, 1878. gr. 8^ XXXV & 515 pp. El autor de este libro exencialmente espiritualista , espone en los dominios de la ciencia matematica lo melde para una Beligion universal. Componese la obra de dos libros. En el primero despues de la tesis en el Frdlogo, en el capitulo „Ley general del Ba- cioiiDio*' espone un m^todo cientifico para la investigacion general de la yerdad y trata luego de las relaciones entre el hombre y Dios presentando las Bases para un Dogma de moral universal. En este primer libro combate el Materialismo, de- clarandose deista pero no en la manera y forma que lo han hecho hasta hoy todos los pensadores, sino afirmando toda in- determinacion en orden d la Idea de esta Primera Causa. — En el libro segundo ocupase de las relaciones del hombre con sus Bemejantes elevandolas d categoria de Leyes universales com- batiendo victoriosamente la Filosofia y concepciones Hegelianas. Philosophische Zeitschriften. Fhilosophiflolie Monatshefte. Band 14, Heft 8 und 9: R. Eucken: Untersuchungen zur Geschichte der älteren deutschen Philosophie. II. Nico- laus von Cues. — J. Witte: Die Lehre vom subjectiven An- theile des Geistes an allem Erkennen und der Apriorismus. — A. Scheuten: Aphoristische Gedanken über Baum und Zeil. — P. V. Lilienfeld, Gedanken über die Socialwissenschaft der Zu- kunft; rec. von Jodl. — G. Biedermann, Philosophie als Be- griffswissenschaft; bespr. von L. Weis. — J. Sully, Pessi- mism; b^pr. von C. Schaarschmidt. — Ob. Renouvier et F. Pillon, Psychologie de Hume ; besp. von dems. — 0. Flügel, Die Seelenfrage ; bespr. von dems. — Ereyenbühl, Religion u. Ghristenthum ; bespr. von L. Weis. — Fr. Zimmer, J. G. Ficht e's Religionsphilosophie ; bespr. von 0. Schaarschmidt. — Bibliotheca philos. med. aet. , hrsg. von C. S. Barach — und Noack, Philosophie - geschichtl. Lexicon ; angez. von dems. — • Philosophische Zeit Schriften. 249 Litteraturbericht : Biese; Post; Gross; Ueberhorst; Ditterici; Frederichs ; Goebel ; Horwicz ; Pensier ; Hellenbach. — A . Sp i r : Antikritik; Th. Lipps: Doplik. — Bibliographie von F. Ascherson. — Vorlesungen. — Becensionc n - Verzeichnigs. — Aus Zeitschriften. — Miscellen. Band 14, Heft 10: M. J. Monrad: Hamlet — und kein Ende. — M. Carriire, Die sittl. Weltordnung; bespr. von A. Lassen. — K. Dittmar, Vorlesungen über Psychiatrie; bespr. von K. Böhm. — L. v. Golther, Der moderne Pessi- mismus; bespr. von C. Schaarschmidt. — L. Strümpell, Die Geisteskräfte des Menschen; bespr. von dems. — Littera- turbericht: Pfleiderer; Harms; v. Eirchmann; Völkel. — C. Ueberhorst: Zur Abwehr; J. H. Witte: Replik. Biblio- graphie von F. Ascherson. — Vorlesungen. — Recensionen- Verzeichniss, — Aus Zeitschriften. — Miscellen. Zeitschrift f&r Philosophie und philosophische Kritik. Band 74, Heft 1: H. Sommer: Die Lehre Spinoza's u. der Materialismus. I. — J. B. Weiss: Untersuchungen über Fr. Schleiermacher's Dialektik. IL — E. Dreher: Zum Ver- ständniss der Sinneswahmehmungen. V. — Recensionen: Per- fiönlichkeits-Pantheismus u. Theismus. Carri^re, Baader, Ritter, TJlrici; von Fr. Hoffmann (Schi.) — 0. Caspari, Die Ur- geschichte der Menschheit; von Fr. v. Baerenbach. — B. Bocholt, Die Philosophie der Geschichte ; von M. Carriire. — B. Conta, Theorie du Fatalisme; von Lassen. — Fr. Miche- lis, Die Philosophie des Bewusstseins. — J. Grote, A Trea- iise on the Moral Ideals; von Erohn. — R. Flint; Theism; von H. Ulrici. — Smith, Faith and Philosophy ; von dems. — Hodgson j The Philosophy of Refiection ; von dems. — Cook, Biology ; von dems. — J. 4{ u her. Die Forschung nach der Ma- terie ; von dems.— G. Martins, Zur Lehre vom Urtheil ; von dems. — J. Jacobson, Ueber die Beziehungen zw. Kategorien etc.; von dems. — E. Dreher, Beitrage zur Theorie der Farbenwahr- nehmung; von dems. — v. Wangenheim E., Vertheidigung Kant's gegen Fries; Selbstanzeige. — v. Gi?ycki, Die Ethik David Hume's etc; Selbtsanzeige. — Bibliographie. Bevue Philosophique de la France et de l*iltranger. Jahrg. 3., Heft 10: H. Taine: Geographie et M^canique c^r^brales. — C a r ra u : Moralist es anglais contemp. : M. Lecky. — S^ailles: Fhilosophes contemp.: M. Ravaisson. — Notes et do- cuments: La conscience sous l'action du chloroforme, d'aprös H. Sp e n cer. — De la Durde des actes psjchiques ^t^mentaires, d'apris Eries et Auerbach. — Analyses et comptes rendus: 250 Philotophische Zeitschriften. Hnber, Der Fessimismas ; HorwicZyTsychol. Analysen ; v. Oizyoki, Die Philosophie Shaf lesbury's ; Eneken , Gesch. u. Kritik der Grundbegriffe etc. ; Hanslick, Du Heau dans la mnsique. — Beyne des P^riodiques. — Correspondance : Joyau: Les lapsus de la Vision; Egger: Räponse. Heft 11: A. D a s t r e : Le Probleme physiologique de la vie. — G. Compayre: La Psychologie de Tenfant» d'apr^ des publications r^centes. — H. J o 1 y : La Jeanesse de Leibniz k rUniversit^ de Leipzig. — Notes et docnments: L'Intelli- gence animale, d'apr^s Rom an es. Note sur le sens muscu- laire, par G. Pouch et. — Analyses et comptes rendus: Renan, Caliban; Guyau, La Morale d'Epicure: Bougot, Essai sur la critique d'art; Liard, Les Logiciens anglais contemp.; Zöllner, 'Wissenschaft!. Abhandlungen. I.; di Giovanni, Prineipii di filoBofia prima. — Notices bibliographiques : Beaussire ; Gugnin } Delaunay ; Ferri ; Grote ; Reich ; Shields. — Revue des Periodiquee. Heft 12: C.-S. Peirce: La Logique de la Science. (L) — A. Penjon: La Metaphysique ph^nom^niste en Angleterre: Hodgson. L — P. Regnaud: Etudes de philosophie indienne (rEcole Yedanta). — Varietes: Les Etudes psychol. en Alle- magno: Lazarus, par Th. Reinach. — Analyses et comptes rendus: Mayr, Die philos. Geschichtsauffassung der Neuzeit; HorwicZy Psychol. Analysen. Hf. ; Horwicz, Moral. Briefe; J. V. Eirchmann, Katechismus der Philosophie ; Secretan, Discours laiques; Ouyau, La Morale d'^ilpicure (fin). — Revue desP^riodiques. La Philosophie Positive. Jahrg. 11, Heft 1 : E. Littr^: Le D^terminisme de Claude Bemard. — G. Wyrouboff: La Guerre d'Orient (suite). — H. Stupuy: y,La Rdvolation'' selon M. Taine. — E. Littr^: De rinfluence de la Philosophie posit. en nos affaires. — T. R i d a r d : Instinct-Intelligence ? — A. D u b o s t : Le Trans- formisme. — £. L i 1 1 r ^ : Le centenai re de Voltaire. — P.Petroz: Salon de 1878. — E. deRoberty: Notes sociologiques. — £. Littr^: La paix probable. — Vari^t^s. — Bibliographie. Heft 2: £» Littre: La double conscience. — £• Lesig ne: La Familie dans le pass^. — G. A. Hubbard: L'£lcole d'ad- ministration. — £.Littr^: La religion d'Israel. — P. Petroz: Exposition univ. de 1878. — £. Noel: Mad. Gomte a Rouen. — X.: Les missions laiques (suite). — M. Rt^gis: France et Monarchie (suite). — G. Wyrouboff: La Guerre d'Orient. — £. Littre: La paix faite. — Vari^t^. — Bibliographie. Heft 3: P. A. Segond: Du Proc^de comparatif et de PhUosophisehe ZeitMhriften. 251 flon application auz ^tudes biologiques. — A. Sanson: L'^tat actuel de la Zootechoie. — A. Bitti: £tude aar la folie. — £. L i 1 1 r ^ : De la ciTilisation des AryenB-Hindoiu. — H. S t u pu 7 : Notice sur la yie et les oeuvres de Sophie Germain. -~ P. Petroz: Le roman moderne et £. Zola. — Fr. Paul- han: Le fondement de la Morale. — M. R^gis: Fraoce et Monarchie (suite). — G. Wyrouboff: Quelques nouyeauz livres. — Bibliographie. Mind. Heft 13: Wm. James: Are we Automata? — E.Gurney: On Discord. — J. "Venu: The Di£Picultif s of Material Logic. — Fr. Pollock: Marcus Aurelius and the Stoic Philosophy. — - 0. Plumacher: Pessimism. — G. St. Hall: Philosophy in the United States. — Notes and Discussions: The Establisment of Ethical First Principles, by H. Sidgwick; Mr. Balfour: on Transcendentalism , by E. Caird; with Beply by A. J. Balfour; The Number of Terms in a Syllogism, by C. B e a d ; „Matter-of-Fact" Logic, by J. N. Keynes; Theoretical and Practical Logic, by A. Sidgwick; Modem Nominalism, by A. Meinen g. — Ctitical Notices: Fowler's Edit. of Bacon's NoYum Organum, by G. C. Bobertson; B^musat's Hist. de la Philosophie en Angleterre, by C. Bead; Benan's Dialogues et Fragments, by G. C. Bobertson. — New Books. — Mis- cellaneous. IiB Filosofia delle Scuole Italiane. Band 18, Heft 2: L. Ferri: L'idea (analisi de' suoi carat- teri). — G. Danieili: Della fisiopsicologpa del prof. Herzen. — R Bobba: La dottrina della libertä secondo Spencer in rapporto colla morale. — F. Bagnisco: Le cause finali in Piatone e Aristotele. — G. AUievo: La personalita umana (II). — Bibliografia: L. Strümpell; CoUyns Simon; G. Bar- zellotti; Herti; G. Buroni. — Periodici di filosofia. — ■ Becenti pubblicazioni. Heft 3: B. Manzoni: Sulla dottrina dell' amore in Giordano Bruno e Schopenhauer. — T. Mamiani: Filosofia della realitji. — Fr. Bertinaria: Bicerca se l'odierna societ^ ci vile progredisca ovvero retroceda. — G. Jandelli: Del sen- timento. — Fr. Lavarino: Sui principii della educazione morale. — Bibliografia: Mac Cosh; Frohechammer; W. Windel- band; L. Marion; A. Espinas; £. Beaussire; D. Carutti. — - Notizie. — Becenti pubblicazioni. Eine neue philosophische Zeitschrift erscheint seit Ende des vorigen Jahres in Porto im Verlag von Magalh&es 252 Bibliographische Mittheiliingen. & Moniz. Dieselbe führt den Titel: ,,0 Positlyismo^^ und wird Ton den Herren Theophilo Braga und Julio de Mattos in jährlich 6 Heften zu 5 Bogen (S^) herausgegeben. Eine weitere Anzeige Torbehaltend werde an dieser Stelle nur der Inhalt des uns vorliegenden 1. Heftes angegeben: Disciplina mental. — C. Pedroso: 0 fortuito na historia. — J. de Mattos: O determinismo em psyco- logia. — G. de VasconceUos Abreu: Litteratura S&os- krita. — Th. Braga: Gr&o-Vasco. — J. de Mattos: A religi&o do futoro. — F. Ad. Coelho; Materiales para o estudo da origem e transmiss&o dos contos populäres. Bibliographische Mttheilnngen. Aristotelis de arte poetica Über. Bec Gailelmns Christ. 8. (VI, 48 S.) • Leipzig, Tenbner. 60 Ff. Bain's (Dr. Alex.) Mind and Body: the Theories of their Relation. 6th Edition. Cr. 8vo. 48 (International Scientific Series.) Bärenbach^ Dr. Frdr. t., Grundlegung der kritischen Fhilo- Bophie. 1. Thl. A. a. d. T.: Prolegomena zu e. anthropolog. Phi- losophie. gr. 8. (XL. 386 S.) Leipzig 1879, Barth. 6 M. Bibliotheca philosophorum mediae aetatis. Herausg. ▼. Prof. Dr. Carl Sigm. Barach. 2. ßd. gr. 8. Innsbruck, Wagner. Mk. 3. 60 (1 u. 2: 6. — ). Inhalt: Excerpta e libro Alfredi Anglici de motu cordis item Costem-Üen-Lucae de diiTerentia anima et spiritus über trauslatns a Johanne Hispalensi. Als Beitrilge zur Geschichte der Anthropologie und Psychologie des Mittelalters nach handschriftl. Ueberlieferungen herausg. u. m. e. einleit. Abhandl. und Anmerkungen versehen. (XI, 139 S.) Bibliothek^ philosophische, oder Sammlung der Hauptwerke der Philosophie alter und neuer Zeit. Unter Mitwirkung nam- hafter Gelehrten herausg., bez. übers., erläutert und mit Lebensbe- Schreibungen versehen von J. H. v. Kirchmann. 2b6. u. 267. Heft, gr. 8. Leipzig, Koschny. a — . 50. Inhalt: Leibniz, Theodicee. 1. u. 2. Heft. (S. 1—128.) Bibliothek der Volkswirthsehaftslehre u. Gesellsohaftswissen- schalt. Herausg. von ¥. Stöpel. 15. Lfg. gr. 8. Berlin, Ezped. d. Merkur. 1 M. — Inhalt: Die Einheit d. Gesetzes nachgewiesen in den Beziehungen der Natur-, Social-, Geistes- und Moral-Wissen- schaft Von H. C. Carey. Aus d. Engl. 4. Lfg. (XX u. S. 337—436.) B eiliger 9 Dr. Adf. ^ das Problem der CausaUtät. Ein philosoph. Versuch, gr. 8. (VIII, 157 S.) Leipzig, Femau. 3 M. 60 Ff. Bourdet (le Dr. £m^*) — Des ICaladies du oaiactere, au point de vue de l'hygiene morale et de la Philosophie positive. Nouvelle Edition. Iq-8. 5 fr. Busch, Otto, Arthur Schopenhauer. 2., gänzlich umgearb. Aufl. gr. 8. (VIII, 239 S.) München, Bassermann. 4 M. 50 Pf. / Bibliographische Mittheüungen. 253 Capesiosy Dr. J., die Metaphysik Herbort's in ihrer Ent- wicklungsgeschichte und nach ihrer historischen Stellung. Ein beitrag zar Geschichte der nachkant. Philosophie, gr. 8. (\I, 108 S.) Leipzig, Matthes. 2 M. 50 Pf Caro (£•)• — I«e Fessimisme au XIX e siecle. L^opardi. Schopenhauer liartmann. In- 12. 3 fr. 50. Clairefond (A. M«). — Une nouvelle ezplication de TA-B-C. £tnde physiologiqne sur les orgines dn langage. Gr. in-8. 4 fr. Comte (Aag.). — Essais de Philosophie mathematique. In-8. ] fr. 5 » cts De-Dominlcls (S. F.). La dottrina dell' evoluzione. parte I, L'organismo della filosofia positiva; in-8, pag. 150. 'i'orino, 1878. 2 L. 50. Eneken, Pr. Dr. Bud«, Geschichte der philosophischen Ter- minologie. Im Umriss dargestellt, gr. 8. (V, 226 S.) Leipzig 1879, Veit & Co. 4 M. Fischer^ Knno^ Geschichte der neuern Philosophie. 1. Bd. 1. Thl. A 11. d. T. : Descartes u. seine Schale. 1. Tbl. Allgemeine Einleitg. Descartes* Leben, Schriften u. Lehre. 3. neu bearb. Aufl. gr. 8 (XVL 440 S.) München, Bassermann. 9 M. FreriehS; Dr. Herrn., über Naturerkenntniss. gr.,8. (36 S.) Bremen, Kühtmann & Co. 1 M. Funke, Sem.-Lehr. Dr. C. A., die Lehre Flatons v. den Seelen- vermogen, nach den Quellen dargestellt u. beurtheilt. 8. (50 Q.) Paderborn, F. Schöningh. 1 M. 20 Pf. Geiger, L., zur Entwicklungsgeschichte der Menschheit. Vor- träge. 2. Aufl. gr. 8. iVII, l.iO S.) Stuttgart, Cotta. 4 M. Harms, Frdr.« die Formen der Ethik. [Aus: „Abhandlgn. d. kgL Akad. d. W.**] gr. 4. (42 S.) Berlin, Dümmler's Verl. in Comm. 2 M. — , — , über die Psychologie v. Johann Nicolas Tetens. [Ans: „Abhandign. d. kgl. Akad. d. Wiss."] gr. 4. (32 S.) Berlin. Dümm1er*B Verl. in Comm. I M. 50 Pf. Hartmann, Ed. y., Phänomenologie d. sittlich. Bewusstseins. Prolegomena zu jeder künft. Ethik gr. 8. (XXIV, 871 S.) Berlin 1S79 C. Duncker. 16 M. Helmholts, Dr. H«, die Thatsachen in der Wahrnehmung. Rode, geh. zur Stiftungsfeier der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin am 3. Aug. 1878, Überarb. n. m. Zusätzen versehen, gr. 8. (68 S.) Berlin 1879, Hirschwald. 2 M. Holder, Prof. Dr.. über die Möglichkeit und die Bedingungen wahrer Erkenntni ss. gr. 4. (37 S.) Urach. (Tübingen, Fues.) 1 M. 20 Pf. Kluge, Prof. A», philosophische Fragmente. Mit Bezug auf die V. Hartmann^sche „Philosophie d. Unbewussten". 2. (Titel-)Ausg. gr. 8. (IX, 296 S.) Freiburg (1877), Herder. 4 M. Köstlin, Dr., Heinr. Adf., die Tonkunst. Einführung in die Aes- thetik der Musik gr. 8. (XII, 370 S.) Stuttgart 1 S79, Engelhom 7 M. •— , Prof. Dr. Karl, über den Schönheitsbegrifr. gr. 4. (60 S.) Tübingen (Fues). 2 M. Kjrm, A. L., das Problem d. Bösen. Eine metaphys. Untersnchg. gr. 8. (78 8.) München, Th. Ackermann. 1 M. 60 Pf. Lef^yre (Andr^). — La Philosophie. In- 12. 5 Ar. Marion (Henri), J. Ijocke, sa vie et son oauvre, d'apres des documents nouveauz. In-ri. 2 fr. 50 cts. 254 Bibliographische Mittheilangen. liendeeker^ Dr. G.^ Stadien sur 0esohiohte der deutschen Aesthetik seit Kant. gr. K (V, 136 S.) Würzbarg, Stakel. 4 M. Vemhaeusery Prof. Dr. J», Aristoteles' Lehre v. dem sinnlichen ErkenntnisBvermogen u. seinen Organen, gr. 8. (134 S.) Leipzig, Koschny. 2 M. Voaeky Prof. Dr. Ludw., historisch-biographisches Handwörter- buch sur Geschichte der Philosophie. 6 — 9. Lfg. Lex. -8. (S. -101-720.), Leipzig, Koschny. 1 M. 50 Pf. Pflzmaier^ Dr. A«, die philosophischen Werke China's in dem Zeitalter des Thang. [Aus: „SitzuDgsberichte d. kgl. Akad. d. Wis8.<^] Lex.-8. (82 S,) Wien, Gerold's Sohn in Comm. 1 M. 40 Pf. Pfleiderer^ Prof. Dr. Otto, Beligionsphilosophie auf geschicht- licher Grundlage, gf . 8. (XX, 797 S.) Berlin, G. Reimer. 1 1 M. PlotinI Enneades; rec. Herrn. Frdr. Müller. Antecedunt Per- phyrius, £anapiu8, Suidas, Eudocia de vita Plotini. Vol. 1. gr. 8. (IV, 28 u. 280 S.> Berlin, Weidmann. 5 M. 40 Pf. — , — , übers, v. Herrn. Frdr. Müller. Vorangeht die Lebens« beschreibg. d. Plotin v. Porphyrins. J. Bd. gr. 8. (IV, 24 n. 274 S.) Ebd. 4 M. 80 Pf. Behmke^ Dr. Jobs*; da6 Princip d. Katholicismus u. Protes- tantismus in der christlichen Weltanschauung. Bine philo- soph. Studie, gr. 8. (IV, 54 S.) Zürich, Schmidt. 1 M. 20 Pf. Beieh^ Dr. Ed., Beiträge zur Anthropologie u. Psychologie, m. Anwendgn. auf das Ijeben der Gesellschaft. 2. verm. Ausg. gr. 8. (XIII, 375 S.) Braunschweig. Vieweg & Sohn. 6 M. Beynandy (P*)« — Materiaux pour servir k Phistoire de la Philosophie de PInde. 2. partie. In-8. 10 fr. Bosenkranz; Karl; neue Studien. 4. Bd. Zur Literaturgeschichte. Zur Gesch. d. neueren deutschen Philosophie, besond. der Hegel'schen. gr. 8. (IX, 474 S.) Leipzig, Koschny. 10 M. Rousseau (J* J.) et ses oauvres. Biographie et fragments. Publik par le comit^ du Centenaire (2 juillet 1878). In-12 (Gen^vo.) 3 fr. 50 cts. Schäffle^ Minister a. D., Dr. Alb. £• Fr., Bau u. Leben d. so- cialen Körpers. Encyclopädischer Entwurf e. realen Anatomie, Physiologie n. Psychologie der menschl. Gesellschaft, m. besond. Bäck- sicht auf die Volkswirthschaft als socialen Stoffwechsel. 4. Tbl. Spe- cielle Socialwissenschaft. 2. H&lfte. gr. 8. (VIII, 538 S.) Tübingen, Laupp. 10 M. (1-4.: 44.—). Sehleiermaeher, Dr. F., über die Beligion. Beden an die Ge- bildeten unter ihren Verächtern. 7. Aufl. gr. 8. (XIII, 242 S.) Berlin, G. Reimer. 2 M. SehlottmanOy Konst.^ Bavid Strauss als Bomantiker d. Heiden- thums. gr. 4. (ii4 S.) Halle, Buchh. d. Waisenb. 1 M. 60 Pf. Sckopeuhamer« Arth.^ Parerga u. Paralipomena. Kleine philos. Schriften. 4. Aufl. Hrsg. v. JuL Frau enstädt. 2 Bde. gr. 8. (XV, 532 u. VIII, 696 S.) Leipzig, Brockhaus. 17 M. — , — , über den Willen in der Natur. Eine Erörterg. der Be- stätiggn., welche die Philosophie d. Verf., seit ihrem Auftreten, durch die empir. Wissenschaften erhalten hat. 4. Aufl., herausg. von Jul. Frauen Stadt, gr. 8. (XXXII, 147 S.) Leipzig, Brockhaus 3 M. Sehwegler, Dr. Alb.^ Qeschichte der Philosophie im Umrlss. Ein Leitfaden zur Uebersicht. 10. Aufl. gr. 8. (VIII, 302 S.) Stuttgart, Conradi. 3 M. 60 Pf. Bibliographische Mittheilungen. 255 SeUtZy D. y.; das exacte Wissen der Naturforscher. Eine Znsammenstelluiig von Aussprächen hervorragender Naturforscher und Philosophen. 8. (VIII, 220 S.) Mains, Kircbheim. 2 Mk. Seifert 9 Lehrer Ang.^ die Unsterblichkeits - Idee in ihrer ge- sehiohtlichen Entwiokelung . als culturhist. Beitrag dargestellt. gr. 8. (39 S.) Leipzig, Würzner. 1 Mk. Sioiliani (Pietro). Prolegomeni alla modema psioogenia, me- moria, in-4, pag. lOH. Bologna, 1^78. 4 L. , Iia eritica della filosofia zoologica del XIX secolo, in-l(5, pag. 560. Napoli, 1878. 5 L. Sigwart; Prof. Dr. Chrjph., Logik. 2. Bd. Die Methodenlehre. gr. 8. (VIII, 612 S.) Tübingen, Laupp. 10 M. 8iiiile8, Sam.^ der Charakter. Deutsche, autoris. Ausg. ▼. Fr. Steg er. .*?. verb. Aufl. 8. (XII, 584 S.) Leipzig, Weber. 6 M. Sebezyk, Dr., das pythagoreische System in seinen Grund- gedanken entwickelt. 8. (41 S. mit 1 Steintafel.) Breslau, (Koebner). 1 Mk. Spencer'» (Herbert) the study of Sooiology. 7th Edition. Cr. 8vo. 5s. (International Scientific Series.) Spera (Adolfe). Saggio di psioologia del destlno dell'uomo dal punto dl vista dalla soienza modema; in-8, pag. 62. Napoli, 1878. 2 L. 50. Spineza. — Dieu, Thomme et la beatitude, trad. pour la pr emier e fbis en fran^ais et precede d*une introduction par Paul Janet. In- 12. 2 fr. 50 cts. Spir^ A.9 Recht u. Unrecht. Eine Erörterg. der Principien. gr. 8. (108 S.) Leipzig 1879, FindeL 1 M. 50 Pf. Stahl, Frdr. Jvl. , die Philosophie d. Bechts. 2 Bde. in 3 Ab- thlgn. 5. unveränd. (Titel-) Aufl. gr. 8. Tübingen (1S70), Mohr. 24 M. Stern, Dr. M. L.^ die Philosophie u. Anthropogenie d. Prof. Dr. Ernst HaeokeL gr. 8. (152 S.) Berlin 1879, Grieben. 2 M. Strauss, Dar. Frdr. , gesammelte Schriften. Eingeleitet v. E d. Zeller. 10. u. 11. Bd. gr. 8. Bonn, Strauss. 5 M. Inhalt: 10. Priedr. Gottl. Klopstock. Chrst. M&rltel. (XIII, 359 S.) - 11. Vol- taire. Seclu Yortr&ire. 5. Aufl. (Xm. 311 S.) Snsemihl, Franc, de Aristotelis ethiois 19ioomaoheis reeogn. dissertatio I. 4. (19 S.) Berlin, Calvary & Co. 1 M. 20 Pf. Sülze, Dr. £., über Büohner's Schrift „Stoff und Kraft** und gegen den Materialismus. (32 S.) Dresden, Weiss. 25 Ff. Sj^ert (£•)• — I«e Materialisme. In- 12. 1 fr. Teichmttller, Prof. Gust., neue Studien zur Oesohiohte der Begriffe. 2. Heft. Pseudohippokrates de diaeta. — Herakleitos als Theolog. — Aphorismen, gr. 8. (XIV, 298 S.) Gotha. Perthes. 6 M. Tiele, Prof. €• P«9 die Assyriologie und ihre Ergebnisse für die vergleichende BeUgionsgesohichte. Bede. Aus d. Holland, ron K. Friederci. 8. (24 S.> Leipzig, O. Schalze. 1 Mk. Tr^mamx, F., Universal-Princip der Bewegung u. der 'Wir- kungen der Materie, hergeleitet aus der Entdeckg. folg. Grund- gesetzes: „Die lebendige Kraft aberträgt sich besser zwischen gleich- artigen als zwischen ungleichartigen Körpern* u. angewandt auf die Materie wie auf das Leben. 3. Aufl. Im Auftrage d. Verf. aus dem Franz. übers, durch .1. J. Romang u. D. Mäder. 8. (XXXXV, 271 S.) Leipzig, T. O. Weigel. 2 M. 40 Pf. Yambttler, Thdr. y., acht Aufsätze zur Apologie der menschl. • Vernunft, gr. 8. (VII, 109 S.) Leipzig, T. O. Weigel. 1 M. 80 Pf. 256 Bibliographische Mitthcilungen. Yerati (Giuseppe). Luce e cerveUo, la fisiologia della ragione ;. in- 16, pag. XXXU-368. Bologna, 1878. 5 L. Verhandlungen der philosopbischen Gesellschaft su Berlin. 9., 10. u. n. Heft gr. 8. (60 u. 118 S.) Leipzig, Koschny. ä l M. 20 Pf. Yogt, J. G«9 die Krait. Eine realmonistiscbe Weltanschauung. ]. Jbuch. Mit 116 (eingedr.) Holzschn. Die Contraktionsenergie, die letztursächl. einheitl. mecban. Wirkungsform d. Weltsubstrates, gr. 8^ (VIII, 655 S.) Leipzig, C. F. Fleischer's Sort. 14 M. T91kel^ Dr. A.^ das Vernünftige u. Bewusste in der Natur u. die Weltansch. d. Zukunft, gr. 8. (44 S.) Leipzig, Koschny. 1 M. Windelbandy Prof. Dr. W.^ die Geschichte der neueren Philo- sophie in ihrem Zusammenhange m. der allg. Cultur u. den besond. Wissenschaften dargestellt. 1. Bd. V. d. Renaissance bis Kant. gr. 8. (VIII, 579 S.) Leipzig, Breitkopf & Härtel. 10 M. Zeller, Ed., über die griech. Vorgänger Darwin's. [Aus: ,^Ab- handign. d. k. Akad. d. Wiss.^^j gr. 4. (16 S.) Berlin, Dümmler's Verl. 1 M. — , — , über die Iichre d. Aristoteles v. der Ewigkeit d. Welt.. [Aus: „Abhandlgn. d. k. Akad. d. Wiss.*'] gr. 4. (15 S.) Berlin, Düminler*8 Verl. 1 M. Notizen. Obwohl die Veröüentlichnng anderer als rein redactioneller ,,No' tizen** ausserhalb des Programms dieser Zeitschrift gelegen ist, glaubt die Redaction doch, die folgenden Ausnahmen zulassen zu sollen: l.Der Akad.-Fhilosophische Verein zu Iieipzig sammelt im Auf- trage des Herrn Prof. Dr. G* Th. Fechner Material zur genaueren Feststellung bez. Untersuchung der bekannten Thatsaohe, dass mit den Vokalen Farbenvorstellungen verbunden werden, auch die Tongattungen und die Temperamente mit den Vokalen associirt auftreten. Der ge- nannte Verein bittet daher um betr. Mittheilungen und wird gern auf geneigte Anfragen genauere Auskunft ertheilen. Adresse: Akad.- Philos. Verein zu Leipzig (Briefkasten im Paulinum). 2, Die „Zeitschrift für vergleichende lateratur*^ herausgegeben von 8« Brassai und H. t« Meltzl in Klausenburg (Siebenbürgen), regt die Idee an, Schopenhauer zu seinem 100. Geburtstag (22. Febr. 188S) eine Kolossalbüste zu setzen. Die Redaction genannter Zeitschrift erklärt sich bereit, alle hierauf bezüglichen Anmeldungen entgegenzunehmen, bez. zu veröffentlichen, lehnt jedoch die Annahme von Baargeldem aus- drücklich ab. 3. Herr. Dr. W« 8chl5telin Heidelbeig ersucht die Redaction dieser Zeit- schrift um Veröffentlichung einer Zuschrift, inhaltlich welcher er sich (in Form eines „Protestes*') die Priorität betreffs einer kleinen Ver- vollständigung der Schlusskettenlehre wahrt, welche Vervollständigung Herr Prof. Chr. Sigwart im II. Band seiner „Logik** Herrn Prof. Dro- bisch zuschreibt.' — Da Herr Dr. Schlötel seine Priori tätswahmng bereits anderweit publicirt hat, so darf und mnss diese Notiz in der hiermit gegebenen kürzeren Form um so mehr an dieser Stelle genügen, als, wie oben angedeutet, das Programm dieser Zeitschrift für solche und ähnliche Mittheilungen, sowie für alle Personalnachrichten überhaupt, eine Rubrik nicht aufgenommen hat. rierer*flche Hofbuchdrucl^erei. Stephan Geibel '«Ij^ C!o. in Altenborg. DIE yiERTEUAHRSSCHRIFT FlR «ISSEISCHAFTUCHE PHILOSOPHIE EHRT UND BEWAHRT DAS ANDENKEN IHRES MITBEGRONDERS UND MITREDACTEURS C. GOERING. Carl Theodor GOERING, geboren am 28. April 1S41 zu Brüheim im Herzogtham Gotha, erhielt vom Jahre 1853 an seine Schal- bildnng aof dem Eisenacher Carl- Friedrich - Gymnasium, das er Ostern 1859 nach glänzend öberstandenem Matoritatsexamen verliess. Nachdem er vier Semester in Jena und drei in Berlin Philologie studirt hatte, promovirte er in Jena 1S63. Die Betrachtangen, die durch das Thema seiner Promotionsschrift: „Ueber die Unsterblichkeitslehre in Platon's Phädon" hervorgerufen wurden, erweckten — so hat er selbst be- richtet — in ihm den lebhaften Drang nach eigener philosophischer Forschung und selbständiger philosophischer Ueberzeugping. In Folge davon widmete er sich nun dem eifrigsten und (nach Aufgabe seiner in Berlin und Bonn 1866 — 1869 ausgeübten Lehrerthätigkeit) ganz aus- schliesslichen Weiterstudium der Philosophie. Im November 1874 habi- litirte er sich als deren Docent mit einer Untersuchung: „Ueber den Be- griff der Ursache in der griechischen Philosophie^^ an der Universität Leipzig. Im selben und im nächstfolgenden Jahre veröffentlichte er die ersten zwei Bände seines Hauptwerkes: „System der kritbchen Philo- sophie"; eine kleinere Schrift „Ueber die menschliche Freiheit und Zu- rechnungsfahigkeit" schloss sich unmittelbar an (1876). Am 18. Januar 1878 ward er in ehrendster Weise zum ausserordentlichen MitgUede der Leipziger philosophischen Facultät ernannt. In den letzten Jahren litt der Verstorbene an rheumatisch-nervösen Affectionen, die auf seinen Gemüthszustand nicht ohne trabenden Einfluss blieben. Der aus edelsten Rücksichten von ihm gehegte Wunsch, sein auf vier Bände berechnetes Hauptwerk bald fertig zu schaffen, liess die angestrengte Arbeit zur verderblichen Ueberanstrengung werden: kurz vor der völligen Beendigung des Werkes vollendete der es wirkte. — Er ist aus dem Leben geschieden am 2. April d. J. in seiner Heimath Eisenach, wohin er sich — wie er nicht lange vorher in einem Briefe schrieb — begab voller Freude, „in gänzlich ungestörter Müsse den Schluss seines Werkes noch einmal genau revidiren und überarbeiten" zu können. Was Carl GoERING der Wissenschatl war, ist den Freunden wissenschaftlicher Philosophie bekannt; aber auch die Gegner haben es erfahren. Rein und echt war sein Charakter^ echt und klar sein Denken, klar und offen seine Darstellung. GOERING hat nie die einfache Schärfe seiner Consequenzen durch stylistische Umdämmerung verschwommen gemacht oder durch dialektische Schnörkeleien maskirt; nie hat er den ge- raden Gang seines Urtheils, auch wo es Verurtheilung allgemein beliebter Ansichten ward, durch kleine Verbeugungen nach der entgegengesetzten Seite unterbrochen. GOERING hat sich in innerem Ringen zu seinen wissenschaftlichen Ueberzeugungen hindurchgearbeitet y aber seine wissenschaftlichen Darstellungen — in der Leichtigkeit und Freiiieit, womit sie dem Verstandniss des Lesers entgegenkommen — zeigen die Spuren jenes Ringens nicht mehr auf, und der spröde Stoff gelehrter Kenntniss und kritischer Forschung, der in ernstester Arbeit gewonnen war, trat mit einer gewissen Anmuth zu Tag, die in ihrer An- spruchslosigkeit und ungekünstelten Feinheit seinem Style ganz allein eigenthümlich ist. Mensch und Denker waren bei GOERING Eins — und keinen Theil seines Wesens hat die „Gemeinheit gebändigt^^ Er hat nur die Wahrheit gewollt und er hat sie rein und ganz gewollt: ohne Duldung von „Nebenzweckursachen'S die sein Denken hätten entstellen — ohne Schonung eigener Lieblings- meinungen, die er hätte conserviren mögen. Wo er als Kritiker auftrat, hat er ohne Ansehen der Person getadelt, aber auch gelobt ohne Ansehen der Person. Er ver- stand das Gute mit freudiger Bereitwilligkeit anzuerkennen; aber er wusste ebenso mit vernichtender Strenge den hoch- müthigen Anathemalisirungsversuchen eines gewissen beschränk- ten Schulinfallibilismus entgegenzutreten. Den unverdächtigen Irrthum pflegte er mit einem überlegenen Humor zu behandeln. In der Ausbildung der eigenen Gedanken verband GOERING in seltenen) Masse die Gabe vorurtheilsfreier Inangriffnahme der Probleme^ scharfsinniger Beobachtung der Thatsachen und selbständiger Entwickelung der systematischen Ansichten — mit den Vorzügen einer genauen Kenntniss der geschichtlichen Er- scheinungen nicht minder als der neuesten Erzeugnisse auf dem weiten Gebiete der Philosophie. Was er mit diesen Mitteln errungen, wird in dieser Zeitschrift zu erörtern an anderer Stelle Gelegenheit sich bieten : an diesem Platze genüge zu erinnern, dass — wenn der Standpunkt dieser Zeitschrift einige wissenschaftliche Geltung haben sollte — GOERIJVG dann das Verdienst in Anspruch nehmen darf^ als einer der Ersten an der neueren Begründung und Befestigung dieses Stand' Punktes in der Philosophie mitgewirkt zu haben. Es ist jetzt nicht der Moment, zu untersuchen^ ob dieser Standpunkt, den man mit einem allzuleicht missverständlichen und allzugern missverstandenen Ausdruck als den „empiristischen" bezeichnet, Wahrheit oder Irrthum sei; wohl aber darf hervorgehoben werden, dass GOERING ihn nichts weniger als in kritikloser Tradition aufgenommen, sondern ihn in nie ruhender Weiter- bildung, in ehrlichster Arbeit und unter sorgsamster Berück- sichtigung abweichender Meinungen selbständig als Wahrheit erkannt hat, um ihn dann ebenso ehi*lich allen gegnerischen Instanzen gegenüber als Wahrheit nachdrücklich zu vertheidigen. Es kam ihm ja auch hier in keiner Hinsicht auf die Person, in jeder Hinsicht auf die Sache an; daher er denn nicht an den Problemen herumgeistreichelte^ sondern mit festem Griff in ihrem Kern sie fasste. GOERING kannte so wenig Feigheit wie Feilheit — weder in ihren zartesten Nuancen noch in ihren liebenswürdigsten Einkleidungen ; aber ebenso wenig liebte er eine auf den Markt reflectirende Gesinnungsrenommage und unwissenschaftliche Ueberzeugungsrabulisterei. Als Lehrer lag es GOERING's ganzer, innerlich vornehmer Natur näher, mehr intensiv als extensiv zu wirken; seine Schüler wurden seine Freunde. Einen kleinlichen Berufsdünkel kannte er nicht. Er achtete mehr auf das, was er noch zu 17* leisten habe, als auf das, was er geleistet halte. Hit dem theil- nehmendsten Interesse begleitete er die Wirksamkeit geistes- verwandter Zeitgenossen — auf das Neidloseste ihre Erfolge. Hehr für Andere besorgt, als für sich, hat er, selbst von Arbeit überbürdet, fremde Arbeitslast immerdar zu erleichtern sich bemüht; ohne selbst sein Leiden zu klagen, hat er geholfen und getröstet wo ihm Leiden geklagt wurden — unermüdlich bis zum letzten Tage. Und wenn dem verstorbenen Denker und Forscher an dieser sonst nur strenger Untersuchung gewidmeten Stelle noch ein Wort als Freund nachzurufen vergönnt wird, so soll es das kurze sein: er hat seinen Freunden gehört, wie er der Wissenschaft gehörte; wie er kräftig, lauter und selbstlos im Denken war, so fest und so rein und aufopfernd war er in der Freundschaft: so scharfsinnig und ehrlich der Denker, so zartsinnig und zuverlässig der Freund. Und so betrauert die Redaction dieser Zeitschrift den doppelt unersetzlichen Verlust des wahrhaften und reich- begabten Werkgenossen — des treubewährten und hochgesinn- ten Freundes! üeber den Missbrauoh der Mathematik in der Philosophie. Ein nachgelassener Vortrag von C. Göring.*) Die Geschichte eines Begriffes, wie auch einer ganzen Theorie, enthält gewöhnlich schon einen guten, oft den besten Theil der Kritik, indem sie die Ursachen kennen lehrt, welche in Erq^iangelung innerer, sachlicher Gründe zur be- treffenden Doctrin führten. Diese allgemeine Regel bewährt sich auch an unserem Thema, dessen Specialgeschichte mit dem Torkantischen Dogmatismus beginnt. Zugleich bestätigt sich auch hier wieder die Erfahrung, dass der Irrthum ursprünglich naiv und ebendeshalb mit der gr&ssten Sicherheit auftritt. CartesiuSy Spinoza und Leibniz stellen die Mathematik als das Ideal auf für die wissenschaftliche und philosophische Er- kenntniss überhaupt. Cartesius sagt: „Wie man in der Mathematik construirt, einfach dem Wissenstrieb folgend^ so soll man es auch in der Physik machen,^ Spinoza 's Methodologie schreibt vor, „aus einer ge- *) Der Vortrag, für den Akad.- Philosophischen Verein zn I^eipzig bestimmt, wurde daselbst am 14. Februar 1878 verlesen, da Göring durch eine acute Steigerung seines körperlichen Leidens am persön- lichen Erscheinen verhindert war. — So erhalte denn der um diese Zeitschrift so hochverdiente Mann in ihr mit der Veröffentlichung seines Vortrags das Wort noch ein Mal — ach leider das letzte Mal ! Der Herausgeber. 262 C. Göring: gebenen Definition Gedanken zu finden'', und er hat ja auch alles geihan, um den Schein zu erwecken, als ob er selbst zu seinen philosophischen Gedanken auf diesem Wege gekommen sei. Leibniz trägt sich mit dem chimärischen Gedanken einer sdentia generalis et characteristica universalis, für deren Ausfuhrung die Mathematik als Muster und Ideal der einzu- schlagenden Methode gilt. Die gemeinsame Grundanschauung des Dogmatismus ist demnach die, dass das construirende Verfahren der Mathematik allgemeines Vorbild werden soll. Ver- anlasst ist sie durch die Strenge der mathematischen Beweis- führung, welche man als „evidente Demonsti*ation'' allen andern Arten der Argumentation gegenüberstellte, und der auf ihr beruhenden Apodikticitat, Allgemeinheit und Nothwendigkeit der mathematischen Resultate. In der That, wenn man nach der Anweisung von Cartesius „^nfach dem Wissenstrieb folgt**, und dadurch eo ipso die absolute Gewissheit der Erkenntniss zu erreichen meint, wird man sich kein besstres Muster für die absolute Gewissheit als die Mathematik wählen können. Leider aber führt die einfache Hingabe an den Wissens- trieb gewöhnlich eher zu allem Anderen, als zum Wissen, nämlich ausserhalb der Mathematik^ und zwar gerade dann nicht am Wenigsten, wenn man sich das Verfahren der letzteren zum Muster nimmt. Hierüber war Kant in seiner vor- kritischen Periode zur vollkommenen Klarheit gelangt, wie seine folgenden Erörterungen ausser allen Zweifel setzen. Um dem dogmatischen Verfahren gegenüber zu zeigen, von welch' verschiedenem Werthe die mathematischen und die philo- sophischen Definitionen sind, geht er auf ihre ganz ver- schiedenartige Entstehung zurück: „Man kann zu einem jeden allgemeinen Begriffe auf zweierlei Wegen kommen , ent- weder durch die willkürliche Verbindung der Begriffe, oder durch Absonderung von derjenigen Erkenntniss^ welche durch Zergliederung deutlich geworden isL Die Mathematik fasst niemals anders Definitionen ab, als auf die erstere Art . . . Mit den Definitionen der Weltweisheit ist es ganz anders be- Ueber den Missbrauch der Mathematik in der Philosophie. 263 wandt. Es ist hier der Begriff von einem Dinge schon ge» geben, aber verworren und nicht genugsam bestimmt.^ Wenn die Philosophen synthetisch erklaren, so ist das Willkür, und wenn dies Erklärung heissen kann, so ist es höchstens grammatische. Denn es gehört gar keine Philosophie dazu, um zu sagen, was für einen Namen ich einem willkür* liehen Begriffe will beigelegt wissen, wie dies z. B. bei Leibniz' Monaden der Fall ist, die er nicht erklärt, sondern erdachi hatte. Denn der Begriff derselben war ihm nicht gegeben, sondern von ihm geschaffen worden. Als ferneren fundamentalen Unterschied zwischen Mathe- matik und Philosophie stellt Kant den auf, dass das concreto Zeichen und der abstracte Begriff in der Mathematik sich dem Inhalte nach vollständig decken, in der Philosophie dagegen sinnliche Zeichen niemals ein adäquater Ausdruck der Begriffe sind. Demgemäss geht in der Mathematik die Definition allen Erklärungen voraus, in der Philosophie hat sie nachzu- folgen. — Auf Grund dieser Verschiedenheit zwischen Mathe* matik und Philosophie behauptet Kant, dass nichts der Phi- losophie schädlicher gewesen sei als die Mathematik, nämlich die Nachahmung ihrer Methode in der Philosophie. Denn die erstere kann in ihren Synthesen und Constructionen einfach alles so verwenden und arrangiren, wie sie es für ihren jedes- maUgen Zweck nöthig hat, da sie durch keine entgegenstehende Erfahrung verhindert ist; vielmehr ist gerade die beliebige und willkürliche Verbindung, die Kant einfach Synthesis nennt, die der Mathematik angemessene Methode. In der Philosophie dagegen ^ liegt jederzeit etwas in der Erfahrung Gegebenes vor, wodurch die Synthesis ausgeschlossen und dieAnalysis, die Zergliederung der gegebenen Begriffe erfordert ist Erst wenn diese vollendet, oder wenigstens soweit vorgeschritten ist, dass man klare und deutlich bestimmte Begriffe hat, dann ist es an der Zeit, auch in der Philosophie synthetisch zu verfahren, jedoch immer mit strenger Beobachtung des prin- cipiellen Untei*schiede8 von der mathematischen Synthesis. Die Philosophie wird nämlich niemals eine willkürliche Synthesis 264 C. Göring: Veranstalten dürfen, sondern jederzeit nur die^ welche ihr die Erfahrung selbst aufdringt. — Hiermit hat Kant den Gegensatz klar dargelegt^ in welchem mathematische und philosophische Ericenntniss zu einander stehen, ebenso auch die Gründe dieses gegensätzlichen Verhältnisses, wenn auch nur kurz angegeben, aber doch so deuilich, dass ihre einigermassjsn sorgfaltige Erwägung genügt hätte, um Ma-^ Ihematik und Philosophie von da ab genügend auseinander* zuhalten. Leider aber ist derselbe Kant Urheber des modernen Missbrauches der Mathematik in der Philosophie geworden^ indem er in seiner kritischen Periode seine eigene Feststellung und obige Erklärung der Verschiedenheit beider ignorirte und nun umgekehrt beide recht geflissentlich in möglichst enge Verbindung brachte. Dieser V^echsel der Ansichten Kant's beruht nicht auf zwingenden sachlichen Gründen, sondern auf praktischen Motiven^ über deren Natur er sich oft genug sehr deutlich ausgesprochen hat; Prol. § 44 (1783): ^Unsere Kritik des Verstandes vereinigt sich mit den Ideen der reinen Vernunft zu einer Absicht, welche über den Erfah- rungs gebrauch des Verstandes hinausgesetzt ist"; er will die Anmassungen der Sinnlichkeit einschränken, oder kurz, wie er selbst 1787 in der Vorrede. zur 2. Auflage der Vernunflkritik sagte, um nicht länger nicht verstanden zu werden: „Ich musste das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen.*' Dies nannte er^Kriticismus": „Jene durch Kritik der Vernunft allein mögliche Er* kenntniss seiner Unwissenheit ist also Wissen- Schaft** Diese macht das Feld frei für Hypothesen, nämlich für den Glauben an die Möglichkeit der drei Ver- nuaftideen Gott, Freiheit, Unslerblichkeil. Die Behauptung des Wissens wie die des Nichtwissens von diesen Objecten des Glaubens ist ihm in gleicher Weise dogmatisch: der Glaube allein ist „kritisch". Damit nun aber diese ganz neue Art von kritischer Meta- physik selbst Glauben finden sollte, musste sie ausser der guten Absicht doch noch einige theoretische Stützen erhalten, und Ueber den Missbrauch der Mathematik in der Philosophie. 265 dazu diente Kant yornehaiUch die Mathematik. Diese er- weitert sich nach ihm allein durch Vernunft =a priori, ohne Erfahrung, wenngleich mit Hülfe der construcliven Anschauung, und wird daher nun auch für Kant, was sie bei den Dogmatisten wm*, das Vorbild der Metaphysik, die er nach seinem eigenen Ausdruck „in die gute Gesellschaft der Mathematik brachte*', aus der sie bis jetzt noch nicht wieder vollständig befreit ist. Soweit es sich nun um Metaphysik im engeren Sinne handelt, würde dies nicht weiter zu bedauern sein; leider aber erstreckt sich der störende Einfluss der Ver- gesellschaftung von Mathematik und Philosophie auch auf funda- mentale Fragen vornehmlich der erkenntnisstheoretischen und psychologischen ForschuQg, nebenbei freilich auch noch bei einzelnen Denkern auf alle philosophischen Disciplinen überhaupt Die modernen Kantianer haben kaum etwas Erhebliches zur besseren Begründung des Kantischen Standpunktes bei- getragen; nur Lange und Liebmann bemühen sich, die psychologische Apriorität in eine logische umzuwandeln und da- durch zu retten. Da indessen die Satze der Logik, soweit sie wissenschafüichen Werth haben, sich alle aus der Erfahrung herleiten lassen, so bestätigen jene beiden Denker vielmelvr das, was sie widerlegen wollen. Die übrigen Kantianer pflegen sich nur auf das zu berufen, was ihr Meister gesagt hat. Wir habep es daher audi gegenwärtig zunächst nur mit dem zu thun, was Kant selbst lehrte, um vermittelst der Mathematik die Annahme eines Apriori als eine nothwendige zu erweisen. Seine Beweis- führung ist sehr einfach und durchsichtig: die Erkenntnisse der Mathematik sind allgemein und nothwendig; nun findet sich in der Erfahrung weder Allgemeinheit noch Noth- wendigkeit, denn sie lehrt nur, dass etwas sich bisher aus- nahmslos so verbalten hat, nicht aber, dass es sich in alle Ewigkeit so verhalten wird; ebenso dass etwas so ist, nicht aber, dass es so sein muss; also stammt die Apodiktidtät der Mathematik nicht aus der Erfahrung, mithin muss das mensch-^ liehe Erkenntnissverm&gen apriorische Elemente enthalten. Ueber diese allgemeine Schlussfolgerung hinai^ dient nun 266 C. Göring; die Mathematik weiter daiu, die Annahme specieller aprio- rischer Formen des Inteliects zu bewei8en4 1) der Raum ist eine nothwendige Vorstellung a priori, weil nur da* durch die apodiktische Gewissheit aUer geometrischen Grund* Sätze und die Möglichkeit ihrer Constructionen a priori gesichert erscheint. „Wäre nämlich die Vorstellung des Raumes ein a posteriori erworbener Begriff, der aus der allgemeinen äusseren Erfahrung geschöpft wäre, so würden die eralen Grundsätze der mathematischen Bestimmung nichts als Wahr- nehmungen sein. Sie hätten also alle Zufälligkeit der Wahr- nehmung, und es wäre eben nicht nothwendig, dass zwischen zween Punkten nur eine gerade Linie sei, sondern die Er* fahrung würde es jederzeit so lehren. Was von der Erfahrung entlehnt ist, hat auch nur comparative Allgemeinheit, nämlich durch Indttction. Man würde also nur sagen können, soviel zur Zeit bemerkt worden, ist kein Raum gefunden worden, der mehr als drei Abmessungen hätte." Näher wird nun diese nothwendige Vorstellung a priori bestimmt als „ursprüngliche Anschauung^, welche a priori, d. i. vor aller Wahrnehmung eines Gegenstandes in uns angetroffen wird, mithin reine, nicht empirische An* schauung ist, und bloss im Subjecte ihren Sitz hat, als Form des äusseren Sinnes überhaupt.^ Ausser dem Gebrauch, welchen Kant zur Bestätigung seiner Hypothesen von apriorischen Formen des Intellectes von der Mathematik macht, hat er sie auch als Vorbild bei seiner Auf- hebung des empirischen Wissens benutzt, indem er die ge- wöhnliche Anschauung nach Art der matliematischen Anschauung und das Verhältniss jener zum Begriff ebenfalls nach mathe- matischer Analogie construirt, und damit trotz aller nachträg- lichen Unterscheidungen die philosophische und mathematische Erkenntniss in ihren wesentlichen Bestandtheilen identificirt Auch dies hat er selbst unmissverständlich ausgesprochen; das Charakteristische der matliematischen Erkenntniss besteht ihm darin, „dass man nicht dem, was man in der Figur sieht oder auch dem blossen Begriffe derselben nachspurt und gleichsam Ueber den Missbrattch der Mathematik in der Philosophie. 267, davon ihre Eigenschaften ablernt — sondern dass man das, was man nach Begriffen selbst a priori hineindenkt und dar- stellt, (durch Construction) herrorbringt und daher nur das a priori und mit Sicherheit von einer Sache weiss, was man seinem Begriffe gemäss selbst in sie gelegt hat^ Kurz gefasst drückt er dies so aus: „Die Gegenstände müssen sich nach unsrer Erkenntniss richten' , nicht um- gekehrt. Dies Beispiel der Mathematik und „Naturwissenschaft^, welche letztere damals freilich noch gar nicht existirte, scheint Kant „merkwürdig^ genug, um es auch in der Metaphysik nachzuahmen: „In der Metaphysik kann man nun, was die Anschauung der Gegenstände betrifft, es auf ähnliche Weise versuchen. Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müsste, so sehe ich nicht ein, wie man a priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Object der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Mög- lichkeit ganz wohl vorstellen.^ Natürlich findet dasselbe statt bei den Begriffen, und weiter bei der Verbindung von Anschauung und Begriff (im Unheil) zur Erkenntniss, wobei die Verknüpfung ebenfalls apriorisch ist. — Hiermit hat nun Kant alles, was wir jetzt vom empirischen und wissen- schaftlichen Standpunkt aus Inhalt nennen, aus dem Wissen glücklich beseitigt, und nur dessen „Form**, Allgemeinheit und Notfawendigkeit, übrig gelassen. Der Inhalt ist wechselnd, daher „zufällig*^ und nicht Wissensobject; er ist für die Kan- tische apriorische oder Vernunfterkenntniss geradeso gleich- gültig, wie etwa das Material, aus welchem ein concretes Dreieck hergestellt ist, für die Erkenntniss von den Eigen- schaften dieses Dreiecks; denn wie diese bei jedem Material dieselben Meiben, so auch unsere apriorische und apodiktische Erkenntniss von den Dingen, da wir ja eben nur das an ihnen a priori erkennen, was wir selbst in sie hineingelegt haben. Auf diesem Wege erreichte Kant seine Absicht, die Erkenntniss von der Erfahrung, diesen Begriff natürlich im üblichen Sinne verstanden, vollständig unabhängig zu stellen; dass er 268 C. GöTing: dadurch die Wirklichkeit aufhob und nur die Möglich- keit übrig liess, lag von vornherein in seiner Absicht, die Möglichkeit der Glaubensobjecte zu schützen. So ist schon bei Kant die rein formalistiBche Auffassung des Wissens, welche seine Nachfolger noch weiter ausbildeten, aus der Mathematik in die Philosophie übergegangen. Dass aber dieser fundamentale Irrthum von der grössten und verderb- lichsten Tragweite für die Philosophie sein musste, ist „a priori" leicht einzusehen, wie auch durch die philosophische £nt- Wickelung genügend bestätigt worden. Wenn man das Cor- rectiv aller Phantasterei, die Erfahrung oder die Wirklich- keit, principiell beseitigt und sich auf blosse Möglichkeit, Widerspruchslosigkeif, Denkbarkeit etc. als vermeintliche Kriterien des Wissens stützt, dann ist einfach Alles möglich, wie es ja in der nachkantischen Philosophie zum Theil auch wirk- lich geworden ist Durch diese formalistische Ansicht vom Wissen setzt sich die Philosophie in directen Gegensatz zur Wissenschaft, und kann durch consequentes Festhalten an ihrem apriorischen Standpunkte zwar, wie sie dies so lange gewähnt, über der Wissenschaft zu stehen glauben, in Wirklichkeit aber schliesst sie sich selbst von der gemeinsamen Arbeit der Wissenschaft an den Fortschritten der Erkenntniss principiell aus. — „Der Noth gehorchend, nicht dem eigenen Trieb'', ist nun auch die deutsche Philosophie im Ganzen seit geraumer Zeit von diesen luftigen Bahnen auf den soliden Weg der Er- fahrung zurückgekehrt, oder bemüht sich wenigstens es zu thun, denn es gelingt natürlicii nicht mit einem Male. Es sind daher neuerdings fast weniger die Philosophen, mit Ausnahme der ihr Apriori durch die Mathematiker stützenden Kantianer, welche die Mathematik übei* das ihr eigenthümliche Gebiet hinaus verpflanzen und so die „Grenzen'' der Wissenschaft verletzen, als vielmehr Mathematiker und Naturforsdier. Von den Nichtkantianern ist merkwürdigerweise genade deqenige Philosoph nicht von dem störenden Einflüsse der Mathematik frei geblieben, welcher ihren anderweitigen Missbrauch (vor<* Ueber den Missbraach der Mathematik in der Philosophie. 269 nehmlich die falsche YerdiDglichnng der Unendlichkeitsbegriffe) in gewohnter drastischer Weise bekämpfte. Dühring lehrt eine Ueberein Stimmung zwischen Sein und Denken in wesentlichen Beziehungen, wodurch ein alter Hegelianer, Engels, sich berechtigt glaubte, ihn des Plagiats an der Hegel - sehen Philosophie, speciell an der Lehre von der Identität von Denken und Sein zu beschuldigen. Dies heisst frei- lich Dühring Unrecht thun; yielmehr werden seine „Identitäts- velleitäten" , um einen seinem eigenen Sprachkreis entlehnten Ausdruck zu gebrauchen, wohl auf die Einwirkung der Mathe- matik zurückzuführen sein. Er behauptet zunächst die Existenz von logischen Sätzen und Principien, die nicht aus der Er- fahrung abgeleitet werden könnten; er kennt ferner logische Eigenschaften des Seins und glaubt auf Grund derselben eine absolute Erkenntniss des Wesens der Dinge zu erreichen: yjWäre das Wesen aller Dinge nicht in der letzten logischen Gesammtform alles vollendeten Wissens ausdrückbar und trüge es nicht in sich selbst eine Systematik und Logik, die in der Verfassung des Verstandes gleichsam einen subjectiven Aus- läufer hat, so würde alles Erkennen ein nichtiger Schein sein.^ Da nun bei Dühring alles eigentlich Metaphysische ausgeschlossen erscheint, und demnach seine Logik und Erkenntnisstheorie von daher nicht inficirt sein kann, so bleibt als Erklärung nur der Einfluss der Mathematik übrig. Denn nur aus dieser rein formalistischen Disciplin werden sich logische Sätze ableiten lassen, die nicht aus der Erfahrung stammen; freilich werden dann diese Sätze ihrem Ursprung getreu auch rein forma- listisch und für die nichtmathematische Erkenntniss un- fruchtbar bleiben, während die aus der Erfahrung gewonnenen logischen Lehren zwar auch formal und abstracto aber stets der zusammenfassende Ausdruck vieler concreten Er- kenntnisse, daher allgemeingültig sind und deshalb wieder auf die Erfahrung angewandt werden können. Keinesfalls aber findet eine vorurtheilslose Beü*achtung „logische Eigenschaften^ oder eine „Logik des Seins", und dem Vorwurf, eine Art von 270 C. Göring: Identität des Denkens und Seins zu lehren, werden die mit* getheiiten Sätze Duhring's sich nicht entziehen können. Wenn dies mit Recht aus dem Einfluss der Mathematik erklärt wird, in welcher das Denken beliebig über das Sein verfugt, so entfernt sich Duhring gar nicht soweit von der Auffassung eines grossen Mathematikers, dem er „Crudität der Welt- und Lebensansicht*^ vorwirft. Auch Gauss bekannte sich zur Lehre von der Identität des Denkens und Seins in einem ganz ähnlichen Sinne, den man vielleicht am Einfachsten dadurch wiedergiebt, dass man da, wo Dühring „logisch*' setzt, vom Gauss'schen Standpunkt „mathematisch" brauchL Gauss kennt mathematische Eigenschaften und eine Mathematik des Seins, deren subjectiver Ausdruck die mathematischen Formeln sind. Es handelt sich hierbei nicht etwa nur um die angewandte Mathematik im üblichen Sinne, sondern einfach um die Ansicht, dass imi>^in Mathematik enthalten ist, welche der rechnende Mathematiker nur gleichsam zu entdecken hat, um das „Wesen" der Dinge zu erkennen. Oder man kann^ wie bei der vorausgesetzten Identität vom mathematischen Denken und Sein natürlich, auch umgekehrt verfahren, und immer weiter rechnen; das zugehörige Sein wird sich dann schon finden. Diese Ansicht war früher ziemUch verbreitet und ist auch in die Philosophie eingedrungen; ein phantasiereicher Hege- lianer, Rosenkranz, legte sie theosophisch zurecht und gab ihr den schwärmerischen und dabei doch trivialen Aus- druck: „Gott ist ein ebenso grosser Geometer als Philosoph.^ Natürlich griffen sofort alle, welchen die von der Erfahrung der Phantasie gezogenen Schranken ein Greuel sind, mit dem grössten Eifer zu, um auf vermeintlich „exacte^* Weise sich aus der realen Wirklichkeit in den „reinen Aether^ des Gedankens, weniger euphemistisch in die trüben Nebel mystischer Begriffsdichtungen zu verlieren. Wenn Denken und Sein identisch sind, dann braucht man sich um die Anschauung nicht nur nicht zu kümmern, sie ist vielmehr ein Hinderniss des Erkennens, wofür sie alle dogmatischen Ueber den Missbrauch der Mathematik in der Philosophie. 27 1 Philosophen Ton Anfang an erklärt haben. Von dieser Grund- auflässung aus corrigirte man daher die Anschauung mittelst des mathematischen Grössenbegriffs: Fechner hatte einst in Bezug auf die drei Dimensionen • des Raumes scherzhaft ge- fragt: »Soll denn die Welt nicht über Drei zählen können?" Hiermit wurde es bald bitterer Ernst; weil die Mathematik den Raum als Grössen begriff behandelt und sich damit über die Schranken der mathematischen Anschauung erhebt, deshalb hielt man sich für berechtigt, dies sofort auf das Sein und £i*kennen überhaupt zu übertragen. Hierdurch kam es zu den unglücklichen Speculalionen über die vierte Dimen- sion des Raumes, welche an diesem Orte passender mit Still- sciiweigen übergangen werden. — Es ist klar, dass die formalistische Auffassung des Er- kennens, für welche Denken =? Erkennen =» Sein gilt, die gemeinsame Quelle ist, aus welchar alle Arten des Miss- brauchs der Mathematik in der Philosophie stammen. Diese formalistische Auffassung selbst stammt ihrerseits aus dem mathemalischen Erkennen her und wird dadurch beseitigt, dass man den principiellen Untei'schied zwischen der ganz eigen- artigen Mathematik und den andern Wissenschaften aufzeigt Hierdurch erledigt sich auch die erkenntnisstheoretische Frage nach dem Ursprung der mathematischen Apodikticität, All- gemeinheit und Nothwendigkeit, ohne Zuhülfenahme irgend welches Apriori; zugleich wird klar^ dass und warum die Mathematik niemals das Vorbild des wissenschaftlichen und philosophischen Erkennens werden kann. Zunächst müssen die überschwänglichen Ansichten von der Natur der mathe- matischen Allgemeinheit und Nothwendigkeit auf' ihre reale Basis zurückgeführt werden. Auch dib mathematischen Wahr- heiten sind thatsächlicher Natur und nichts weiter; übrigens ist ja auch eine Thatsache das Höchste, was die menschliche Erkenntniss überhaupt eiTeichen kann. Wohl sind die mathe- matischen Wahrheiten unabhängig von der Aussen weit; die Sätze vom Kreis z. B. haben und behalten ihre Geltung, auch ohne dass es einen Kreis in der Natur giebt. Keineswegs aber 272 C. Goring: kommt ihm eine absolute, d. h. über die menschliche Er- kenntniss hinausgehende Gültigkeit zu. Dfihring benauptet frei* lieh, dass 2 X 2 = 4 sei überall, auf aUen Planeten eine nothwendige Wahrheit; diese Behauptung hat aber nur einen vernünftigen Sinn unter der sehr willkürlichen Annahme, dass menschenähnliche Wesen auf allen Planeten wohnen. Nur für diejenigen Subjecte, welche den in der Mathematik festgestellten Begriff eines Kreises oder jeder beliebigen andern Figur haben« giebt es die entsprechenden mathematischen Wahrheiten; für andere Subjecte existiren andere oder vielleicht keine mathe- matischen Wahrheiten, daher kommt ihnen eben nur That- sächlichkeit zu. Denn mit der Aufhebung aller menschlich organisirten Subjecte wurden die mathematischen Thatsachen gerade so aufgehoben werden, wie alle andern Tliatsachen. Dies ist nun allerdings das einzige, was die mathematischen Wahrheiten mit andernP gemein haben; ihr principieller Unter- schied von diesen ist der, dass sie allgemein und nolhwendig im Sinne der Unveränderlichkeit sind, so lange Menschen existiren. Die Mathematik kennt keine Veränderung ihrer Elemente, nachdem sie dieselben begrifflich festgestellt hat; daher sind ihre Objecte und Resultate, wie von der Aussen- weit, so auch von Zeitbestimmungen durchaus unabhängig. Der Kreis der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist immer derselbe, deshalb unser Wissen von jedem zukünftig gedachten oder in die Erscheinung ti*etenden Kreise ganz ebenso sicher^ wie das von einem gegenwärtigen. Denn die mathematische Anschauung, eines concret dargestellten Kreises z. B., wird vom Begriff beherrscht, d. h. derselbe Inhalt in dem ange- schauten Kreise gedacht, weicher im Begriff des Kreises ein für allemal festgestellt ist. Es ist daher eine logische Noth- wendigkeit^ dass die mathematischen Sätze allgemeine und ausnahmslose Gültigkeit haben; da nun aber die Nothwendig- keit ihren Inhalt überhaupt nur in der AUgemeingüUigkeit (negativ formulirt: in dem Nichtandersseinkönnen) hat, so sind die mathematischen Wahrheiten auch noth wendig. Die Er- klärung dieser Apodikticität liegt in der Beschaffenheit der Ueber den Missbrauch der Mathematik in der Philosophie. 273 mathematischen Objecte, nämlich ihre Unveranderlich- keit, nicht aber in irgend welchen apriorischen subjectiven Formen. Weil nun hei allen andern Objecten das Gegentheil der Unveränderlichkeit vorliegt, deshalb fehlt natürlich auch ihrer Erkenntniss die ,,apriorische^ Gewissheit oder Apodikticität. Wir haben über unsere Sinneswahrnehmungen keine Macht; zwar können wir unsere Sinne überhaupt gegen äussere Ein- drücke yerschliessen, sobald wir sie aber gebrauchen, hört unsere Willkür auf, und wir haben jedenfalls keine absolute Gewissheit über die Beschaffenheit unsrer zukünftigen Sinnes- Wahrnehmungen; und müssen demnach auf strenge Allgemein- heit und Nothwendigkeit in diesem Gebiete verzichten. Zwar erreichen wir durch Begriffe und Gesetze auch eine wenigstens hypothetische Apodikticität, welche uns eine annähernd sichere Voraussicht zukünftiger Thatsachen ge- stattet; es fehlt uns aber jede Bürgschaft dafür, dass sich das Erwartete in jedem Falle verwirkhcht. Wir können daher immer nur sagen: Wenn der Lauf der Dinge in den ent- scheidenden Punkten derselbe bleibt, wird Das oder Jenes ein- treten „müssen^; oder auch: Wenn die nämlichen Ursachen in Kraft bleiben, werden die gleichen Wirkungen erfolgen „müssen^. Ob aber diese Bedingung jederzeit erfüllt wird, ist erst a posteriori festzustellen. Demnach ist im nichtmathe- matischen Erkennen die Anschauung das Bestimmende und Massgebende, und Begriffe und Gesetze haben nur eine von der Anschauung entlehnte, daher hypothetische Gültigkeit; sobald sich die Anschauung oder die Thatsachen ändern, sind sofort auch die Begriffe und Gesetze zu modi- ficiren, weil deren Inhalt vernünftigerweise überhaupt nur aus der Erfahrung entnommen werden kann. Wenn das Gesagte richtig ist, so folgt daraus, dass die mathematische Anschauung von der gewöhnlichen und wissen- schaftlichen Anschauung toto genere verschieden ist, und daher jeder Versuch, auch nur eine Art von Analogie zwischen mathe- matischer und aligemein wissenschafQicher, wie philosophischer VierteljahTssclirift f. Wissenschaft!. Philosophie. III. 3. 18 274 C. Göring: lieber d. Missbrauch der Math, in d. Philos. Erkenntniss herauspressen zu woUen, hieran nothwendig scheitert. Es werden demnach auch alle mathematischen Umwandlungen unserer Raumanschauung zu einem Grössenbegriff von behebig vielen Dimensionen für die psychologische und erkenntniss- theoretische Behandlung des Raumproblems nicht im Geringsten präjudicirUch werden dürfen. Die Mathematik kann auf ihrem eigenen Gebiete beliebig über ihren Raum verfügen, soweit sie dies für ihre Zwecke nöthig hat; sie darf und muss sogar willkürUch verfahren, denn sie ist keine empirische Wissen- schaft wie die andern Disciplinen. Mag sie immerhin empiri- schen Ursprungs sein, so ist sie doch keineswegs auch in der Empirie beschlossen; daher kann man auch vor einem Miss- brauch der (empirischen) Philosophie in der Mathematik warnen, der dann eintritt, wenn man aus philosophischen Gründen die Mathematik auf die Operation mit anschaulichen Elementen be- schränken will oder verlangt, dass auch die mathematische Grössenlehre sich nicht über ihre anschauUche Grundlage er- heben solle. Die Entscheidung hierüber steht ausschhesslich der Mathematik zu. Im Uebrigen wissen sich die Mathematiker gewöhnlich selbst besser gegen die Einmischung der Philosophen zu schützen, als umgekehrt; auch dürfte der durch einen wirk- lichen Einfluss der Philosophie in der Mathematik angerichtete Schaden kaum ein erheblicher sein, während die Uebertragung der mathematischen Resultate in die Philosophie Alles in Ver- wirrung bringt; zum Theil freilich auch aus dem Grunde, weil sich die Philosophie meist leicht, vielleicht ab und zu ein- mal auch gerne vervnrren lässt. Wem es aber in erster Linie um Klarheit der Erkenntniss zu thun ist, der wird das Verschiedenartige auseinanderzuhalten bestrebt sein, nicht es vermischen, und auch in der Philosophie nach dem Grundsatz verfahren: Es ist besser arm, aber ehrlich zu bleiben. lieber Wirbelatome und stetige Raumerfülliing. Zweiter Artikel. (Schluss.) Bekanntlich findet Descartes^) das Wesen der Materie in der Ausdehnung. Es giebt keinen leeren Raum und keine Atome; denn wie der Raum kann auch das Körperliche in Gedanken stets weiter getheilt werden. Wenn daher auch ein- zelne Körpertheilchen für uns untheilbar wären, so müssten sie doch für Gott theilbar sein, weil sich sonst ein Widerspruch gegen seine Allmacht ergäbe. Der Möghchkeit nach wenigstens existirt also eine unendliche Theilbarkeit. ' Mit dieser Gegenüberstellung einer absoluten Theilbarkeit der Materie und einer relativen Untheilbarkeit gewisser Körper hat sich Descartes den Weg eröffnet, die Vortheile der Atomistik bei den Erklärungen der Physik neben der steligen Raum- erfüllung zu benutzen. Ohne die unendliche Theilbarkeit der Materie aufzuheben lässt er doch kleinste Theile derselben als Elemente seiner Construction gelten. Dieser Zug ist für D e s - carte s wie Thomson charakteristisch. Die tiefere Bedeu- tung liegt darin, dass der Atombegriff mit der Theilbarkeit der Materie gar nichts zu thun hat; ich komme darauf zurück. Descartes nimmt also an^ dass die Materie aller Körper ein- unddieselbe sei, theilbar in beliebige Theile und schon that- ^) £s kommen hier insbesondere in Beti*acht: Principia philo- sophiae, pars II und IIT, sowie die Meteora. 18* 276 . K- Lasswitz: sächlich in viele getheilt, welche auf verschiedene Weise be- wegt werden, gewissermassen kreisförmige Bewegung besitzen und immer dieselbe Quantität der Bewegung im Universum con- stant erhalten. Die kreisartige Bewegung ergiebt sich natur- gemäss aus der stetigen Erfüllung des Raumes, in Folge deren Bewegung nur möglich wird, wenn der letzte Körper in einem Kreisprocesse den ersten wieder verdrängt. Dies gegenseitige Ersetzen der Theile der Materie durch einander erfordert die vollkommene Plasticität der Materie und giebt damit im Sinne des Descartes einerseits einen neuen Beweis für die Theilbarkeit ins Unendhche, ohne welche die Anschmie- gung der Materie in die verlassenen Räume nicht möglich wäre, andrerseits führt es auf eine rein mechanische Naturerkläruug , bei welcher nur der Sloss der Theilchen auf einander die Ursache aller Erscheinungen ist und die Annahme Gottes als Urhebers aller Bewegung Nebensache bleibt. Die primitive Materie, von welcher die Physik des Des- cartes ausgeht, ist diejenige, welche er als die zweite Art der Materie bezeichnet und aus welcher die erste und dritte ent- standen sind. Sie besteht aus Partikeln, welche anfanglich gleichwinklig aneinandergefügt den Raum stetig ausfüllten und erst durch allmähliches Abschleifen sphärisch geworden sind; sie sind sehr klein in Bezug auf die uns umgebenden Körper, aber von bestimmter endlicher Grösse und noch theilbar in kleinere. Die durch das Abschleifen entstandenen Splitter bil- den nun die erste, ausserordentlich feine, leicht theilbare Materie, welche eine derartige Triebkraft besitzt, dass sie beim Anstoss an andere Körper in die minimalsten Splitter (ramenla) sich zertheilt, wodurch eben Jene oben hervorgehobene An- schmiegung in die Hohlräume hervorgerufen wird. Die dritte Materie entsteht aus der zweiten durch Zusammenballung; sie besitzt gröbere Theile, welche sich zur Bewegung weniger eignen. Aus der ersten Materie bestehen die Sonne und die Fixsterne, aus der dritten die Erde, Planeten und Kometen, die zweite vertritt in gewisser Beziehung die Stelle des modernen Aethers, sie erfüllt die Himmelsräume. Letztere ist es, welche Ueber Wirbelatome und stetige Raumerfullung. 277 in Wirbelbewegung begriffen ist. Hier also stossen wir auf die berühmte Wirbeltheorie. Diese dient jedoch lediglich dazu, die Bewegung der Himmelskörper zu erklären und unterscheidet sich somit schon hierdurch vöUig von der modernen Wirbel- theorie. Bei Descartes sind Sonne und Fixsterne Centra ¥on grossen Wirbeln, in welchen eine Rotation um die Axe des Wirbels stattfindet, und durch dieselbe werden die Planeten befördert und die Gravitation hervorgerufen. Die Pole benach- barter Wirbel liegen möglichst weit von einander entfernt, so dass der Pol des einen Wirbels in der Nähe des Aequators der benachbarten sich befindet. Da aber die Wirbel von ungleicher Grösse sind, berühren von den Polen entfernte Theile eines Wirbels solche Theile eines andern Wirbels, welche dessen Pole näherliegen und somit den Theilen des ersten Wirbels gegenüber eine geringere Centrifugalkraft besitzen. Daher fliesst fortwährend Materie (der ersten Art) aus den äquatorialen Theilen eines Wirbels durch die polaren Gegenden eines zwei- ten Wirbeis nach dem Centrum desselben. Es findet also ein Austausch von Materie der ersten Art zwischen den Wirbeln fitatt, während die gröberen Kugeln der zweiten Materie nur bis zu einer gewissen Grenze vordringen können. Diese kugel- förmigen Theile der zweiten Materie bilden „dreieckige^ Zwi- schenräume, in welche sich nun die Theilchen (minutiae) des «rsten Elementes hineinwinden müssen. Dadurch entstehen die ^striatae particulae", Theilchen mit drei schneckenartigen Canne- Urungen, welche entgegengesetzt gewunden sind, wenn die Theil- chen von entgegengesetzten Richtungen kamen. Aus diesen striatis besteht hauptsächlich durch Zusammenballung die dritte Materie, welche die Planeten bildet. Diese Darstellung der physikalischen Principien der Carte- sischen Theorie dürfte ausreichend, aber auch notwendig zur Würdigung derselben sein. Man erkennt sofort, dass nicht die Annahme von Wirbeln es ist, welche sie mit der Thomson^schen Theorie in Beziehung setzt. Die Cartesischen Wirbel sind ein- fache Rotationen, nicht Wirbelringe, in denen die Richtung der Rotationsaxe in jedem Punkte eine andere ist. Die Rotationen 278 K- LasBwitz: der kleinsten Theilchen der Körper benutzt Descartes nicht systematisch, sondern nur hin und wieder, wo es ihm bequem ist. So erklär! er z. B. die Ausdehnung des Wassers beim Verdampfen durch ein Rotiren der fadenförmigen Wasser- theilchen, welche sich durch die Centi*ifugalkraft ausstrecken und einen grösseren Raum einnehmen; oder die Ausdehnung der Pulvergase in ähnlicher Weise durch eine Rotation der Theilchen des Salpeters. Aber diese Rotationen sind keine un- zerstörlichen, wie die der Wirbelatome. Descartes findet den leeren Raum und die Atome nicht denkbar; dennoch kann er diese Begriffe als Hilfsmittel der Erklärung nicht entbehren. Er hilft sich also dadurch, dass er an Stelle des leeren Raumes eine ausserordentlich leicht durchdringbare und plastische Materie setzt. Wiederholt nimmt er Gelegenheit auszusprechen, dass der leere Raum doch keine andere Bedeutung habe, als die ungehemmte Bewegung der Partikeln zu gestatten; und dies soll seine feinste Materie eben- falls leisten^). Bei der stetigen RaumerfuUung ist es aber nur dadurch möglich, die Beweglichkeit der Materie zu begreifen^ dass man die einzelnen Theile derselben sich ausserordenthch leicht nach jeder Richtung hin verschiebbar denkt; es ist dies nichts anderes, als die YorsteUung von der Materie als einer absoluten Flüssigkeit^ zu welcher sich auch die mathe- matische Physik gedrängt sieht, wenn sie mit Volumelementen rechnen will. Der Begriff einer absoluten Flüssigkeit oder der vollkommenen Plasticität derMaterie macht also das^ Wesen der plerotischen Theorieen aus, und es handelt sich darum zu untersuchen, ob dieser Begriff im Stande ist, da» Fundament einer Naturerklärung abzugeben. Die mathemalische Physik setzt sich freilich leichten Her- ^) So Princip. III, § 60. Man erzählt sogar, dass Descarte» seine Physik anfänglich auf den leeren Raum gegründet und sein System erst umgearbeitet habe, nachdem Mersenne ihn belehrt, dass das Vacuum in Paris nicht mehr Mode sei. S. Whewell, Geschichte der indactiven Wissenschaften. Deutsch v. Littrow. Stuttg. 1841* Th. 2, p. 139. lieber Wirbelatome und stetige Raumerfüllung. 279 zens über diese Frage hinweg. Sie behandelt den Begriff einer absoluten Flüssigkeit, deren Wesen darin besteht, dass jeder Bewegungsantrieb (Druck) sich nach allen Richtungen hin fort- pflanzt, als etwas selbstverständliches, nicht weiter zu erörterndes. Dies kann sie thun, so lange sie lediglich den technischen Zweck verfolgt, die möghchen Bewegungen eines solchen Sub- strats möglichst einfach zu beschreiben. Eine Wissenschaft aber, welche das Erkenntnissbedürfniss des Menschen befriedigen soll, darf bei diesem Begriff der Materie nicht stehen bleiben; sie muss nothwendiger Weise soweit vordringen, bis eine ein- fache Anschaulichkeit gewonnen ist; sie muss uns nachweisen, wie durch das Zusammenwirken unserer Sinne und unseres Denkens fundamentale Begriffe unserer physikalischen Erfahrung erzeugt werden, bei welchen der ganzen Natur unserer Orga- nisation nach eine weitere Frage nach Erklärung nicht mehr auftreten kann; sie muss den Begriff der Materie erkenntniss- theoretisch untersuchen und begründen, wobei sie sich natür- lich ledigUch auf phänomenalem Gebiete bewegt. Der Verfasser hat dies in seiner bereits angeführten Schrift „Atomistik und Kriticismus*' durchzuführen versucht und ist zu dem Begriff der kinetischen Atome als der sich aus dem Wesen unserer Erfahrung nothwendig ergebenden Grundlage der Physik gelangt. Es ist jetzt seine Aufgabe zu untersuchen, ob die Grundlage der plerotischen Theorieen, der Begriff einer absoluten Flüssigkeit , wie sie von Descartes und Thomson vorausgesetzt wird, sich mit den Gesetzen, nach welchen un- sere physikalische Erfahrung zu Stande kommt, verträgt. Ist die Annahme einer absolut plastischen Materie eine unser Er- kenntnissbedürfniss befriedigende? Gewährt dieselbe das not- wendige Fundament aller Erklärung — Anschaulichkeit? Oder kann sie auf unmittelbar anschauliche Vorstellungen zurück- geführt werden? Diese Fragen müssen beantwortet werden. Man kann nicht sagen, dass der Begriff der Plasticität ein unmittelbar an- schauUcher sei. Das mit Widerstand verknüpfte Nachgeben der uns umgebenden Körper vor der Bewegung unseres eigenen 280 K. Lasswitz: Körpers, diese Andrangsempfindung, durch welche, wie ich a. a. 0. nachgewiesen habe, der Begriff einer bewegten Masse erst in uns entsteht, könnte zwar zu der Behauptung fuhren, dass die Plasticität der Materie eine unmittelbare Erfahrung und unmittelbar anschaulich sei. Man könnte sagen, dass jeder Mensch wüsste, was eine Flüssigkeit sei; doch gilt dies nur in ganz äusserlichem Sinne. Der wissenschaftliche Begriff einer Flüssigkeit ist ein durchaus anderer, und schon der erste Ver- such, die verschiedenen aus der Erfahrung uns bekannten Arten der Flüssigkeit in ihrem Verhallen von einem Gesichts- punkte aus zu verstehen, zwingt uns in den Begriff der Plasti- cität näher einzudringen. Wollte man den Begriff der Flüssig- keit als weiterer Erklärung nicht bedürftig ansehen (wogegen schon die Geschichte der Wissenschaften spricht), so würde man weiter nichts erhalten als die Registrirung einer Unzahl von Fällen, in welchen Theile von Körpern mit mehr oder weniger Widerstand sich neben einander verschoben haben, aber keine einheitliche Erklärung. Immer wird die Anschauung nur an cjier äusseren Begrenzung haften und der Versuch, sich die Vorgänge im Innern einer Flüssigkeit anschaulich vorzustellen, wird fehlschlagen. Dies soll im Nachstehenden durch eine Be- trachtung des Begriffs der Plasticität vom kritischen Standpunkte aus dargelegt werden. Wir können „Plasticität" nicht anders definiren als die Eigenschaft der Materie, jeden Bewegungsantrieb nach jeder Richtung hin zu übertragen und ohne Widerstand jeder Form- änderung nachzugeben, so dass jeder beliebig geformte Raum- theil ausgefüllt werden kann^). Sucht man sich diese Fähig- keit im Einzelnen vorzustellen, so verlangt dies ein Wirken von Raumtheil zu Raumtheil und eine Theilbarkeit in beliebig klein gedachte Theile. Nur eine solche mathemalische Theilbarkeit liegt zunächst im Begriff der stetigen Raumerfüllung; und dabei ^) £s ist also das Wort „Plasticität'^ nicht in dem sonst auch üblichen Sinne von „Zähigkeit*' gebraucht, sondern gleichbedeutend mit „Eigenschaft der absoluten Flüssigkeit.** \ Ueber Wirbelatome und stetige Raumerfullung. 281 findet sich nichts widersprechendes. Wie aber kommt man nun vom Allgemeinen zum Besonderen, von der Materie zum Körper? Wie kann die physikalische Trennung in hetero- gene Theile stattfinden? Wie kann man sich getrennte Theile denken? Das ist die schwierige Frage ^ an welcher alle plero- tischen Theorieen scheitern. Hier ist es nun offenbar die verschiedenartige Bewegung der Theile, welche ihre Verschiedenheit von einander über- haupt constituiren soll. Es werden also aus dem Continuum der Materie solche Theile ausgesondert, welche sich durch ihre Geschwindigkeit von den benachbarten unterscheiden. Um dies aber zu denken, muss man immer den Begriff abgeschlossener, ganzer, erfüllter Räume bilden, welche sich gegenseitig ver- schieben. Wie soll man auch sonst ein Theilchen der Materie mit sich selbst identificiren? In der That fühlt das Descartes. Seine Materie ist nicht nur theilbar, sondern actuell gelljeüt, d. h. sie besteht aus selbständigen, getrennten Körpern, welche ursprünglich den Raum stetig durch ihre Aneinanderlagerung erfüllten. Diese Theile sind also nicht flüssig gedacht; die Plasticitat entsteht erst durch die leichte Zerreibbar keit, Trenn- barkeit der Theile (und ihre tliatsächhche Bewegung), welche sie in den Stand setzt, jede beliebige Figur aufzubauen. Immer aber sind es abgerissene Partikel von bestimmter Gestalt; Splitter der Materie. Descartes ringt sichüich nach Anschaulichkeit im Treiben seiner Materie und sieht sich dadurch gezwungen ^ die Theile derselben als abgeschlossene Corpuskeln vorzustellen. Das ist aber nichts Anderes , als der Anfang zur Bildung des Atombegriffs ^). ^) Wenn F. A. Lange (Geschichte des Materialismus, 2. A. 1. Th. S. 200) von Descartes sagt: „Er setzt an die Steile der Atome kleine runde Körperchen, die in der That ebenso unverändert bleiben, als die Atome^, so ist das trotzdem nicht genau. Denn kleine, runde Körperchen sind bei Descartes nur die Theilchen des zweiten Ele- ments, der materia coelestis, und auch diese sind erst durch Ab- reiben sphärisch geworden. Die Theilchen der irdischen Körper da- gegen, weiche den Atomen der Physik entsprechen, bleiben keines- 282 K* LasBwitz: Mit Nothwendigkeit werden wir auf denselben gedrängt; es bleibt dabei ganz gieichgiltig, ob wir den übrigen Raum als leer oder erfüllt ansehen, denn derselbe ist zunächst nicht Gegenstand unseres Nachdenkens. Wird er dies zum Zwecke physikalischer Erklärungen, so werden wir allerdings auch weiter nach demselben Gesetze der Atombildung ihn denken müssen. Man berücksichtige nur dabei, in welcher Weise der Atom- begriff kritisch zu fassen ist (Atomistik und Kriticismus, S. 29 f.). Nicht durch die Theilung der Materie kommt man auf den- selben, sondern er wird synthetisch erzeugt als der aus der Natur unserer Sinnlichkeit sich ergebende Begriff des Körpers, wenn man dabei von allen Eigenschaften desselben absieht, welche nicht wesentlich zu seiner Constituirung gehören. Es giebt für uns keinen andern ßegrifl der Materie, als den eines abgeschlossenen erfüllten Raumes; niemals kann man, wie die plerotischen Theorieen müssen, von der Materie zum Körper oder zum Atom kommen, sondern immer nur vom Atom zur Materie. Das Atom ist nicht das Untheilbare, weil man dies bestimmte Atom nicht getheilt denken könnte oder weil man bei irgend einer Grenze aufhören müsste, sondern weil man bei irgend einem Ganzen anfangen muss. In derselben Weise wie der Begriff des abgeschlossenen, er- füllten Raumes, entsteht aber auch der des leeren Raumes. Der leere Raum existirt nur als Grenze des erfüllten, er ist nur denkbar durch eine Abstraction, denn der Raumbegriff, wegs unverändert, sie sind biegsam, dehnen und strecken sich etc. Eine Verwandtschaft Descartes's zur Atomistik liegt allerdings in der An- nahme der Corpuskeln, aber ein principieller Gegensatz ist doch darin vorhanden, dass Descartes ein letztes, unveränderliches Theil- chen (oder Element, Atom) der Materie nicht gelten lässt. Histo- risch aber vermittelt seine Physik den Uebergang von der corpus- kularen zur molekularen Theorie der Materie; er ist es, der die „kleinsten^ Theile als eventuell noch weiter theiibar betrachtet und durch diese Eelativirung des Atombegriffs auf einen neuen Abschnitt in der Geschichte der Atomistik hinweist , den man mit Hobbes be- ginnen kann. Ueber Wirbelatome und stetige BaumerfüUung. 283 das kann nicht oft genug hervorgehoben werden, bildet sich nur gleichzeitig mit und aus dem des Körpers. Wer dies an- erkennt, muss auch die Unhalibarkeit der plerotischen Theo- rieen anerkennen, welche den Begriff des Körpers aus dem unbestimmten, allgemeinen der RaumerfüUung als Ganzes her- leiten müssen. Wie aber kann man einen Begriff erklären wollen aus einem anderen Begriffe, welcher erst mit Hilfe des ersten entstanden ist? Es ist unumgänglich noth wendig, auf den erkenntnisstheoretisch-fundamentalsten Begriff zurückzugehen, und das ist in Bezug auf die Materie das Atom. Unser Denken verlangt den Atombegriff. Dieselbe Auffassung des Atombegriffs, über welche ich auf meine schon erwähnte Schrift verweisen muss, habe ich zu meiner Freude auch neuerdings bei Schuppe in seiner „Erkenntnisstheoretisched Logik" (Bonn, 1878) wie- dergefunden. Nur aus der vertieften Auffassung des Begriffs der Materie kann die Naturwissenschaft eine sichere Grundlage zur Erklärung der empirischen Thatsachen gewinnen. Wir gehen nun zurück zu dem Versuche, dieTheorie der stetigen Raumerfüllung und die Plasticität der Materie auf An- schaulichkeit zurückzuführen. Die Vergeblich keit dieses Ver- suches wird treffend illustrirt durch das Schicksal, welches der Cartesischen Theorie in der Geschichte der Physik bestimmt war. Eine ausführliche oder gar vollständige Darstellung des- selben soll an dieser Stelle natürlich nicht gegeben, sondern nur auf das für unsere Untersuchung bedeutungsvolle Moment aufmerksam gemacht werden. Unter den Einvvürfen gegen das System des Descartes spielte immer derjenige die Hauptrolle, dass aus der Wirbel- bewegung eine Gravitation nur gegen die Axe, nicht aber gegen das Ceiitrum des Wirbels sich erklären lasse. Die Verbesserungsversuche von Huyghens^) durch An- nahme von Wirbeln, bei denen die Materie sich auf den Schalen ihrer Kugelflächen in jedem Sinne bewegt, die Vertheidigung durch Säur in (1709), die Vervielfältigung der Wirbel durch ^) De causa gravitatis. Op. rel. Amst. 1728. 284 K. Lasswitz: Bullfinger und die Untersuchungen von DanielBernoulli, welcher „die Hypothese zwar nicht empfehlen, aher doch einige Schlüsse daraus ziehen will, ohne welche dieselbe ihm nicht bestehen zu können scheint",^) sind hier weniger von Bedeu- tung, als das Bestreben Johann Bernoulli's, die Carte- sischen Principien Newton gegenüber aufrecht zu erhalten. Denn Attraction und leerer Raum sind für Job. BernouUi immer „principes imcomprehensibles pour un Physicien.** In seiner Abhandlung^) vom Jahre 1730 „Nouvelles pensees sur le Systeme de M. Descartes" nimmt er an, dass die Materie der Wirbel vom Centrum nach der Peripherie hin abnehmende Dichtigkeit besitze und erklärt daraus die elliptischen Bahnen und die Verschiebung des Perihels der Planeten. Es entstehen nämUch dadurch OsciUationen, d. h. Annäherung und Entfer- nung der Planeten in Bezug auf die Sonne. Wenn nun die Dauer einer Oscillation nicht gleich der Dauer eines Umlaufs ist, so muss eine Verschiebung der Lage der grossen Axe der EUipse eintreten. Aber schon 1734 stellt er eine neue Theorie in seiner „Nouvelle physique Celeste" auf, in welcher er zwei Arten von Wirbeln annimmt, um die Sonne (und die Fixsterne) einer- seits, um die Hauptplaneten andrerseits; zur Erklärung der Gravitation hilft er sich durch Annahme eines Centralstroms. Nun fühlt BernouUi das Bedürfniss, die Cartesischen Principien zu vertiefen. Er macht Descartes den Vorwurf^ dass dessen „erste Materie" nicht actueil ins Unendliche getheilt, sondern nur theilbar sei, und ganze Corpuskeln enthalte. Dies ist von wesentlicher Bedeutung für die Ent- wickelung der plerotischen Theorieen, denn es trifiFt genau die schwache Stelle derselben^). BernouUi empfindet es als eine ^) Hydrodynamica. Argen torati 1738. p. 252. *) Job. BernouUi, Opera omnia. Tom. IIL Laus, et Genäve 1742. *) Man bemerkt: Ein Anhänger des Cartesius zieht die letzte Consequenz der plerotischen Theorie und fuhrt sie dadurch ad ab- surdum, während die eigentlichen Gegner derselben, namentlich die Physiker, welche die sog. Corpuskulartheorie ausbildeten, das tief- liegende unhaltbare Fundament nicht bemerkt hatten. So einer ihrer Ueber Wirbelatome und stetige Raumerfüllung. 285 Inconsequenzy dass die Theorie des Continuums unter der Hand in eine solche der Atome umschlagen soll Aber Descartes kann nicht anders, als die Materie unausgesetzt durch ihre Be- wegung in abgeschlossene Partikel sich sondernd denken, wie ich oben gezeigt habe. Kein Mensch kann anders verfahren, der überhaupt versucht, eine Anschauung des Vorganges zu gewinnen; denn will man nicht unterschiedslose Flüssigkeit haben, so muss man eben getrennte Tbeile unterscheiden, das sind Corpuskeln. Aber der Gegner der Atomistik kann sich mit diesem Schlüsse nicht befreunden, er sucht nach einem anderen Ausweg. Der einzige Ausweg jedoch, den es noch giebt^ führt ins Unmögliche, Denkwidrige! Wie nämlich hilft BernouUi sich? Er nimmt zwei Arten Materie an. Die eine besteht aus kleinen Massen, deren Theile zusammenhängen, ohne gerade unbesiegbar hart sein zu müssen — also eine Art relativer Atome oder Corpuskeln. Doch dies ist unwesentlich. Diese Theile aber befinden sich in der zweiten Materie, welche — und das ist Bernoulli*s charakteristische Annahme — ein continuiriiches Fluidum darstellt und wirklich ins Unendliche get heilt ist („reellement divisee ä Pinfini"). Da haben wir die Consequenz der stetigen Raumerfüllung, die Forderung einer actuell ausgeführten Theilung ins Unendliche, den Widerspruch einer vollendeten Unendlichkeit. Wenn bei der Darstellung der mathematischen Grund- lagen die übliche ßezeichnungs weise „unendlich kleines Volum- element etc." beibehalten wurde, so geschah dies nur aus Rück- sichten der Bequemlichkeit; das Unendliche ist dann eben im Sinne der Mathematiker zu verstehen und in seinem Gebrauche berechtigt; es hat nichts zu schaffen mit dieser vollzogenen Unendlichkeit, welche gleichbedeutend wäre mit der Con- Hauptvertreter, der berühmte Physiker Dechales, CursuB b. mun- dos mathematicus. Lugd. 1679. Tom. II. MechaD. Lib. 8. p. 211 ff. Der Grund der Flüssigkeit liegt nach ihm nicht in einer Bewegung der Theilchen, sondern nur „in facili divisibilitate aut etiam in actuali divisione in partes minutissimas." Also sehr kleine, aber nicht unendlich kleine Theile! 286 K. LasBwitz: stituirung eines Raumes aus aufeinandergehäuften Punkten. Diese Annahme von Bernoulli ist in sich so sinnwidrig, dass darüber kein Wort zu vertieren ist; aber man k&nnte ein- wenden, dass wir die BernouUi'sche Unendlichkeit vielleicht retten könnten, wenn wir sie ihres transcendenten Charakters entkleideten und unter den Gesichtspunkt des kritisch durch- gedachten UnendhchkeitsbegrifTs der Gegenwart brächten. Doch auch dies ist verlorene Liebesmäh. Denn wollte man jene Theilbarkeit ins Unendliche nur als die Yorstellungsart auf- fassen, vermöge deren wir iins die Materie mit der Fähigkeit begabt denken, jeden beliebigen Raumtheil einzunehmen, so hätte man damit nichts gewonnen als den unbestimmten, an- schauungslosen Begriff der Plasticität, den zu erklären wir aus- gegangen sind. Die Theile filiessen wieder ineinander, an keinem kann unsere Anschauung haften und wir sind soweit wie vorher. Wir sehen uns also wieder auf die Cartesische Anschauung gedrängt, nach welcher wir Partikel von bestimmter Grösse nebeneinander abgrenzen; wir müssen, auch von der stetigen Raumerfüllung ausgehend, doch unter Vernachlässigung dieser Vorstellung den Begriff abgeschlossener Körper bilden, welche sich neben einander verschieben. Es ist dies, wie gesagt, der Anfang zur Bildung des Atombegriffs. Aber wir können dabei nicht stehen bleiben, wir müssen vom Begriff der Corpuskel nothwendig fortschreiten zum Begriff des starren Atoms, und damit trennen wir uns von den pleroüschen Theorieen, welche mit der erkenntnisstheoretischen Forderung eines unverän- derlichen Atoms in Widerspruch sind. Indem ich es unternehme, die Unabweisbarkeit dieser For- derung starrer Atome zu erhärten, habe ich damit schon meinen Standpunkt zu der Thomson^schen Theorie der Wirbel- atome bezeichnet. Das Nähere wird sich sogleich ergeben. Nach den vorausgegangenen Erörterungen ist es klar, dass die Thomson*sche Theorie zu den als plerotisch bezeichneten gehört. Aber sie erhebt gleichzeitig den Anspruch, Atomistik zu sein; sie nimmt Wirbelatome an^ welche die physikalische Ueber Wirbelatome und stetige Raumerfüllung. 287 Forderuflg unveränderlicher und unzerstörlicher Eigenschaften besitzen. Ihre Vertreter sind hervorragende Physiker, welche die praktische Bedeutung der Atomistik voll zu schätzen wissen und sie auch nicht entbehren wollen; im Gegentheil^ sie hoffen den Begriff des Atoms dadurch tasslich zu machen. Erst kürz- lich hat die Wirbelatomtheorie derjenige hochgeschätzte deutsche Gelehrte warm empfohlen, dem wir nicht nur bahnbrechende Arbeiten auf dem Gebiete der atomistisch-ktnetischen Theorie der Gase^ sondern auch die vollendetste Darstellung der letzteren verdanken 1). Und doch kann die Thomson'sche Theorie von einem allgemeineren Gesichtspunkt aus nicht gebilligt werden. Ein Atom, dessen Theile selbst unter einander verschiebbar sind, kann nichts erklären, wenn es auch gewisse Eigenschaften constant zu bewahren im Stande ist. Denn gerade das Flüssig- sein, die Plasticität der Materie ist es ja, welche erklärt, d. h. auf ursprüngßchere und anschaulichere Begriffe zurückgeführt wer- den soll. In dem Wirbelatom aber finden Bewegungen statt; die Theilchen rotiren in bestimmten Richtungen u. s. w. An- genommen, man könnte alle Eigenschaften der uns umgebenden Körper widerspruchslos und einfach aus den Bewegungen der Wirbelatome erklären, so würde sofort die Frage wieder auf- tauchen, wie die Verschiebung der Theilchen des Wirbelatoms denkbar sei. Man hätte hier alle die Bedenken einer stetigen Flüssigkeit und ihrer Bewegung wieder zu überwinden, die man aus der grossen Welt durch Annahme der Wirbelatome herausgebracht hat. Die ganze Frage ist dann nur verschoben. Die in den Atomen bewegliche und bewegte Materie bleibt in Bezug auf ihr Verhalten anschauungslos, die Theilchen sind nicht mehr auseinanderzuhalten, oder man muss sie wieder corpuskular abgrenzen. Alle die oben dargestellten Unzuläng- lichkeiten treten ein. So lange das Denken nicht auf den Be-* griff eines in aller Erfahrung Unveränderlichen, nach Grösse und Gestalt Beharrenden gekommen ist, kann es sich nimmer zur Ruhe geben. Und diese findet es erst im starren Atom, *) 0. E. Meyer, Die kinetische Theorie der Gase. Breslau 1877 288 ^^ Lasswitz: dieser unumgänglichen Forderung des denkenden Geistes, der die Mannichfaltigkeit der Erfahrung einheitUch zu ordnen strebt. Erst wenn dieser Begriff aufgefunden ist, fühlt der'Erkenntniss- trieb sich befriedigt. Hier ist keine Frage mehr möglich; hier findet eine Zurückverlegung der Eigenschaften der Materie auf die Atome nicht mehr statt (vergl. „Atomistik und Kriticismus S. 37, 43—46). Hier ist das „Einfachste "" der Erfahrung ge- wonnen, der Ruhepunkt erreicht, von welchem aus der Bau der Welt für unsere Erkenntniss synthetisch aufgerichtet wird. Im wirbelnden Continuum der Materie giebt es nichts Be- harrendes, an welches unser Denken anknüpfen könnte; den mit sich selbst stets identischen Gegenstand findet es erst im (phänomenalen) Atom. Gerade aus der Unveränderlichkeit, nicht nur der nach aussen in Wirkung tretenden, sondern auch der innerlichen, des Atoms ergiebt sich die Möglichkeit, den flüssigen Aggregatzustand zu erklären; es ist unverständUch, «wie z. B. Harms ^) in der Unveränderiichkeit des Atoms einen Mangel für seine Verwendbarkeit in dieser Hinsicht finden kann, wäh- rend er sonst die Begründung der Atomenlehre auch als eine Anwendung des systematischen Denkens ansieht (S. 322). Wenn ich, wie S. Günther in seiner geschätzten Besprechung meiner Schrift „Atomistik etc." (Kosmos, 2. Tbl. 10. Heft) bedauert, diese Arbeit von Harms dort nicht erwähnt habe, so geschah dieS; weil ich keine schickliche Gelegenheit für die Behandlung dieser principiell entgegenstehenden Ansicht finden konnte, ohne aus dem synthetischen Charakter meines Buches herauszugehen. Eine nur beiläufige Erwähnung schien mir nicht angemessen. Die Harms'sche Kritik der Atomistik steht durchaus auf trans- cendentem Standpunkte und musste somit durch meine Arbeit im Ganzen bekämpft werden. Harms giebt die Annahme von Atomen zu, tadelt aber, dass dieselben nicht als ein Zusammen gedacht werden, noch auch gedacht werden können. Von letzterem ^) Karsten, Harms und Weyer, Einleitung in die Physik. Leipzig 1869. Philosophische Einleitung in die Encyklopädie der Physik. Ueber Wirbelatome und stetige RaumerfUllang. 289 Vorwurf ist meine phänomenale Atomistik frei (vergl. S. 55 ff.), welche überhaupt im Einzelnen von den Harms'schen Bedenken nicht getroffen wird. Aber der principielle Unterschied liegt in Folgendem. Harms findet die Schwierigkeit und Hinfälligkeit der atomistischen Lehre darin, dass sie nicht im Stande ist be* greiflich zu machen, wie zu den Atomen Bewegung und eijfk Zuschauer hinzukommen; denn für ihn sind die Atome etwas Reales, Transcendentes. Für mich ist diese Schwierigkeit ge- hoben, weil der Zuschauer das Erste, Vorhandene ist und die Atome sammt ihrer Bewegung nur in ihm phänomenal bestehen. Die gesammte anderweitige Entwickelung von Harms und sein Zurückgehen auf das Absolute ist demnach für die kritische Atomistik nicht discutabel. Wenn nun Thomson gerade die Annahme eines unver- änderlichen, absolut harten Atoms durch seine Wirbelatome zu beseitigen hofit und namhafte Physiker ihm beistimmen, so kommt dies daher, dass er und die Verlheidiger seiner Theorie immer noch die Atome als real-transcendente Dinge ansehen, nicht als Erzeugnisse unserer Erkenntnissthätigkeit bei unserer Orientirung in der Welt. Das transcendente Atom enthält aller- dings unheilbare Widersprüche; ein solches, an sich real un- veränderlich existirendes Atom ist ebenso wenig denkbar, wie die gegenseitige Mittheilung ihrer Bewegung. Es ist daher natürlich, dass Physiker, und insbesondere engUsche, welchen die kritische Auffassung der Gegenslände unserer Erfahrung noch fern liegt, zu weiteren Hypothesen über die transcendente Materie getrieben werden. Aber um so mehr ist es Pflicht, im Interesse einheitlicher Wissenschaft gerade jetzt, wo die Thom- son'sche Theorie erst schüchtern ihr Haupt erhebt, darauf auf- merksam zu machen, dass jene Versuche niemals zu einem be- friedigenden Resultate führen können; dass die ganze Schwie- rigkeit im Atombegriff erst dann fortfallt, wenn man die Atome sammt ihrer Bewegung auffasst als das nothwendige und un- vermeidliche Product unserer Erkenntnissthäligkeit, wodurch sie zwar lediglich Phänomene für uns, aber ebenso sichere und anschauliche Gegenstände der Erfahrung werden wie Raum und Vierteljahrsscbrift f. wissenscliaft Philosophie. lU. 8. 19 290 K. Lasswitz: Zeit. Möge diese mahnende Stimme in den Kreisen der Fach- genossen nicht ganz verhallen! Ich habe bereits gezeigt, dass die Hypothese der Wirbel- atome den Vorgang der Bewegung einer Flüssigkeit nicht er- klärt, sondern ihn selbst voraussetzt, weil ja die Theile der Atome selbst fliessen. Es soll nun noch gezeigt werden , dass auch unter der Voraussetzung der unmittelbaren Begreiflichkeit einer derartigen Plasticitat der Atome (oder Bewegung der Flüssigkeit) eine Theorie der Materie, welche uns befriedigen könnte, nicht sich geben lässt. Der Gedankengang, welcher auf viele Physiker zu Gunsten der Thomson'schen Theorie so bestechend wirkt, ist nämlich folgender. Der Raum ist continuirlich erfüllt — was dem Mathematiker ein sehr wohlthuender Gedanke ist — und trotz- dem giebt es Atome, und zwar nur Atome. Denn die Materie wird erst dann wahrnehmbar, wenn sie in Bewegung ist; als ein unbewegtes Etwas kann sie keine Kräfte ausüben (d. h. Be- wegung hervorrufen), also auch nicht auf unsere Sinne wirken, nicht wahrgenommen werden. Sie ist also gar nicht vorhanden. Die vorhandene Bewegung (Energie) ist unvergänglich, ausser der bewegten Materie ist nichts wahrzunehmen, also haben wir ja Atome im leeren Räume aus der Natur der stetigen Raum- erfüllung erklärt! Das Flüssigkeitstheiichen ist damit aus dem Continuum durch seine Bewegung atomistisch geschieden und die nicht wirbelnde, kraftlose Materie geht uns nichts an. Das klingt sehr schön, aber es ist leider nicht haltbar. Denn es widerspricht der Helmholtz'schen Entdeckung selbst Wie in der Darstellung der mathematischen Grundlagen erwähnt wurde, ist die nicht an. den Wirbeln betheihgte Materie keines- wegs in Ruhe, sie nimmt vielmehr nothwendiger Weise an der Bewegung Theil, weiche sie vermittelt. Schon dass man sie als „absolute*' Flüssigkeit auffasst, macht dies dem Begriffe nach nölhig. Denn die Fortpflanzung des Druckes kann anschaulich nur gedacht werden als Fortpflanzung der Bewegung von Theii zu Theil, wie ich dies an anderer Stelle ausgeführt habe. Doch davon abgesehen: Es finden Strömungen in der Flüssigkeit lieber Wirbelatome und stetige Raumerfüllung. 291 «tau, sie muss also ebenfalls Energie besitzen. Diese zwischen den Wirbeln befindliche Materie kann also nicht der Wahr- nehmbarkeit entbehren, sie kann ebenfalls Wirkungen ausüben und ist somit mehr als die eigenschaftslose Raumerfüllung. Sie besitzt vollberechtigte Existenz, denn sie besitzt Energie, so gut wie die Wirbel; der Stoff entsteht nicht erst mit der Wirbelbewegung. In dieser nicht wirbelnden Materie aber haben wir die anschauungslose und unterschiedslose Flüssigkeit ^ die eben erklärt werden soll, wieder in voller Unbestimmtheit vor uns. Hätte es sich auch nicht gezeigt, dass wir die Unbegrei^- lichkeit des Flüssigen immer noch in deii Wirbelatomen be- halten, so zeigte es sich doch hier, dass wir jenen unglücklichen Begriff bei Annahme stetiger Raumerfüllung nicht eliminiren können. Jeder tiefer eingehenden Kritik halten die plerotischen Theorieen nicht Stand. Angenommen aber — was nicht der Fall ist — die mathematische Theorie hätte ergeben, dass die nicht wirbelnde Materie in vollständiger Ruhe, also eigen- schaftslos sei, so wäre damit immer noch nichts gewonnen als — der Aristotelische Begriff der Materie. Wir hätten das eigenschaftslose Substrat einer möglichen Bewegung; die that- sächhche Bewegung (die Form) kommt von Aussen her dazu; dadurch entsteht das, was wir Materie nennen. Ob diese Aristotelische Auffassung der Materie, welche ihre unvermeid- lichen, hier nicht näher zu erörternden Consequenzen nach sich zieht; Jemanden befriedigen kann^ möchte ich bezweifeln; sie wäre jedenfalls eine bedenkUche Zuflucht für den modernen Physiker. Aber, wie gesagt, soweit kommt es gar nicht, die Theorie stürzt schon vorher. Was kann uns auch die Zurückführung des Wirbelatoms auf die unbewegte Materie für die Begreifbarkeit nützen? Fragen wir, wie es daraus entstand, so lautet die Antwort: Durch einen Schöpfungsact. Also ebenso, wie das transcendente harte Atom. Ob wir uns nun den Schöpfer die vorhandene Materie in Wirbelbewegung versetzen denken oder ihn solide Atome in den leeren Raum hinein werfen lassen — das Eine ist ebenso unbegreiflich wie das Andere, beides geht über die 19* 292 K. Lasswitz: Grenzen der Erkenntniss und der Wissenschaft hinaus. Nur dasB die Thomson'sclie Theorie zwei Wunder statt eines setzte sie iässt erst die Materie schaffen und dann sie in Wirbel kräuseln. Erklärlich wird die Sache ja überhaupt erst auf kritischem Gebiete ; hier sind die Atome ein Erzeugniss unserer Sinne und unseres Verstandes; die starren ein notliwendiges jeder Orientirung in der physikalischen Welt, die Wirbel ein gluckUches des Helmholtz^schen Calkuls, die Wirbelatome ein weniger gluckliches der Thomson'schen Speculation. Kritisch betrachtet muss nach alledem die Theorie der Wirbelatome als unzureichend erklärt werden, eine befriedigende Grundlage der allgemeinen Naturerklurung zu geben. Sie kann die Anschauungslosigkeit des absolut Flussigen und den Raum stetig Erfüllenden nicht überwinden. Es fragt sich nur, oh sie für die Physik praktische Bedeutung, vielleicht als Hilfs- mittel der Erklärung (vorbehaltlich einer Zurückführung auf atomistische Principien) hat. Darüber muss die Zukunft ent- scheiden. Bisher sind ihre praktischen Erfolge unbedeutend. Zwar das, was sie dem Philosophen unannehmbar macht, das gerade macht sie dem Physiker schätzbar, die BiegsamkeiU Plasticität, Elasticität der Atome. Hierin beruht ein pliysika- lischer Werth derselben, obgleich die „Elasticität** der Atome^ wie anderweitig gezeigt^), für die kinetische Atomistik nicht erforderlich ist; aber derselbe wird wieder dadurch geschmälert^ dass sie der analytischen Behandlung immense Schwierigkeiten entgegensetzen. Trotzdem glaube ich, dass die Benutzung rotatorischer Bewegungen ^) in der Molekularphysik noch eine 1) 0. E. Meyer, a. a. 0. S. 38, 260, 239 u. 240. — G. Lübeck, Schömilch's Zeitschr. f. Math, und Phys. 22. Jahrg. S. 126. — Lasswitz, a. a. 0. S. 97 ff. ') Hierzu vergl. die Arbeiten von Bankiiie, Philos. magaz. 1855. 4th. ser. vol. 10. p. 354, 411. - Hankel, Berichte üb. d. Verh. d. K. Sachs. Gesellschaft d. Wiss. za Leipzig. Math.-phys. Classe. 17. Bd. 1865. S. 7 u. 18. Bd. 1866. S. 219. — Arw. Walter, Unter- suchungen über Molekularmechanik. Berl. 1874. — Schmitz-D umont. Die matb. Elemente der Erkenntnisstheorie. Berl. 1S78. S. 394. 399. Ueber Wirbelatome und stetige Baumerfüllung. 293 grosse Rolle spielen wird. Nur soll man die Wirbel nicht als Atome aufTassen, die aus einer zusammenhängenden Flüssig- keit bestehen, sondern als Molekel, zusammengesetzt aus sehr kleinen, selbständigen Atomen. Was die Rechnung von einer continuirlichen Flüssigkeit aussagt, das gilt auch von einem in atomistisch-kinetischem Sinne zusam- mengesetzten Gase. Und das ist auch der Schluss, welchen Thomson und Tait aus dem Experimente der Wirbelringe «inzig hätten ziehen dürfen. Denn was dort als Rauch- oder Staubring wirbelte, das war keine ai)solute Flüssigkeit {welche niemals hätte dazu gebracht werden können), sondern es waren feste Körperchen, Aschentheilchen , Salmiak- stäubchen und Luflmolekeln. Wohl kann man annehmen, dass in ähnlicher Weise kleine, sehr constante Wirbelringe von Atomen gebildet werden, welche dann vielleicht die Atome der Chemie vorstellen, ja der Gedanke liegt nahe, zu fragen, ob nicht die Atome des Weltäthers, indem sie wie jene Luftmolekeln Wirbelringe bilden, die Atome der Körper dar- stellen ; bei der Eigenschaft des Aethers, durch welche wir ihn «iner „vollkommenen Flüssigkeit** vergleichen können, würde sich die Unveränderllchkeit derselben erklären. Einer solchen Theorie würde ich mit Freuden zustimmen; hier hätten wir die von der Erkenntnisstheorie geforderte atomistische Con- stitution der Materie und wir hätten zugleich alle Wünsche der Wirbelfreunde erfüllt. Der experimentirende Physiker aber, indem er sich auf das von ihm oft verächtlich behandelte Ge- biet der Speculation begab, vergass die Grundlagen seines Experiments und sündigte gegen die Grundlagen der Bildung unserer Erfahrung. Trotzdem könnte die Idee Thomson's über die Wirbel von anregendster Bedeutung sein, wenn man sich «inigte, dieselben atomistisch zu fassen, die Atome aber anzu- sehen als die Elemente, welche Sinnlichkeit und Verstand bei dem Zustandekommen unserer Erfahrung nothwendig erschaffen. Gotha. K. Lasswitz. Zur Entwickelung der Willensäusserungen im . Thierreich. Zweiter Artikel. (Schluss.) Es bleibt nun noch zu erörtern, wie sich die Stumme der übrigen Schutzbewegungen aus der Contraction des gesammten Körpers differepziren. Diese Stamme sind das Bedecken und das Fluchten. Das Bedecken bildet den Stamm zum Anfertigen von Hüllen und Nestern, sowie zum Aufführen oberirdischer Baue und Hütten (Termiten, Biber, Vögel, Mensch). Aus dem Flüchten differenzirt sich zunächst das Verslecksuchen, welches einerseits den Stamm zu den yerschiedenen VersteckgewoKn- heiten und den Yorsichtsmassregeln hierzu, andererseits den Stamm zum Vergraben, Gängemachen, Höhlenmachen und Her- richten unterirdischer Wohnungen resp. Baue bildet; und weiter differenzirt sich aus dem Flächten das willkührUclie Ver- iheidigen und aus diesem wieder das Abschrecken und Ver- stellen etc. etc. Es ist aber nicht der Zweck vorliegender Arbeit, auf all diese Differenzirungsprodukte einzugehen, sonst müssten wir sämmtliche Schutzgewohnheiten behandeln. Hier will ich nur zeigen, wie die beiden Stämme, das Bedecken und Flächten aus dem allgemeinen ursprünglichen Contractionstrieb entstehen. Es ist oben bereits besprochen worden, dass bei den Echiniden der Effect des Contractionstriebes ein festeres An- ziehen an die Unterlage ist. Die Echiniden heften aber ihre Ambulacralfüsschen nicht nur an ihre Unterlage, sondern viel- Zur Entwickelang der Willensäusserungen im Thierreich. 295 fach an seitliche Gegenstände. Sind nun diese sehr schwer, so wird bei einer Conti^action der Ambulacralfüsschen das Thier nach diesen Gegenständen hingezogen; sind diese dagegen sehr leicht, so werden sie nach dem Thiere hin resp. auf das Thier gezogen, und der Echinid also damit bedeckt. Man sieht hieraus^ wie verschieden der äussere Effect eines und desselben Triebes, einer und derselben Contraction sein kann. Bei der Gewohnheit der Echiniden mit ihren Saugfüsschen sich immer- während an die Steine zu heften und sich an denselben fort- zuziehen, müssen diese Ecliiiiodermen nothwendig vielfach bald diesen bald jenen Effect erfahren, müssen wahrnehmen, dass sich ein Object leicht heranziehen lässt und das andere nicht, dass sie, um mit gewissen Dingen in nähere Berührung zu kommen, diese einfach an sich heranziehen können; bei andern unverrückbaren Steinmassen zu gleichem Zweck aber anderswo haftende Füsschen loslösen und ihren eigenen Körper fort- ziehen müssen, doch das eine wie das andere dnrch dieselbe Contraction. Bei diesen tagtägUchen Erfahrungen konnte sich nun. auch bei diesen Thieren leicht eine psychische Difieren- zirung des Contractionstriebes ausbilden. Die Echiniden mussten bei diesen häufigen Erfahrungen nach und nach ihr Fortziehen und Festziehen von dem Anziehen anderer Gegenstände und dem Bedecken damit unterscheiden ; wobei ich beiläufig be- merken will, dass eine Willensdifferenzirung immer auf einer Unterscheidung beruht. In der That hat sich nun auch, wie die Beobachtung lehrt, bei den Echiniden zuerst (insofern sie die niedersten Thiere sind, bei denen ein Bedecken vorkommt) der Trieb zum Bedecken vom allgemeinen Contraclionstrieb differenzirt. Die Echiniden zeigen nicht nur, dass sie die Ge- wohnheit haben ^ sich zu bedecken, sondern auch^ dass der Trieb hierzu in gewissem Grade unabhängig geworden ist vom allgemeinen Contractionstrieb. Das feste Anziehen an die Unter- lage erfolgt bei diesen Echinodermen nur, wenn sie angegriffen werden, oder wenn sie eine Lokomotion ausführen wollen; das Bedecken dagegen findet auch statt, wenn weder ein Angriff auf das Thier gemacht wird, noch das Thier Lokomotionen 296 C>. H. Schneider: ausfuhrt. Im neapolitaner Aquarium haben wir dieses Be- decken vielfach beobachten können; und ich habe gar oft wie Oskar Schmidt einen Seeigel in ein Waschbecken gethan und Muschelschalen, kleine Steine und Algenfetzen mit in das Becken gelegt; und in der Regel bedeckte sich das Thier voll- standig mit diesen Dingen, indem es die Saugfüsschen amheflete und dann contrahirte. Auch die Lima zieht in ähnlicher Weise wie die Echiniden kleinere Steine und Muschelschalen an sich heran ; verwebt die- selben bekanntlich aber noch zu einer vollständigen Hülle. Dass in der That das HuUenmachen aus dem Trieb zum Bedecken hervorgeht, lehrt die Thatsache, dass innerhalb der Insekten- gruppe oft in einer einzigen Familie (Blattkäferlarven, Motten- räupchen) alle Uebergangsstufen vom theilweisen und voll- ständigen Bedecken zum Anfertigen von Höllen zu beobachten sind; doch hiervon ein andermal. Etwas complicirter als diese Differenzirung des Bedeck- triebes ist der Vorgang beim Differenziren des Fluchttriebes. Auch das Fluchten findet sich bei den jetzt existirenden Thieren zuerst bei den Echinodermen differenzirt. Ehe ich nun den Vorgang der Triebsdifferenzirung bespreche, will ich vorher zeigen, wie gerade bei den Thieren, bei welchen sich das Flüchten zuerst deutlich ausgeprägt vorfindet, ein solches aus dem Contractionstrieb entstehen kann, ohne dass schon ein Fluchttrieb differenzirt ist. Anfänge zum Flüchten mögen schon bei den Wimper- infusorien und den pelagischen Coelenteraten vorhanden sein, welche bereits ziemlich rascher Ortsbewegungen iahig sind. Allein deutlich ausgebildet ist das Fluchten hier noch nicht; und die Lokomotion dient fast ausschliessUch dem Nahrungs- erwerb und der Liebeswerbung, d. h. dem Aufsuchen eines Individuums zur Verschmelzung (Wimperinfusorien); wie denn überhaupt das expansive Prinzip, insbesondere die Bewegungen zur Nahrungssuche sich früher entwickeln als die Schutz- bewegungen. So viel ich auch die Bewegungen der Wimper- infusorien beobachtet habe, ist es mir doch nie vorgekommen, Zur £ntwickeluDg der Wiliensäusserongen im Thierreich. 297 ein Flächten zu bemerken. Engelmann ^) beobachtete^ wie eine Knospe eine grosse VorticeUe offenbar zum Zwecke der Verschmelzung verfolgte. ^Eine freischwimmende Knospe kreuzte die Bahn einer mit grosser Geschwindigkeit durch den Tropfen jagenden grossen VorticeUe, die auf die gewöhnliche Weise ihren Stiel verlassen hatte. Im Augenblicke der Begegnung — Benthrung fand inzwischen durchaus nicht statt — änderte die Knospe plötzlich ihre Richtung und folgte der VorticeUe mit sehr grosser Geschwindigkeit Es entwickelte sich eine förm- liche Jagd, die etwa fänf Sekunden dauerte. Die Knospe blieb während dieser Zeit nur etwa Vis ™™ hinter der VorticeUe, holte sie jedoch nicht ein, sondern verlor sie, als dieselbe eine plötzliche Seitenschwenkung machte. Hierauf setzte die Knospe mit der anfanglichen geringeren Geschwindigkeit ihren eigenen Weg forL" Nun ist aber ti'otz dieser Verfolgung noch nicht gesagt, dass die VorticeUe, die schon vor der Begegnung eine grosse Geschwindigkeit gehabt hat und diese Geschwindigkeit nicht verändert zu haben scheint, vor der Knospe geflohen wäre. Letzteres ist vielmehr höchst unwahrscheinlich. Auch bei den Coelenteraten ist ein Fliehen noch nicht deutUch zu erkennen. Ich habe nie beobachtet, dass eine Qualle auf eine unangenehme Berührung hin ihre Schwimm- geschwindigkeit zur Flucht vergrössert hätte. Wenn ich da- gegen den Golf von Neapel befuhr, so ist es mir öfter vor- gekommen, dass ich eine Berog (RippenquaUe) dicht an der Oberfläche bemerkte, die aber bei Annäherung der Barke sehr bald in die Tiefe verschwand und meine Hoffnung, sie schöpfen zu können^ zu nichte machte. Da nun schon die Actinien eine Lichtunterscheidung deutlich zu erkennen geben dadurch, dass sie in einem Zimmeraquarium immer die dunkelsten Winkel desselben aufsuchen; und da die SchirmquaUen sogar schon deutUche Augenanlagen besitzen, so ist auch wohl anzunehmen, dass die Rippenquallen den starken Schatten, welchen eine Barke verursacht, von der starken Lichteinwirkung aus der Um- *) Engelmann, Th. W.: „Ueber Entwickelung und Fort- pflanzung von Infusorien". Morph. Jahrb. von Gegenbaur 1876. 298 ^* H- Schueider: gebung unterscheiden, mögen sie nun Lichtempfindungen haben oder eine Wärmedifferenz spüren; und es ist auch nicht un* wahrscheinlich, dass sie diesen Schatten fliehen^ soweit ^ie es vermögen. So mag also bei diesen Thieren ein Anfang zum Flüchten vorhanden sein. Allein ganz deutlich ist dasselbe erst bei den Echinodermen , besonders bei den Ophiuren aus* gebildet. Schon an den Echiniden und Ästenden kann man leicht bemerken, dass, wenn man sie auf irgend einer Seite beunruhigt, sie sich nach der entgegengesetzten Seite bewegen^ wenn sie dazu auch ihre anfangliche Lokomotionsrichtung än- dern müssen. Ich habe dieses Experiment gar oft mit Erfolg gemacht. Attakirt mau aber einen recht gesunden Ophiuren, so greift er mit seinen Armen weit aus und weiss sich den Verfolgungen sehr geschickt und rasch zu entziehen, wol)ei er so oft seine Fluchtrichtung ändert, so oft man ihn von einer andern Seile angreift. Am besten ist es zur Beurlheilung solcher Bewegungen, wenn man die Thiere nicht nur in einem Aqua- rium, sondern in ihrer Freiheit im Meere beobachten kann, wozu ich oft Gelegenheit hatte. An Kreta's Nordküste, zwischen der Stadt Kanea und dem Dorfe Khalepa, ist an einer Stelle der aus rissigem, löcherigem Kalkfelsen bestehende Meeresgrund sehr flach, so dass man dort die in den Höhlungen versleckten Thiere mit den Händen nehmen kann. Die Kretenser halten an diesem Orte, der reich an Thieren ist, und an dem ich fast alle Thiere, die ich damals für das Jenenser Museum sammelte, gefunden und gefangen habe, ihre Fastenmahlzeiten an lebenden Meeresfrüchten. Und hier habe ich gar oft die mannigfachsten Fluchtversuche der verschiedensten Thiere und auch der Ophiuren beobachten können. Letztere suchen nicht nur einfach zu fliehen, sondern auch ein Versteck aufzufinden, in welches sie sich so weit wie mögUch zurückziehen. Als ich einen ganz unbeschädigten grossen Ophiuren in ein grosses Glas that, musste ich mich sehr beeilen, dasselbe zu bedecken, um den Schlangenstern an der Flucht zu hindern. Er richtete sich auf zweien seiner Arme so hoch in die Höhe, dass diese ganz gestreckt waren und nur deren Spitzen noch den Boden Zur Entwickelung der WillensfiusBerangen im Thierreich. 299 berührten; und zu gleicher Zeit streckte er die übrigen Arme nach der Oeffnung des Glases. Ich ging dann ans Ufer und Hess ihn absichtlich aus dem Glase entkommen. In weniger als zehn Sekunden hatte er sich aus demselben herausgearbeitet^ eilte, auf dem Boden angekommen, sofort dem Meere zu und versteckte sich dort in einer Höhlung. Er unterschied also nicht nur die verschiedenen Richtungen, welche ihm Gefahr brachten und nach welchen er sich retten konnte, sondern unterschied auch den unfreiwilligen, ihn nicht bergenden Aufenthaltsort von einem freiwilligen, die Oeffnung des Glases von diesem selbst» das Meer (in seiner Weise) vom Land und das sichere Ver- steck von einem offenen Platz. Hier haben wir zum ersten- mal in der Thierreihe, wenn wir die Echinodermen unter die Wärmer stellen, ein deutlich ausgebildetes Flüchten. » Wie kommt nun die Differenzirung desselben aus dem allgemeinen Contractionstriebe zu Stande? Wie oben ausgeführt worden ist, hat schon bei den nieder- sten Thieren das Zusammenziehen des ganzen Körpers den äusseren Effect des Zurückziehens. Wenn sich etwa ein mit seinem hinteren Körperende angehefteter, lang ausgestreckter Slentor zusammenzieht^ so entfernt sich der umfangreichere vordere Körpertheil beträchtlich vom Ort der Gefahr. Bei den Ophiuren hat der Contraclionstrieb immer den Effect des Zurück- resp. Anziehens der Arme. Dieses Anziehen ist aber das eine Endglied resp. Anfangsglied der Lokomotionskette. Die Ortsbewegung erfolgt nämlich in der Weise, dass die angezo- genen Arme sich einstemmen und durch ein Strecken den Körper fortschieben; während zugleich die Arme der entgegen- gesetzten Seite durch Ausstrecken^ Anlfiammern und Zusammen- resp. Anziehen den Körper nach vorne ziehen helfen. Da nun die Ollsbewegungen bei den Thieren wie beim Menschen immer gewohnheilsmässig erfolgen, so dass also ein erster Impuls stets genügt, um eine ganze Kette von Bewegungen auszulösen, so ist klar, dass nach einem Anziehen der Schlangensternarme der nächste Act, das Ausstrecken und damit das Fortschieben er- folgen kann, ohne dass ein besonderer Trieb zum ersten hin- 300 Gr. H. Schneider: zukommt — Die Lokomotion selbst ist auf keinen Fall aus dem Fluchttrieb^ sondern aus dem Nahrungstrieb, und zwar aus dem Ausstrecken entstanden, indem das Thier, nachdem es sich nicht weiter ausstrecken konnte, wahrscheinlich den Trieb be- kommen hat, den hinteren Körpertheil nachzuziehen. In dieser Weise erfolgt ja die Lokomotion zur Nahrungssuche schon bei den Rhizopoden, ja bei den Amoeben und Moneren, bei denen ein Flüchten noch nicht zu beobachten ist. Die nun einmal entstandene Lokomotionsföhigkeit bildet aber auf jeden Fall eine Prädisposition zum Flüchten. Der Verlauf der Lokomotion ist ein abwechselndes Ausstrecken und Zusammenziehen bei den Ophiuren sowohl, wie auch bei den Würmern. Das Aus- strecken auf Grund des Nahrungstriebes ist das eine Anfangs- glied der Kette, das Zusammenziehen auf Grund des Schutz- triebes ist das andere. Man kann diese Verhältnisse bei Würmern fast noch besser beobachten als bei den Ophiuren. Die ganze Lokomotion der meisten Würmer besteht in einem Ausstrecken des einen und Nachziehen des andern resp. Nachziehen des einen und Ausstrecken des anderen Theiles. Auf das Aus- strecken erfolgt ein Nachziehen und auf dieses gewohnheits- gemäss wieder ein Ausstrecken. Zieht sich nun ein Wurm auf der attakirten Seite zusammen, so ist damit der Anfang zur gewohnten Lokomotion gegeben, es erfolgt gewohnheitsgemäss ein Ausstrecken. Der physiologische Verlauf der Lokomotion ist bei der Nahrungssuche derselbe als bei der Flucht; aber der Anfang derselben ist je nach dem psychologischen An- stoss hierzu in jedem Fall ein anderer, wie ich das so oft an Echinodermen und Würmern beobachtet habe, und was ohne Schwierigkeit zu beobachten ist Bei der Nahrungssuche beginnt die Lokomotion immer mit dem Aus- strecken der einen Seite, falls diese nicht in der Ruhelage schon ausgestreckt war; beim Flüchten dagegen beginnt die Lokomotion stets mit einem Zusammenziehen des einen Theile«. Im ersten Falle giebt der Nahrungstrieb, im zweiten Falle der Schutz- resp. Contractionstrieb den Impuls zur Auslösung der Bewegungskette. Zur Eutwickelung der Willensäusaerungen im Thierreich. 301 Hiernach kann also auf Grund des Contraclionstriebes, welcher eine Contraction mit dem Effect des Zurückziehens vom Ort der Gefahr hervorruft, ein Flüchten entstehen, ohne dass noch ein Fluchttrieb in irgend welchem Grade entwickelt ist. Wie sich aber aus dem ursprüngUchen einfachen Expan- sronsti*ieb nach und nach der Lokomotionstrieb zur Nahrungs- suche differenzirt; so kann nun, besonders da die Lokomotions- tahigkeit als Prädisposition zum Flüchten bereits vorhanden ist, aus dem allgemeinen Contractionstrieb mit dem Effect des Zu- rückziehens, nachdem sehr oft ein Flüchten auf eine Con- traction gewohnheitsgemäss gefolgt ist, leicht ein besonderer Fluchttrieb entstehen. Mit der Lokomotion zur Nahrungssuche geht nothwendig die Ausbildung einer Unterscheidung verschiedener Richtungen, d. h. eine Unterscheidung der angenehmen (in welcher sich das Nahrungsobject befindet) von der relativ weniger angenehmen Richtung Hand in Hand; ist einmal diese Unterscheidung vor- handen, dann wird auch leicht die Richtung, von welcher die Gefahr kommt, von der entgegengesetzten unterschieden. Und ist nun die Lokomotionsfahigkeit vorhanden, und existirt schon ein Trieb sich nach einem Nahrungsobject, also in der relativ angenehmeren Richtung zu bewegen, dann ist zur Entstehung des Triebes, sich bei Angriffen von einer Seite nach der ent- gegengesetzten, relativ angenehmeren Seite zu bewegen, nur ein kleiner Schritt. Bei den Echinodermen ist nun eine Unter- scheidung der relativ angenehmeren Richtung von der weniger angenehmen und ein deutlich differenzirter Fluchttrieb, der bis zu einem gewissen Grade vom Contractionstrieb unabhängig ist, vorhanden Man kann einen Ophiuren angreifen von welcher Seite man will, er bewegt sich immer nach der entgegen- gesetzten Seite. Nun habe ich bei den Ophiuren wie bei vielen Würmern und Insektenlarven sehr oft folgende Thatsache constatiren können, die sich ohne Schwierigkeit beobachten lässt. Berührt man eines der genannten Thiere nur leise auf 302 G. H. Schneider: der einen Seite, so erfolgt auf derselben nur eine Contraction, noch kein Flüchten; reizt man das Thier dagegen sehr stark, so erfolgt die Contraction und sofort darauf die- Fluchtbewegung. Der leise Reiz vermag also nicht eine ganze Lokomotionskette auszulösen, was durch den stärkeren dagegen immer geschieht. Die sehr intensive Contraction schliesst also den Trieb zum Ausstrecken und somit zum Flüchten in sich, die weniger intensive nicht. Demnach beruht auch die Differen- zirung des Fluchttriebes auf einer graduellen Abstufung des Contractionstriebes. Und zwar tritt das Flüchten mehr oder weniger an Stelle der allgemeinen Contraction, so dass, während z. B. bei den Schnecken auf einen leisen Reiz hin eine partielle Con- traction, auf einen starken Reiz hin eine allgemeine Contrac- tion erfolgt, bei Echinodermen , Würmern und Insekten- larven auf einen schwachen Reiz hin ebenfalls eine partielle Contraction, auf einen starken Reiz dagegen ein Flüchten erfolgt. Dieses, letztere Verhältniss bleibt bei allen höhe- ren Thieren bestehen. Bei allen Arthropoden und Verte- braten folgt auf eine leise unangenehme Berührung eines zurück- resp. anziehbaren Körpertheiles nur dieses Anziehen, die partielle Contraction, auf eine unangenehme Berührung von grosser Intensität am gleichen oder an einem anderen Theile dagegen stets ein Flüchten. Wird ein ruhender Hund oder eine Katze nur leise an einem Fusse oder am Schwänze beun- ruhigt, so wird der betreffende Körpertheil einfach angezogen, wird das Thier dagegen in einen dieser Körpertheile stark ge- kneipt^ so springt es stets auf und flieht; und zwar erfolgt sowohl das einfache Anziehen des Gliedes, wie das Aufspringen und Fliehen immer so rasch auf den Reiz, dass die Entstehung klarer Vorstellungen in der Zeit, die zwischen dem Reiz und der Bewegung liegt, nicht gut denkbar ist, und man annehmen muss, dass bei diesen Erscheinungen hauptsächlich oder ausschliesslich der ursprüngliche Contractionstrieb und die ursprüngliche Be- ziehung desselben zum Fluchttrieb zur Geltung kommt. Die Beziehung des Fluchttriebes zum ursprünglichen par- Zur Entwickelung der Willensäasserungen im Thi erreich. 303 tiellen Contraotionstrieb (d. h. der eine partielle Contraction verursacht und nicht ein Trieb, der selbst nur partiell ist) zeigt sich noch in einer anderen Thatsache, in der nämlich, dass, sobald ein partieller Contractionstrieb nicht befriedigt wird und nicht durch eine partielle Contraction befriedigt werden kann, aus diesem Trieb der Fruchttrieb entsteht. Wenn man, wie das leicht zu constaliren ist, ein ruhendes Säugethier auch nur leise an einem Körpertheil reizt, den es nicht zurück- resp. anziehen kann (Bauch, Rucken, Aftergegend), so springt es viel leichter auf und flieht, als wenn man es mit gleicher Intensität an einem Theil reizt^ den es zurückziehen kann (Fuss, Schwanz^ Kopf). Im letzten Falle findet also der geringe Contractions- trieb durch das Anziehen des Gliedes Befriedigung, die aus- gelöste Kraft wird dadurch verbraucht; im ersten Falle dagegen fehlt eine derartige Befriedigung, ein Verbrauch der ausgelösten Kraft durch eine einfache Contraction, und so steigert sich der Contractionstrieb zum Fluchttrieb. Wie der Fluchttrieb an Stelle des intensiveren Contractions- triebes tritt, das zeigt sich weiter sehr auffallend in der Thatsache, dass bei den Thieren, bei welchen ein Fliehen zuerst ausgebildet ist (Echinodermen und Würmer), der intensive Contractionstrieb in einer allgemeinen Contraction nicht zur Geltung kommt und nicht vorhanden zu sein scheint. Bei den Würmern, welche nicht fliehen (Röhrenwürmer), ist die allgemeine Contraction die vorherrschende Schutzbewegung, bei denjenigen Würmern da- gegen, welche auf einen intensiveren unangenehmen Reiz zu fliehen suchen, fehlt die Gewohnheit den ganzen Körper zu- sammen zu ziehen. Dieselbe fehlt auch bei denjenigen Echino- dermen, welche zu fliehen gewohnt sind (Ophiuren, Comatula, Echiniden, Ästenden), während sie wieder sehr ausgeprägt bei denjenigen ist, welche nicht fliehen (Holothuria tubulosa, Pentacta). Und zwar sind nicht nur die morphologischen Organi- sationsverhältnisse Ursache dieser Verschiedenheit; denn es könnten sich, wenn ein intensiver allgemeiner Contractionstrieb z. B. bei den Echinodermen vorhanden wäre, doch sämmtliche Weichtheile, also zunächst alle Ambulacralfüsschen auf einmal 304 Gr. H. Schneider: contrahiren; das habe ich iadessen nie beobachtet, immer ist es nur ein Theil derselben. Ich habe auch nie beobachtet, dass ein Schiangenslern oder eine Comatula auf eine Berührung hin sämmtliche Arme auf einmal anzöge, es sind immer nur einige oder ist nur ein einziger. Aber auch bei allen höheren Thieren tritt der Fluchttrieb sehr oft an Stelle des allgemeinen Contractionstriebes und umgekehrt. Solche Thiere, i^elche nicht gewohnt . sind gleich zu flächten, wie besonders die katzenartigen Raubthiere^ ducken sich; und diejenigen, welche nicht gewohnt sind sich zu ducken, suchen stets ihr Heil in der Flucht, wie das die Hufthiere am besten zeigen. Wie der Flucbttrieb in den allgemeinen Con- tractionstrieb übergeht; zeigt auch die ganz allgemein verbreitete Gewohnheit der Thiere sich^ sobald ihnen die Flucht ab- geschnitten wird, stets zu ducken. Nach all diesen Thatsachen ist die unmittelbare Beziehung des Fluchttriebes zum ursprüng- lichen Contractionstrieb und die Diiferenzirung des ersteren aus letzterem wohl klar. — Somit glaube ich nun, soweit die Forschung auf diesem Gebiet eine exacte überhaupt sein kann, folgende Thatsachen festgestellt zu haben: 1) Die so verschiedenen Schutzbewegungen der niederen Thiere, wie das Zurückziehen vom Ort der Geiahr, das Ein* resp. Anziehen einzelner Körpertheile, insbesondere der feineren Organe, das Auspressen von Vertheidigungsmitteln, das festere Anziehen an die Unterlage, das Zurückziehen in schätzende Hüllen und das Versclüiessen derselben sind alles nur durch die in der Selection erworbene morphologische Organisation bedingte äussere Effecte eines und desselben Contractionstriebes, einer und derselben Contraction. 2) Die Contraction des ganzen Körpers ist diejenige Schulz- bewegung, welche in der phylogenetischen Entwickelungsreihe zuerst entsteht. 3) Die einfache Contraction des ganzen Körpers bildet bei den niedersten Thieren überhaupt die einzige Schutzbewegung. 4) Die Contraction des ganzen Körpers und der Trieb Zur Entwickelung der Willensäusserungen im Thierreich. 305 hierzu findet sich von den Protozoen bis zum Menschen bei allen Thieren in irgend einer Form vor. 5) Der Contractionstrieb dififerenzirt sich auf Grund einer entstandenen graduellen Abstufung im Sinne der Subordination in einen stärkeren zur Contractiou des ganzen Körpers und in einen schwächeren zur Contraction einzelner Körpertheile ; und ^war ist dieser zweifache Contractionstrieb zuerst deutlich bei den Schnecken, Echinodermen und Wärmern zu beobachten, bei allen höheren Thieren aber noch weit mehr als dort aus- geprägt. 6) Bei den Arthropoden ist der ursprüngliche Contractions- trieb in gewissem Grade ein zweckbewusster. 7) Bei allen Wirbelthieren findet sich der ursprüngliche Contractionstrieb dififerenzirt in ein zweckbewusstes Wollen zum Zusammenziehen und in ein unwiUkührliches ^Zusammen- fahren" ; das letztere ist das Rudiment vom ursprüngUchen Contractionstrieb, welcher vom bewussten Wollen nach und nach zurückgedrängt worden ist. Anlange zu dieser DifiTerenzirung finden sich aber auch schon bei den Cephalopoden und den höheren Crustaceen. 8) Der Trieb zum Bedecken difiTerenzirt sich direkt aus dem ursprünglichen Contractionstrieb; und zwar ist diese Diiferenzirung zuerst bei den Echiniden zu beobachten. 9) Der Fluchttrieb difiTerenzirt sich ebenfalls direkt aus dem ursprünglichen Contractionstrieb und zwar bei den Echino- dermen und Würmern; diese DifiTerenzirung beruht auch auf einer graduellen Abstufung des Contractionstriebes und zwar in der Weise, dass der Fluchttrieb an Stelle des stärkeren Con- tractionstriebes tritt. Hiernach ist der Trieb zur Contraction des ganzen Körpers als das Fundament aller Triebe und alles zweckbewussten Wollens zum Selbstschutz zu betrachten. Beifolgende Tafel, den hypothetischen Stammbaum der wichtigsten Schutzgewohnheiten darstellend, giebt eine Ueber- sicht der verschiedenen unbewussten EfiTecte des ursprünglichen Contractionstriebes und der direkten wie der wichtigsten in- Vierteljahrsschrift f. wissenschaftl. Philosophie. III. 3. 20 306 G. H. Schneider: Z. Entw. d. WiUensäusserg. im Thierrch. direkten Differenzirungen aus demselben. Die punctirten Linien bedeuten WiUensdifFerenzirungen , die in vorliegender Arbeit nicht bebandelt sind, und welche ich vieileicht später auch an dieser Stelle besprechen werde; die in vorliegender Arbeit er- örterten Effecte und Differenzirongsprodukte des Contractions- triebes sind durch die vollen Linien angedeutet, und zwar ist: a s= der ursprungliche Contraclionstrieb, a =^ das zweckbewusste Zusammenziehen als Ducken und Kauern, 6 = der ursprüngliche Trieb zur Contraclion einzelner Tbeile, }) = das zweckbewusste Anziehen einzelner Thöile, c = das Bedecken, d = das Flüchten, e == das Anfertigen von Hüllen, ^ f = das Verstecken, g = das Vergraben, Ä = das willkührliche Vertheidigen, 1 a=s der Effect des Znrückzieheos v0m Ort der Gefahr, 2 = „ „ „ Einziehens feinerer Körper Iheile, 3 = „ „ ^ Zurückziehens in schützende HtlUen, 4 == ^ „ „ Auspres»en$'vbn Vertheidigung$mitteln, 5 = „ „ « festeren Ansehens an die Unterlage. Um diesen Ueberblick auf einei* Tafel überhaupt darstellen zu können , musste ich die verschiedenen Thiertypen in eine aufsteigende Reihe einordnen, wodi;ä*ch die Darstellung insofern eine unvollkommene ist, als nach Häckel u. a. bedeutenden Zoologen sowohl die Echinodermen. wie die Mollusken, Arthro- poden und Vertebraten ihren Urspifung höchst wahrscheinUch im Würmerstamm genommen haben. Zur vollkommneren Dar- stellung müsste man eben für jeden einzelnen Thiertypus einen besonderen Stammbaum machen. Leipzig. G. H. Schneider. Arfftr^oäe» Eckmo- derme» Zoophyten Das Verhältniss der Grefühle zu den VorstellungeD und die Frage nach dem psychischen 6-rundprocesse. Im zweiten ilefle dieses Jahrgangs der Vierteljahräschrifl hat Herr Prof. Wundt über den bezeichneten Gegenstand eine Abhandlung veröffentlicht, für welche unsere Wissenschaft ihm zu vollem Danke verpflichtet ist, weil er darin ein Problem ans Licht gezogen und zur Discussion gestellt hat, das bisher in wahrhaft unbegreiflicher Gleichgültigkeit und Theilnahme- losigkeit völlig vernachlässigt und achtlos unter die Füsse ge- treten werden zu sollen schien. Man hatte ja mit der nie oft genug zu wiederholenden Arbeit, die Kritik der reinen Ver- nunft immer wieder von Neuem zu kritisiren, zu commentiren^ zu glossiren und zu emendiren so alle Hände voll zu thun^ dass man für ein psychologisches Problem, auch wenn das- selbe zufällig die wichtigsten PrincipienfVagen in sich schloss^ und selbst die sonst so hoch bevorzugte Erkenntnisstheorie innig berührte — es genügte, dass es ausserhalb des engen Horizonts unsrer Neokantianer lag — natürlich nicht eine Minute Zeit und nicht einen Gran von Interesse übrig hatte. Darum verdient es — ich wiederhole es — freudige Anerkennung^ wenn ein Mann von so hohem allgemeinem und so wohl ver- dientem Forscherruhme, als er das Haupt unsrer empiristisch- physiologischen Schule unbestritten ist, die Frage nach dem Verhältniss der psychischen Vermögen oder Processe, eine Frage, deren grundlegende Wichtigkeit nicht nur für die ge- sammte Psychologie, sondern für alle philosophiselien Probleme Das Yerhältniss der Gefühle zu den Vorstellungen etc. 309 für jeden JJnbefangenen auf der Hand liegt; nachdem sie lange unbeachtet geblieben, von Neuem auf die Tagesordnung ge- bracht und in so eingehender Weise die Debatte darüber er- öffnet hat. Mein persönlicher Antheil an der dem Herrn Prof. W. gebührenden Dankbarkeit muss freilich — zu meinem lebhaften Bedauern mit dieser allgemeinen Anerkennung sein Ende «iTeichen. Denn die ganze Art und Weise, wie es demselben gefallen bat, sich seiner Aufgabe zu entledigen, erscheint nicht nur für meine Person höchst verletzend, sondern auch die Sache selbst, um die es sich handelt, eher yerwirrend als klärend, so dass ich eben sowohl in persönlichem als in all- gemein sachlichem Interesse mich zur Abwehr und Klarstellung gedrungen fühlen muss. Um das minder angenehme persönliche Geschäft vorweg zu nehmen, so kann und will ich nicht glauben ; dass Herr Prof. W. beabsichtigt hat, meine wissenschaftliche Stellung im Oanzen zu erschüttern oder, wie man sagt, mich wissenschafti- lieh zu vernichten. Die Beziehungen, in die ich zu Herrn Prof. W. zu treten die Ehre gehabt und die obwohl seltene, doch nur freundliche — meinerseits durchaus hochachtungs- YoUe waren, geben einer solchen Annahme keinen Raum. Aber thatsächlich läuft es doch auf nicht viel weniger, als auf ein solches litterarisches Todtmachen hinaus, wenn mir nicht nur unvorsichtiger Gebrauch physiologisch bedenklicher Hypothesen (a. a. 0. S. 137) und vorgefasster Meinungen an Stelle der Beweise (S. 132) und das Hineininterpretiren von Hypothesen in es Naclidenkens j, gemacht werdea, nicht aber bei dem uAnuttoUbaren fie- >,wii98twei*den der VorsteUuogen.^ Aber gerade, darum handelt es sich. Der ganxe in Rede stehende Hauptabschnilt fuhrt den Titel ^^Analyse les Deakens^S und die bezeichnete geistige Thätigkeit des Nachdenkens bildet 4en Gegenstand dieser Analyse, und wenn Herr Prof» W. von dieser Thaügkeii zugiebt, daas sie sich in den erwähnten Fragen und Gefühlen thatsachlich vollzieht, dann brauche ich meinerseits bloss* ooch hinzuzusetzen: quod erat demonstrandum. Auf S. 136 wird mir folgendes artige Sündenregister vor- gebalten: ,Die Verbindung von Empfindung und Bewegung ^soU beweisen, dass der Bewegungstrieb oder (!) daa Muskel- ngefuhl die ursprüngUehsie psychische Function sei^ (wer das liest, könnte wirklich meinen, dass ich zwei so heterogene Dinge, wie Bewegungstrieb und Huskelgefühl, confundirt habe, was mir gar nicht einfällt; was ich an der von Herrn Prof. W. gemeinten ) wenn auch nicht 4titirten Stelle — Ps. Anal, I, S. 202 — nicht als Behauptung, sondern als ,,Vermuthuttg^' hinstelle, ist, dass die innige Verbindung von Empfindung und Bewegung das einfache Element der psychischen Processe bil- den möge), „die Vei^bindung der Aufmerksamkeit mit Ge- fühlen, dass die Perception auf Gefühlen beruhe^. (Wer das 41. Cap. Th. I S. 226—284 der Psyciiol. Anal, gelesen, wird dasselbe in vorstehender Inhaltsan^be schwerUch wieder er- kennen. Doch davon später.) „Die Wirksamkeit des Willens „bei der Wiedererinnerung soll darthun, dass alle Reproduclion „von Gefühlen ausgehe/^ (Hier findet ^ch das Citat Anal. I S. 191 u. f., d. h. der Anfang des achten Buches „Empfindung und Bewegung.^ Jedenfalls erfuhrt der Leset* nicht, an welcher Stelle ich mich der angefochtenen Schlussfolgerung schuldig ge- macht.) Der HeiT Prof. aber fährt siegreich fort: „Nun wer- „den aber auf diese Folgerung dann wieder weitere Folge- „rungen gebaut, für die nichts spricht, als eben die bestrittene „Voraussetzung, auf die sie sich stützen : so z B. wenn H. be- Das Verhältniss der Gefühle xn den Vorstellungen etc. 315 ^bauptet, der Grad der Be^^sstheit der Vorstetlungen bäoge „ab von dem Grade ihrer GeffihlsbetORung.^ (Hier wieder ein CStat, und sogar eins, dad »tiinnit: ^^a. a. 0. I S. 259^. Denn schlagen wir die angezogene Seite auf, so finden wir auf der- selben allerdings obigen Sat2 , freilich mit dem Zusatz ,, w i e bereits erwähn t'^, d. h. eine beüaufige Erinnerang* an den- sdben, während der Beweis im vorhergehenden Capilel S. 254 «-58 andeutangsweise unter ausdrückUeher Hinweisung auf die Ana- lyse der Reprodttction geführt wird), ^oder wenn er die For- ^derung aufsteUt nnd zu erfüllen trachtet, alle höheren Gefühle ^seien als Complicationen und Combinationen der einfachsten „sinnlichen Gefühle aufzufassen/ (Hiezu ist Anal. U 2. S« 66 eitirt, wo dies ausdrücklkh und wiederholt als^Vermuthung'' bezeichnet wird, deren Yerification späterer Untersuchung vor- behalten bleibt. „Diese wichtige Untei^suchung kann jedoch ^nicht allgemein geführt werden, da m5glichei*weise zwischen „den einzdnen Gefuhisarten in dieser Hinsicht die allerbedeu- „tendsten Unterschiede obwalten, sondern dieselbe muss spe- „ciell, wenigstens für die Hauptgefuhlsarten, gefuhrt werden.^* Dies ist denn nun anch bei den einzelnen I^ecial'-Gefühlsana- lysen geschehen.) Ich habe es als „Kleinigkeit'* bezeichnet und ich bebe es nicht hervor, um meinem Herren Gegner einen Vorwurf zu machen, sondern nur um den Lesern seiner Abhandlung zu zeigen, dass ich es mir mit der Begründung meiner Theorien nicht ganz so leicht mache, als Herr Prof. W. mit seinen Ci- taten — glauben lassen könnte. Aber nun zur Hauptsache: ist es wahr, dass ich für meine Theorien statt der Gründe nur vorgefasste Meinungen gebe und in die Erscheinungen hinein interpretirte Hypothesen, dass, um es kurz und grob auszudrücken, meine ganzen Analysen nichts weiter sind, als eine lange Kette von Ersehleichungen nnd Trug- schlüssen? Ich glaube, es wird wenig psychologische Schrift- steller geben, die von Anfang an und unablässig ängstlicher darauf bedacht gewesen »nd, die allerdings auf keinem andern Gebiete, als dem des Seelenlebens so nahe liegende Gefahr der 316 A. Horwicz: Ersclileichung zu vermeiden. Meine Abhandlung zur „Metho- dologie der Seelenlehre'* gipfelt in der Frage, wie diesem alier- gefährlichsten Unkraut aus dem Wege zu gehen sei, und in den „Analysen" treffe ich die umständlichsten Veranstaltungen, be- ginne ich jede Analyse von vorne, so dass mir der Vorwurf häufiger Wiederholungen nicht erspart geblieben ist , gehe ich auf Schritt und Tritt mit der grössten, alle principiellen Ent- ' Scheidungen ans Ende der Untersuchung schiebenden Vorsicht zu Werke, so dass seihst Herr Prof. W. mir das Zeugniss des „sonst in rühmenswerther Weise eingenommenen Standpunktes unbefangener Prüfung" nicht versagen zu dürfen glaubte, wenngleich er Sorge zu tragen gewusst hat, diesem Anerkennt- niss durch die erwähnten Vorwürfe jeden materiellen Werth wieder zu nehmen. Nun, das menschliche Herz ist so wunder- bar zur Selbsttäuschung geneigt, dass ich als Psychologe nur sagen kann, möglich wäre es ja, dass ich trotz Alledem und Alledem in die gröbsten und lächerlichsten Ersclileichungen verfallen sei; ob sehr wahrscheinHch , mag eine andere Frage sein, man mösste es denn wörtlich nehmen, was Minna von Barnhelm von den Männern sagt, dass sie von den Tugenden am meisten sprächen, die sie am wenigsten besitzen. Herr Prof. W. befindet sich im frrthum, und zwar in selbstverschuldetem Irrthura, wenn er meint, es sei ein wesent- licher Zweck der Analysen, die ^^riorität der Gefühle zu be- weisen. Was der Zweck der Analysen ist, habe ich im Vor- wort zum Ersten Theil so unumwunden gesagt, dass ein be- gründeter Zweifel darüber nicht möglich ist. „Meine Analysen verfolgen Einen ganz bestimmten Zweck, den: alle Seelen- processe auf Ein einfaches physisch-psychisches Grundelement zurückzuführen.'^ Das ist mein Zweck von allem Anfang ge- wesen und wird mir stets der Hauptgesichtspunkt sein. Was die Priorität der Gefühle betrifft, so ist dieselbe nicht der lei- tende Zweck, sondern das gefundene Resultat meiner Unter- suchungen gewesen, ein Resultat^ das ich bis jetzt allen Grund habe, für das richtige zu halten; ein Resultat, das bis jetzt noch Niemand, auch Herr Prof. W. nicht, mit wirksamen Gründen y Das Verhältniss der Gefühle zu den Vorstellungen etc. 317 bekämpft hat, das ich aber ohne das mindeste Widerstreben und sogar mit grosser intellectueller Befriedigung fallen lassen werde> sobald mir etwas Anderes gezeigt wird^ für dessen Prio- rität besseire Gründe sprechen, als ich sie für die Priorität der Gefühle beigebracht habe. Es ist ferner ein unbegreiflicher Irrthum und eine völlig ungerechtfertigte Beschuldigung, wenn von meinem Verfahren S. 134 gesagt wird, „dass der Verf. offenbar sogleich mit einer „bestimmten vorgefassten Meinung an jede einzelne Analyse „herantritt und sich fragt, in wiefern das Einzelne sich seiner „Anschauung fügen will." Was Herr Prof. W. zur Begründung dieser schweren Anklage beibringt, sind ausser einigen mehr oder weniger geschmackvollen Wiederholungen und Variationen derselben (wie „Apperceptionsmasse" und einbilden könne man sich alles Mögliche) jene schlagenden Citate, die ich bereits kivz beleuchtet habe, auf die ich hier aber zurückkommen muss, um die Natur dieser Verdächtigung in ihrem vollen Lichte erscheinen zu lassen. Wer die Darstellung des Herrn Prof. auf S. 13^^ liest, ohne die Psychol. Anal, zu kennen, muss wirkhch auf die Ver- muthung kommen, alle die von ihm erwähnten Abschnitte meines Buches beschäftigten sich mit weiter Nichts, als mit der Priorität der Gefühle. Aber gleich das ganze Achte Buch, „Empfindung und Bewegung^, enthält von dieser verpönten Lehre — ebenso wenig, wie die voraufgegangenen sieben, kein Wort. Dasselbe giebt in vier Capiteln auf S. 191 — 209 eine eingehende und völlig voraussetzungslose Analyse des Verhält- nisses der Empfindung zur Bewegung. Es wird zunächst auf Grund der physiologischen Verhältnisse des Nervensystems und unter Berufung auf Wundt's Autorität der Satz aufgestellt und bewiesen, dass alle Empfindung noth wendig Bewegung (oder eine stellvertretende Thätigkeit) zur Folge hat. Es werden so- dann sämmtliche Bewegungsarten speciell durchgangen und aus ihrer Betrachtung wird die Folgerung abgeleitet, dass im thie- rischen Organismus alle Bewegung auf Empfindung beruhe. Es wird sodann die Wechselwirkung zwischen Bewegung und 318 A. Horwicz: Empßndung unteitucht, die Abänderung der urspi'üDglicheti Empfindung durch die Bewegung und ihfe Compücation durch die Bewegnngsgefühle und die Bedeutung des letzteren für die Herausbildung der Vorsteliung sorgföltig erwogen und aus allen diesen Verbältnisaen das Gesetz der Proportionalität zwischen Empfindung und Bewegung abgeleitet Eine ganze Anzahl wichtiger Untersuchungen werden hier, wie ich wohl glaube sagen zu dürfen, gründlich geführt und er- ledigt, Untersuchungen, fOr deren Erheblichkeit und Verdienst- lichkeit es völlig gleichgültig ist^ ob man an die Priorität der Gefühle glaubt oder nicht, und von dem genannten verpönten Dogma findet sich keine Spur* Gerade so verhält es sich mit dem Satz: „Die Verbindung der Aufmerksamkeit mit Gefühlen (seil, soll beweisen), dass die Per- ception auf Gefühlen beruhe/* Dass die Aufmerksamkeit eine we- sentliche Bedingung der Perception ist und dass sie lediglich dem Gefühle folgt, das erhalte ich allerdings auch jetzt noch aufrecht, das glaube ich in dem betreffenden Abschnitt unwiderleglich bewiesen zu haben, wenigstens glaube ich etwaigen Wider- legungen mit voller . Gemüthsruhe entgegensehen zu können. Aber wer die Untersuchungen des Neunten Budies — die Analyse des Bewusstseins , Psychol. Anal. I, S. 210—265 — mit dem ausführlichen litterargeschichtlichen Material, der dia- lektischen und physiologischen Orientirung und den zahlreichen, alle in Betracht kommenden Elemente gründlkh erwägenden Detail-Untersuchungen unbefangen, d. h. ohne durch den Verdacht einer „herrschenden Apperceptionsmasse^^ gereizt zu sein, betrachtet, wird, abgesehen davon, ob er meinen Folge- rungen beipflichtet oder nicht, mir das Zeugniss nicht versagen, dass ich meine Untersuchungen gründlich, unbefangen und auf breitester Basis geführt habe,» er wird sicherlich sich nicht ver- sucht fühlen, zu glauben, dass ich an diese Analyse mit der vor- gefassten Meinung herantrete und mich frage, „in wie fern das Einzelne sich meiner Anschauung fügen will/' Genau dasselbe gilt von der Analyse der Reproduction (Psychol. Anal. I, S. 266—331). Ich glaube, ich kann mir Das Verhältniss der Gefühle zu deü Vorstelluugen etc. 31d jeden weiteren Hinweis auf die umfassenden Erörterungen, auf die zahlreioben Einzel-'Untersuchungen und die Behandlung der verschiedenen zusammenhängenden Probleme dieser sohwierigeD und verwiekfiUen Materie ersparen. In der That Hn ich der Meinung, dass ich durch diese von den versefaiedensten Seiten her untler Berückskbtigung aller einschhgenden Momente auf Grund reichen Üiatsachliehen Materials und v^üig Toraas« setE«ttg«los gefSthrten Untersuchungen allerdings, wenn nicht er^ wiesen, so doch zu einem hohen Grade yon Wahrscheinlich- keit gebracht habe, dass die Reproduction dem Gefühle folge. Wenn ich mich darin irre, warum widerlegt man mich nicht? Warum hat man es die sieben Jahre her nicht gethan? Und wartim kommt man mir jetzt nkht mit Wideriegungen , son- dern imt Verdächtigungen? ich hätte mir einmal all das Zeug in den Kopf gesetzt u. dgl. m.? Wdche erhebliehe Thatsache habe idi übersehen? Welchen wichtigen Gesichtspunkt ausser Acht gelassen? Welchen ron Einfluss gewesenen Standpunkt habe ich ignorirt? Welche Fehlschlüsse sind mir untergelaufen? Eine wirkliche Widerlegung musste doch in dieser Weise zu Werke geben. Die Angriffe des Herrn Prof. W. aber sind etwa von solcher Urbanität und Förderlicfakmt für die Sache, als wenn Jemand Herren ScfaUemann oder Prof. Curtius beim Rockknopf fasste und vertraulicli fragte, ob er nicht alle die hübschen Sächelchen, die er da ausgegraben, zuvor -^ ein ganz klein wenig — ahem — eingebuddelt habe. Herr Prof^ W. giebt sich die Miene siegreicher Ueberlegen- heit, die, nachdem sie alle vom Gegner ins Treffen gefühlten Beweise dialektisch vernichtet, ihm gutmüthig nachw^st, was ihn etgentlidi, ohne dass er es weiss oder sagen will, zum Irrthum veranlasst hat (S. 137). Nun, ich glaube gezeigt zu haben, in wie wenig zutreffender Weise er von Demjenigen spricht; was er für meine Beweise der Lehre von der Priori* tat der Gefühle hält. Es ist keine Folgerung, sondern die Fest- stellung einer ganz allgemein bekannten Thatsache, dass die Aufmerksamkeit dem Gefühle folgt, dass Gleichgültiges, sowie Interessirendes leicht wahrgenommen wird; es ist nicht Fol- 320 A. Horwicz: gerung, sondern gleichfaUs bekannte Thatsache, dass die Repro- duction dem Gefühle folgt, dass das mehr Interessirende das Gleichgültigere rasch aus dem Gedäcbtniss verdrängt u. s. w. Es ist daher auch nicht auf Folgerung gebaute Folgerung, sondern der einfache Ausdruck dieser Thatsache, dass der Grad der Be wusstheit mit dem Grade der Gefühlsbetonung proportional geht. So wichtig aber für die Ermittelung des wahren Sach- verhaltes die angegebenen Thatsachen immerhin sein mOgen, die eigentlich entscheidenden Thatsachen und Argumente sind sicherhch die von Herrn Prof. W. ganz übersehenen, wenig- stens mit keinem Wort erwähnten im sechsten Abschnitt, ^Analyse der Yorstellungsbiidung",Psy Chol. Anal. I, S. 332 — 376 zusammengestellten, nemlich jene, wie ich es zu nennen pflege, vergleichende Statistik der verschiedenen Empfindungsarten nach ihrem theoretischen und Gefühlsgehalt; nach der BewegUchkeit der Sinnglieder und nach der Frequenz ihres* Gebrauches. 4us den dort von mir formirten Reihen von Thatsachen und aus ihrer streng nachgewiesenen Proportionalität glaube ich aller- dings mit Gewissheit folgern zu dürfen, dass die Sinnesempfin- dungen mit zunehmender Gebrauchsfrequenz zugleich gefühls- kälter und theoretisch klarer werden und dass das reine, ganz uDtheoretische Lust-Unlust-Gefühl die früheste Form des Em- pfindens sei. Die Ergänzung hiezu muss freilich, und darauf ist ausdrücklich hingewiesen, die Analyse des Denkens liefern. Aber auch hier geht es Herrn Prof. W. wie vorhin, dass er über den Vorbereitungen die Hauptsache vergisst, indem er über die die Verbindung des Denkens mit dem Gedankenlauf illuslrirend«n Beispiele die angeführten geistvollen Witze und Insinuationen liefert, die Capitel über das theoretische Denken und das wissenschaftliche Interesse (Psychol. Anal. II 1. S. 73 — 80), über die Denkprobleme und Stammbegriffe, Causalitat und Identität u. s. f. aber mit Stillschweigen übergeht. Am allerschlimmsten ergeht es ihm mit der Analyse der Gefühle. Hier wird mir nach der bekannten Maxime Im Auslegen seid hübsch munter, Legt ihr nicht aus, so legt doch unter Das Verhältniss der Gefühle zu den VorstellaDgen etc. 321 frisch und frank nicht nur die Meinung untergeschoben, als ein Satz, den ich verfechten soll, ,, die inlellectuellen^ ästhe- tischen und sittlichen Gefühle eilten stets den Vorstellungen, an die sie geknüpft sind, voraus^ 5 sondern es werden mir die schlimmsten Manöver angedichtet, um den Schein zu vermeiden, „als könnten unter Umständen Vorstellungen den Gefühlen vorangehen^. Gegenüber solcher lebhaften und fruchtbaren Phantasie ist die einfache Wahrheit^ dass sowohl im letzten Ca- pitel der Analyse des Denkens „Denken und Gefühl^ auf die wechselseitige Abhängigkeit und Steigerung dieser beiden Pro- cesse (vgl. namentl. S. 179 u. 180) ausdrücklich hingewiesen ist, und dass es mir natürlich nicht im Traume eingefaUen ist, zu bezweifeln, wie die Analyse der intellectnellen und ästheti- schen Gefühle auf jeder Seite bekundet, dass diese Gefühle bereits die Bildung von Vorstellungen voraussetzen. Um die specielleren Ausführungen der einzelnen Analysen, ja überhaupt um Bau und Anlage des ganzen Werkes scheint Herr Prof. W. sich nicht viel gekümmert zu haben, sonst könnte er schwer- lich auf dea Gedanken verfallen sein, dass ich die Forderung, alle höheren Gefühle als Combini^onen und Complicationen der einfachsten sinnlichen Gefühle aufzufassen, nur aufgestellt habe, um die Theorie von der Priorität der Gefühle zu stützen, während mir jene Forderung, die von dieser Theorie begriff- lich und sachlich ganz unabhängig ist (denn man könnte die umgekehrte oder eine ganz andere Theorie für richtig halten und doch die höheren Gefühle als Complicationen der niederen auffassen), eine einfache Consequenz der physiologischen Grund- lage ist, wovon später noch mehr; sonst hätte er wohl ferner nicht übersehen können-, wie die Analyse jedes einzelnen Ge- fühls in erster Reihe sich auf der voraussetzungslosen Ermitt- lung und Prüfung der Thatsachen aufbaut und er hätte mir und vor Allem sich selbst den höchst ungerechten Vorwurf erspart, als käme es mir darauf an^ unbequemen Thatsachen und Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. Dies ist in der That ein höchst ungerechter Vorwurf ; denn in Wahrheit mache ich aus den jener Theorie entgegenstehenden Schwierigkeiten Vierteljahrsschrift f. irissenscliaftl. Philosophie. III. 8. 21 S'22 A. HoTwicz: nirgend ein Hehl, habe nelmebr bei jeder Gelegenheit anf 'die- selben ausdrücklich und wiederholt aufmerksafiD f^emacbt, z. B. in dei* Analyse des Denkens S. 77-^79, 99, 132 n. s. f. Diese Schwierigkeiten, die in der' That beträchtliefa sind^ werden uns im letzten Absehnitt dieser Abfatodlung noch besehiftigen. U. Die Verwarnung, welche Herr Prof. W. als Physiologe für nöthig erachtet« mir mit den Worten: ^jUeberhaupt kann ^^icb nicht umhin, den weitgehenden Gebraocb bedenküch zu „finden, den sich H. von physiologischen Hypothesen zu machen „gestattet,^* zu ertheilen, würde auf mich einen tieferen Ein- druck gemacht haben, wenn nicht schon vorher durch die er- wähnten philosophischen Angriffe des Herrn Prof. mein Ver- trauen in die wissenschaftliche Unbefangenheit seines UrtheUs über mich und mein Werk etwas erschüttert gewesen wäre. Indessen prüfen wir mit nichte desto geringerer Sorgfalt die Berechtigung derselben. Welches ist zunächst die unmittelbare Veranlassung, welche den Herrn Prof. W. bewegt, dieses phy- siologische Desa^Su zu verhängen? ,,Um dieser Behauptung (dass die Gefühle immer den Vor- stellungen voraneilten, wa« mir, wie erwähnt, nicht eintallt zu behaupten) Nichts zu vergeben, zieht es H. z. B. vor, zur Er- klärung des rhythmischen Gefühls hypothetische Nervenfibra- tionen zu erfinden, die unmittelbar gefühlt werden, sollen, nur um dem Zugeständniss auszuweichen, dass das rhythmische Gefühl an ein gewisses Zeitverhältniss der Vorstellungen ge- bunden ist. Hiedurch könnte ja der Schein entstehen ^* Sehen wir von der wirkhch erstaunlichen Verdächtigung ab, so ist die ganze Bemerkung wieder so unzutreffend, als sie nur sein kann. Um einer Behauptung Nichts zu vergeben, die ich niemals gemacht habe, soll ich Etwas erfinden, was mir nie- mals eingefallen ist, damit ich einem Zugeständniss entgehe und einen Schein vermeide^ die ich beide bereitwilligst auf mich Das Verhältniss der Geföhid zu den Vorsteilungeu etc. 323 nehme. Das ist der Kern dieses \vahrhaft vernichtenden Luft- hiebes. Was l^re uDd was behaupte ich nun wirklich? In der Analyse des Denkens, Ug. 14 „Zeit und Raum^ S. 129«~^148 wird zunächst im Anschluss an frühere Unter- sucbangen der Ursprung der Zeit- und Raum Vorstellung «rörtert. Dass dies zu den schwierigsten Untersuchungen im ganzen Bereich unsrer Wissenschaft gehört^ wird wohl Jeder, der über diese Materie nachgedacht hat, zugeben. Aber auch Jeder, der nicht geborener Nativist ist, wird mir darin bei- stimmen, dass weder die Zeit-, noch die Raumvorstellung ein ursprüngliches Besitzthum der menschlichen oder irgend einer uns bekannten Seele sein kann. Auf dem Wege der analyti- schen Zerlegung dieses Entwicklungsproduetes komme ich nun 2U dem dort als wahrscheinlich bezeichneten Resultat, dass in dem langen und complicirten Entwicklungsgange als dessen Product wir die raumzeitliche Anschauung zu betrachten haben, die Zeitrhythmen wohl die früheste Phase bilden mögen dem Gegensatz von Säure und Alkali in den Körpersäften^ eine dritte in der Irri- tabilität das Vehikel aller Lebenserscheinungen zu sehen meinte. Derartige Einheitsbestrebungen^ welche an die Stelle einer lei- tenden Hypothese die unberechtigte Verallgemeinerung einer Thatsache setzen, kommen selbst in den fortgeschritteneren Entwickelungsstadien der Wissenschaft vor, wie sollte die Psy- chologie davon verschont bleiben? Aber sie hat den Vortheil, dass ihr, da sie spät kommt, warnende Beispiele aus der Ge- schichte anderer Wissenschaften vor Augen stehen, und dass dem Psychologen durch den Kreis seiner Beschäftigungen mehr als dem Forscher auf anderen Gebieten die Prüfung der Frage nahe gelegt wird, was thatsächlich gewiss, was eine zur Er- klärung brauchbare Hypothese , und was keines von beiden^ sondern eine problematisch angenommene Thatsache sei, deren gleichförmiges Vorkommen in einem Erfahrungsgebiet voraus- gesetzt wird, um eine äussere Verbindung des Mannigfaltigen herzustellen, ohne dass diese Thatsache darum einen Erklärungs- grund des Geschehens enthielte. Solchen Bestrebungen gegenüber, die aus dem der wissen- schaftlichen Forschung stets innewohnenden, im gegenwärtigen Psychologische Thatsachen und Hypothesen. 3Ö5 Fall aber doch in unrichtiger Weise sich äussernden Einheits* bedürfniss hervorgegangen sind^ glaubte ich nun die innige Ver- bindung jener inneren Zustande, die wir auf der einen Seite als Vorstellungen, auf der anderen als Gefühle, Begehrungen, Willensregungen bezeichnen, als dasjenige bezeichnen zu dürfen, was uns zunächst in unserer inneren Wahrnehmung thatsäch- lich gegeben ist. Herr Horwicz versichert zwar, eine That- Sache, „die vor jeder psychologischen Untersuchung sich uns aufdrängt*', flösse ihm nicht den mindesten Respect ein. Ich kann aber hier diesen geringen Respect vor Wahrnehmungen, die der wissenschaftlichen „Prüfung, Sichtung und Ordnung" vorangehen, nicht theilen. Die Wissenschaft hat zunächst aus- zugehen von denjenigen Wahrnehmungen, die ihr zur Prüfung übergeben werden, und sie hat, sobald sie diese Wahrnehmungen corrigirt, das Bedürfniss und die Berechtigung hierzu nachzu- weisen. Sie hat dies vor allem dann nicht zu versäumen, wenn, wie es in der Psychologie geschieht, die „Sichtung und Ordnung^ der Thatsachen so leioht die Gefahr mit sich führt, dass dieselben aus ihrer wirklichen Ordnung in eine künst- liche übergeführt werden. Wenn Herr Horwicz auf das Trüge- rische der inneren Wahrnehmung hinweist, so unterschreibe ich dies vöUig; ich mache ihn aber darauf aufmerksam, dass die Täuschungen der inneren Wahrnehmung vor allem da be- ginnen, wo sich dieselbe zu einer angeblichen „inneren Be- obachtung" zu erheben sucht, die, obgleich sie gar keine an- deren Hülfsmittel zu verwenden weiss als das gewöhnliche Be- wusstsein, doch mit ihrer „Sichtung und Ordnung" oft ziem- lich willkürlich die Thatsachen des Bewusstseins zu gruppiren sucht. Freilich bedarf dieses gewöhnliche Bewusstsein einer sehr scharfen Controle, wenn die Gefahr vermieden werden soll, dass sich aus demselben irreleitende Vorstellungen in die Wissenschaft einschleichen. Diese Controle besteht aber meines Erachtens weniger darin, dass man den Thatbestand der un- mittelbaren Wahrnehmung „sichtet und ordnet", — das hat in nur allzu gründlicher Weise dereinst die Wolff'sche Psycho- 23* 356 W. Wundt: logie gethan, — sondern vielmehr darin, dass man ihn von den gänzlich irreleitenden Abstractionsproducten befreit, welche aus ihm die vorwissenschaftliche Reflexion gebildet hat. Durch jene natürliche Abstraction, welche Verstand und Willen, Vor- stellen und Fühlen und dergl. als fest abgegrenzte Thatsachen der inneren Erfahrung einander gegenüberstellt, ist ebenfaUs eine Sichtung und Ordnung der letzteren zu Stande gekommen. Es ist Herbart's grösstes Verdienst um die Psychologie, gezeigt zu haben, wie jene Abstractionsproducte des gemeinen Bewusst- seins in der herrschenden „Theorie der Seelenvermögen'* eine die wirkliche Untersuchung hindernde oberflächliche Classifica- tion der inneren Erfahrungen hervorbrachten. Ich habe nun in meinem von Herrn Horwicz besprochenen Aufsatze darauf hingewiesen^ dass wir, ebenso wenig wie wir heute noch Verstand, Gedächtniss, Vl^ille u. s. w. für geson- derte Kräfte halten, uns durch die in den Bezeichnungen der Sprache fixirten Abstractionsproducte des gemeinen Bewusst- seins dürfen verführen lassen, zu glauben, das Vorstellen, Fühlen und Wollen seien vollständig isolirbare innere Vorgänge, welche sich nur gelegentlich mit einander verbinden können. Ich wollte damit wahrlich nicht sagen, dass wir uns künftig diese Ausdrücke versagen sollen, um die verschiedenen Richtungen unserer inneren Wahrnehmung zu bezeichnen. Noch weniger dachte ich daran, jene Elemente unserer inneren Erfahrung als „coordinirte Theilerscheinungen eines unbekanntenDritten** aufzufassen, wie Herr Horwicz sich ausdrückt Ich wäre be- gierig, von Herrn Horwicz zu erfahren, vermöge welcher Ideen- verbindungen er dieses „unbekannte Dritte** in meine Aus- einandersetzungen hineingelesen hat. Was ich als thatsäch- lichen Inhalt des Bewusstseins anerkenne, ist lediglich dasjenige Vorstellen, Fühlen und Wollen, das wir Alle anerkennen, kein metaphysisches „Ding an sich**, an das Herr Horwicz in Folge einer unbestimmten Erinnerung an Kantische Philosophie zu denken scheint. Was ich aber leugne, wenigstens für eine un- • erweisbare, in einzelnen Fällen sogar direct widerlegbare Be- hauptung halte, ist dies, dass Gefühle durchweg den übrigen s Psychologische Thatsachen und Hypothesen. 357 psychischen Processen vorangehen, und dass demnach Gefühle isolirt Yorkommen können in unserem Bewusstsein. Weiterhin bemerkte ich, dass diejenigen Processe, die wir allgemein auf das Gefühlsleben beziehen^ also das Fühlen, Begehren, Wollen, in Wirklichkeit nicht in der Sonderung aufzutreten pflegen, wie wir es, durch die Abstractionen der Sprache verführt, zu glauben geneigt sind, sondern dass dem Gefühl ebensowohl ein Begehren wie dem Wollen ein Gefühl beigesellt zu sein pflegt. Eben darum gelingt es nun der psychologischen Reflexion ver- hältnissmässig leicht, einen dieser Vorgänge als den ursprüng- lichen betrachten und die anderen aus ihm abzuleiten, entweder aus dem Gefühl das Wollen oder aus dem Wollen das Gefühl. Ich kann allerdings für diese Bemerkung nur, wie sich Herr Horwicz ausdrückt, „die Selbstwahrnehmung als Trumpf ins Gefecht führen**. Ich halte, wie ich mehrfach ausgeführt habe, die Selbstwahrnehmung für ein sehr trügerisches Werkzeug. Gleichwohl begreife ich nicht, wo wir die fundamentalen That- sachen des Fühlens, Begehrens und Wollens und ihrer wechsel- seitigen Beziehung anders hernehmen sollen als aus der Selbst- wahrnehmung. Auch Herr Horwicz hat für seine eigene An- sicht schliesslich keine andere Instanz als die Selbstwahr- nehmung. Er behauptet zwar, dass sich jene Ansicht auch aus den vier oben besprochenen physiologischen Theoremen ergebe. Dass dieselben jedoch einen solchen Schluss nicht zulassen, glaube ich gezeigt zu haben. Auch halte ich es für nicht wahr- scheinlich, dass jemals aus physiologischen Sätzen rein psycho- logische Lehren, seien es nun Thatsachen oder Hypothesen, gefolgert werden können. Eher könnte auf diesem Wege das- jenige entstehen, was zwischen beiden in der Mitte liegt^ aber in wissenschaftlichen Untersuchungen so viel als möglich ver- mieden werden sollte, eine problematische Thatsache. Leipzig. W. Wundt. 358 Becensionen. Lexis, W., Zur Theorie der Massenerscheinungen in der menschlichen Gesellschaft. Freiburg i.Br. (Fr. Wagner'sche Buchhdlg.) 1877. (III u. 95 S. gr. 8,) 2 M. 40 Pf. Diese kleine Schrift darf als eine vorzügliche Leistung der methodologischen Literatur der Socialwissenschaft bezeichnet werden. Sie behandelt in vier Abschnitten ,,Die allgemeine Eintheilung der Massenerscheinungen^S ^^Die Theorie der Massen- erscheinungen und die Wahrscheinlichkeitsrechnung^^^ „Die abso- luten typischen Grössen^^ endlich „Die typischen Wahrscheinlich- keitsgrössen^^ Nach Ansicht des Eeferenten enthält das kleine Buch das Beste und Ueberzeugendste , was über f^statistische Gesetze^' und über den Wahrscheinlichkeitswerth der grossen statistischen Zahlen bündig gesagt und nachgewiesen werden kann. Höchst belehrend sind die mit mathematisch sicherer Hand durchgeführten Specialuntersuchungen über die einzig nachweisbaren typischen Massenwerthe normaler Dispersion, die des Normalalters und des Geschlechtsverhältnisses der Ge- borenen. Den typischen stellt Lexis die symptomatischen Eeihen gegenüber. Die Grundansicht des Verfassers hierüber geht dahin, dass die menschlichen Massenerscheinungen ganz über- wiegend ^^symptomatische Eeihen^ ergeben, d. h. Eeihen^ ;,welche einen mehr oder weniger veränderlichen gesell- schaftlichen Zustand durch gewisse numerische Symptome charakterisiren'^ Zur Erklärung dieser Thatsache sagt Lexis am Schluss (S. 91 f.): „Man kann schon jetzt mit Bestimmtheit behaupten, dass die menschlichen Massen erscheinungen ganz überwiegend zu Eeihen dieser Art führen. Die Verkettung der mensch- lichen Dinge wirkt ihrer Natur nach meistens auf Verände- rungen in einem bestimmten Sinne hin ; der Zustand des vor- hergehenden Jahres ist mitbedingend und mitbestimmend für den neuen Zustand des folgenden , und daher sind auch die Zahlenverhältnisse , welche die zeitlich aufeinanderfolgenden Zustände einer gewissen Art mehr oder weniger charakterisiren. Dicht unabhängig von einander ^ wie zufällige Modificationen einer festen Wahrscheinlichkeitsgrösse^ sondern jedes vorher- gehende bildet im Allgemeinen den Ausgang für die Verände- rung des folgenden Beharrung ist im Leben der RecensioaeD. 359 Menschheit nur die Ausnahme ^ die Eegel ist Evolution in aufsteigender oder absteigender Eichtuhg; die menschliche Gesellschaft ist fortwährend in Thätigkeit, um aus eigener Kraft und mit eigener Verantwortlichkeit die Grundlagen des Zustandes zu ändern, der übrigens; auch wenn er bestehen bliebe, für das Individuum nicht ein zwingendes Gesetz, sondern nur Bedingungen seines Handelns aufstellen würde." Dieses Ergebniss der Lexis'schen Untersuchung ^ welchem £.ef^ent vollständig beipflichtet, ist in zweifacher Hinsicht besonders beachtenswerth. Einmal wendet es sich gegen den aus dem angeblichen ,,Gesetz der grossen Zahl'^ abgeleiteten Schluss auf die blinde Nothwendigkeit menschlicher Hand- lungen. Sodann dämpft es die überschwänglichen Erwartungen jener social wissenschaftlichen Schriftsteller, welche eben noch von der Statistik die Entdeckung der „socialen Gesetze'' er- wartet haben. Der Hauptwerth der Statistik besteht nun auch nach Lezis in der sicheren, exacten Aufdeckung der Sym- ptome des Ganges der socialen Entwickelung. Kefe- rent hat schon im I. Band seines Werkes ,,Bau und Leben, des socialen Eörpers^^ den so zu sagen evolutions-symptomatischen Werth der Statistik in die erste Linie gestellt und freut sich nun der Bestätigung dieser Auffassung durch einen so gewiegten und exacten Statistiker, wie Lexis es anerkannteimassen ist. Stuttgart. A. Schaeffle. Spencer, Herbert, Die Principien der Sociologie. Autorisirte deutsche Ausgabe von Dr. B. Vetter. 1. Bd. (System der synthetischen Philosophie, 6. Bd.) Stuttgart, Schweizerbart. 1877. (VH! u. 570 S. gr. 8.) 12 M. Li durchaus zufriedenstellender Uebersetzung erscheint hier endlich der erste Theil der Spencer'schen Sociologie. Die „Sociology*' ist für den Verfasser, wie für A. Comte, die Spitze der wissenschaftlichen Pyramide, die Krönung eines natürlich au%ebauten Systems der positiven Disciplinen. Erst nachdem die Grundsätze der Biologie ausgearbeitet und in dem Tabellen- werk der ,^descriptive sociology^^ die Materialien für eine »,posi- tive'' Socialwissenschaft aufgestellt waren, konnte der Verfasser „die Principien der Sociologie^' dem Publikum darbieten. Der vorliegende Bftnd wurde so zum ersten Theil der letzten Serie von „Principles", die der positivistische Philosoph in der Ency- clopädie seiner Werke ausarbeitet. Spencer skizzirt am Schlüsse des Bandes, was die weiteren 360 Recensionen. Bände der „Sociology'' bringen sollen. Danach haben wir gene- tische Erkläning der Tatsachen des Familienlebens^ des Staats- lebenSy des kirchlichen Lebens, des Geremoniells, der Productdon, der Sprache, der Intelligenz, der Sittengesetze, des ,,emotio- nellen'' Seelenlebens, der ästhetischen Gefühle zu erwarten. Und zwar verspricht der Verfasser, die Entwickelongsreihen aller dieser Seiten des Gesellschaftslebens nicht isolirt für sich^ sondern in ihrer allseitigen „Wechselbedingtheit'' nachzuweisen. Hiemach steht ein universeller, vom Standpunkt der Ent- wickelungstheorie entworfener Grundriss der ganzen ^cial- wissenschaft in Aussicht. Wir heissen ihn voraus willkommen. Die Bruchstücke einer Entwickelungsgeschichte des Geremoniells, welche der Verfasser im letzten Jahrgang des ^yKosmos'^ zu veröffentlichen begonnen hat, lassen erwarten, dass die in Aus- sicht stehenden Bände nach Form und Inhalt Bedeutendes bringen werden. Vorläufig haben wir es nur mit dem ersten Bande zu thun. Hier untersucht der Verfasser, nachdem er kurz den „überorgani- schen^^ Charakter der menschlichen Gesellschaft hervorgehoben hat, die Entwickelungseinflüsse , die den primitiven Menschen (die „Einheit'' des ältesten Gesellschaftszustandes) physisch, „emotionell" und „intellectuell" beherrscht haben; S. 19 — 116 ist hierüber viel interessantes Material in fesselnder Form und in mehrfach überzeugenden Schlussfolgerungen beigebracht. Der übrige Theil des Bandes ist der genetischen Erklä- rung der „primitiven Ideen", genau genommen nur der Psychogenese der Eeligionsanschauungen des Urmenschen gewidmet. Die erste Ausbildung der religiösen Seite des menschlichen Geistes, das erste Stadium unserer religiösen Ver- geistigung ist der Gegenstand, welchem mehr als 300 Seiten spannender Beweisführung zugewendet werden. Niemand wird diese Erörterungen, in welchen der Verfasser als Kenner der vergleichenden Archäologie und Ethnographie sich den Tylor, Lubbock und anderen Neueren gewachsen erweist, aus der Hand legen, ohne die vielseitigste Anregung erhalten zu haben. Von einem hervorragenden Geiste ist hier die religiöse Psycho- genese angefasst, das empfindet wohl jeder Leser. Wir zweifeln freilich, ob der Herr Verfasser, auch nur die Hälfte seiner Leser davon überzeugen wird, dass das primitive Eeligions^ leben ganz und gar — selbst die Pflanzenverehrung ein- geschlossen — aus dem Ahnen dienst hervorgegangen sei, dass „Furcht vor den Todten als die alleinige Wurzel der religiösen Gesetze^^ angesehen werden müsse, wie die Furcht vor den Selbstanzeigen. 361 Lebenden als die alleinige Wurzel der bürgerlichen Gesetze (S. 521). Dieser Schluss ergiebt sich unseres Dafürhaltens aus den eigenen Prämissen der Spencer'schen Beweisführung nicht mit zwingender Nothwendigkeit^ denn ans diesen geht blos hervor, dass die — nach Spencer aus den Erfahrungen der Natur- metamorphosen, der Träume, Besessenheitszustände ji. s. w. hervorgegangene — Annahme von und Furcht vor guten und bösen Geistern (nicht nothwendig Ahnengeistern) als Wurzel des ältesten Glaubens und Aberglaubens anzusehen ist. Die ünumstösslichkeit dieser Geistertheorie selbst kann hier un- erörtert bleiben. Wir erwähnen nur, dass die von Spencer nachgewiesene Yergötterung von Lebenden ebenfalls der aus- schliessenden Zurückführung primitiver Beligion auf Ahnen- cultuB entgegensteht. Inzwischen sollen diese Bedenken nicht weiter ausgeführt werden. Wir empfehlen dem Leser, die Quelle selbst aufzu- < suchen und selbst zu urtheilen. In § 206 giebt der Verfasser ein vollständiges Besumd seiner Untersuchungsergebnisse. Stuttgart. A. Schaeffle. Selltetaiizelgen. (Die nSelbsUaieineii** schli«Men «ine Seoension dar betreffmden Werk» in dieser Zeit- schrift nicht ans.) Berg, H.; Die Lust an der Musik. Nebst einem An- hang: Die Lust an den Farben^ den Formen und der körperlichen Schönheit Berlin, B. Behr. 1879. (58 S. kl. 8^) 1 Mk. Der Verfasser 8ucht die Lust an der Musik zu erklären, indem er mit Darwin annimmt, dass die Letztere ursprüng- lich aus den Liebes- und Lockrufen der anthropoiden Vorfahren des Menschengeschlechts hervorgegangen sei. Die weitere Entwicklung der Musik leitet er aus dem Principe ab, dass im Allgemeinen solche Töne und Tonreihen bevorzugt wurden, welche dem Hörnerv und auffassenden Gehör das geringste Mass von Ermüdung und Anstrengung verursachten. — In einem Anhange ist der Versuch gemacht, den Ursprung der Freude an den Farben, gewissen Formen und der körperlichen Schön- heit nachzuweisen, hauptsächlich durch eine Verbindung dar- winistischer und physiologischer Lehren. Brooher de la Flachere, H., Les R^volutions du droit, ätudes historiques destinöes k faciliter Tintelli- / I 362 Selbstanzeigen. gence des institutions sociales. Tome 1^' : Introduction philoBophique. Paris; Neufchätel et Gen&ve, J.Sandoz (en 8% VI et 242 pages). Par un concours de circonstances diverses^ le droit a cess^ d'^tre iine application du sentiment pcpulaire pour prendre an caractere conventionnel et singulier. Un tel i^tat de choses presente de graves dangers. Pour y remddier il faut des livres conQus de mani^re a servir tout ä la fois de compl^ment ä r^ucation du grand public et de point de d^part aux etudes speciales des jurisconsultes de profession. G'est pour atteindre ce but que Tauteur se propose de publier, en une s^rie d'^tudes d^tach^es, lliistoire philosophique des diverses institutions juridiques. II s'attachera moins ä präsenter des solutions nouvelles qa^k r^sumer les travaux des hommes sp^ciaux de maniere ä mettre en ^yidence les donn^es d*intdret g^neral et pratique qu'ils renfennent. Le premier yolume expose la philosophie de l'auteur, lequel se rattache a la mdthode expdrimentale et ä l'äcole de Her- bart. L'idde fondamentale de ce yolume est la deünition da principe d'autorite, principe qu'on a d^naturd en le faisant passer du domaine juridique, auquel il est destin^, au domaine religieux. Quand on se fera une id^e juste du principe d'auto- Tii4y de sa nature et de ses limites, il sera possible de r^soudre le Probleme qui s^mpose a Pdpoque actuelle, o'est ä dire de concilier Tordre mate'riel et la libertä de conscience. Caspar!, O., Die Grund prob lerne derErkenntniss- thätigkeit beleuchtet vom psychologischen und kriti- schen Gesichtspunkte. Als Einleitung in das Studium der Naturwissenschaften. 2 Bde. Mit Holzschn. Berlin^ Th. Grieben, 1876—79. (XVIII u. 251 S.; XXXH u. 364 S. gr. 8^) Es wird versucht^ die. sog. „reine^^ Metaphysik ebensosehr zu widerlegen wie den Skepticismus. Die Methode und Be- weisführung ist die ,,kritische". Yerf. zeigt, wie sich dieselbe unterscheidet von der metaphysisch-logischen und dialektischen (der Fichte, Schelling, Hegel) und der ontologisch-mathemati- schen (Descartes und Spinoza). Die krit. Methode der Unter- suchung wurde angebahnt durch Hume und Kant. Der Verf. zeigt, dass den Leitfaden zu dieser Art von objectiv wissensch« Beweisführung ebensowohl die Natur des Intellects (des sog. Apriori) wie andererseits die Thatsachen der Erfahrung (durch welche sich die Apriorität restringirt) abgeben müssen. Um aber der consequent krit. Methode Baum zu schaffen, wird \ Selbstanzeigen. 363 der reine und extretne Apriorismus ebenso wie der reine Em« pirismus beortheilt und in's rechte Lieht gesetzt. £b wird erkennbar gemacht; dass die Art wie Kant die Urtheils- funotion als Grundfunction des Intellects mit dem Zeitschema in Beziehung setzt, bemerken lässt , dass er von der sog. On- tologie und der raum-zeitL Substanzlehre sich nicht losmacht. Es wird dargethan, dass wenn Kant in der transc. Analytik die Zeit schematisch als starre continuirllche in sich identische Beihe und gerade Linie^ und die Eelation als substanziell feste und ontologische Ordnung concipirt, solche Bestimmungen den negativen Instanzen und Thatsachen gegenüber nicht empirisch, sondern überempirisch und dogmatisch-metaph. sind im Sinne der von ihm selbst widerlegten Ontologie. Mit Hülfe dieser Hindeutungen wird gegen Kant dargethan, wie das in's Metaph. hinüberspielende reine Apriori die Vermittlung mit Empirie und Thatsachen einbüsste. Es wird ferner gezeigt, wie Eant's Lehre von Schematismus zwar ein nothwendiger und richtiger Gedanke -war, der indessen bei dem rein apriorischen Stand- punkte nicht zur Geltung kommen konnte. Sollte das sog. transc. Schema und der Schematismus überhaupt daher nicht etwas Erlogenes (Fingirtes) sein, so musste die Lehre hierüber im consequent kritischen Sinne corrigirt und das Schema im Hinblick auf die Instanzen der ErfSahrung und auf die Natur des Intellects (als Apriori) richtig gestellt werden. Um diese Höhe der Kritik zu gewinnen ist der 1. Bd. der Untersuchung und Becognoscirung der Natur des Intellects gewidmet. Der Leser findet hier die Frage behandelt: ob das Bing an sich als ein metaphysisch-ontologisches Urwesen, oder als die feste Substanz einer sog. reinen (überempirischen) Idee, oder aber nur als sog. regulativer Grenzbegriff zu concipiren ist, der in seiner Anwendung hinweise auf die Geltendmachung des In- tellects innerhalb seiner normalen Grenzen. Der 2. Bd. bringt das Problem der Causalität zur Darstellung. Die krit. Methode der Beweisführung gewahrt hier dem Leser einen Einblick über die Stellung und Principien der Parteien zu einander und gegenüber der Natur des Intellects, als Grundlage des Erkenn ens. . Frohsohammer , J.^ 1. Die Phantasie als Grund- princip des Weltprocesses. München^ Theod. Ackermann 1877. (XXV, 575 S.) 2. Monaden und Weltphantasie. München, Theod. Ackermann 1879 (X, 181 S.) Es ist in diesen Werken der Versuch gemacht; den Welt- 364 SellMtaiizeigen. process mit seinen äossem und inneren Bildungen, die Menschen- natnr mit eingescbl., ans einem Grondprincip zu erklären, das als Phantasie bezeichnet wird. Selbstrerständlich ist damit nicht die gemeine Phantasie im gewöhnl. popul. Sinne gemeint, sondern es will mit dieser Bezeichnung nur ansgedrückt werden, dass man sich das wirkende immanente Weltprincip am ent- sprechendsten dadurch yerständlich machen könne, wenn man sich dasselbe als synthetische Macht denke nach Art der Ein- bildungskraft oder Phantasie des Mensehen. Dabei handelt es sich nicht darum, ein System a priori aus diesem Ghrundprincip zu construiren, sondern es wird von Erfahrungsthatsachen aus- gegangen und an solche allenthalben angeknüpft. Die „Phan- tasie^' wird zunächst als Qrundpotenz des subjectiyen Geistes betrachtet. Sie erweist sich als die Fähigkeit, das Aeusserliche innerlich zu gestalten und dadurch zum Bewusstsein und Yer- ständniss zu bringen; hinwiederum für Geistiges innere Bilder zu schaffen und dadurch dasselbe zur Offenbarung zu befähigen. Von dieser Grundfahigkeit sind alle psychischen oder geistigen Thätigkeiten, auch die höchsten oder abstractesten bedingt und alle Functionen des Geistes, das Erkennen, Wollen und selbst das Gefühl sind davon abhängig. — Es wird dann der Nach- weis versucht, dass diese synth. Macht des Mensohengeistes, deren teleologisch-plastische Bethätigung zugleich ein Moment der Freiheit d. h. der bestimmenden oder individuell und sub- jectiv normirenden Macht den physikal. Gesetzen gegenüber kund gibt — nicht ein nur abgeleitetes Product sei, sondern einen principiellen Charakter habe und auch als objectives, reales Princip aufgefasst werden könne. — Im 2. der drei Bücher des Werkes handelt es sich um den Nachweis, dass und wie das Organische und Lebendige aus dem Zusammen- wirken des Physikalischen und der synthetischen Macht der (objectiven) Phantasie hervorgegangen — wodurch sich eine Verbindung mit der Descendenzlehre ergibt. Dabei handelt es sich aber insbesondere um die Genesis des Psychischen, das nicht aus dem Stoffe abgeleitet wird, sondern aus der Gesetz- mässigkeit oder dem objectiven, realen Verstände in Verbindung mit dem teleologisch-plastischen Wirken der allgemeinen G«- staltungsmacht. Es tritt zuerst als Empfindung auf und als dunkles Bewusstsein, in welchem die Weltvemunft sich selbst findet und ■ ihr ideales Wesen erfährt und woraus die übrigen' psychischen Fähigkeiten sich entwickeln. Aus dem grossen Naturprocess geht also durch die objective Phantasie das Seelische selbst hervor und zuletzt auch der menschl. Geist mit der k Selbstanzeigen. 365 freien Bubjectiven Phantasie. Das 3. Buch ist der Genesis des letzteren gewidmet. Das allgemeine Bildungsprincip erringt immer concretere, subjectiv selbständigere Producte^ in denen es sich selbst potenzirt und endlich concret und frei erscheint und wirken kann. Durch diese subjectiv und frei gewordene Phantasie ist nun die Bildung eines psychischen Organismus über dem physischen möglich , der sich in die Grundvermögen des Geistes differenzirt: Erkenntnisskraft, Wille und Gemüth« Diese werden als abgeleitete Fähigkeiten dargestellt; daher keines von ihnen, nicht Vernunft, Verstand^ "Wille u. s. w, als Grundprincip des Weltprocesses betrachtet werden kann, denn sie entstehen als subjective Geisteskräfte erst in diesem und durch denselben. So besteht die Genesis des subjectiven Verstandes insbesondere darin, dassdie objective Gesetzmässigkeit durch die bildende Phantasie (als Generationspotenz) concrete, subjective Lebendigkeit erhält; und die Selbständigkeit des Willens beruht auf dem Moment der Freiheit im allgemeinen Weltprincip. — Die zweite Schrift enthält im 1. Theile eine kurze übersichtliche Darstellung des Hauptinhaltes der ersten, um das Verständniss derselben zu erleichtern und Missver- ständnissen zu begegnen; der 2. Theil verfolgt dasselbe Ziel dadurch, dass er das Verhältniss dieser Welterklärung durch eine Weltphantasie zu der Monadenhypothese in ihren ver- schiedenen Formen von Leibniz, Herbart u. s. w. bis zu den Versuchen neuerer Naturforscher darstellt und kritisch beleuchtet. Hohlfeld, Paul, Die Erause'sche Philosophie in ihrem geschichtlichen Zusammenhange und in ihrer Be- deutung für das Geistesleben der Gegenwart dargestellt. Gekrönte Preisschrift. Jena, H. Costenoble, 1879. (XIV u. 146 S. gr. 8«. — 4 Mk.) Der Verf. giebt auf Grund 16jähriger Forschung die erste Darstellung von der allmählichen Entwickelung der Erause'schen. Philosophie. Hierauf wird das Verhältniss Er. 's zu andern etwa gleichzeitigen Denkern nachgewiesen. Wider- legt wird der Irrthum, als ob Kr. von Fichte oder von Schel- ling ausgegangen wäre , oder eine Verbindung der Lehren der beiden Philosophen beabsichtigt hätte. Es wird vielmehr gezeigt, dass Kr. von Kant ausgegangen ist, dessen Kategorien- lehre er bereits als Knabe kennen lernte , und sich als Nach- folger, Fortsetzer und Vollender der Lehre Kant's betrachtet wissen will. Den Schluss bilden Andeutungen über die Be- deutung der „Wesenlehre" für die Gegenwart. — Es sind nicht 866 Selbstanzeigen. nut die mathem. und freimaurer. Druckschriften, sondern auch die ausserordentlich umfangreichen Handschriften Er/s mit- benutzt worden. Der nächste Zweck der Schrift ist, einen Beitrag zur Geschichte der neueren deutschen Philosophie zvl liefern, der letzte Zweck dagegen, eine eingehende Prüfung der Wesenlehre zu veranlassen, von weicher bisher nur die Eechts- und Staatslehre allgemein anerkannt ist. Janitsch, JuliuB, Kants Urteile über Berkeley. Ein Beitrag zur Kantphilologie. iStrassburg i. £., I. Ast- mann 1879. (IV u. 57. S.) Dass Kants heftige Ausfälle gegen Berkeley von grossem Missverständniss der Lehre des Letzteren zeugen , ist nichts Neues. Wenn trotzdem sogar die Worte, in die er seine verkehrte Ansicht formulirte, in unserer modernen philosophi- schen Literatur fort und fort reproducirt werden, so war es nicht überflüssig, einmal den Quellen nachzuforschen^ aus denen er jene Vorstellung von der Lehre des vermeinten Geg- ners hatte schöpfen können. Das Ergebniss der vorliegenden kleinen Schrift ist folgendes: unter dem Banne des allgemeinen Vorurteils gegen Berkeley hatte sich Kant aus subjectiven Nachklängen aus der Zeit seines früheren Kampfes mit dem Idealismus und flüchtiger Kenntnissnahme gewisser sekundärer Berichte ein Willkürgebilde geschaffen, das er den schwärme- rischen und mystischen Idealismus B.'s taufte und als solchen bekämpfte. Eine Kenntniss der B/schen Schriften selbst musste dagegen bei ihm in Abrede gestellt werden. Kelirba.ch, K.y Kritik der praktischen Vernunft von Im. Kant. Text der Ausgabe 1788 (Ä) unter Berücksich- tigung der 2. Ausgabe 1792 (B) und der 4. Ausgabe 1797 (D). Leipzig, Ph. ßeclam. XIV, 196 S. — 40 Pf. Die unbedeutenden Varianten der 2. u. 4. Ausgabe (eine 3. hat wahrscheinlich nicht existirt) sind sämmtlich an- gemerkt. Die Veränderungen, welche der Herausgeber mit dem Originaltext vorgenommen hat, sind unter strengster Schonung des K.'schen Sprachgebrauchs erfolgt. Ein über- sichtliches Verzeichniss derselben, sowie ein Verzeichniss über orthographische und interpunktioneile ist in der Vorrede des Herausgebers enthalten. — Auf jeder Seite vorliegender Aus- gabe ist die Paginirung der übrigen (5) Ausgaben der Kritik der praktischen Vernunft angegeben. Eehrbach, K., Kritik der reinen Vernunft von Im. Kant. Text der Ausgabe 1781 mit Beifügung sämmtlicher Ab- \ Selbstanzeigen. 367 weichungen der Ausgabe 1787. Zweite verbesserte Auf- lage. Leipzig, Ph.RecTam. (XXVI, 702 (H) S. Kl. 8«. 1 Mk.) Ausser der Verbesserung der Druckfehler, die in einem „Druckfehlerverzeichnisse' in der 1. Auflage angezeigt werden sollten, enthält die vorliegende Ausgabe noch einige Emenda- tionen, die namentlich angeführt werden und so beschaffen sind, dass die Integrität des K.'schen Sprachgebrauchs völlig ge- wahrt bleibt. — Auf jeder Seite vorliegender Ausgabe ist die Paginirang der übrigen (7) Ausgaben der Kritik der reinen Vernunft angegeben worden. Ledair, Anton v., Der Realismus der modernen Natur- wifisenschafi: im Lichte der von Berkeley und Kant an- febahnten Erkenntnisskritik. Kritische Streifzüge. Prag, \ Tempsky. (gr. 8^, ca. 15 Bogen.) Von einer ganz speciellen Frage der Sinnesphysiologie ausgehend unternimmt der Verf. den Nachweis, dass die von der modernen Naturwissenschaft selbst anerkannten principiellen Schranken des Naturerkennens nur für den Standpmikt jenes erkenntnisstheoretischen Bealismus bestehen, der, ohne Anstoss za nehmen an dem Begriffe transcendenten Seins , auch die ausschliessliche Fhänomenalität des Naturseins und Natur- geschehens nicht anerkennt; der Verf. sucht zu zeigen, dass in einem ganz wesentlichen Punkte, nämlich in der Frage bezügl. der dem denknothw. Ding-an-sich, abgesehen von dem Gedachtwerden, zukommenden Seinsfonh, — jedoch nicht etwa mit dogmatischem Eückfall nach Fichte's Beispiel — noch über Kant hinausgegangen werden muss, wenn anders man sich, sei es nun in der Naturwissenschaft oder Philos'ophie, principiell vor der Selbsttäuschung eines metaph. Dogmatismus bewahren will. Durch das so gewonnene, auf den Satz des Widerspruches sich stützende Erkenntnissprincip (wonach jegliches durch das Denken mit dem Merkmal der transcendenten Seinsform ausgestattete Beale nichtsdestoweniger auf keine andere Bealität Anspruch hat, als die durch den Denkact gesetzte und in dem Denkact beschlossene und somit selbst die dürftigste Erkenntniss eines sog. transcendenten Seins auf der Selbsttäuschung beruht, als könne man jemals über den stets sich nur erweiternden Bereich mentaler Positionen hinausdringen) werden die stets wiederholten Versuche der Vergangenheit und Gegenwart, das Weltphänomen, sei es im Sinne eines metaphysischen Bealismus oder Idealismus zu „er- klären'', auf ihre wahre Bedeutung zurückgeführt. Ganz besondere Sorgfalt wird dem Nachweise zugewendet, dass die 368 SelbBtanzeigen. Sinnesphysiologie durch ihre eigenen Consequenzen direct dem obersten Kesultate vorliegender Untersuchung entgegengefuhrt wird, zu dessen Anerkennung die Naturwissenschaft überhaupt durch die für ihren Standpunkt unvermeidlichen Aporien sich indirect genöthigt sieht : dassnämlich, wie die Erkennt- nissselbsty so auch jegliches Object der Erkennt- niss die Action eines Bewusstseins (Jntellects) voraussetzt. Badestook, P., SchlafundTraum. Eine physiologisch- psychologische Untersuchung. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1879. (XH, 330 S. gr. 8».) Es werden sowohl die physiologischen als die psy- chologischen Eigenthümlichkeiten des Schlafes und Traumes geschildert; die Aehnlichkeit derselben mit den einzelnen Er- scheinungen des Wahnsinns einerseits, sowie manchen Zu- ständen des Wachens andrerseits wird dargelegt und gezeigt, dass die normalen und anormalen geistigen Thätigkeiten in ihren verschiedenen Erscheinungen keine qualitativen, sondern nur quantitative Unterschiede darbieten, in feinen Gradationen in einander übergehen und theilweise in einander übergreifen, so dass sich theilweises Wachen im Schlaf, Träumerei im Wachen, Lichtblicke der höheren Geistesthätigkeiten im Wahnsinn und intermittirendes Irresein im gesunden Zustande finden. Besonders aber weist der Verf. auf die völker- psyohologische Wichtigkeit der Traumvorstellungen hin; er benutzt dazu die in den Werken Tylors u. A. angeführten ethnographischen Details und ergänzt dieselben durch Stellen der classischen Literatur, die er mit Hülfe eigener philologischer Studien sammelte. Die physiologische und empirisch-psycho- logische Forschung versucht er mit der historisch-philologischen zu vereinigen. Die Anmerkungen bieten dem Fachmann Angabe der Quellen und weitere Ausführungen in Betreff der Physiologie des Schlafes, sowie der Hauptgebiete der gesammten Psycho- logie dar. In einem Anhang werden die neueren Theorien über die näheren Ursachen des Schlafes behandelt. Philosophische Zeitschriften. Philosophische Monatshefte. Band 15, Heft 1 und 2: A. Lassen: Ueber Gegenstand und Behandlungsart der Beligionsphilosophie. — J. Freuden- thal: Ein ungedruckter Brief Kant's und eine verschollene \ Philosophische Zeitschriften. 369 Schrift desselben wider Hamann. — K. Gh. Planck, logisches Causalgesetz etc.; bespr. von A. Eicht er. — J. Neuhäusery Aristoteles' Lehre von dem sinnl. Erkenntnissvermögen etc.; bespr. von C. S. Bar ach. — Litteraturbericht : Döring. — Shields. — Rosenkrantz. — Stranss. — Jodl. — Schmick. — Elrohn. — Funcke. — Jacobson. — Bibliographie von F. Ascherson. — Vorlesungen. — Eecenbionen- Verzeichniss. — Ans Zeitschriften. — J. Sengler's Nekrolog von L. Weis. — Miscelle. Band 15, Heft 3: Imelmann: Stanley Jevons über J. St. Mill. — R. V. Ihering, Der Zweck im Recht; bespr.: von Lassen. •— A. Wiessner, Yom Funkt zum Geiste I Und : Die wesenhafte oder absolute Realität des Raumes; bespr. von L. Weis. — Kant's Kr. d. r. V., hrsg. von B. Erdmann. Und: Erdmann, Eant's Eriticismus etc.; bespr. von Fr. Hoff - mann. — R. Eucken, Oesch. der philos. Terminologie; bespr. von C. Schaarschmidt. — A. Fouillee, L'idee moderne du droit etc.; bespr. v. Jodl. — J. Bemays, Lucian und die Kyniker; angez. von C. Schaarschmidt. — Koack^ Philo- sophie-geschichtl. Lexicon; angez. von demselben. — Biblio- graphie von F. Ascherson. — Recensionen-Yerzeichniss. — Aus Zeitschriften. Zeitsohriffc f&r Philosophie und philOBophische Kritik. Band 74, Heft 2: H. Sommer: Die Lehre Spinoza's und der Materialismus (2. Hälfte). — H. Ulrici: Der sog. Spiri- tismus eine wissenschaftliche Frage. (Mit Beziehung auf die Schriften von 1) Fr. Zöllner, Wissenschaf tl. Abhandlungen, Tbl. 1 u. 11; 2) V.Fichte, Der neuere Spiritualismus etc.) — Recensionen: J. Rehmke: Glossen zu E. v. Hartmann's Phänomenologie des sittl. Bewusstseins. — H. Ulrici: Li Sachen der wissenschaftl. Philosophie. Antwort auf den Ar- tikel des Herrn Avenarius im 4. Heft des 2. Jahrg. dex Yiertelj. f. w. Ph. — V. Baerenbach, Gedanken über die Teleologie in der Natur; von H. Ulrici. — L. Weis: J. Sengler. Eine Skizze seines Lebens und seiner Gottesidee. (1. Hälfte.) — V. Yambühler, acht Aufsätze zur Apologie der menschl. Yer-^ nunft; von Rehmke. — Erauth, a Yocabulary of the Philos. Sciences; von H. Ulrici. — Engels, Herrn E, Dühring's Um- wälzung der Wissenschaft; von demselben. — Arnoldt, Eant's Prolegomena nicht doppelt redigirt; von demselben. — Biblio- graphie. Yierteljahrssehriffc f. wüsentchaftl. Philosophie, m. 8. 24 370 Philosophische Zeitschriften. Bevue Philosophique de la Franoe et de l*]&tranger. Jahrg. 4« Heft 1 : P. J a n e t : La Perception visuelle de la distance. — A. Espinas: La Philosophie exp^rimentale en Italie. J. R. Ardigo. — C.-S. Peirce: La Logique de la science (2™* art.). — Notes et documents: Le D^r- minisme m^canique et la Libert^^ par M. Boussinesq. — Analyses et comptes rendos: Spinoza, Dien, THomme etc., trad. par P. Janet. — Girard de Rialle^ Mythologie compar^e, tome l. — Espinas, Les Societ^s animales (2™* ddit.). — Byck, Die Physiologie des Schönen. — Pessimisten-BreTier. — Bevue des P^riodiqnes dtrangers. — Gorrespondance : Les Analyses psy chologiques : Horwicz et Reinach. — K6crologie : G.-H. Lowes. Heft 2: P. Tannery: La Theorie de la connaissance mathematiqne. — A. Espinas: La Philosophie ezp^rimentale en Italie (fin.) — A. Penjon: La M^taphysique phdnom^niste en Angleterre. Shadworth Hodgson (fin). — Analyses et comptes rendus : Chauffard , La vie etc. — Caro , Le Pessimisme au XIX* sifccle. — Erdmann, Kantus Prolegomena. — Beyue des P^riodiques. Heft 3: J. St. Mill: Fragments in6dits sur le socia- lisme ( P' art.). — E. Naville: La Physiqüe et la Morale. — A. Dastre: Le Probleme physiol. de la vie (suite). — Guyau: H. Spencer et l'H^redite morale. — Analyses et comptes rendus: Lamson, the life and education of Laura Bridgman. — Taine, de rintelligence (3* ^dit.) — Penjon, Ber- keley. — Lessewitch, Pisma o nautchnoi* filosofii. — Dühring, krit. Geschichte der Philosophie. — Revue des P^riodiques ^trangers. Heft 4 : A. He rzen : La loi physiqüe de la conscience. — J. St. Mill: Fragments in^dits sur le socialisme (fin). — Th. Reinach: Le nouveau li vre de Hartmann sur la Morale (1*"^ art.). — Dastre: Le probleme physiol. de la vie (fin). — P. Regnau4.: £tudes de philosophie indienne. — Analyses et comptes rendus: Liard, la m^taphysique et la science po- sitive. — A. Leffevre, la philosophie. — Giner, Calderon et Soler, Lecciones sumarias de psicologia. — Glogau, SteinthaPs psychol. Formeln. — Notices bibliographiques : Schuppe. — M. Martin. — Waldstein. — Trezza. — Revue des P^riodiques ^trangers. — Gorrespondance. — Livres nouveaux. La Philosophie Positive. Jahrg. 1 1, Heft 4 : £. L i 1 1 r 6 : Casuistique historique. — Philosophische Zeitschriften. 371 O. Wyrouboff: La philosophie matdrialiste et la Philoso- phie positive. — H. Stupuy: Notice sur la vie et les oeuvres de Sophie Oermain. — X.: Les missions laiques. — Gl. Boy er: De la nature du beaiL — Mercier: Le clergd dans rancienne France. —^ H. BoSns: Allopi^thie et Homoeo- pathie. — G. Wyrouboff: Necrologie: G.-H. Lewes. — £. Littr^: Varietes. — Bibliographie. Heft 5: £. Littre: L'hypoth^se de la gen^ration spon- tan ^e et Celle du transformisme doivent-elles ^tre incorpor^es k la partie biologique de la philosophie positive? — E. L e s i g n e : Du r61e de l'ezpdrience dans les anciennes con- ceptions du monde. — Cl. Roy er: De la nature du beau. — H. Boens: L'enseignement primaire en Belgique. — Gh. M i s m e r : Organisation militaire. — Marc Rdgis: Gonsidd- rations g^n^rales sur Faction scientifique des Arabes au moyen age. — L. Arreat: La conscience dans le drame. — H. Stupuy: Question d'esth6tique. — £. Littre: Question de Bociologie pratique. — Ndcrologie : E. Bourdet. — Varietes, Heft 6: £. Littr^: Distribution future des langues et des nationalites sur le globe terrestre. — A. Bitti: ün his- torien du positivisme. — L. Arreat: La conscience dans le drame (suite). — £. Littr^: De la th^ologie consideree comme science positive et de sa place dans l'enseignement laique, par M. Vemes. — G. Wyrouboff: Bemarques sur la phi- losophie critique en AUemagne. — G. S.: La rose. £tude esthetique. — H. Stupuy: DW abus du mot „r^latif". — E. Noel: Lettre ä Mr. Littr^. — Ad. F. de Fontpertuis: La Charit^ legale et l'assistance publique en Europe. — £• Littrd: Gomparaison de la chambre de 1871 et de la chambre de 1877. — Varietes. — Bibliographie. Mind. Heft 14: G. Stanley Hall: Laura Bridgman. — J. Sully: Harmony of Golours. — B. Hartley: The Stanhope Demonstrator. — Bain: J. St. Mill (L). — A. Sidgwick: Definition De Jure and De Facto. — L. S. Bevington: The Personal Aspect of Besponsibility. — Notes and Discussions : Mr. Le\ees' Doctrine of Sensibility, by E. Hamilton; Prof. Glerk Maxwell on the Belativity of Motion, by J. K. Thacker; Mr. G. S. Hall on the Perception of Golour, by Grant Allen; Prof. Herzen on „The Physical Law of Consciousness". — Gritical Notices: Huxley's Hume, by Bobertson; Murph/s Habit and Intelligen ce, by Grant Allen; v. HartmannV 24* 372 PhilosophiBche Zeitschriften. Phänomenologie des sittl. Bew., by W. G. Coupland; Jack- son's Fifth Book of the Nicomach. Ethics, by J. A. Ste- wart. — New Books. — Miscellaneous. La Filosofla delle Souole Italiane. Band 19, Heftl: T. Mamiani: AI prof. L. Ferri, intomo al suo dettato L'Idea. — B. Bobba: La dottrina della libertä secondo Spencer in rapporto colla morale. — F. Bamorino: Piatone filosofo^ artista e scrittore. — T. Ma- miani: Filosofia della realitä. — Di Giovanni: Sopra una sentenza di Giordano Bruno. — Bibliografia : L. Ferri. — P. Siciliani. — H, Taine. — Ad. Franck. — Fr. Harms. — L. Caranzetti. — Periodici di filosofia. — Notizie. — Becenti pubblicazioni. Heft 2: L. Ferri: L'Assoluto e la mente, letteraal Conte Mamiani. — A. Tagliaferri: Filosofia della Beli- gione ; il filosofo nelle sue relazioni col dogmatismo religiöse. — T. Mamiani: Breve nota all' articolo precedente. — B. Bobba: La dottrina della libertJk secondo Spencer in rap- porto colla morale. — G. Fontana: Süll' Idea, analisi de^ suoi caratteri. — L. Ferri: Breve nota all' articolo prece- dente. — Bibliografia: Th. Bibot; P. B. Schuster; D. Bo- surgi; A. Herzen; V. Di Giovanni. — Periodici di filosofia. — Notizie. — Becenti pubblicazioni. Bibliographische Mittheilnngen. Aristotle's Nicomachean Ethios. Book V. Edited by Henry Jackson, M.A. 8vo. 6s. Aristoteles' Werke. Griechisch u. deutsch m. sacherklär. Anmerkgn. 6. u. 7. Bd. 8. Leipzigs EDgelmann. 15 M. (1-7.: 40 M. 75 Pf.) Inhalt: 6. Politik. Griechisch u. deutsch hrsg. v. Prof. Dr. Frz. Suse ml hl. 1. Thl. Text u. Uebersetzg. (XXVII, 801 S.) 10 M. 7. 2. Thl. Inhaltsübersicht u. Anmerkgn. (LXXVI, 888 S.) 5 M. Amoldt, Emil^ Kant's Prolegomena nicht doppelt redigirt. Widerlegung der Benno Erdmann'schen Hypothese, gr. 8. (78 S.) Berlin, Liepmannssohn. 1 M. Bahnsen, Dr. Jnl., Philosophie und IVationalitat. Rede zur Feier d. Sedantages am 2. Septbr. 1876 geh. gr. 8. (17 S.) Lauen- burg i. P., Feriey. 1878. 40 Pf. Becker, Dr. Th., Flato's Charmides inhaltlich erläutert, gr. 8. (106 S.) Halle, Pfeffer. 2 M. 40 Pf. V Bibliographische Mittheilongen. 373 Berg, H«5 Die Lust an der Musik erklärt. Nebst einem Anh.: Die Lnst an den Farben, den Formen und der körperl. Schönheit, gr. 8. (58 S.) Berlin, Behr. 1 M. Bei^eley^s IPrinciples of haman knowledge. With Introduction, &c. By CoUyns Simon, LL.D. Cr. 8vo. Ss. Bemays, Jae., Xiucian und die Kyniker. Mit e. Uebersetzg. der Schrift Lucians über das Lebensende d. Peregrinos. gr. 8. (111 S.) Berlin, Hertz. 3 M. 20 Pf. Bibliotibek) philosophiscliey od. Sammlung der Hauptwerke der Philosophie alter u. neuer Zeit. Unter Mitwirkung nam- hafter Gelehrten hrsg., beziehungsweise übers., erläutert u. m. Lebens- beschreibungen versehen von J. H. V. Kirchmann. gr. 8. Leipzig, Koschny. k 50 Pf. 268—274. Leibniz, Theodicee. 3.-9. Hft. (XV u. S. 129—533 m. 2 Tab.) — 275. 276. Erläuterungen zur Theodicee v. Leibniz.. Von J. H. v. Kirchmann. (162 S.) Bibliothek für Wissenschaft und Literatur. 1. Bd. 2. Thl. gr. 8. Berlin, Grieben. 7 M. Inhalt: [Philosoph. Abth. 1. Bd. 2. Thl.] Die Grundprobleme der Erkenntnissthätigkeit beleuchtet vom psychologischen und kritischen Gesichtspunkte. Als Einleitung in d. Studium der Naturwissenschaften. 2. Bd. Die Natur d. Intellects im Hinblick auf die Grundantinomie d. wissenschaftl. Denkens. Mit 6 in den Text gedr. Holzschn. u. e. illustr. Taf. Von Prof. Otto <3asparL (XXXII, 364 S.) cplt.: 12 M. Cohen, Dr. Herm., Flaton's Ideenlehre und die Mathematik, gr. 4. (31 S.) Marburg, Elwert*8 Verl. 1 M. 20 Pf. Bieterici, Prof. Dr. Fr«, Die Philosophie der Araber im X. Jahrh. n. Chr. 2. Thl. Mikrokosmus, gr. 8. (VIII, 204 S.) Leipzig, Hinrichs* Verl. 7 M. 60 Pf. (8 Thle. cplt.: 51 M. 40 Pf.) English Men of Xietters. Edited by John Morley: — Hume. By Professor Huxley. Cr. 8vo. 2 s. 6 d. Fischer, Dr. Wilh«, Bechts- und Staats-Fhilosophie. 8. (IV, 196 S.) Leipzig, Verlag f. moderne Sprachen u. Literatur. 4 M. Frege, Privatdoc. Dr. Glob«, BegrifPiisehrift, e. der arithmeti- schen nachgebildete Formelsprache d. reinen Denkens, gr. 8. (X, 88 S.) Halle, Nebert. 3 M. Guttmann, Landrabb. Dr. J., Die Beligionsphilosophie d. Abra- ham ibn Daud aus Toledo. Ein Beitrag zur Geschichte der jüd. Beligionsphilosophie u. der Philosophie der Araber. gr. 8. (Vin, 240 S.) Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht 4 M. Hagemann, Doc. Dr. Georg, Elemente der Philosophie. I. A. u. d. T.: Logik u. Noetik. Ein Leitfaden f. akadem. Vorlesgn., so- wie zum Selbstunterrichte. 4. Aufl. gr. 8. (XI, 206 S.) i^eiburg i. Br., Herder. 2 M. 25 Pf. Härtung, Ernst Bruno, Grundlinien e. Ethik* bei Giordano Bruno, besonders nach dessen Schrift.: Xio spaccio de la bestia trionfante. Eine Abhandig. gr. 8. (VI, 60 8.) Leipzig, 1878 (Kdssling). 50 Pf. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch- heit. Nach den besten Quellen rev. Ausg. Hrsg. u. m. Anmerkgn. begleitet v. Heinr. Düntzer. 4 Thle. gr. 16. (200, 182, 208 u. 101 S.) Berlin, Hempel. In 1 Bd. geb. 2 M. 50 Pf. 374 Bibliographische Mittheilungen. Jacobson, Dr. Moses, Versuch e. Psychologie d. Talmud. Inaaguralschrift. gr. 8. (107 S.) Hamburg 1S7S. 2 M. Jäger, Prof. Dr. Gnst«, Die Entdeckung der Seele. [Aus ,yEos- mos".] Lex.-8. (34 S.) Leipzig, 1878. E. Günther. 75 Pf. Janet^s (Paul) Final causes. Translated by William Affleck. Pre- face by Bobt. Hunt, D.D., LL.D. 8vo. 12 s. JoTons^ (W. Stanley) Elementary leseTons in Logic, Deductive and Inductive. 7th. Edition. Fcp. 4 s. 6 d. Kriegsmann, Qymn.-Lehr. Georg, Die Bechts- und Staatstheorie d. Benedict v. Spinoza. Inangural-Dissertation. gr. 4. (IH S.) Wandsbeck 1878. (Göttingen, Vandenhoeck & Bnprecht.) 80 Pf. Lange's (F. A.) History of Materialism, and Criticism of its Present Importance. 2nd Edit. (3 vols.) Vol. 1. Svo. lös. 6d. Lassen, A*. lieber Gegenstand und Behandlungsart der Beli- gionsphUosophie. [Ans: „Philos. Monatshefte".] gr. 8. (55 S.) Leipzig, Koschny. 1 M. 20 Pf. Last, E«, Mehr Ijicht ! Die Hauptsätze Kant's n. Schopenhaner^s in allgemein verständl. Darleg. 8. (V, 302 S.) Berlin, Grieben. 5 M. Lessing's philosophische Schriften. Hrsg. n. m. Anmerkgn. be- gleitet y. Chrn. Gross, gr. 16. (3S4 S.) Berlin, Hempel. geb. 2 M. 50 Pf. Liard (L.)* — La Science positive et la metaphysique. In-8. Ouvrage cour. par TAcad^mie des sciences mor. et pol. 7 fr. 50 cts. Lotze, Herrn«, System der Philosophie. 2. Thl. Metaphysik. Drei Bücher der Ontologie, Kosmologie u. Psychologie, gr. 8. (Vllf 604 S.) Leipzig, Hirzel. 9 M. Miehelis, Prof. Dr. Fr«, Ist die Annahme e. Baumes m. mehr als drei Dimensionen wissenschaftlich berechtigt? Eine an die Adresse des Hm. Prof. Dr. Zöllner zu Leipzig gerichtete Frage. gr. 8. (48 S.) Freiburg i. Br., Wagner. 1 M. Xathan, Jnl«, Kant's logische Ansichten und Xieistungen. In- angural-Diss. gr. 8. (134 S.) Jena 18,78 (Neaenhahn). 2 M. 70 Pf. Noaek, Prof. Dr. Lndw«, BOstorisch-biographisches Handwörter- buch zur Geschichte der Philosophie. 10—12. (Schluss-)Lfg. Lex.-8. (XX n. S. 721—936.) Leipzig, Koschny. k 1 M. 50 Pf. Petz, Frz. S., Philosophie der Beligion, oder Studien üb. Gott n. das Göttliche, m. steter Bücksicht auf die Lehren der grössten Philosophen aller Zeiten, gr. 8. (IV, 160 S.) Mainz, Kirchheim. 2 M. Pfleiderer, Prof. Dr. Edm«, Die Philosophie und das Leben. Akademische Antrittsrede, geh. zu Tübingen am 6. Juni 1878. gr. 8. (36 S.) Tübingen 1878, Fues. 70 Pf. SauT^ (Henry). — De l'Union substantielle de Päme et du Corps. B^pome au B. P. Bottala. In-8. Schuster, weil. Prof. Paul Bob«, Gibt es unbewusste u. vererbte Vorstellungen? Akademische Antrittsvorlesg.. geh. am 5. März 1877. Nach dem Tode d. Verf. m. seinem Bildniss (in Stahlst) und e. Vorrede hrsg. v. Prof. Frdr. Zöllner, gr. 8. (XLIL 83 S.) Leipzig, Staackmann. 3 M. Shields' (Dr. Chas. W«) The final Phüosophy of the System of perfectible knowledge &c« 8yo. 18 s. Bibliographische Mittheilungen. 375 Speneer's (Herbert) Edacation: Intellectaal, Moral, and Physical. Cheap Edition. Cr. 8to. 2 s. 6 d. Spir^ A«9 neber Idealismus und Pessimiamas. Zwei populäre Aufsätze, gr. S. (35 S.) Leipzig, Findel. 60 Ff. Steekelmachery Dr. Mor.y Die formale Xiogik Kant's in ihren Beziehungen zur transcendentalen. Eine von der philosoph. Facultät der Universität Breslau gekrönte Preisschrift, gr. 8. (V, 105 S.) Breslau, Eoebner. 2 M. 80 Ff. Taine (H.)* — De rintelligence. 3. Edition, aug. 2 volin-t2. 7 fr. ünlTersal-Bibliothek. gr. 16. Leipzig, Ph. Reclam jun. Inhalt: 851 — 855. Kritik der reinen Vernunft. Von Imman. Kant. Text der Ausg. 1781 m. Beifügung sämmtlicher Abweichgn. der Ausgabe 1787. Hrsg. v. Dr. Karl Kehrbach. 2. verb. Aufl. (XXVI, 703 S.) geb. 1 M. 50 Pf. Yerhandlungen der philosophischen Gesellschaft zu Berlin. 12. Hft. gr. 8. Leipzig, Koschny. ä 1 M. 20 Pf. Inhalt: Ueber Anschaulichkeit in den Sinnen und Anschaulichkeit im Denken. Vortrag, gehalten v. Privatdoc. Dr. J. H. Witte. (60 S.) Yoit, Prof. Dr. Carl t.^ Ueber die Entwicklung der Srkenntniss. Bede an die Studirenden beim Antritte d. Rektorates der Ludwig- Maximilians-Universität geh. am 2S. Novbr. 187$. gr. 8. (29 S.) München, Bieger. 1 M. Wirth, Mor., Herrn Prof. Zollner's Hypothese intelligenter vierdimensionaler Wesen u. seine Experimente mit dem amerikanischen Medium Herrn Slade. Ein Vortrag, geh. im akademisch-philosoph. Verein zu Leipzig. 2., durchgeseh. Aufl. gr. 8. (VT, 65 S.) Leipzig, Mutze. 1 M. Zeit- und Streit-Fragen, deutsche* Flugschriften zur Kennt- niss der Gegenwart. Hrsg. von Frz. v. Holtzendorff. 113. Heft. [8. Jahrg. 1. Hft] gr. 8. Berlin, Habel. 1 M. 40 Pf. In- halt: Ueber materialistische u. idealistische Weltanschauung. Von Dr. Max Schasler. (56 S.) Zeller, Dr. Ed«^ Die l^hüosophie der Griechen in ihrer ge- schichtlichen Entwicklung dargestellt. 2. Tbl. 2. Abth. Aristoteles u. die alten Peripatetiker. 3. Aufl. gr. 8. (X, 948 S.) Leipzig, Fues. 18 M. ZVekler, Prof. Dr. O.^ Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie u. Katurwissenschaft , mit bes. Bücksicht auf Schöpfungsgeschichte. 2. Abth. : Von Newton u. Leibniz bis zur Gegenwart, gr. 8. (XII, 835 S.) Gütersloh, Bertelsmann. 15 M. (cplt.: 27 M.) Entgegnnng. Es steht dem Herrn Professor Ulrici wahrhaftig sehr wohl an, dass er auf die Vertheidigung, zu welcher er mich durch seine gegen mich gerichteten ganz grundlosen und gehässigen Insinuationen undinvectiven genöthigt hat, mir in dem jüngsten Heft seiner Zeitschrift — und zwar 376 Entgegnung. Notizen. Bitte. Ton oben hemnter in einem Tone, als ob das Recht zweifSellos anf sei- ner Seite wäre — mit einem Fnsstritt antwortet Dass trotz der dabei ▼on ihm an den Tag gelegten hardiease alles Das , was ich seiner so betitelten Recension entgegenhalten mosste, wohl begründet, nnd damit die Unentschnldbarkeit seiner an mir verübten Rechtsverletzung con- Btatirt worden ist, davon kann derjenige sich überzeugen, der sich mit der Leetüre der beiderseitigen Aufsfttze unter Vergleichung mit meinem in Rede stehenden Buche befassen mag. Hiemach begreife ich es recht wohl, wenn Herr Ulrici keine Lust gehabt hat, auf das, was ich ihm vorhfklten musste, in eingehender sachlicher Weise zu repliciren. Dr. A« Steudel. Notizen. 1) Herr Dr. K* Kehrbaeh in Halle a. d. S. bittet alle Diejenigen, welche in der Lage sind, Auskunft über das Schicksal Herbart'scher Manuscripte zu ertheilen , ihm die bezüglichen Mittheilungen zukommen zu lassen (Adresse: Universitätsbibliothek). An die Redactionen betr. Zeitschriften ergeht das höfliche Ersuchen um Verbreitung dieser Notiz. 2) Herr Dr. W* Schlötel erklärt in einer neuen der Redaction zugesandten „Berichtigung'* : er habe nie daran gedacht, dasjenige, was er selbst 1870 eine „Lappalie*' nannte, 1878 durch Prioritätswahrung zu schützen, sondern nur dagegen protestiren wollen, dass eine Anfangs „vielleicht durch culposen Vertrauensmissbrauch*' gegen einen Studenten ergänzte und nicht vollständig abgeschlossene Leistung zu einem Ver- dienst gestempelt werde; hierdurch scheine ihm die wissenschaftl. Mo- ral degradirt zu werden; dass der irrthümlich zur Frioritätswahrung ge- wordene Protest unabhängig von Besprechung der Sigwart^schen Logik zur Sprache gekommen, sei ohne sein Zuthun geschehen. Bitte betreffend die „Selbstanzeigen**. Die Redaction richtet an die Herren Autoren, welche die Ver- öffentlichung einer „Selbstanzeige** wünschen, das dringende Ersuchen: die „Selbstanzeigen'* in dem Charakter halten zu wollen, welcher als der allein zweckentsprechende in dieser Zeitschrift, Heft I, S. 119 f. dieses Jahrg., ausführlicher dargelegt worden ist. Ebenso dringend wird die Bitte wiederholt: den Raum von Vs — Vs Druckseite nicht zu über- schreiten und, da den Herren Autoren Abzüge zur Revision nicht vor- gelegt werden können, sowohl die Titelangabe als den Text der „Selbst- anzeige" in deutlich lesbarer Handschrift einzusenden. Pierer*scho Hofbnelidniclrereu Stephan Geibel A Co. in Altenbarg. Zur zeitgenössischen Psychologie in Deutschland, mit besonderer Racksicht auf Riboty Th«: La Psychologie allemande contemporaine. Paris, Germer Bailliere et Cie. 1S79. Es ist ein charakteristisches Kennzeichen unserer unfertigen Zeit, dass man aller Orten auf philosophischem Gebiet das Be- dürfniss empfindet, sich aber das, was man besitzt, sowie über das, was man etwa Aussicht hat zu erreichen, näher zu orien- tiren. Weder in den Perioden^ die eine metaphysisch abge- schlossene Weltauffassung in die Ergebnisse der Einzelforschung hineinzuarbeiten haben, wie etwa das Zeitalter Wolffs war^ noch in denjenigen, die sich dem letzten Ziel einer solchen Weltauf- fassung nahe glauben, wie etwa das Zeitalter Hegels dies wähnte, wird jene Neigung sich regen. Belege für die Stärke derselben in der Gegenwart bieten zunächst die mannigfachen Abhand- lungen über Inhalt und Ziel der zeitgenössischen philosophischen Arbeiten in den einzelnen Ländern, die sich z. B. in den letz- ten Jahrgängen hervorragender französischer und englischer Fachzeitschriften finden. Andere Belege enthalten die weit zer- streuten kleinen Arbeiten^ die den Umkreis der philosophischen Probleme gegen die Aufgaben der anderen Wissenschaften ab- zugrenzen versuchen. Eben hierher gehören endlich auch die Abhandlungen und Schriften, die den gegenwärtigen Besitzstand einer einzelnen philosophischen Disciplin nach seinem inneren Zusammenhange darlegen wollen. Eine solche Arbeit ist die \)ben genannte Schrifl Ribots, dessen wertvolles Werk über die Erblichkeit uns vor wenigen Yierteljahrsschrift f. Wissenschaft. Philosophie. III. 4. 25 378 B* Erdmann: Jahren durch eine deutsche Uebersetzung näher zugänglich ge- macht worden ist. Das vorliegende Werk ist nicht das erste dieser Art, das wir Ribot verdanken. Er hat sich bekanntlich durch eine frühere, 1875 in zweiter Auflage erschienene Arbeit aber die englische Psychologie der Gegenwart das Verdienst erworben, seinen Landsleuten die wesentlichen Methoden und Ergebnisse der Associationspsychologie klar und eindringlich vorzufuhren. Dieselbe hat, wie jeder Jahrgang der von Ribot herausgegebenen, den Lesern dieser Zeitschrift wolbekannten Revue philosophique zeigt, den erfreulichen Erfolg errungen, dass jene Methoden und Resultate seitdem ein kräftiges Fer- ment in der Entwicklung der wissenschafllichen Psychologie Frankreichs geworden sind. Das Werk bat seine Wirkung sogar auch auf Deutschland erstreckt. Schon Stumpf, Wundt und Brentano^ die ersten^ die bei uns näher auf die herrschenden psychologischen Theorien in England eingingen, mögen Ribot manche Anregung zu danken haben. Sicher ist, dass der Zu- wachs an Einfluss, der den .letzteren seitdem bei uns zu Teil geworden ist, in mehr als einem Fall auf ihn zurückgeführt werden muss. Sofern der Erfolg der vorliegenden Arbeit Ribots in Frank- reich lediglich durch die klaren, wissenschaftlich durchaus unbe- fangenen und gründlichen Darlegungen derselben bedingt sein wird, wird sie in dem gleichen Masse dazu führen, der deut- schen Psychologie, die bisher daselbst nur in geringem Masse und nur in vereinzelten Fällen zur Wirksamkeit gekommen ist, Eingang zu verschaffen. Sie wird überdies wol auch den Erfolg haben, die Ergebnisse unserer psychologischen Forschung mehr noch als bisher der Fall gewesen ist in England einzubürgern. Wir haben • in diesem Falle Ribot jedoch nicht bloss für die Wirksamkeit zu danken, die er den Resultaten unserer wissenschaftlichen Arbeit eröffnet; wir müssen auch zugleich erfreut und beschämt sein, über seine wertvolle Zusammen- fassung dessen, was bei uns auf psychologischem Gebiete innerhalb der letzten Jahrzehnte Brauchbares zu Tage ge- fördert ist. ' Zur zeitgenössischen Psychologie in Deutschland. 379 Der Plan des Buches ist allerdings nicht auf unsere ganze zeitgenössische psychologische Bewegung gerichtet. Es behan- delt nur diejenigen Autoren, die sich in die „ecole experimen» lale" zusammenfassen lassen; die Vertreter der „ecole spiri- tuaiiste^^ schliesst es aus. Der Grund dieser Ausschliessung wird klar aus der Bestimmung des Verhältnisses beider Richtungen, die Ribot in der einleitenden sowie in der Schlussbetrachtung giebt. Der „alten Psychologie", wie der Verfasser sie auch nennt, oder der metaphysischen Psychologie, wie wir sie viel- leicht am treffendsten bezeichnen können, gehören demnach diejenigen an, welche die Psychologie ihrem Inhalte nach auf der Metaphysik basiren und ihrer Methode nach ausschliesslich auf innere Beobachtung stützen, den Ergebnissen der mechanisch- biologischen Disciplinen daher sie entweder ganz verschliessen oder nur obenhin öffnen. Bei ihnen erscheint die Wissenschaft deshalb in jedem einzelnen Fall äusserUch systematisch abge- schlossen ; innerlich dagegen ist sie ein unfertiges Gemisch von Talsachen, Analysen und heterogenen metaphysischen Hypo- thesen (III, XIII f., XVI f., 350). Die „neue" oder experi- mentelle Psychologie dagegen kennzeichnet sich vor allem durch ihre Loslösung der psychologischen Probleme von der Herr- schaft der Metaphysik. Es ist allerdings, wie Ribot andeutet, für jede Psychologie, selbst für die experimentelle unerlässlich, von einer metaphysischen Hypothese (über das Verhältniss der psychischen zu den mechanischen Vorgängen) auszugehen, jedoch sie verträgt nicht mehr jene ausschliessliche und specielle Basi- rung, die z. B. den Ausgang von einer substantiellen Seele not- wendig gemacht hat. Sie hat ihr Ziel vielmehr auf das Studium der psychischen Phänomene zu beschränken geieitit; kurz, sie ist eine „Psychologie ohne Seele" geworden. Ihr Gegenstand wird somit durch die Nervenprocesse gegeben, sofern sie von Bewusstsein begleitet werden können. Man kann also formuliren : der Nervenprocess als mechanischer Vorgang büdet eins der Objecte der Physiologie ; ebenderselbe als mechanischer und psychischer Vorgang bildet das Object der Psychologie. Daraus aber folgt weiter, dass für ihre Arbeit die Ergebnisse der biologischen 25* 380 B. Erdmanu: Disciplinen die Hilfsmittel bieten, deren sie an keinem Punkte entraten darf. Eine allgemeine metaphysische Hypothese bleibt hiernach bestehen, — es ist für Ribot die absolutistische Annahme eines durchgängigen ParaUelismus der mechanischen und psy- chischen Vorgänge — ; ihre Stellung jedoch zum Aufbau der Psychologie ist eine wesentlich andere geworden. Bildet sie dort die Annahme, welche die Entwicklung der einzelnen Theo- reme beherrscht, so wird sie hier zu einer möglichen letzten Ansicht, welche die Bearbeitung der besonderen Tatsachen nicht tangiren soll, und nur soweit als berechtigt anerkannt wird, als sie durch die speciellen Ergebnisse getragen werden kann. Hieraus ergiebt sich denn auch, dass der Ausschluss jener metaphysischen Psychologie kein vollständiger ist. Er trifft nur diejenigen, deren Lehren von den eben angeführten Gesichts- punkten so wenig beeinflusst sind, dass die exacte Psychologie keine Früchte von ihnen gewonnen hat Ribot rechnet hierher deshalb nur die Arbeiten der sogenannten positiven Philosophen, der Gruppe Fichte-Ulrici und ihrer Geistesverwandten, Herbart dagegen und seine Schule sowie Lotze werden eingehend ge- würdigt Der erstere beansprucht eine solche Darstellung schon durch seine Kritik der Yermögenstheorien , obgleich dieselbe durch seine Folgerungen aus der metaphysischen Bestimmung des Wesens der Seele in das entgegengesetzte Extrem hinein- getrieben ist Er darf sie aber auch fordern auf Grund seiner allgemeinen Auffassung und Verwertung der Methode psycho- logischer Analyse, wennschon dieselbe sowol durch die un- verhältnissmässige Betonung der mathematischen Bestimmung gegenüber der experimentellen Bewährung, als auch durch die unzulässige Fundirung seiner Statik und Mechanik der Vor- stellungen getrübt ist Lotze andrerseits hat, wie Ribot haupt- sächlich an ihm betont, durch seine Theorie der Localzeichen einen der nachhaltigsten Anstösse zur Ausbildung der empi- ristischen Raumtheorie gegeben. Beider Lehren bilden daher den Uebergang in die exacte Psychologie der Gegenwart — Dass Ribot in seinen Angaben über die letztere die charak- teristischen Züge clerselben getroffen habe, werden die Leser _i Zur zeitgenössischen Psychologie in Deutscliland. 381 dieser Zeitschrift ihm mit dem Referenten bereitwillig zu- gestehen. Wir werden mit dem Autor sogar behaupten dürfen, dass diese Merkmale den neueren Forschungen den Stempel einer neuen Periode aufgedrückt haben, obgleich jedes derselben, sowol die Beschränkung auf den gesetzlichen Zusammenhang der psychischen Vorgänge als auch die principielle Verwertung der physiologischen Ergebnisse zur Zeil bei uns von hervor- ragenden Seiten noch umstritten ist. Denn die Resultate , die in der kurzen Zeit der letzten Jahrzehnte auf diesem Wege tatsächlich erreicht sind, sprechen zu eindringlich, als dass es den Einwürfen, die z. B. neuerdings wieder von Lotze gegen den ersten, und kürzhch auch von Brentano gegen den zweiten Punkt erhoben sind, gelingen könnte, sich ernstlich Gehör zu verschaffen. Es wird jedoch nicht überflüssig sein, dies gegenüber so gewichtigen Urteilen noch etwas näher zu begründen. Lotze erinnert in seiner neu erschienenen Metaphysik zunächst daran, dass die Psychologie so wenig jedenfalls wie die physikalische Forschung Hypothesen entbehren könne, „zu deren Entscheidung künftige Erfahrung vielleicht immer noch viel, aber gewiss nicht alles wird beitragen können''; und es wird gegenwärtig selbst unter den vorsichtigsten Naturforschern sich niemand mehr finden, der ihm dies bestritte. Selbst das Weitere werden wir ihm bereitwillig zugeben, und Ribot tut es wie angedeutet mit uns, dass es unumgänglich für die Psy- chologie bleibe, über die Verbindung psychischer und mecha- nischer Vorgänge eine Hypothese zu Grunde zu legen, dass wir ferner die Auswahl der möglichen Annahmen wiederum „durch Rückgang auf die allgemeinsten Vorstellungen" be- stimmen werden, „die uns über alles Sein und Wirken not- wendig sind''. Der Streit beginnt erst, wenn es sich um die Auslegung dieses Verfahrens im einzelnen handelt. Lotze be- nutzt dasselbe bekanntlich, um aus der Tatsache der Einheit des Selbstbewusstseins die Existenz einer für sich seienden einheitlichen Seelensubstanz zu eruiren, der die psychischen Functionen des Gedächtnisses, des Vorstellungsveriaufs u. s. w. 382 B. Erdmann: als Aeusserungen ihrer eigenen Natur beigelegt werden. Da- durch aber gerät er, so weit ich sehe, auf einen Weg, der von der Art der Benutzung der Hypothesen auf naturwissenschaft* liebem Gebiet weit abliegt, der überdies durch die eigenartige Beschaffenheit der psychischen Vorgänge keineswegs gefordert ist. Die Physiker verfahren gegenwärtig zwar ähnUch mit dem Gesetz von der Erhaltung der Kraft; aber es geschieht dies doch erst, seitdem auf empirischem Wege gefunden ist, dass dasselbe für jedes Gebiet der bekannten Molecularvorgänge gilt. Lotze dagegen hat es auch in seinen neuesten hierher gehörigen Auseinandersetzungen durchaus verschmäht, seine Annahme einer substantiellen, für sich seienden Seeleneinheit den schwer- wiegenden Bedenken gegenüber zu rechtfertigen, die ihr aus den neueren Theorien der Functionen des Gehirns erwachsen. Und doch ist eine solche Erörterung durch seine früheren Aus- lassungen über die Wertlosigkeit differenzirter Centralorgane für die einzelnen Formen der psychischen Vorgänge gewiss nicht überflüssfg gemacht. Ich brauche kaum daran zu erinnern^ dass die Ergebnisse der Untersuchungen z. B. von Nothnagel, Hitzig, Ferrier, Goltz u. a. trotz manches Widerspruchs der- selben unter einander und trotz mancher gerechten Einwürfe, die sie alle erfahren haben, trotz ihrer Unbestimmtheit endlich im einzelnen doch mehrfache Resultate aufzeigen können, welche genügen, der Theorie der Seelensubstanz unüberwind- liche Schwierigkeiten zu bereiten. Dahin rechne ich die GUe- derung der Grosshirnhemisphären in eine motorische und eine sensorische Region, sowie die Gliederung dieser selbst in spe- zielle Centren für die Contraction besonderer Muskelgruppen und für die Empfindungen der einzelnen Sinne. Eben liierher gehört auch vor allen der bekannte Nachweis Brocas, dass „die Unversehrtheit der dritten linken Stirnwindung, und vielleicht der zweiten, unerlässlich für die Ausbildung des arücuhrten Sprach Vermögens^ sei, den Kussmaul durch seine eingehende und scharfsinnige Discussion der mannigfach zerstreuten, be- zügüchen Daten noch um vieles gekräftigt und näher bestimmt hat. Mag man diese und die ähnlichen Resultate der Gehirn-^ Zur zeitgenössischeD Psychologie in Deutschland. 383 forschung so skeptisch interpretiren als man wolle: wie sie ohne die künstlichsten Hilfshypothesen in die Lehre einer ein- heitlichen, substantiellen Seele eingefugt werden sollen, vermag ich nicht einzusehen. Denn alle jene Behauptungen einer bloss mitbedingenden Wirksamkeit der mechanischen Vorgänge in diesen Centren sind solche Hilfshypothesen, die in dem Masse complicirter werden müssen, als die Psychologie des Gehirns auf dem Jetzt eingeschlagenen Wege fortschreitet. Es ist also gewiss eine dem naturwissenschaftlichen Gebrauch der Hypo- thesen wenig analoge Art trotz all solcher Tatsachen schlecht- weg auf dem Beweis der Seelensubstanz aus der Tatsache der Einheit des Selbstbewusstseins, der ganz und gar speculativ ist, zu beharren. Aber wir dürfen noch mehr behaupten: Die Hypothese einer substantiellen Seele entspricht schon an sich nicht den Anforderungen, die wir an eine naturwissenschaftliche Hypothese zu stellen mit Recht uns gewohnt haben. Ich sehe nicht, dass sie mehr leistet^ als jede Hypostasirung angeborener Vermögen für verwickelte psychische Vorgänge, als etwa die Annahme einer angeborenen Nötigung zur Ausbildung der Raumvorstellung als solcher (nach Inhalt und Form im Sinne der Helmholtzischen Unterscheidung), oder der Localisation der Empfindungen in dem Raum. Es ist der Verzicht auf jede Erklärung hier wie dort; denn begreiflicher wird uns die Tatsache der Einheit des Selbstbewusstseins dadurch nur in dem Sinne, dass wir eine Substanz für dieselbe hypostasiren , das Problem also nicht lösen, ja selbst nicht klären, sondern zurückschieben. Dass wir auf solche Hypothesen zuletzt immer angewiesen sind, ist zweifellos; aber eine einfache Tatsache, wie z. B. die ein- fachen Gefühle u. a. uns solche liefern, ist die Einheit des Selbstbewusstseins doch gewiss nicht. Ich brauche hier kein Missversländniss zu befürchten; denn ich bestreite gar nicht, dass die Setzung einer solchen Seele an Folgen sehr reich sein kann. Ist sie doch der Grundstein jedes Spiritualismus. An Leistungen aber für die Erklärung des Selbstbewusstseins 384 B. £rdmann: Steht sie trotzdem hinter den ähnlichen Annahmen angeborener. Vermögen um nichts zurück. Ein Umstand allerdings kommt Lotze zu gute. Keiner der mannigfach verschiedenen entgegenstehenden Ansichten, müssen wir zugeben, ist es bis jetzt gelungen, jene Einheit von der Annahme aus erklärlich zu machen, dass die psychischen Vor- gänge örtlich bestimmt sind, d. h. einer an bestimmte Centren verteilten Molecularbewegung parallel laufen. Daraus folgt jedoch gerade im Sinne der von Lotze angezogenen natur- wissenschaftlichen Hypothesenbildung nur, dass jene Tatsache bisher auf dem Wege nicht erklärlich geworden ist, der eine grosse Zahl minder complicirter Vorgänge der Erklärung um vieles näher geführt hat. Vi^ir dürfen überdies aber um so sicherer hoffen, dass eine solche Ableitung sich noch finden lassen werde, als das Theorem einer Seelensubstanz durch jeden Schritt, der in den letzten Jahrzehnten durch die Gehirnforschung vorwärts getan ist, an Boden verloren hat. Ebenso wenig aber, als hiernach ein so competenter Sach- walter wie Lotze der Psychologie ohne Seele ihr Recht streitig machen kann, möchte es Brentano gelungen sein oder ge- lingen können, den Schluss gegen die physiologische Basirung der Psychologie glaubhaft zu machen, den er aus seiner umsichtigen und eindringenden Kritik mancher Irrtümer von Horwicz und Maudsley zieht. Brentano erkennt bekanntlich nicht nur an, was schon Mill behauptet hat, dass es ein sehr grosser Irrtum im Prinzip und ein sehr ernstlicher Irrtum in der Praxis sei, die Psychologie auf Daten zu gründen, wie sie die Physiologie bis jetzt darbietet; er behauptet sogar überdies, dass selbst die Beimischung der physiologischen Unter- suchung zur psychologischen in bedeutendem Umfange wenig rätlich erscheine, da es bis zur Stunde nur wenige gesicherte Daten der Physiologie gebe , die auf die psychischen Vorgänge Licht werfen könnten. Dieses Urteil ist leider, wol der Natur der Sache nach, etwas unbestimmt, so dass wir das Ausbleiben des zweiten Bandes des Brentanoschen Werkes bedauern möch- ten, in dem uns jedenfalls an der Behandlung speziellerer Probleme Zur zeitgenössischen Psychologie in Deutschland. §§5 gezeigt werden würde, wie der Verfasser die Bewährung des- selben im einzelnen zutreffend gefunden hat. Jedoch die Be- hauptung ist immerhin bestimmt genug, um vorläuOg den ent- schiedensten Widerspruch herauszufordern. Ich muss mich fast scheuen, zunächst daran zu erinnern, dass eine psychologische Theorie der Wahrnehmung gegen- wärtig geradezu ausser Stande sein würde, nicht auf Schritt und Tritt physiologische Data zu verwerten, selbst wenn sie sich jedes Versuchs enthält, entwicklungsgeschichtliche Gesichts- punkte in ihre Discussion hinein zu ziehen. Es liegt jedoch überdies kein Grund mehr vor, sich eine solche Entsagung gegenwärtig noch aufzuerlegen. Einige kurze Andeutungen mögen dies erhärten. Obgleich die Ergebnisse der vergleichend sinnesphysiologischen Forschung besonders nach Seiten ihrer psychologischen Interpretation noch sehr unsicher sind, so lässt sich aus ihrer Gesammtheit doch wol mit grosser Wahrschein- lichkeit, jedenfalls aber als eine disculirbare Hypothese die An- sicht schliessen, die bereits mehrfach erörtert ist, dass unsere speciellen Sinnesempfindungen als differenzirte Tastempfindungen anzusehen sind. Genauer werden wir anzunehmen haben, dass in denjenigen Organismen, die nur über das ganze Inlegument verbreitete Tastorgane besitzen, Tast- und Wärmempfindungen allein (in entsprechender qualitativer und quantitativer Unbe- stimmtheit natürlich) vorhanden sind. Aus der Art der Ent- wicklung der Endorgane, sowie aus Reflexionen über die psy- chische Selbständigkeit der Wärmeempfindungen dürfen wir dann weiter schliessen, dass die Gehörs-, Geschmacks- und Geruchsempfindungen sich aus denen des Tastsinns im engeren Sinne, die Lichtempfindungen dagegen aus denen der (strah- lenden) Wärme entwickelt haben. Für den allmählichen Ueber- gang der Tastorgane in Gehörorgane haben wir in einem Falle sogar ein sicher constatirtes Beispiel. Ist dies aber auch nur dem allgemeinen Gedanken nach zutreffend, so scheint mir, müssen wir noch einen Schritt weiter gehen. Einmal nämlich sind wir doch gezwungen, wollen wir nicht eine psychische Kluft statuiren, wo organisch-mechanische Uehergänge vorhanden 386 B. Erdmann: sind, auch denjenigen thierischen Organismen psychisches Leben zuzuschreiben, die noch kein differenzirtes Muskel- und Nerven- gewebe besitzen. Andrerseits aber haben wir kein Recht, den- selben Empfindungen und damit Vorgänge des Intellects zu- zuerkennen. Das psychische Leben dieser niedersten Organismen muss daher auf die Vorgänge des Fühlens und der Bewegungs- innervationen beschränkt sein. Dieses Erfcebniss aber besagt, dass alle unsere Empfindungen ihrer Qualität nach nichts als differenzirte Gefühle sind, differenzirt, sofern sie bestimmten Reizen angepasst und dadurch zu Zeichen für diese Reize ge- worden sind ^). Für dasselbe spricht unter anderem, dass die- jenigen Endorgane zuerst auftreten, die den gröbsten, häufigsten und daher die Erhaltung des Organismus am leichtesten ge- fährdenden Reizen entsprechen; dann auch, dass der Gefühls- inhalt der Empfindungen in dem Masse abnimmt, als sie ihrer neuen Aufgabe, Zeichen für die Beschaiffenheit der Reize zu sein, durch Feinheit der Unterscheidung und Schärfe der Localisation sich gewachsen zeigen. Die Gehörsempfindungen ') Es ist wol kaum notwendig, dass ich ausdrücklich erwähne, wie weit diese Theorie sich von der Annahme Horwicz^ unterscheidet, der alle seelischen Processe auf die Gefühle der Lust und Unlust als die letzten, einfachsten, in allen Formen und Pro- cessen als Grund typuswiederkehrendenSeelen demente zurückzuführen sucht. Denn es handelt sich einmal nicht um alle psychischen Vorgänge, sondern lediglich um die Qualität der Em- pfindungen. Sodann ist nicht behauptet, dass die Gefühle in dem tatsächlichen Bestände unseres psychischen Lebens diejenige Bolle spielen, die Horwicz ihnen nach dem Angedeuteten zuweist. Materiell genommen ist allerdings die oben vertretene Ansicht in den Theo- remen von Horwicz enthalten. Dieselbe macht die Gefühlsvorgänge überdies zu einem spezifischeren Rennzeichen des Psychischen, als aus dem oben Entwickelten hervorgeht. Denn die auch von Bren- tano eingehend motivirte Annahme, dass die Willensvorgänge als solche nicht durch ein dem Fühlen oder Vorstellen coordinirtes Be- standstück des Bewusstseins gegeben sind, dass ihr Bewusstseins- gehalt somit nur durch die Innervationsgetühle u. s. w. repräsentirt wird, scheint mir aliein den psychischen Tatsachen gerecht zu werden. Zur zeitgenössichen Psychologie in Deutschland. 387 bilden hier nur eine scheinbare Ausnahme. Einmal sind sie künstlich gezüchtet; dann ist die Feinheit ihrer Localisation dem Reichtum ihrer qualitativen Differenzen nicht proportional. Nur liinweisen endlich will ich noch auf die Umbildung, die von hier aus dem Gesetz der spezifischen Sinnesenergien zu Teil werden rauss, eine Umbildung übrigens, die den Gedanken J. Müllers nicht aufhebt, sondern nur neben der unmittelbaren Beziehung auf den psychophysischen Vorgang noch eine mittel- bare, allerdings ursprünglichere, den psychophysischen Vorgang selbst bestimmende Beziehung auf den Reiz hinzufügt. Es würde hier zu weit führen, diese Gesichtspunkte ins einzelne zu verfolgen; sie genügen jedoch für sich, wie ich glaube, um zu zeigen, dass die Theorie der Wahrnehmung nicht bloss das Recht, sondern auch die Pflicht hat, sich sogar über die Fragen nach dem tatsächlichen Bestand unserer Wahr- nehmung hinaus bei jedem Schritt auf die Ergebnisse der mechanisch biologischen Disciplinen zu stützen. Ganz Ent- sprechendes gilt ferner vom Gedächtnjss. Es genügt für das- selbe, auf die Untersuchungen z. B. von Bain, Hering, Ribot, Kussmaul, Hensen u. a. hinzuweisen. Dieselben sind sich, darin gleich und treffen darin das Rechte, dass sie das Gedächtniss als einen Process kennzeichnen, der den mechanischen Vor- gängen im Nervensystem überhaupt, so anhaftet, dass er aJs eine allgemeine Function derselben angesehen werden kann. Das mechanische Aequivalent, wenn man so sagen darf, der psychischen Tatsache bilden nämlich teils die Gleichartigkeit der Reize und der ihnen entsprechenden MolecuJarvorgänge , teils die Tatsachen der Trägheit und der Einübung durch Gewohn- heit. Eine Function der Nervenprocesse aber ist es natürlich nur in dem Sinne der Unbestimmtheit der unabhängigen Variabein, in dem wir von empirisch -psychologischem Stand- punkt aus bis jetzt allein functionelle Beziehungen zwischen Psychischem und Mechanischem annehmen dürfen. Damit aber sind endlich Data genug gewonnen, um die physiologischen Theorien auch für die Discussion des Asso- ciationsprocesses verwertbar zu machen, den wir gelernt haben 388 B. Erdmann: auf die Gesetze der Verschmelzung und Verflechtuhg, der Re- produciion und Association im engeren Sinne und damit der ApperceptionsYoi^änge zurückzufuhren. Selbst an mechanischen Aequivalenten fehlt es hier nicht mehr ganz, da uns einerseits die Theorie des Gedächtnisses, andererseits die Theorien der Localisatiott der psychischen Functionen im Gehirn Hilfsmittel genug geben, wenigstens allgemeine Vorstellungen über die ent- sprechenden Molecularvorgänge zu bilden. Die Annahme aller- dings muss bei alF solchen Versuchen festgehalten werden, dass es abgeschmackt ist, die psychischen Processe schlechtweg nach Analogie der parallellaufenden mechanischen, etwa der elektri- schen oder chemischen zu erklären. Nur auf einen Punkt möchte ich aufmerksam machen. Das Gesetz der Causalität ist ein rein intellectuelles ; es kommt daher nicht dem psychischen Leben als solchem zu, sondern nur denjenigen Entwicklungs- stufen desselben, in denen Gefühle zu Empfindungen diffe- renzirt sind. Nun ist dasselbe in* ursprünglichstem und all- gemeinstem Sinne das Gesjetz der Localisation der Empfindungen. Sofern wir nämlich unsere Empfindungen als Eigenschaf- ten der Dinge objecüviren, setzen wir sie als Ursachen eben dieser Empfindungen als Vorstellungen. V^ir yerlegen den Ausgangspunkt der Wirkung an denjenigen Ort des Raums, auf den wir die Empfindung projiciren. Die empirischen Be- dingungen der Difi'erenzirung der Gefühle zu Empfindungen^ die als subjective zugleich apriorisch sind, d. i. von den eigen- artigen Gesetzen des Psychischen abhängen, sind zugleich und in entsprechendem Sinne die empirischen Bedingungen der Ent- wicklung des Causalgesetzes, und damit auch des Substanzbegrifis. Somit giebt es in der Tat, was gegen Brentano zu erweisen war, kein allgemeineres psychologisches Problem , das gegen- wärtig noch die Hilfe der biologischen Disciplinen entbehren könnte, ohne seine Lösung zu gefährden. Dadurch aber haben wir uns das Recht gesichert, der Charakteristik Ribots auch in diesem Punkte zuzustimmen« Nicht ebenso können wir allen den Argumenten bei- pflichten, durch die Ribot seine Auffassung des Verhältnisses Zar zeitgenössischen Psychologie in Deutschland. 389 der Psychologie zur Physiologie motivirt. Es ist zwar eine nicht selten gehrauchte Wendung, dass der Uebergang der an- organischen zu den organischen Vorgängen nicht weniger un- erklärlich sei, als der Uebergang der mechanischen Lebens- Vorgänge zu denen des Bewusstseins, dass also die Schwierigkeit in beiden die gleiche sei. Das Argument hat jedoch durch die mehrfache Variation, die ihm zu Teil geworden ist, an Beweis- kraft nichts gewonnen. Denn dort handelt es sich um die Transformation von Bewegungsvorgängen , deren allgemeine Gesetze in beiden Gliedern die gleichen sind^ hier dagegen um den Uebergang von Bewegungsvorgängen in solche, deren Zu- sammenhang nach seinem psychischen Bestände jeden Vergleich mit den ersteren ausschliesst Mir scheint sogar, Ribot müsse diese Doppelheit des Mittelbegrilfs selbst zugeben; denn der Gedanke, dass Psychisches und Mechanisches nur die beiden Erscheinungsseiten des Wirklichen sind, dem er im metaphy- sischen Gedankenhintergrunde zustimmt, ist nur unter dieser Voraussetzung berechtigt Ebenso zutreffend endlich, wie die bisher erörterte Charak- teristik der modernen, ist Ribots Analyse der metaphysischen Psychologie. Und gewiss kann ihm kein Vorwurf daraus ent- springen, dass er ähnlich wie in seinem Werk über die eng- lische Psychologie die Arbeiten der zeitgenössischen Vertreter derselben, die für die neue Bewegung keine Triebkräfte ge- liefert haben, von seiner Betrachtung ausschliesst. Denn er betont selbst, dass es ihm nicht um eine historische Darstellung des gegenwärtigen Zustandes der deutschen Psychologie zu tun ist, die eine solche Rücksichtnahme nicht wol entbehren könnte, sondern um eine sachliche Darstellung derjenigen Forschungen, denen er eine grössere Wirksamkeit in seinem Vaterlande wünscht. In dem Bisherigen sind nur die Kennzeichen besprochen, die nach Ribot die exacte Psychologie unserer Zeit überhaupt bestimmen. Der Verfasser erörtert ferner den Unterschied, der die psychologische Arbeit in England von der unsrigen scheidet. Die erstere, die in continuirlicher Tradition durch 390 B. Erdxnann: James Mill, Hartley, Hume und Berkeley bis auf Locke zurück geht, lässt sich, wie Ribot findet, im weitesten und besten Sinne als eine descriptive bezeichnen, da sie es vor allem zu ihrer Aufgabe gemacht hat, die psychischen Phänomene zu analysiren und nach ihren allgemeinsten Gattungsbegriffen zu ordnen. In Folge dessen gehen denn auch die allgemeinen Resultate bei den beiden Hills, bei Spencer, Bain, Lewes, Bai- ley u. a. nur wenig auseinander: das Associationsgesetz nach Contiguität und Aehnlichkeit bildet für sie alle das wesentliche Instrument der Bearbeitung der psychologischen Begriffe (XVIII, XXX, 358 f.; vgl. Psych, angl. contemp. 40 f., 422 f.). Der deutschen Psychologie dagegen fehlt zunächst die Uebereinstimmung in den grundlegenden Fragen, denn sie be- sitzt weder eine continuirliche Tradition noch geschlossene Schulen; alles Hierhergehörige ist neu. (XXX f.) Diese neuen Untersuchungen enthalten ferner nur zum kleinsten Teil de- scriptive Analysen; sie sind vielmehr, wie Ribot hervorhebt, im eigentlichsten Sinne physiologischen Charakters, sofern ihre Urheber, zum grossen Teil Physiologen von Fach, von denen bestimmte einzelne Gebiete bearbeitet worden sind, das physiologische Experiment zuerst in der Psychologie heimisch gemacht haben. Ihr Gebiet ist daher nach Ribots Urteil ein beschränkteres geblieben. Nur die beiden Endprocesse, die Sensation und der Bewegungsact , sind eingehender discutirt, im einzelnen also „die Reflexbewegungen und die Instincte, die sinnlichen Empfindungen und die Vorstellungen von Raum und Zeit, die Bewegungen überhaupt, die Ausdrucksbewegungen und die Sprache, die Bedingungen des Willens und der Aufmerk- samkeit, endlich die einfacheren Formen des Gefühls". Ver- nachlässigt dagegen findet Ribot die centralen Acte, d. i. wie wir sagen wurden den Apperceptionsprocess. Ihre hauptsäch- lichen Ergebnisse liegen daher seiner Darstellung nach in der experimentellen Ergründung der scheinbar einfachsten Bewusst- seinstatsachen , in den Messungen des Verhältnisses zwischen Reiz und Empfindung sowie der Dauer der psychischen Acte, Zur zeitgenössischen Psychologie in Deutschland. 391 in der Entwicklung endlich der Localisationstheorie der sinn- lichen Wahrnehmung. Der Vergleich, der hiernach zwischen den beiden Richtungen der modernen Psychologie , der physiologischen im engeren Sinne und der descriptiven möglich ist, fällt, wie Ribot an- erkennt, im ganzen zu Gunsten der deutschen Wissenschaft aus. Denn dieselbe zeigt bei dem gleichen Ziel eine stärkere Tendenz zur Exactheit, wie dies sich auch äusserlich daran erkennen lässt, dass sie sich mehr in der Form der Erörterung einzelner und einzelnster Fragen entwickelt Ribot betrachtet es daher als einen Vorzug der Sache, dass er in dem vor- liegenden Werk nicht wie bei seiner Analyse der enghschen Psychologie gezwungen war, die Darstellung lediglich der zeit- lichen Aufeinanderfolge und der dadurch gegebenen causalen Abhängigkeit der einzelnen psychologischen Autoren anzupassen, sondern diese Ordnung durch eine solche nach systematischen Gesichtspunkten durchbrechen konnte. Historisch geordnet sind die Abschnitte über Herbart (1 — 35), die her bar- tische Schule, speziell Waitz, Lazarus und Steinthal (35-59), Beneke (59—67), Lotze (67—103), Fechner und seine Kriüker (155-215) und Wundt (215—299), dem das umfangreichste Capitel gewidmet ist« Zwischen Lotze und Fechner aber ist eingeschoben der Streit des Empirismus und des Nativismus über den Ursprung der Raum Vor- stellung und der räumlichen Locahsation (103 — 155); nach Wundt fernei* werden die Untersuchungen über die Dauer der psychischen Acte behandelt (299 — 339); den Schluss end- Uch bildet, abgesehen von einer kurzen Zusammenfassung der hauptsächUchen Resultate, eine systematisch angelegte Skizzirung der Arbeiten von Brentano und Horwicz (339—365). Auch mit diesen Ausführungen Ribots über das Verhältniss der neueren psychologischen Richtungen dürfen wir uns im ganzen einverstanden erklären. Die Kennzeichnung der deutschen Psychologie als einer im engeren Sinne physiologischen trifft in der That den Schwerpunkt unserer zeitläufigen Arbeit Trotzdem jedoch möchte diese Charakteristik für das 392 B. Erdmann: Ganze unserer zeitgenössischen Psychologie nicht so zutreiTend sein, als es nach Ribots Darstellung der Fall sein müsste. Zum Teil hat der Verfasser dies selbst erkannt und durch nähere Bestimmung berichtigt. Bei der Besprechung nämlich der ein- ander fast diametral entgegengesetzten Methoden von Horwicz und Brentano trennt er unsere physiologische Psychologie wieder in zwei spezieller bedingte Richtungen, in die ideologische und die physiologische in eigentlichstem Sinne. Die erstere aber, in die ausser Brentano etwa noch Herbart und seine Schule sowie Beneke und Lotze hineingehören, tritt offenbar aus dem Rahmen der Zeichnung heraus, selbst wenn man hiuzu- nimmt, dass die Genannten ausser Brentano der metaphysischen Psychologie beizurechnen sind. Dazu kommt, dass Ribot nach zwei Seiten hin das Gewicht der rein psychologischen Arbeiten etwas unterschätzt haben möchte. Einmal nämlich besitzen wir eine nicht ganz geringe moderne Literatur zur Theorie der Aifecte u. s. w., die ihre erste ursprünglichere Wurzel in Schopenhauers bezüglichen An- sichten, eine spätere schwächere sodann in Darwins Lehre hat. Hierher gehört z. B. Dubocs Psychologie der Liebe, eine Schrift, die ein wertvolles Beispiel einer klaren psychologischen Analyse giebt. Ebendahin möchte ich die Arbeit von Paul Ree über den Ursprung der moralischen Empfindungen rechnen, der, man mag über die Berechtigung seiner Auffassung der ethischen Wertschätzung denken, wie man will, die Anerkennung einer sehr scharfsinnigen, psychologisch fein entwickelten Analyse der tatsächlichen Motive unseres Handelns nicht versagt werden kann. Es sind spezielle, von der allgemeinen Arbeit der Psy- chologen nur gelegentlich in Angriff genommene Schachte, die hier ausgegraben werden, und die Antriebe zu ihrer Bearbeitung liegen durchaus, polemisch oder zustimmend, auf ethischem Ge- biet; aber was die Arbeiter zu Tage gefördert haben, trägt die Merkmale der modernen Art metaphysisch unabhängiger psycho- logischer Forschung. Auffallender jedoch ist ein zweiter Punkt. Ribot behandelt Steinthal nur in Beziehung zu der von ihm und Lazarus Zur zeitgenössischen Psychologie in Deutschland. 393 begründeten Abzweigung des psychologisch - historischen For- schungsgebiet3 der Völkerpsychologie, [n Zusammenhang hier- mit mag es stehen, dass er unter den Werken desselben die „Einleitung ^ in die Psychologie und Sprachwissenschaft'^ nicht nennt. Er urteilt nämlich, Steinthal sei bekannt durch sprach- wissenschaftliche Arbeiten, denen man metaphysische Tendenzen vorwerfe, durch Schritten nämlich „über den Ursprung, die Entwicklung und die Klassifikation der Sprachen, sowie über das Verhältniss der Grammatik zur Psychologie und Logik/' Demnach möchte er in der letzteren Andeutung nicht das eben genannte Werk vor Augen gehabt haben, sondern den Inhalt der 1864 veröffentlichten Abhandlung über Philologie Geschichte und Sprachwissenschaft. Denn an diese werden wir zunächst erinnert, und andrerseits würde jene Bezeichnung doch keine zutreffende Charakteristik dieses Hauptwerkes von Steinthal geben. Durch eine solche enge Kennzeichnung nun gelangt Steinthal nach seinen hauptsächlichen psychologischen Verdiensten nicht 2ur Anerkennung. Ich halte sogar dafür, dass jenes Werk die gehaltvollste Leistung auf rein psychologischem Gebiete ist, die uns in dem letzten Jahrzehnt geboten wurde. Eine Bestätigung dafür bietet die Tatsache, dass Steinthal allein unter allen schulenbildend gewirkt hat; aus mehr als einem Kennzeichen folgt überdies^ dass seine Wirksamkeit sich auf weitaus die meisten jüngeren Autoren erstreckt, die psycho- logische Fragen bei uns discutirt haben. Vor allem seine ein- gehend entwickelte Theorie der Appercepüon giebt eine so ein- schneidende und zutreffende Fortbildung der herbartischen Theorie, dass sie für die nächste Zukunft ohne Zweifel die Basis für aUe hierhergehörigen Untersuchungen bilden wird. Aehnliches gilt im Ganzen auch von seiner Auffassung der psychologischen Entwicklung der Menschen zur Sprache, ob- gleich hier seine Betonung der Beflextatigkeit wol über das Ziel hinausschiesst. Ich sehe wenigstens nicht, wie die Vor- stellung, auf die er folgerichtig geführt wird, „dass der Ur- mensch in grösster Lebhaftigkeit alle Wahrnehmungen, alle Anschauungen, die seine Seele empfing, mit leiblichen Be- 'nerteljahrsschrift f. wissenschaftl. Philosophie, in. 4. 26 394 B- Erdmann: wegungen, mimischen Stellungen, Gebärden und besonders Tönen, ja sogar articulirten Tönen begleitete''^ mit denjenigen immerhin minder abstracten Folgerungen vereinbar sei, die wir aus entwicklungsgeschichtlichen Prämissen über die phy- sische Reizbarkeit des Urmenschen abzuleiten haben. Doch ich kann nicht versuchen, in die Discussion hierüber ein- zutreten. Auf seine Theorie der Apperception dagegen möchte ich mir erlauben abzuschweifen, um an einer Probe zu zeigen, in welchem Masse selbst die Fortbildung^ so weit sich bis jetzt urleilen lässt, an den durch Steinthal erreichten Besitzstand gebunden isL Steinthal unterscheidet, wie den Lesern dieser Zeitschrift bekannt sein wird, die identificirende, subsumirende, ' harmonisirende und schöpferische Apperception. Dass die dritte derselben, die harmonisirende, den anderen nicht coordinirt sei, gesteht er selbst zu. Mir scheint, sie hat bei Steinthal ihre selbständige Stellung nur dadurch e;rhalten, dass er die Sub- sumtion nach dem Schema der formalen Logik schlechtweg als ein Yerhältniss des Umfangs fasst, während sie doch, sofern sie durch Verschmelzung bedingt ist, ebenso auf einer Beziehung des Inhalts beruht. In jedem subsumirenden Urteil, z. B. Cajus ist ein Mensch, ist der Grund der Bildung ebenso wie in jedem identificirenden bedingt durch die Verschmelzung der in der Perception enthaltenen Merkmale mit denen der appercipirenden Vorstellung, sodann durch die unbewusst eintretende Repro- ) Hypomn. III. cap. 2. p. 122. J Die ErneueruDg der Atomistik in Deutschland. ' 419 Er nahm einen solchen wohl kaum an, vielmehr lässt er nach der Vereinigung det* Atome ein Continuum entstehen; er denkt sich Atom dicht an Atom gelagert. Man sieht aber auclf , dass eine blosse Verwechselung der Atome des Demokrit mit den Corpuskeln bei Sennert keines- wegs vorliegt (wie sie Brucker^) ihm vorwirft), sondern das» Sennert die zusammengesetzten Corpuskeln von den Elementar- atomen wohl unterscheidet. Nur kommt es ihm viel weniger auf die absoluten Atome und deren Bewegung an (weil er ja überhaupt der rein materialistischen und mechanistischen Welt- anschauung des Demokrit und Epikur fern steht), sondern auf die relativen Minima der Theilung, auf die Molekel, die er zur Erklärung der chemischen Vorgänge braucht. Daher bedarf es auch keiner weiteren Diskussion der Atomistik Sennert's in Bezug auf ihren philosophischen Werth; vielmehr liegt die Bedeutung derselben auf Seiten der Geschichte der theoretischen Physik und Chemie. Die Corpusculartheorie Sennert's ist ein massgebender Wendepunkt in der Entwickelung der theoretischen Naturwissenschaft; ihre Wirkungen erstrecken sich durch ein ganzes Jahrhundert, bis die Nachfolger New- ton's es vorzogen, von der natürlichen Anschaulichkeit zu einer mystischen Kraft überzugehen und eine mathematische Fiction zu hypostasiren. Die sogenannte Corpuscularphilosophie muss auf Sennert als ihren Urheber zurückgeführt werden. Dass Sennert der geeignete Mann war, einen so grossen Einfluss zu gewinnen, werde ich am Schluss noch erörtern. Zunächst soll es noch meine Aufgabe sein nachzuweisen, wodurch Sen- nert seinem Gedankengange nach auf seine Corpusculartheorie geführt wurde und wie dieselbe historisch für ihn ver- mittelt ist. Bereits oben wurde angedeutet, dass die Corpuscular- theorie Sennert's aus dem Bedürfniss hervorgegangen ist, die „Mistio" zu erklären. Der Process derselben bildet eine alte Streitfrage der scholastischen Naturphilosophie, welche mit *) Historia eritica philos. Lips. 1766. Tom. IV. p. 503. 420 ' ^* Lasswitz: mistio jene Art der Entstehung eines neuen Körpers bezeich- net, die wir gegenwärtig eine chemische Verbindung nennen. £s handelt sich nämlich darum, ob die Theile in der Verbin- dung ihre Eigenschaften behalten oder nicht. Aristoteles ^) ist der Ansicht, dass die Theile in der Mischung (ßl^ig) ihre Eigenschaften verlieren. Die entgegengesetzte Ansicht hatte da- her von jeher einen ketzerischen Anstrich. Doch beruft sich Sennert seinerseits auf Hippokrates, Scaliger, Philoponus, Alber- tus, Aureolus, Avicenna, Fernehus. Auch diejenigen Physiker, welche annehmen, dass die Elemente in den Verbindungen ihre Eigenschaften verlieren, geben doch alle zu, dass die in die Verbindung eintretenden Körper bei dieser Gelegenheit in sehr kleine Theile getheilt werden*). Ebenso, wie die Vorstellung einer Theilung der Materie in minimale Partikel, war auch die Annahme allgemein verbreitet, dass die Theilchen sich bis zur wechselseitigen Be* rührung nähern müssten. So sagt Scaliger % der übrigens auch von den Gegnern für sich angezogen wird % die mistio sei motus corporum minimorum ad mutuum contactum, ut fiat unio. Bis zur Theilung und Berührung der Theilchen sind alle einig. Fraglich ist es nun, ob diese Theilchen ihre Selbständigkeit be- halten. Wird diese Frage, abweichend von Aristoteles, be- jaht, wie es bei Sennert geschieht, so ist damit der wichtigste Schritt zur corpuscularen Theorie der Materie gethan. Indem sich nun Sennert nach Autoritäten für die Constanz der Kör- pertheilchen umsieht, geräth er auf die Atomisten des Alter- ^) Il€Qi yEviaetag tcai (p^oQag, I, 1]0. M£^cg itnl rdiv [Atjnöiv akloiod-^yTtov %vtaaig, 2) Dies ergeben alle Lehrbücher jener Zeit, so z. B. Gilberti Jacchaei Institutiones phys. ed. Job. Zeisold. Jena 1646. Lib. 6. cap. 2. p. 495. °) Exotericarum exercitationum lib. XV. De subtilitate ad Hier. Cardanum. Franc. 1582. Exerc. 101. p. 345. Das vielbenutzte Schulbuch von Reyher, Margarita philosophica , 3. A. Gotha 1654, sagt p. 117: Requisita mixtionis sunt 1) contactus, 2) actio et passio, 3) alteratio, 4) generatio et corruptio. *) £xerc. 16, wogegen eben Sennert Exerc. 101 zu Felde führt. \ Die Erneuerung der Atomistik in Deutschland. 421 thums und wird zum Erneuerer der Atomistik. Ja er wun* dert sich, dass man die letztere als eine neue Lehre ansehen will, da sie doch schon von so vielen Philosophen vor Aristo- teles gelehrt wurde, ja seihst schon von dem Phönicier Mochus vor dem Trojanischen Kriege vorgetragen worden sein soll. Dies ist offenbar der einfache Gedankengang, welcher Sennert zum Nachsinnen über die Atome gefuhrt hat^). Dass aber gerade er für die Atome sich erwärmen konnte, dafür liegt noch ein besonderer Grund vor in seiner Eigenschaft als Arzt und genauer Kenner der medizinischen Schriften. Denn gerade bei den Medizinern hatte sich die atomistische Tradition in einer besonderen Form lebendiger erhalten und war nie so vollständig verloren gegangen, wie bei den Philosophen. Schon im Epitome^) beruft sich Sennert auf Avicenna („cujus sententia a plerisque medicis doctissimis approbatur**), welcher der Ansicht gewesen sei, dass die Elemente in den Verbindungen ihre Formen beibehalten^). Bedenkt man^ dass ^) Es lässt sich das am besten erkennen aus: De cons. et diss. chymicorum etc. cap. 12. p. 230, 231, grössten Theiis wiederholt in Epitomes physicae auctuarium cap. 3. p. 99. ») p. 36. ') Von Atomen ist bei Ibn-Sina nirgends die Hede, jedoch hat die Atomistik bemerkenswerther Weise bei den arabischen Scholastikern eine Stätte gefunden. Die Seote der Mutakallim*8 nahm Atome und ein Yacuum an. Ich gebe hierüber den Bericht des Maimonidesim „More Nevochim**, vorbehaltlich einer Vergleichung mit der französischen Ausgabe von Munk, nach der lateinischen Uebersetzung von Buxtorf (Basel, 1629), welche allerdings ihrerseits erst aus dem Hebräischen des Samuel Aben Tybbon stammt. Dem- nach sahen die Mutakallim alle Körper als aus Atomen entstanden an, welche ihrer ausserordentlichen^ Kleinheit wegen weder eine Theilung zulassen noch Grösse besitzen; sondern wenn viele von ihnen in Eins zusammentreten und sich gegenseitig vereinen, dann wird dieses Compositum ein Quantum und das Atom selbst ein Körper, so dass, wenn nur zwei derartige Atome sich verbinden, jedes von ihnen ein Körper wird. Die Atome sind sämmtlich ähn- lich und gleich und besitzen' keinerlei Unterschiede. Alle Körper sind aus diesen Einzeltheilchen zusammengesetzt durch Verbindung (nicht durch Veränderung oder Mischung, sondern durch Verbindung 422 K. Lasswitz: Avicenna Jahrhunderte hindurch die unbedingte Herrschaft unter den Jüngern der Arzneikunst behauptet hat, so ist es erklärlich, dass gerade die Mediziner geneigt waren , in dieser Frage Aristoteles Opposition zu machen. So vertheidigt der berühmte französische Arzt Fernelius^) (t 1558), auf wel- chen sich Sennert^) demnächst stützt, die Ansicht von der Integrität der Elemente und ihrer Formen in den Verbindungen so lebhaft, dass er die entgegengesetzte Meinung für kindisch und nichtig erklärt. Aber Fernel giebt uns an einer anderen Stelle^), wo er über Demokrit spricht, zugleich einen weiteren Hinweis. Er sagt, Demokrifs Secte habe nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der Medizin bis heutigen Tages berühmte Nachahmer und Anhänger ge- funden. Anhänger der Atome seien diejenigen Aerzte, welche sich methodici nennen. Demokrit würde uns auslachen, wenn er unsere Ansichten über die Elemente hörte. Nächst FerneUus ist die zweite medizinische Autorität, auf oder Zusammenlagerung , so dass sie ihre Formen behalten). Ent- stehen ist also lediglich Zusammentreten und Vergehen Trennung der Theilchen. Endlich nehmen sie nicht an, dass jene Partikel von Ewigkeit her existiren, wie dies Epikur und andere Anhänger •der Atomen lehre thun , sondern Grott schaffe sie immer aufs neue, wann es ihm beliebt, und beraube sie auch wieder ihres Seins und verwandle sie in nichts. Einen leeren Raum nehmen sie an, weil Bewegung sonst nicht möglich wäre. — Höchst eigenthümlich ist es, dass die Mutakallim^s auch die Zeit und die Bewegung atomistisch d. h. discontinuirlich fassen. Die Zeit besteht nach ihnen aus ein- zelnen Momenten und die Bewegung ist eine ruckweise; verschieden schnelle Bewegungen unterscheiden sich nur durch die Zahl der zwischen den Bewegungsimpulsen liegenden Ruhepausen. (More Nevochim, 1. Theil, Cap. 73, p. 148, 149.) * ^) Physiol. cap. 6. lib. 2. Univ. med. ed. Plant. Lutet* 1567, fol. p. 78. «) Epitome p. 36. ') De abditis rerum causis. Paris 1560. praef. lib. 2. p. 195. Atomos amplexati sunt, qui se methodicos medicos appellarunt; terram, aquam, aerem et ignem dogmatici. Utrique sua principia tam arcte tenent tamque accurate defendunt, nihil ut gigni fierive putent, quod non statim causis illis acceptum ferant. Die Erneuerung der Atomistik in Deutschland. 423 welche Sennert als einen ausdrucklichen Anhänger der Corpus- culartheorie sich stützt^), Hieronymus Fracastorius, eben» falls ein berähmter Arzt^ der 1485 bis 1553 lebte und zu Verona wirkte. Gelegentlich der Untersuchung, wie bei der Bildung der Körper die Vereinigung des Aehnlichen, d. h. die Ordnung der zusammengehörigen Theilchen zu Stande kommt, stellt Fracastorius die Ansicht auf, dass die Corpuskeln, so lange si^ den ihnen zukommenden Platz nicht gefunden haben, in lebhaftester Bewegung umherirren. Man könne also den Grund der Anziehung des AehnUchen in der Bewegung der Theil- chen im Ganzen suchen ^). Der dritte Gewährsmann Sen- nert's ^) endlich ist der Jesuit Franciscus A q u i 1 o n i u s (1566 bis 1617), welcher sich in seinem Buche über die Optik für die An- nahme gewisser Minima der Grösse erklärt ^). Er Ihut dies bei *) Pract. lib. 6. ps« 2. cap. 1. p. 211. An dieser schon oben citirten Stelle unterscheidet Sennert die Atome von gewissen species spiritales, welche von den Körpern ausströmen und eigenthümliche Wirkungen hervorbringen, zu denen vielleicht die sog. magnetischen gehören. ^) Fracastorius. Opp. omnia. Venet 1555. p. 81. 82. De sym- pathia et antipathia cap. 5: Antiqui quidem, utDemocritus etEpicu- rus, qoios e nostris Lucretius secutns est, effluziones corporum, quas Atomos appellabant, principium ejus attractionis ponebant; quae quidem effluxiones ne neganda quidem sunt (ut moz ostendemus), modus autem, quem ipsi tradebant, sat rudis et ineptus erat: quem quoniam tum Alezander Aphrodisiensis, tum et Galenus satis aperte reprobant, a nobis praetermittetur . . . dicimus, ab uno ad aliud re- ciproce transmitti ea corpuscula, e quibus totum quoddam sit atque unum, verum difforme in partibus. ») Hypomn. p. 116 u. 119. ^) Aquilonius. Optica. Antw. 1613. Lib. 5. praepos. 8: Cor* porum naturalinm minima dantur, quae nimirum, si amplius diri- dantur, formam essentiamque deperdunt Uti namque corpora ad naturalem subsistentiam nonnuUam ezposcnnt quantitatis molem, cum ipsa nil aliud sit, quam ipsius substantiae cororpeae modulus, ita et quantitates, nisi aliquo ezcellentiae gradu praeditae sint, sponte depereunt. — Am Ende des Buches sagt Aquilonius , dass die Wärme sich, wie die Grerüche, durch die Luft als materielle Ausströmung fortpflanze. 424 ^* Lasswitz: Gelegenheit der Frage nach der Abnahme des Lichtes mit der Entfernung, indem er den Einwurf zu entkräften sucht, dass bei einer allmählichen Abnahme des Lichtes mit der Entfernung dasselbe niemals verschwinden könne. Es gäbe nämlich einen gewissen kleinsten Grad, unterhalb desselben die Körper ihrem Wesen nach nicht bestehen könnten. Das sind diejenigen Quellen, welche Sennert unter den Neuerern als Empfehlung für die Atomistik zu Gebote standAi. Bei seinem eifrigen Bestreben, Autoritäten für jede neue Ansicht anzuführen, hätte es Sennert sicherlich nicht unter- lassen, seinen Gewährsmann zu nennen, wenn ihm noch irgend eine atomistisch angehauchte Stelle in einem Schriftsteller be- kannt gewesen wäre. Bezieht^) er sich doch sogar auf Titel- mann (t 1550 od. 1553), welcher sich gegen die Integrität der Formen in den Mistis erklärt, weil derselbe die Bemerkung macht, dass uns die Ansichten der Alten über die Atome, wenn wir sie richtig verstünden, vielleicht nicht so unbillig erscheinen würden*), und auf Pererius, weil dieser den Aristoteles für nicht immer ganz gerecht hält und meint, dass ein so gescheuter und im übrigen von Aristoteles so gelobter Mann wie Demokrit doch keinen offenbaren Unsinn vorbringen dürfte^). Es ist sicher, dass Sennert weder die Monadologie Bruno's von Nola gekannt hat; noch die sich widersprechenden Bemerkungen des Bacon von Yerulam ^) über die Atome, noch ^) Hypomn. p. 115. ^) Titelmann. Compendium philos. natur. Libri XII. Lugd. 1574. lib. 5. cap. 15. p. 134. *) Pererius, Compend. de rer. nat. prineip. lib. 4. cap. 16. — Physic. lib. 4. cap. 4. (Dieses Citat nach Sennert.) ^) Im.Novum Organum will Bacon zwar eine praktische Corpusculartheorie für physikalische Erklärungen gelten lassen, er- klärt sich aber ausdrücklich gegen die Atomistik Demokrit's, ins- besondere gegen die mechanische Naturansicht, sowie gegen das Vacuum und für eine vollkommene Plicabilität der Materie (Lib. 2. Art. 8. Art. 48.)* Uebrigens solle man mit der atomistischen und anderen Betrachtungsweisen wechseln (lib. I Art. 57). In den Cogitationes de natura rerum kommt er diesem Die Erneuerung der Atomistik in Deutschland. 425 die von Sebastian Basso ') aufgestellte Atomistik, welche übri- gens ins Jahr 1621 tallt und also jünger als die ersten Schriften Sennert's, wenn auch älter als die Hypomnemata ist Während Basso's Werk höchstwahrscheinlich Gassendi die Anregung zu seinem Studium des Epikur gegeben hat, finden wir Sennert allein gestützt auf die Quellen aus dem Alterthum, Aristoteles und Lucrez, und die sparsamen Notizen, welche sich bei Pli- nius und einzelnen Kirchenvätern über Demokrit oder die alte Atomistik finden; ausserdem aber auf die Schriften der Medi- ziner, insbesondei*e Galen, der freUich selbst ein Gegner der Atomistik ist Aber die Nachrichten des Aristoteles über die Atome standen ja aller Welt zur Verfügung ; wenn nun Sennert darauf verfiel, gerade hier gegen Aristoteles Fronte zu machen, so hatte dies seinen Grund in der Kenntniss Sennert^s von den Theorieen der Mediziner, nämlich der Methodiker. Wir finden hier einen Boden, der für das Gedeihen des atomisüschen Ge- dankens besonders geeignet war. Die methodische Schule, als deren eigentlicher Stifter Themison gilt, schreibt sich der Theorie nach bereits von Asklepiades aus Prusa in Bithynien her, dem berühmten Zeit- genossen des Cicero und Pompejus. Asklepiades ist der Ver- treter einer eigenthümlichen Atoraenlehre, deren Ursprung we- niger bei Epikur als bei Heraklides von Pontus, vielleicht schon Wahlspruche nach und spricht sich für die Atome aus (Vol. UI. cap. I). Sie sollen jedoch nicht unveränderlich sein. Er erklärt zwei Auffassungen des Begriffs „Atom'* für zulässig, je nachdem man die Atome als die kleinsten Theile der Körper betrachtet, welche die Grenze der Theilung darstellen, oder als dasjenige, was keinen leeren Raum mehr enthält. Einen untermischten leeren Baum müsse man annehmen, da man sonst nicht begreifen könne, dass die Materie bald einen grösseren, bald einen kleineren Raum einnehme; denn eine gewisse natürliche Verdichtung oder Verdün- nung sei unverständlich. — Dies steht in directem Widerspruch zu Nov. Organ, lib. 2. art. 48. — Näheres darüber bei anderer Ge- legenheit. — Die erste ausführliche Ausgabe des Novum Organon stammt aus dem Jahre 1620, ist also ebenfalle jünger als Sennert's erste Schriften. *) 8. Brucker, Hist crit. philos. Tom. 4. p. 467 u. 513. Vierteljahrsschrift f. Wissenschaft!. Philosophie. III. 4. 28 426 ^ LasBwitz: bei Ekptiantos zu suchen ist^ ). Er ging in der Heilkunde davon aus, dass der Körper aus unzähligen, durch die Ver- bindung der Atome gebildeten, mit Empfindung versehenen Kanälen (TtoQOt) bestehe, auf deren normaler Weite mit Bezug auf die normale Grösse, Menge, Anordnung und Bewegung der Atome die Gesundheit beruhe. Asklepiades nannte seine Atome oyxoi^ und verstand darunter etwas Anderes als Demokrit; doch ist es schwer, sich ein klares Bild von dem Wesen dieser oyKOc zu machen, da die Quellen darüber sehr spärlich fliessen und bis auf eine einzige nur ganz kurze Erwähnungen geben *). Nach Asklepiades sind die Atome oder Corpuskeln (joyxoi) — Cälius AureUanus gebraucht beide Ausdrucke nebeneinander — an und für sich beti-achtet; d. h. so lange sie noch nicht zur ^) Vgl. hierüber Zeller, Philosophie der Griechen II, a, 686. III, a, 352. *) Folgendes sind die Stellen, welche ich ermitteln konnte: DionysiuB Alexandrinas Episcopus, bei Euseb. praepar. evang. lib. 14. cap. 23. p. 773: ^Ovofia dk avrolg (xatg ajofioig) aXXo *HQaxXMrig &ifi€Vog, lxdXe son- dern „der wahre und richtige Name" für das, wodurch er er- reicht wird, „ist der Glaube" (Unters. S. 47). Dieser unter- scheidet sich nach Hume von der Einbildungskraft dadurch, dass er den Aussagen des Urtheils grössere Stärke als diese giebt. Dies grössere Gewicht rührt daher, dass „der Fortschritt der Gedanken" „mit einem den Sinnen gegenwärtigen Gegen- stande beginnt^' (Unters. S. 51). Das heisst in Eant's Sprache: Der Begriff ist ^,ein Bastard der Einbildungskraft, die durch Erfahrung geschwängert" ist^). Man hat sich, sagt Hume weiter, „gewöhnt", die Vorstellung des gegenwärtigen Gegen- ^) Untersuchungen über den menschlichen Verst, übers, von Kirchmann, S. 27. «) Prolegomena, Riga 1783. Einl. S. 8. 32* 492 Recensionen. Standes mit der »^eines andern Gegenstandes^' „zu verbinden'^ (UnterSi 8. 51 u.). Kant sagt: „gewisse Vorstellungen" wer- den „unter das Gesetz der Association gebracht" (1. c). „So gebt (nach Hume) der Fortschritt von der Ursache zur Wir- kung nicht von der Vernunft aus, sondern beruht gänzlich auf Gewohnheit und Erfahrung^' (1. c.)> Bann aber besagt der Satz Kant's nicht im Mindesten mehr, als Hume sagen will. Er drückt den Gedanken genauer aus, als des Verfassers Para- phrase (S. 53), die das Verhältniss der Association der blossen Einbildung und der des Glaubens gar nicht berührt. Bass dieser aber in der Fassung Eant's subjective Zuthaten zu Hume erblickt, liegt darin^ dass er den Verstandesbegriff Kant's zum formalen Unterschied der Binge macht. Bann wäre er freilich etwas ganz andres als „Beziehung" und deren ^^Kennt- niss^^^ und die neue Frage Kantus nach dem Ursprung dieses Begriffs bliebe unverstanden. Auf dieser Verkennung der transoendentalen Frage beruht denn auch die falsche Beutung der Schemata. Eine Besprechung derselben würde aber hier zu weit fuhren. Bie Arbeit des Verfassers kann danach ^ ein so redliches Bemühen sie auch bekundet, nach unserem Bafürhalten zu einer positiven Förderung des Verständnisses für Kant nicht dienen. Eine positive Förderung lässt sich, wie wir glauben, nur dann erhoffen, wenn man auf dem Weg, den Cohen an- gebahnt hat, durch genaue Untersuchung der Bedeutung ein- zelner Begriffsbestimmungen bei Kant weiterschreitet. Besu- mirende Zusammenfassungen werden sich dann von selbst er- geben^ und mehr Gewähr für Richtigkeit haben, als wenn man von vorn herein, wie der Verfasser, ganze Gedankengruppen darstellen will. Worms a/Bh. F. Staudinger. O Fositivismo. Bevista de philosophia dirigida por Theo- philo Braga e Julio de Mattos. Primeiro Anno. No !• Porto 1878. „Bie Principien einer Philosophie, welcher die geistige Führung der neuen Generation vorbehalten ist, populär zu machen, zu entwickeln und auf alle wissenschaftliche Fragen der Zeit anzuwenden,^^ ist der Zweck dieser neuen Zeitschrift, deren erstes Heft uns vorliegt. Bie darin gegebenen Artikel rühren von Schriftstellern her, die nicht nur in ihrem eignen Lande, sondern theilweise auch in der Fremde wohlbekannt sind. Sie sind nicht ausschliesslich philosophischen Inhalts, Becensionen. 493 denn es findet sich auch eine philologische Abhandlung über eine Episode des Bämayäna^ eine kunsthistorische über den Maler Gräo-Yasco , und eine ethnologische über den Ursprung und die Verbreitung der Volksmärchen. Die rein philosophischen Aufsätze werden eröffnet durch den Einfdhrungsartikel : Disciplina mental (p. 1 — 15), wahrscheinlich von Herrn de Mattos herrührend, in welchem Artikel Stellung und Auf- gabe der Philosophie, d. h. der Philosophie Auguste Gomte's, discutirt werden. Der philosophische Fortschritt besteht in der Elimination der philosophischen Systeme oder Schulen, die im Laufe der geschichtlichen Entwickelung sich gebildet haben durch eine übereilte und willkürliche Synthesis der Erkennt- nisselemente. Durch den Schein eines logischen Zusammen- hangs erhielten sich diese Schöpfungen einer grübelnden Imagination und wurden so umfangreich und complicirt, wie die alten Epen, welche durch die Tradition aus dem indischen Mythus hervorgingen. Die Bildung solcher Systeme entspricht einem Bedürfnisse der menschlichen Intelligenz, sie repräsentirt den beständig wiederholten Versuch, die Erkenntniss durch Vereinfachung zu concentriren , durch Auffindung der Einheit in der Mannigfaltigkeit. Mit den Wissenschaften hatten jene Speculationen nichts zu thun, und doch konnten einzig diese die Basis zu einer haltbaren Synthesis des Universums bilden, welche zu Stande kommt durch die gleichzeitigen Processe der Deduction^ in der ,,Mesologie", und der Induction, in der Psycho- logie, von denen jene mit der Erkenntniss der objectiven Welt, diese mit der der subjectiven Welt zu thun hat. Die Tren^ nung zwischen diesen beiden Gebieten ist eine durchaus künst- liche^ das Ich ist keine abstracte Wesenheit oder Essenz, die durch Speculation zu ergründen ist^ sondern die Erkenntniss der subjectiven Welt kann nur geschehen durch Deduction aus der Erkenntniss der objectiven Welt; daher ist dieselbe erst möglich geworden durch den Ausbau der Einzel Wissenschaften^ welcher für unser Jahrhundert charakteristisch ist. Sie ist möglich geworden einmal, weil das Ich in unlösbaren Be- ziehungen zu der Katur steht, die den Gegenstand der Wissenschaften bildet; sodann, weil der dogmatische Theil der Wissenschaften in vollständigster Weise alle Phasen des menschlichen Denkens zur Darstellung bringt (eaempüßca iodos 08 recursos da racioncdidade)^ endlich, weil die gewaltigen Deductionen der Wissenschaften sich auf die Inductionen ganzer Jahrhunderte gründen ; wie sie das Leben eines Einzelnen nie ansammeln konnte ; weil sie also bedingt sind 494 Recensionen. durch die Solidarität zwischen dem Individaum und der Gat> tung, zwischen dem individuellen oder psychologischen Ich, und dem collectiven Ich. Die Anlagen des Individuums sind beschränkt, die der Gattung eines Wachsthums ins Unbestimmte fähig, und nur durch die Entwickelung der letzteren konnten geistige Schöpfungen , wie die der Sprache, des Mythus, der Kunst, des Bechts, zu Stande kommen, Erscheinungen, welche die alten Metaphysiker dem einzelnen Ich zuschrieben und aus den allgemeinen Frincipien des Wahren, Schönen, Guten u. s. w. zu erklären suchten. Die dynamischen Erscheinungen, in denen das collective Ich sich manifestirt, werden gesammelt von der Geschichte, während die Biologie es mit den statischen Er- scheinungen zu thun hat. Die von diesen beiden Wissen* Schäften aufgefundenen Gesetze werden dazu beitragen, die Vergötterung der grossen Persönlichkeiten (o feiichismo das aitds indimduoMdadea) zu beseitigen, und damit die Gesellschaft zu befreien von dem störenden Einflüsse solcher Männer wie der Napoleons u. a. Auch im Leben der Völker ist alles lang* same Entwickelung, Nur treten im Leben des collectiven Ich nicht minder als beim individuellen Ich zeitweilig Störungen ein, Hallucinationen. Diese bilden , wie besonders Littre her- vorgehoben hat, einen Factor, mit dem die Geschichte rechnen lernen muss, um gewisse abnorme Erscheinungen in der Ent* Wickelung der Gesellschaft (Flagellanten, Hexenwesen u. dgl.) erklären zu können. — Alle biologischen Erscheinungen sind aber im Grunde nur Functionen von Bewegungen. Die Modifi- cationen der Bewegung bilden das gemeinsame Princip für die Erklärung aller Erscheinungen; darin ist die philosophische Einheit gegeben, die zugleich den nothwendigen Zusammenhang der Einzelwissenschaften begründet. Die abstracten und all- gemeinen Gesetze der Bewegung untersucht die Mathematik; das Princip der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung^ das der Coexistenz und Unabhängigkeit der Bewegungen hat die Astronomie bestätigt; die Physik fand schon frühzeitig die Thatsache der Undurchdringlichkeit, wenn auch viel später erst das Gesetz der Unzerstörbarkeit der Materie, das die Chemie durch die Analyse bestätigt und durch das Gesetz der Ver- theilung der Kräfte vermehrt; die Biologie gewinnt aus den Erscheinungen der organischen Transformation die Deduction der Bewegung im Sinne des kleinsten Widerstandes, wodurch wiederum die Specification der Functionen erklärt wird, die Sociologie entdeckt durch historische Betrachtung die Verviel- fiiltigung der Wirkungen, oder wie Spencer es ausdrückt, den Recensionen. 495 XJebergang von der Homogenie zur Heterogenie, und findet daraus die Thatsache des Fortschrittes. Dieser Summe Ton inductiven Grundlagen gegenüber begreift man die Nothwendig- keit des philosophischen Processes, der in dieser Mannigfaltig- keit die Einheit zu suchen hat. Die philosophische Synthesis wird erst definitiv , wenn sieh bei ihren Deductionen der Kaum durch die Zeit ersetzen lässt, wie bei der Untersuchung der verschiedenen Gleichgewichtszustände der Materie, oder die Zeit durch den Eaum, wie bei der Eeconstruction der or- ganischen Entwickelung. Aus dieser Relativität der Begriffe entspringt eine tiefgehende geistige Disciplin: der subjective Begriff des Baumes tritt unter den positiven Begriff des Mit- tels^ der subjective Begriff der Zeit erhält einen philosophischen Charakter in der Idee der Entwickelung, und der positive Begriff des Determinismus ermöglicht die Klarheit der dyna- mischen Weltansicht, womit die traditionellen Abstractionen der Causalität, der Zweckmässigkeit, des Zufalls und des Ver- hängnisses als phantastisch abgewiesen werden. An dem soeben skizzirten Artikel erscheint uns, abgesehen von mancherlei ^Nachlässigkeiten in Bezug auf Schärfe und Durchsichtigkeit des Ausdrucks, die zuversichtliche Art auf- fällig, mit welcher dem Dogmatismus der alten philosophischen Systeme gegenüber Sätze aufgestellt werden, die ihrerseits nicht minder den Charakter des Dogmas tragen. Es mag dies daher kommen, dass der beschränkte Umfang einer solchen einleitenden Abhandlung die Begründung dieser Sätze unmög- lich machte; ohne Zweifel hängt es aber auch mit dem Cha- rakter des „Positivismus" zusammen. Behauptungen, wie über die unbegründete Verehrung grosser Männer, als abnormer Elemente in der Entwickelung der Gesellschaft, können wohl nur cum grano salis genommen werden. Derselbe Gedanke wiederholt sich übrigens in dem kleinen Aufsatze von Con- siglieri Pedroso : „Das Zufällige in der Geschichte" (p. 16 — 19): Der Einfluss socialer Perturbationen auf die Geschichte der Gesellschaft sei nur oberflächlicher Natur; es werde dadurch die menschliche Entwickelung zwar verzögert, manchmal wohl auch beschleunigt, aber doch nicht wesentlich abgelenkt oder umgekehrt. Ueber den „Determinismus in der Psychologie" handelt J. de Mattos p. 20 — 40 : Nach einer kurzen Dar- stellung der Physiologie der Nerven, im Anschluss an Luys, Etudes de physiologie et pathologie cSrSbrales, wird die Ansicht begründet, dass der Willensact seinem Wesen nach nur ein complicirter Eeflez sei, daher wie alle Befleze abhängig von 496 Erwiderung. den Sensationen^ daher bedingt sei, also eine aatomatische Gmndlage habe. Damit erscheint der Determinismus als eine unbestreitbare Wahrheit, welcher nnr das Yorurtheil, die Un- möglichkeit, in allen Fällen den Complex der bedingenden Einflüsse zu erkennen, und der Schein, als ob verschiedene Individuen unter gleichen Einflüssen zu verschiedenen, ja ent- gegengesetzten Willensacten veranlasst würden, sich entgegen- stellen. Für diesen Determinismus (nicht Fatalismus) trägt nun auch die Strafe nicht mehr den theologisch-metaphysischen Charakter der Züchtigung, sondern sie erhält die Bestimmung, die bei einem Menschen entweder durch Vererbung oder durch jeweilige äussere Umstände gegebenen Antriebe zum Handeln entweder zu hindern, so lange sie nur virtuell sind, oder zu bekämpfen, wenn sie bereits eflectiv sind: sociale Hygieine und Therapie. — Derselbe Verfasser giebt endlich, p. 64 — 73, in dem Aufsatze „Die Beligion der Zukunft'' eine Kritik des gleichnamigen Hartmann'schen Buches. Den Fantheismus H.*8 könne die Zukunft nicht annehmen, weil diese Beligionsform, wie Littr^ sagt, sobald sie aus ihrer Unbestimmtheit heraustritt^ zu einer Art Fetischismus führen würde, ohne irgend eine der Gompensationen zu besitzen, wie die älteren Formen desselben. Da überhaupt die Eeligionen künftig nicht mehr auf die geistigen Fähigkeiten werden einwirken können und diese Eolle den Wissenschaften überlassen müssen, so bliebe der Beligion der Zukunft die ausschliessliche Mission, die Gefühle zu leiten (mbordinar) und altruistische Gesinnungen zu pflegen; das kann aber nur die auch von St. Mill verkündete Beligion der Humanität. So weit das 1. Heft der neuen portugiesischen philo- sophischen Zeitschrift ; wie man aus dem Beferat ersieht, bringt sie in der That, was ihr Titel verspricht: „positive Philo- sophie*', aber freilich nur in dem Sinne, den A. Gomte diesem Begriffe gegeben hat. Weimar. H. Wernekke. Erwidernng auf eine «Becension^ des Prof. ülrici, Das ungehörige Verfahren, die Besprechung eines oder einzelner nach Willkür aus einer wissenschaftlichen Arbeit Erwiderung. 497 herausgegriffener Punkte ohne Eücksicht auf ihre Stellung in dem Plane des Ganzen der Welt als Becension dieser Arbeit anzubieten y ist aus der Praxis des Recensentengewerbes nur zu bekannt. Es ist auch bekannt, dass Prof. Ulrici sich nicht scheut^ dieses ungehörige Verfahren zu dem seinigen zu machen. Der 74. Band der Zeitschrift für Philosophie und philo- sophische Kritik kündigt eine Becension meiner Schrift über die Beziehungen zwischen Kategorien und Urtheilsformen an. Es war meine Absicht gewesen zu zeigen, dass eine Congruenz zwischen Kategorien und Urtheilsformen weder principiell zu erweisen sei, noch in der That bestehe, und dass deshalb das Princip der metaphysischen Deduction der Kategorien hinfallig, die Deduction selbst unzureichend und falsch sei. Um die Bedeutung der Kategorie für Bildung der Anschauung zu er- weisen, hatte ich in der Einleitung eine kurze Darstellung der Lehre von der Objectivirung der Empfindung gegeben und mich dabei nach meiner ausdrücklichen Erklärung (S. 29 m. S.) im Wesentlichen den Ausführungen Lotze's angeschlossen, welche den Process der Objectivirung als einen aus mehreren Yer- standesacten bestehenden erweisen. Als ein Beispiel dafür, bis zu welchen Ausschreitungen die einseitige Betonung eines dieser Yerstandesacte auf Kosten der anderen führen könne, hatte ich die Ulri einsehe Lehre von der unterscheidenden Denkthätigkeit angeführt, und es wird sich sogleich heraus- stellen, mit welchem Rechte. Hier knüpft die „Recension" in der Zeitschrift für Philo- sophie an. Sie führt aus, dass ich die Lotze'schen Anschauungen etwas schlechter als Lotze selbst dargestellt, dass „die Ver- kennung eines positiven Moments im Begriff des Unterschiedes das TtqÜTOv xpevdog in Lotze's Logik und Erkenntnisstheorie sei'', dass aber „trotz dieses Fehlers Lotze und sonach auch der Verfasser (i. e. meiner Abhandlung) im Grunde mit der Ulrici'- schen Auffassung der Art und Weise, wie unsere Empfindungen objectivirt und damit zu Vorstellungen werden, übereinstimmen'^ : um so erstaunlicher sei es, dass ich die Ulrici'sche Lehre als übertrieben und einseitig schlechthin verwerfe. Mit der Pole- mik gegen meine Beurtheilung dieser Lehre schliesst die 9,Recension''. Prof. Ulrici war schon nach diesem Wenigen zu der Ueberzeugung gelangt, dass ich keine Beurtheilung und Widerlegung meiner eigenen Ansichten verdiene. Nur dass damit auch der Artikel des Prof. Ulrici in der Zeitschrift für Philosophie^ der meine Arbeit zum Gegenstande hatte; das 498 ErwiderUDg. Becht verlor^ Recension zu heissec, dass eine Abwehr meiner Angriffe das Höohete war, dessen ich gewürdigt werden durfte, dies hatte der Verfasser der „Eecension^' in seiner Entrüstung übersehen. Ich gehe jetzt auf die Gründe ein, um derentwiUen meine Ansichten des Vorzugs verlustig gegangen sind, von Prof. Ulrici widerlegt zu werden. Es heisst darüber (Zeitschr. für Philos. etc. Bd. 74, S. 199): ^;Ein Philosoph, der die auf Beweise gestützten Ansichten Anderer so ungenau citirt, so falsch auffasst und so willkürlich bei Seite schiebt , verdient keine Beurtheilung und Wider- legung seiner eigenen Ansichten. Es ist wenigstens Niemandem zuzumuthen, die vielen Gitate des Verf. aus Eant's u. A. Schriften, von deren kritischer Darlegung aus er seine Auf- fassung vom Wesen der Kategorien und deren Beziehungen zu den Urtheilsformen entwickelt, nachzuschlagen und sich zu vergewissern^ ob sie genau wiedergegeben und richtig aufge- fasst sind.'* Ich kann nicht glauben, dass in diesen beiden Sätzen die verläumderische Anschuldigung enthalten sein * solle ^ ich habe aus Absicht oder Nachlässigkeit den Wortlaut einer citirten Stelle geändert oder eine auf dieselbe bezügliche falsche Angabe gemacht — ein Sinn, den der unbefangene Leser leicht deü obenstehenden Worten geben kann. Es kann damit nur gesagt sein sollen^ ich habe die betreffende Stelle wohl richtig und genau citirt, aber die Wahl dieser Stelle sei so getroffen, dass sie eine von Prof. Ulrici selbst verlassene und in späteren Schriften verbesserte Ansicht desselben ent- halte oder dass in ihr unbestimmt bleibe, was an anderen ^Stellen der Ulrici'schen Schriften in einem bestimmten Sinne gedeutet werde. Aber auch in dieser Weise aufgefasst, ent- hält die Anschuldigung, die in den angeführten Worten der Becension liegt^ nach den eigenen Angaben des Prof. Ulrici eine Unwahrheit. Es handelt sich um eine von mir citirte Stelle aus einem Vortrag, den Prof. Ulrici in der Philosophen- Versammlung zu Gotha im Jahre 1847 gehalten, und der ab- gedruckt ist in der Zeitschrift für Philosophie etc. Bd. 19. Ich habe dieselbe in meiner Schrift (S. 38 u. 39) wörtlich so wiedergegeben, wie sie in der Zeitschrift für Philosophie Bd. 19, S. 120 und 12 t zu lesen ist, wörtlich so wie sie Prof. Ulrici selbst hat in der Becension (S. 196) wieder abdrucken lassen. Dieselbe legt nach der Aussage der „Becension*' (S. 197) in „kurzen, scharf pointirten Sätzen^' die Ansicht des Prof. Ulrici ErwlderuDg. 499 dar, und eben deshalb war sie für mich von Werth. Denn da es mir nicht auf eine detaillirte Darstellung der XJlrici'schen Erkenntnisstheorie, sondern nur auf den Grundgedanken der- selben ankam, so knüpfte ich an eine kurze , scharf pointirte Fassung dieses Grundgedankens seine Besprechung an. Dass dieser Grundgedanke derselbe ist, der auch den ausgeführten Entwicklungen der XJlrici'schen Theorie zu Grunde liegt, be- weisen die in der ,^Recension'' angezogenen Schriften. Auch habe ich mich wohl auf den Vortrag aus dem Jahre 1847 berufen, ich habe mich aber nicht auf ihn allein be- rufen, sondern um die XJebereinstimmung der in ihm ent- wickelten Anschauung mit anderen Aeusserungen des Prof. TJlrici zu zeigen, auch auf seine Logik S. 59 ff. (vgl. m. S. S. 39 Anm.). Ferner ist aber gerade aus der von mir ange- führten Stelle dasjenige zu ersehen, worauf es nach des Prof. TJlrici Meinung für die Auffassung derselben wesentlich an- kommt, dass nämlich unter „all unser Denken, Wahrnehmen etc." verstanden sei : „all unser bewusstes Denken, Wahrnehmen etc.'' Was die aus dem „Grundprincip der Philosophie" von der „Eeoension^' angeführte Stelle belegen soll, das ergiebt sich nach den Worten der „Recension" (S. 197) aus der von mir citirten Stelle von selbst, dass nämlich „nicht die Empfindung als solche , sondern das bewusste Empfinden und Fühlen von der unterscheidenden Thätigkeit abhängig" gemacht werde.. Ich habe also die betreffende Stelle nicht nur vollkommen ge- nau citirt, sondern auch so ausgewählt, dass, wie die „Hecen- sion" sagt, in ihr die erkenntnisstheoretische Grundansicht des Prof. Ulrici in einem kurzen scharf pointirten Satze ausge- sprochen ist, dass, wie ebenfalls die „Eecension'' sagt, aus ihr sich von selbst ergiebt, was für die Auffassung dieser Stelle wesentlich ist; ich habe endlich gezeigt, dass sie mit anderen Auslassungen des Prof. Ulrici, in vollkommener Uebereinstim- mung sich befindet. Die Becension behauptet nun weiter, ich habe die von mir angezogene Stelle des XJlrici'schen Vortrags falsch aufge- fasst und zwar deshalb, weil, obgleich sich aus der Stelle von selbst ergebe, dass unter „alles Empfinden" ^,alles bewusste Empfinden" zu verstehen sei, ich dennoch auch das unbewusste Empfinden mit darunter begriffen habe. (S. 197.) Ist denn das aber wahr? und auf welcher Seite ist hier das Missver- ständniss? Ich habe an der Behauptung, dass alles Empfinden auf der unterscheidenden Thätigkeit des Geistes beruhe, die Ausstellung zu machen gehabt, dass in ihr eine Verwechslung 500 Erwiderung. zwischen psychologischein Bewusstsejn und Selbstbewusstsein enthalten sei, d. h. also, dass in ihr psychologisch bewusste Empfindungen mit solchen verwechselt seien, die mit Selbst- bewusstsein verbunden sind, ich habe also überhaupt nur von bewussten Empfindungen gesprochen , nur bewusste Empfin- dungen in den Kreis meiner Erörterungen gezogen, ich habe also die Stelle aus dem Vortrage des Prof. ülrici genau so aufgefasst, wie er sie selbst aufgefasst, und dass ich sie so aufgefassty ergab sich aus meiner Kritik dieser Stelle „von selbst". Und nun zu dem dritten Vorwurfe der „Recension", ich habe eine auf Beweise gestützte Ansicht des Prof. ülrici will- kürlich bei Seite geschoben. Gesetzt das wäre wahr, so wäre ich nach den Proben, die ich eben von der gewissenlosen Polemik des Prof. ülrici gegeben, der Verpflichtung überhoben, ihm deswegen Rechenschaft zu geben: scheut er es ja nicht, sich der Verleumdung als Waffe zu bedienen. Aber auch diese dritte Behauptung der „Eecension" ist eine Unwahrheit. Denn wenn ich hier davon absehe, wie es um die ,,Beweise'' des Prof. ülrici steht: willkürlich bei Seite geschoben hätte ich die Ansicht nur dann, wenn ich die Gründe nicht angegeben hätte, welche mir ihre Unzulänglichkeit darzuthun scheinen, wenn ich sie einfach mit unbegründeten und unbegründbaren Behauptungen abgethan hätte, kurz, wenn ich so verfahren wäre, wie Prof. ülrici in der „Recension*' verfährt. Ich habe aber den Grund angegeben für die behauptete üntauglichkeit der Ulrici'schen Lehre von der unterscheidenden Denkthätig- keit, und dieser Grund ist, dass sie das psychologische Be- wusstsein mit dem Selbstbewusstsein des denkenden Wesens vermischt. Dagegen führt Prof. ülrici an, er habe in seiner Psychologie Bewusstsein und Selbstbewusstsein ausdrücklich unterschieden. Was ist aber damit gewonnen? Es können diese Begriffe in der ülrici'schen Psychologie wohl formell unterschieden sein, und trotzdem können sie in seinem von mir citirten Vortrage, sie können in seinem ganzen System, sie können in dieser Psychologie selbst factisch verw'eohselt und vermengt sein, und so ist es in der That. Denn eben in dieser Psychologie heisst es (1. Aufl. S. 320)^), dass das Bewusstsein das Selbstbewusstsein involvire. Zum Schluss nur noch eine kleine Berichtigung in Bezug auf eine „ungenaue" Angabe des Prof. ülrici. Die „Recension" ^) Die 2. Auflage war mir nicht zugänglich. Selbstanzeigen. 501 fängt mit den Worten an : ,,Der Verfasser dieser Abhandlung schliesst sich an H. Lotze an*' und in dieser Allgemeinheit ist diese Behauptung ebenfalls unwahr. Vielmehr stehen all meine Auseinandersetzungen über die Beziehungen zwischen Katego- rien und Urtheilsformen, welche den grössten und wesentlichen Theil meiner Schrift ausmachen, ausser jeder Beziehung zu Arbeiten Lotze's aus dem einfachen Grunde , weil mir keine Untersuchungen dieses Forschers über den gleichen Gegenstand bekannt sind. Hält man die ,,XJngenauigkeit" dieser Angabe zusammen mit der Thatsache, dass meiner Kritik der Ulrici*- sehen Urtheilslehre , die sich am Ende meiner Schrift (S. 111 bis 114) findet, in der „Recension" mit keinem Worte Er- wähnung geschieht, während doch die Kritik der Lehre von der unterscheidenden Denkthätigkeit zu verblendeter Leiden- schaftlichkeit gereizt hatte, so gewinnt die Annahme grosse Wahrscheinlichkeit^ dass Prof. Ulrici meine Schrift nicht nur nicht beuitheilt und widerlegt, sondern nicht einmal gelesen habe. »^N'icht einmal gelesen" — und doch „reoensirt." Göttingen. J. Jacobson, Selbstanzeigen. Baerenbach, Fr. von. Herder als Vorgänger Dar» win'e und der modernen Naturphilosophie. Beiträge zur Geschichte der Entwickelungslehre im 18. Jahrhundert. Berlin 1877. Th. Grieben. Der Verfasser, welcher die vorbereitende und bahnbrechende Bedeutung Herder's auf einigen bedeutungsvollen Forschungs- gebieten eindringlich erörtert, unternimmt es mittels vergleichen- der Zusammenstellung markanter Aussprüche aus den Werken Herders, wie der bedeutsamsten Vertreter der modernen Ent- wickelungstheorie und der Darwin'sehen Zuchtwahllehre nach- zuweisen, dass Herder vornehmlich in seinen „Ideen zu einer Philosophie der Geschichte der Menschheit^' die philosophischen Grundgedanken jener Theorien (zum Theile wohl angeregt durch Kant und Goethe, gewiss aber nicht ohne Originalität) anticipirt hat. Baerenbach, Pr. von. Gedanken über die Teleo- logie in der Natur. Ein Beitrag zur Philosophie der Naturwissenschaften. Berlin 1878. Th, Grieben. Die gründlichere erkenntnisstheoretische Untersuchung de» 502 Selbstanzeigen. Zweckbegriffs föbrt den Verfasser zu dem Ergebniss, dass auch eine wissenschaftliche Philosophie, welche sich die Entwicke- lung und Lösung immanenter Probleme zur Aufgabe gestellt hat, sowohl die Teleologie als heuristische Maxime (Kant) als auch eine objective ^^den Erscheinungscomplexen immanente, natürliche Teleologie^' anzunehmen veranlasst sei. Der Ver- fasser kritisirt die Teleophobie des Materialismus und einiger Naturforscher und führt zunächst den erkenntnisstheoretischen Nachweis^ dass eben die Entwickelungslehre und insbesondere die Zuchtwahltheorien Darwin's keineswegs die vermeintliche Theorie der Zwecklosigkeit, sondern in unzweideutiger Weise eine Theorie der immanenten natürlichen Teleologie enthalten, die allerdings von den traditionellen teleologischen Irrvorstellun- gen und „Weltansichten** toto genere verschieden sei, Bilharz; Alf. Der heliocentrische Standpunkt der Weltbetrach tu n^. Grundlegungen zu einer wirklichen Naturphilosophie. Mit 13 Holzechn. Stutt- gart, Cotta. (XVI und 326 S. 8».) Das Sein tritt in das Bewasstsein des Erkennenden, wel- cher am Sein participirt, aber nicht das ganze Sein ausfüllt, unmittelbar oder durch innere Erfahrung als partielles Sein, als individuelles Sein, als umgrenztes Sein, als gehemmtes Sein , daher Drang zu Sein oder Wille zum Leben , kurz als „Wille", dem ein anderer Drang zu Sein oder Wille entgegen- steht. — Ist der Individualwille des erkennenden Subjects = subjectiver Wille, weil Wollen und Erkennen im Ich oder dem „Subjectpunct^* identisch vereinigt sind, so ist der entgegen- stehende Wille = objectiver Wille, und so erhält man zwei ganz verschiedene Subject-Object-Relationen , von denen die eine die Welt des Bewusstseins, die andere die Welt des Seins ausmacht und welche beide in dem „Pivotbegriff" des Subjects zusammenstossen. — Die Grenze zwischen subjectivem und objectivem Willen ist die reale Grundlage des Baumes, der subjective Eaum also die nach innen gewendete (negative) Hälfte derselben. Zeit ist der reciproke Werth des objec- tiven Willens oder der Kraft. Beide werden im Denkact, der hierdurch sich mit einem Willensact als identisch erweist, nach auswärts umgedreht, und so wird das mit dem objectiven Willen vollkommen übereinstimmende hüllenhafte , leere Vor- stellungsgebilde hergestellt. — Hierdurch erweist sich die Metaphysik als eine der Wissenschaft der sinnlichen Erfah- rung vollkommen ebenbürtige — mit bestimmtem Forschungs- feld (dem Subject), mit bestimmtem Umfang (ebendemselben, Selbstaozeigea. 503 den die Welt des Binnlichen Erkennens hat), einem bestimm- ten Inhalt (dem Willen und dessen Dependenzbegriffen) und auch mit bestimmter Denkform^ nämlich der des logischen Widerspruchs oder der contradictori sehen Attribute. Denn indem die für äussere Erfahrung gültige Causalität ebendesswegen für die innere nicht gelten kann, wir aber doch die gsinz auf Causalität gebaute Sprache nicht missen können y so vermag nur die Zulassung des contradictorischen Gegentheils einer Bestimmung den begangenen unvermeidlichen Fehler auszugleichen, — Indem hier der Widerspruch legitim gemacht wird, löst sich das Problem der Willensfreiheit, und in dem auf den immanenten Gegensatz im metaphysischen Wesen sich gründenden „ethophysi sehen" Gesetz der Er- haltung des Willens ist das Fundament der Moral ^ als einer immanenten Wissenschaft, aufgefunden. JjBBSy Ernst. Idealismus und Positivismus. Eine kritische Auseinandersetzung. Erster, allgemeiner und f rundlegender Theil. Berlin, Weidmännische Buchhand- mg, 1879. 275 S. Unter Anknüpfung an Piatons Theaetet und den in diesem Dialog dargestellten Gegensatz gegen die sensualisti- schen, heraklitisirenden imd relativistischen Leh- ren, welche daselbst mit dem Namen des Protagoras be- zeichnet worden sind, werdender platonische „Idealis- mus** und sein Widerspiel — für das letztere wird der Ter- minus „Positivismus" verwerthet — in ihren ursprüng- lichen Gestalten vorgeführt und in die hervorragendsten und der wissenschaftlichen Berücksichtigung werthesten Entfaltungen und Weiterbildungen verfolgt, welche bisher stattgefunden haben. Die Voraussetzung ist, dass die Geschichte der Philosophie keinen fundamentaleren Gegensatz aufzuweisen hat, als den, welcher mit diesen beiden Standpunkten gegeben ist. Es wird eine kritische Auseinandersetzung zwischen ihnen beabsichtigt. Die philologisch-historischen Fra- gen, wie z. B. die, in wie weit die Lehren, welche Piaton be- kämpft, wirklich protagoreischen Ursprungs seien, werden nur 80 weit erörtert, als es der philosophischen Aufgabe dien- lich zu sein scheint. Der vorliegende erste Theil hält sich, nachdem das Thema ausgesponnen ist, vorzugsweise an die allgemeinen und principiellen Gharakterzüge des aufgestellten Gegensatzes. Unter den Flatonikem sind an erster Stelle Aristoteles und Kant berücksichtigt; nächst ihnen Descartes, Leibnitz, Fichte, Schelling, He- 504 Philo8ophi8che Zeitschriften. gel, Cousin, Hamilton and Andere. Den beiden folgenden Theilen ist es aufbehalten ^ die kritisohe Auseinandersetzung zwischen den beiderseitigen Principien in das Gebiet der Ethik und Wissenschaft sichre zu verfolgen. Doch drängt schon jetzt die Discussion der zu Gunsten des Platonismua Torgebrachten allgemeinen Argumente^ sowie die Dar- legung der hinter ihm treibenden Gefühle und Bedürf- nisse und der sichtbar gewordenen praktischen Folgen zu dem Ergebnisse dass der platonische Idealismus zwar psychologisch sehr wohl begreiflich und dem mensch- lichen Gemüthe in hohem Grade sympathisch, aber auch wissenschaftlich durchaus unbegründbar und zu nicht geringem Theile culturgefährlich sei; und dass anderer- seits kein Grund zu finden ist, der nöthigte, den Boden des Positiyismus zu verlassen; dass insonderheit keines der dem gebildeten Menschengeiste werthvollen und unentbehrlichen Ideale in Gefahr geräth, wenn man die platonisch- romantische Flucht in ein „höheres^', unerfahr- bares Sein von sich fem hält. Philosophische Zeitschriften. Philosophische Monatshefte. Band 15, Heft 4 und 5: H. Hoff ding: Die Philosophie in Schweden. — E. Wille: Ueber das Nirgendssein der Vorstellungen. — W. Schuppe, Erkenntnissth. Logik; bespr. von J. Witte. — M. Kahler, Das Gewissen; bespr. von G. Knauer. — F. v. Baerenbach, Grundlegung der krit. Philosophie; bespr. von A. Richter. — Th. Vogt, J. Kant über Pädagogik; bespr. von C. S. Bar ach. — Litteratur- bericht: Huber; Spir; Lyng; Windelband; Siebeck; Sobczyk; Confucius, deutsch von Plaenckner; Vogel. — Bibliographie von F. Ascherson. — Vorlesungen. — Aus Zeitschriften. — J. Huber's Nekrolog von F. Jodl. — Miscellen. Zeltschrift für Philosophie und philosophische Kritik. Band 75, Heft 1: G. Glogau: üeber die psychische Mechanik. — K. Falckenberg: Ueber den intelligiblen Charakter. — L. Weis: J. Sengler (2te Hälfte). — Eecen- sionen: E. Zeller, Vorträge und Abhandlungen. II.; von Fr. Hoffmann. — Fr. v. Baerenbach, Prolegomena zu einer Philosophische Zeitschriften. 505 anthropologischen Philosophie ; von demselben. — Schriften zur Aesthetik: S. A. Byk, Die Psychologie des Schönen; K. Eöst- lin, lieber den Schönheitsbegriff; S. Eubinstein, Psychologisch- ästhetische Essays; C. IN'eudecker; Studien zur Geschichte der deutschen Aesthetik seit Kant; von M. Carriere. — M. La- zarus, Geist und Sprache; von G. Glogau. — R. Avenarius, Philosophie als Denken der Welt etc.; von J. Rehmke. — Herder's sämmtl. Werke, hrsg» von B. Suphan, Bd. I u. II; von Fr. v. Baerenbach. — V. di Giovanni, H^tmann e Miceli; von H. XJlrici. — Kaufs Kr. d. Urtheilskraft und Kr. der prakt. Vernunft, hrsg. von K. Kehrbach; von dem- selben. — C. Goebel, Prof. Helmholtz* Rede über das Denken in der Medicin und die Aufgabe der Philosophie; und 0. Cas- pari, Virchow und Haeckel vor dem Forum der methodologischen Forschung; von demselben. — In Sachen der wissenschaftlichen Philosophie. Erklärung von H. Ulrici. — Entgegnung von Th. V. Varnbüler. — Notizen. — Bibliographie, Bevue Philosophique de la France et de l'Etranger. Jahrgang 4, Heft 5: D. Nolen": Les maitres de Kant. I. — Straszewski: Herbart : sa vie et sa philosophie d'apräs des publications r^centes. — Th. Beinach: Le nouveau livre de Hartmann sur la morale (2® art.). — Analyses et comptes ren- dus: Helmholtz, Die Thatsachen in der Wahrnehmung. Spir, Denken und Wirklichkeit; Dupont White, Fragments philoso- phiques; Herzen, La condizione fisica della coscienza. — Eevue des periodiques etrangers. Heft 6: G. S^ailles: La science et la beaut^: Travaux r^cents sur l'esth^tique. — Th. Bein ach: Le nouveau livre de Hartmann sur la morale (fin). — Straszewski: Her- bart (fin). — Notes et documents: Histoire de la Sensation ^lectrique, par G. Pouche t. — Analyses et comptes rendus: Franck, Philosophes modernes; Maillet, L^essence des passions; Mac Cosh, The laws of discursive thought. — Correspondance : La conscience et la desintegration, par A. H e r z e n. — Revue des periodiques. — Une enquete esthdtique: Les sons et les Couleurs. Heft 7: A. Fouill^e: La philosophie des idees-forces (1®^ art.), — L. Liard: Theorie de la science et de Tinduc- tion d'apres Whewell. — A. Baudouin: Histoire critique de Jules Cdsar Vanini (1®' art). — F. Paulhan: L'erreur et la s^lection (1^ art.). — Analyses et comptes rendus : E. Egger^ Observations et rdflexions. sur le d^veloppement de l'intelli- gence et du langage chez les enfants; A. Baiu; Education as VierteljahrsscliTift f. wissenschaftl. Philosophie. III. 4. 33 506 Philosophische Zeitschriften. a Bcience; Fr. Harms ^ Die Philosophie in ihrer Geschichte; H. Siebeck, La conscience consid^r^e comrae limite de la con- naissance naturelle; H. Berg^ Le plaisir musical; J. Lnys, Etüde Bur le d^doublement des Operations cdr^brales etc. — Notices bibliographiques : Eunape; Frege; Jellinek; Herzen. Heft 8: D. Nolen: Les maitres de Kant IL Newton. — L. Carrau: Le dualisme de Stuart Mill. — A. Baudouin: Histoire critique de Vanini (2® art.). — F. Paulhan: L'erreur et la s^lection (2 ® art.). — Analyses et comptes rendus : Asti^, Melanges de th^ologie et de philosophie; Windelband , Ge- schichte der neueren Philosophie (t. I.) ; G. Martins, Zur Lehre vom Urtheil; Turbiglio, Le antitesi tra il medioevo e Teta moderna. — Revue des periodiques ^trangers. La Philosophie Positive. Jahrgang 12, Heft 1: H. Stupuy: Deux mesures oppor- tunes. — £. Littr^: Gomment, dans deux situations histo- riques, les S^mites entrerent en comp^tition avec les Aryens pour rh^g^monie du monde, et comment ils y faillirent. — R. Jeudy: Faits psychometriques. — L. Arr^at: La con- science dans le drame (suite). G. S. : La rose. Eltude esthe- tique (fin). — H. Boens: La criminalit^ au point de vue so- cialogique. — E. dePompery: Un cas de socialisme pra- tique. — A. Wilhem: Les deux morales de Tetat. — P. Petroz: Salon de 1879. — ]fe. Littr^: Exp^rience r^tro- spective au sujet de notre plus r^cente histoire. — Biblio- graphie. Mind. Heft 15: Grant Allen: The Origin of the Sense of Symmetry. — W. James: The Sentiment of Bationality. — C. Kead: K. Fischer on English Philosophy. — J. N, Key- nes: On the Position of Formal Logic. — A. Bain: J. St. Mill. (n.) — F. C. Edgeworth: The Hedonical Calculus. — Notes: The so-called Idealism of Kant, by H. Sidgwick; AUeged Suicide of a Dog, by H. Maudsley; Experiments with Human Beings, by G. C. Robertson. — Critical No- tices: Grant Allen's Colour-Sense, by J. Sully; Courtney*s Meta- physics of J. S. Mill, by G. C.Robertson; Sigwart's Logik, by J. Venu; Lotsij's Spinoza's Wijsbegeerte, by F. P o 1 1 o c k. — New Books. — Miscellaneous. La Filosofla delle Souole Italiane. Band 19, Heft 3: T. Mamiani: Della preghiera religiosa e come e quando sia efficace. — L. Ferri: ll trattato di Cicerone sui doveri. — Fr, L. Pull^: Dei sistemi filosofici Bibliographische Mittheilangen. 507 deir India. — B. Bobba: La dottrina della libertä secondo Spencer in rapporto coUa morale. — Bibliografia : A. L. Kym ; C. Cantoni; G. Barco; A. Conti e G. Bossi; E. 0. Burman; L. Polacco; A. Torre; F. v. Baerenbach. — Periodici di filo- Bofia. — Notizie. — Becenti pubblicazioni. Bibliographische Mlttheilnngen. Alaax (J. •£•).! — De la Metaphyedque ooncdderee comme scienoe. In-8. 7 fr. 60. Aristote — M^tapbysique« traduite en f^ancais, aveo des notes perp^tuelles« par Barthelemy-Saint-Hilaire. 3 vol. iii-8. 30 fr. Aristotelis physica. Reo. Card. Prantl. 8. (VI, 211 S.) Leipzig, Teubner. 1. 50. Bacon (Francis). — Aocount of Life and Times of. Extracted trom Occasional Writings bj James Spedding. 2 vols. Cr. 8to. 11, 1 s. Bacon's Essays. Text only, with Index. Bj Edwin A. Abbott, D.D. ISmo. 28. 6(2. Bacon's Essays, XXXII— LYIIL With Introduotion and Notes by Rev. Henry Lewis. Fcp. Is. ßd, Complete, fcp. 2 s. ßd, Bahnsch, Dr. Frdr. des Epicureers Fhilodemus Schrift Ilegl arifXBCtov xal arifÄSuoaetov. Eine Darlegg. ihres Gedankengehalts, gr. 8. (38 S.) Lyck, Wiebe. 1. — Bain's (Dr. Alexander) Education as a Science. Cr. 8yo. 5 s. (International Scientific Series.) Baltzer, Ed., Empedocles* Eine Studie zur Philosophie der Griechen, gr. 8. (III, 163 S.) Leipzig, Eigendorf. 2. 40. Bartels, Dr. Erich, üb. Systembildung. Philosophische Studie, gr. 8. (63 S.) Berlin, Grieben. 1. 20. Bechtel, Fritz, üb. die Bezeichnungen der sinnlichen Wahr- nehmungen in den indogermanischen Sprachen, gr. 8. (XX, 168 S.) Weimar, Böhlau. 5. — Bergmann, Prof. Dr. J., allgemeine Logik. [In 2 Thln.] 1. Tbl. A. u. d. T.: Keine Logik, gr. 8. (VIII, 434 S.) BerKn, Mittler & Sohn. 8. — Berkeley's Abhandlungen üb. die Principien der menschlichen. Erkenntniss. Ins Deutsche übers, u. m. erläut. u. prüf. Anmerkgn. versehen v. weil. Prof. Dr. Frdr. Ueberweg. 2. Aufl. 8. (XW, 149 S.) Leipzig, Koschny. 1. — Berkeley — Selections from. With Introduction and Notes by Alexander Campbell Fräser, LL.D. 2nd Edit Cr. Svo. 7 a. 6(2. Bianconi (G. Giuseppe). La teoria darwiniana e la creazione detta indipendente« seconda edia. riveduta» con 21 tavole; in-8, pag. 464. Bologna 1879. L. 10. — 33* 508 Bibliographische Mittheilungen. Billiarz, Dr. Alf., der heliooentrlBche Standpunkt der Welt- betrachtung. Grnndlegangen zu e. wirkl. Naturphilosophie. Mit 13 Holzscbn. gr. 8. (XVI, 326 S.) Stuttgart, Cotta. 6. — Broehard, Prof. Tict«, de assensione Stoici quid senserint dis- quisivit. gr. 8. (53 S.) Farisiis (Nancy, Berger-Levrault & Co.) 1. 92. Carpenter's (Dr. William B.) Frinciplea of Mental Fhysio- logy. 5th Edition. Cr. 8vb. 12 s. Carran (L.)« — liltudes sur la theorie de l'evolution aux Points de vue psychologique , religieux et moral. In- 12. 3 fr. 50. Class, Prof. Dr. G«, üb. d. Frage nach dem ethischen Werth der Wissenschaft. Akademische Antrittsvorlesg. gr. 8. (16 S.) Erlangen, Deichen. — 30. Conrtney's (W. L.) The Metaphysics of John Stuart Mill. Cr. 8vo. 5 s. 6(2. Bahn, Prof. Dr. Felix , die Vernunft im Recht. Grundlagen der Bechtsphilosophie. gr. 8. (XII, 220 S.) Berlin, Janke. 4. — Barwin's (Charles) The Descent of Man. 2nd Edition. Cr. 8vo, 9 s. Benls (J*). — Histoire des theories et des idees morales dans l'antiquite. 2e Edition. 2 vol. in-8. 10 fr. Espinas Dr. Alfr.» die thierischen Oesellsohaften. Eine ver- gleichend-psycholog. Untersuchg. Nach der vielfach erweit. 2. Aufl. unter Mitwirkg. d. Verf. deutsch hrsg. v. W. Schlosser. Autoris. Ausg. gr. 8. (Xni, 561 S.) Braunschweig, Vieweg & Sohn. 10. — Feehner, Gust* Thdr«^ die Tagesansicht gegenüber der Nacht- EDSicht. gr. 8. (VI, 274 S.) Leipzig, Breitkopf & Härtel. 5. 50. Feuerbaeh^ Ludwig. Ausspruche aus seinen Werken, gesammelt V. Leonore Feuerbach. 8. (IX, 165 S.) Leipzig, O. Wigand. 2. — Flint's (Dr. Bobert) Anti-Theistic Theories: being the Baird Iiecture for 1877. Cr. 8va. 10 s. 6(2. Focke^ Bud.) der Causalitätsbegriff bei Fichte. Inaugural-Disser- tation. gr. 8. (59 S.) Königsberg (Härtung). 1. 65. Franck (Ad.)* — Fhilosophes modernes etrangers et fran9ai8. In-12. 3 fr. 50. Frantz^ Const«^ Schellings positive Philosophie, nach ihrem In- halt, wie nach ihrer Bedeutung f. den allgemeinen Umschwung der bis jetzt noch herrschenden Denkweise, f. gebildete Leser dargestellt. 1. allgemeiner Thl. gr. 8. (XVI, 275 S.) Köthen, SchetÜer's Verl. 5. — Oermain (Sophie). — Oeuvres philosophiques, suivies de pens^es et de lettres in^dites, et d'une notice par H. Stupuy. In-12. 4 fr. Gnyan. — La morale anglaise oontemporaine. Morale de Tuti- lit^ et de T^volution. In-8. 7 fr. 50. Hellenbach , Lazar B.^ die Vorurtheile der Menschheit. 1. Bd. gr. 8. (VII, 364 S.) Wien, Bosner. 6. — Bibliographische Mittheilongen. 509 Hennlngr, Arendt der Sceptioismas Montaigne's u. seine ge- BChichtliche Stellung. Inaugural - Dissertation, gr. S. (51 S.) Jena, (Nenenhahn). 1. — Holf^ann^ Prof. Dr. Frz«^ philosopbisohe Schriften. 6. Bd. gr. 8. (VIT, 472 S.) Erlangen, Deichert. 6. - Uohlfeld; Dr. Panl^ die Krause'sche Philosophie in ihrem ge- schichtlichen Zusammenhange u. in ihrer Bedeutung f. das Geistesleben der Gegenwart. Von der philosoph. Facultät der Universität Jena gekrönte Freisschrift, gr. 8. (XIV, 146 S.) Jena, Costenoble. 4. — Jalfre (le B* P«). — Cours de phüosophie adapte au Pro- gramme du baocalaur^at ^s lettres. In-8. 7 fr. Janitsch^ Jul.^ Elant's Urteile über Berkeley. Ein Beitrag zur Kantphilologie, gr. 8. (57 S.) Strassborg, Astmann. 1. 20. Isnard (\e Dr. F^lix). — Spijritualisme et materialisme. In- 12. 3 fr. Last) £•) Mehr Iiioht! Die Hauptsätze Kant's n. Schopenhaner's in allgemein yerständl. Darlegg. 3. Anfl. 8. (304 S.) Berlin, Grieben. 5. — Le Bon (le Dr. Gnstaye)* — L'Homme et les societ^s, leurs origines et leur histoire. Premiere partie. Developpement phy- siqne et intellectuel de Thomme. Avec 87 gravures. Liyr. I. Gr. in-8. 1 fr. LeibniZ) Gottfr. Wilh«, philosophische Schriften. Hrsg. von C. J. Gerhardt. 2. Bd. 4. (594 S.) Berlin, Weidmann. 18. — Letoameau (Ch.)« — Science et materialisme. In- 12. 4 fr. 50. — Lowes' (George Henry) Problems of Life and Mind. 3rd Se- rieö. Problem the First: The Study of Psyohology. 8vo. 7«. 6d Littr^ (£•)* " Conservation, r^volution et positivisme. 2. Edi- tion angment^e. In- 12. 5 fr. Mandsley's (Dr. H.) The Pathology of Mind. 3rd. Edition. 8yo. 185. Maudsley (Henry), — Physiologie de l'esprit. Trad. de l'anglais par Alexandre Herzen. In-8. Cart. 10 fr. Melzer^ Dr. Ernst, die Lehre v. der Autonomie der Vernunft in den Systemen Kant's u. Oünther's. Nebst e. Anh. üb. £. y. Hartmann*8 ,, Phänomenologie d. sittl. Bewusstseins*^ gr. 8. (II, 105 S.) Neise, Gravenr's Verl. 1. — Möbias, Prof. Dr. Karl, üb. die Goethe* sehen Worte: „Leben ist die schönste Erfindung der Natur u. der Tod ist ihr Kunst- griff viel Leben zu haben". Rede beim Antritt d. Rectorats an der kÖDigl. Universität zu Kiel, geh. am 5. März 1879. 4. (16 S.) Kiel, Universitäts-Buchhandlung. 1. — Molesehott, Jae., die Einheit der Wissenschaft aus dem G-e- siohtspunkte der Lehre vom Leben. Antrittsrede znr Eröffng. seiner Vorlesgn. üb. Physiologie an der Sapienza in Born , geh. am 11. Jan. 1879. 8. (40 S.) Giessen, Roth. 1. -^ Nietzsche» Frdr., Menschliches, Allzumenscblichee. Ein Buch ' 510 Bibliographische Mittheilungen. f. Areie Geister. Anhang: Vermischte Meingn. n. Spräche, gr. 8. (163 S.) Chemnitz, Schmeitzner. 5. — Noir^9 Lndw«, Max Müller u. die Sprach-Philosophie. Mit dem (rad.) Bilde M. MüUer's. gr. 8. (VII, 107 S.) Mainz, v. Zabem. 2. 40. Peip^ weil. Prof. Dr. Alb«^ Beligionsphilosophie. Nach dessen akadem. Vorlesgn. hrsg. y. Dr. Thdr. Hoppe, gr. 8. (XII, 464 S.) Gütersloh, Bertelsmann. 8. — Penjon (A.). — O. Berkeley, 6vSque de Cloyne, sa vie et ses Oeuvres. In-8. 7 fr. 50. Perty^ Prof. Dr. Max, Erinnerungen aus d. Leben e. Natur- u. Seelenforschers d. 19. Jahrh. gr. 8. (VIII, 486 S. m. Portr. in Stahlst.) Leipzig, C. F. Winter. 7. — Peschel) Dr. Max, Aphorismen zur kantiechen Philosophie. nebst Andeutg. e. positiven metaphys. Standpunktes, gr. 8. (52 S.) Basel, Schwabe. 1. 20. Pfleiderer, Prof. Dr. Edm., zur Ehrenrettung d. Eudämonis- mus. gr. 4. (32 S.) Tübingen (Fues). 1.' 20. Philp, Bnd«, Lebensphilosophie. Vortrag. 8. (31 S.) Hermann- Stadt, Michaelis. — 70. Prenss, Wilh. H«, die psychische Bedeutung d. Lebens im Universum. Besnltate e. philosoph. Natnrforschg. üb. den kosm. Ursprung d. Lebens, d. Entstehg. d. Menschen u. der Arten im Thier- u. Pflanzenreiche, gr. 8. (IV, 54 S.) Oldenburg, Schulze. 1. — Proelss, Bob«, vom Ursprung der menschlichen Erkeimtniss. Eine psychologische Untersuchg. gr. 8. (XVI, 282 S.) Leipzig, Schlicke. 8. — Badestocjc, Panl, Schlaf u. Traum. Eine physiologisch-psycholog. Untersuchg. gr. 8. (XI, 330 S.) Leipzig, Breitkopf & Härtel. 7. — Begnaud (P.). — Mat^riaux pour servir k l'histoire de la Philosophie de l'Lide. 2« partie. In-8. 10 fr. Blbot (Th.). — La Psychologie allemande contemporaine (iicole experimentale). In-8. 7 fr. 50. Biehl, Prof. A*9 der philosophische Kriticismus u. seine Be- deutung f. die positive Wissenschaft. 2. Bd. 1. Tbl. Die sinnl. u. log. Grundlagen der Erkenntniss. gr. 8. (VII, 292 S.) Leipzig, Engelmann. 7. — Sammlung physiologischer Abhandlungen, hrsg. v. W. Preyer. 2. Serie. 5. Hft. gr. 8. Jena, Fischer. 1. 60. Inhalt: Wie orientiren wir uns im Baum durch den Gesichtssinn? Von Dr. Aug. Classen. (46 S. mit 1 Tab.) Sammlung von Vorträgen. Hrsg. v. W. Frommel u. Frdr. Pf äff. 1. Bd. 5. Hft. gr. 8. Heidelberg, C. Winter. Inhalt: Ueber den Werth d. Lebens. Von Prof. Dr. C. Schaarschmidt. (24 S.) —60. SeMeiermaelier's, Fr«, Beden üb. die Beligion. Erit. Ausg. Mit Zugrundelegg. d. Textes d. 1. Aufl. besorgt v. Dr. G. C h. B e r n h. P ü n j er. gr. 8. (XVI, 306 S.) Braunschweig, Schwetschke & Sohn. 4. 80. Sehmidy ülr« Bud., der Streit wider den unbewussten Atheis- mus dieser Zeit, auf Veranlassg. y. Otto Pfleiderer's neuester Be- Bibliographische Mittheilungen. 511 ligionsphilosophie n. Vortrag üb. Christenthum u. Natarwissenschaft fortgesetzt. 2. verm. Ausg. gr. 8. (34 S.) München, Th. Acker- mann. — 40. Schwegler's (Dr. Albert) Handbook of History of Philosophy. Translated bj J. Hutchison Stirling, M.D. 7th. Edit Fcp. 6 s. Sosmini Serbati's, Antonio, philosophisches System. Uebers. aus dem Ital. nach der neuesten Ausg. gr. 8. (IV, 136 S.) Begensburg, Manz. 2. — Sieiliani (Pietro). Socialismo, Darwinismo e sociologia moderna; in-16, pag. 98. Bologna 1879. L. 1. 25. Siebeck, Prof. Dr. Herrn., über das Bewusstsein als Schranke der Natur-iEirkenntniss. Programm zur Bectoratsfeier der Uni- . versität Basel, ^gr. 4. (28 S.) Basel 1878. (Gotha, F. A. Perthes.) Sigwart, Dr. €hrph., der Begriff d. WoUens u. sein Verhält- niss zum Begriff der Ursache. 4. (42 S.) Tübingen (Fues). 1. 20. Sigwart, Prof. Dr. Chrph«, Beiträge zur Lehre vom hypothe- tischen Urtheile. gr. 4. (66 S.) Tübingen, Fues. 2. — Strauss u. Tomey, Tict. t., Essays zur allgemeinen Religions- wissenschaft, gr. 8. (224 S.) Heidelberg, C. Winter. 6. — Stricker, Prof. Dr. S., Studien üb. das Bewusstsein. gr. 8. (VI, 99 S.) Wien, Braumüller. 2. 40. Susemihl, Franc, de recognoscendis ethicis Nicomacheis dis- sertatio II. 4. (19 S.) Berlin, Calvary & Co. 1. 20. TeiehmttUer, Prof. Dr. Gust«, neue Studien zur G-esohiolite der Begriffe. 3. Heft. Die prakt. Vernunft bei Aristoteles, gr. 8. (XVn, 453 S.) Gotha, F. A. Perthes. 9. - Teichmüller, Prof. G., über die Unsterblichkeit der Seele. 2. Aufl. gr. 8. (XVI, 244 S.) Leipzig, Duncker & Humblot 4. 40. TIberghien (G.) — Psychologie ^lementaire. La Science de Täme dans les limites de Tobservation. 3. Edition. In-8. (Bruxelles.) 6 fr. Tsehofen, Joh.Mich«, die Philosophie Arthur Schopenhauer's in ihrer Relation zur Ethik, gr. 8. (77 S.) München, Th. Ackermann. 1. 40. Ulrici, Prof. Dr. H., der sogenannte Spiritismus e. wissen- scbaftliche Frage. [Aus: „Zeitschr. f. Philos. u. philos. Kritik*^.] gr. 8. (34 S.) Halle, Pfeffer. — 80. Ulrici, Prof. Dr. H«, üb. den Spiritismus als wissenschaftliche Frage. Antwortschreiben auf den offenen Brief d. Herrn Prof. Dr. W. Wundt. gr. 8. (28 S.) Halle, Pfeffer. — 60. Verhandlungen der philosophischen Gesellschaft zu Berlin. 13. u. 14. Heft. gr. 8 Leipzig, Koschny. 1. 20. Inhalt: Ueber die neneste Schrift E. v. Hartmann^s: Phänomenologie d. sittlichen Bewnsstseins. Prolegomena zu jeder künftigen Ethik. Ein Vor- trag, geh. am 10. Noybr. 1878 in der „Philosoph. Gesellschaft*' zu Berlin von J. H. T. Eirchmann. Nebst der dabei stattgefnndenen Dis- cossion. (79 S.) 512 Bibliographische MittheiluDgen* Toity Prof. Dr. Carl t«; üb. die JSntwioklung der Erkenntniss. Kede an die Studirenden beim Antritte d. Rectorates der Ludwig- Maximilians-UniTersität, geh. am 23. Novbr. 1878. gr. 8. (29 S.) München, Bieger. 1. — Wegener^ Dr. Ed«^ zum Zusammenliang v. Sein u. Denken* Ein Beitrag zur Theorie e. vierten Hanmdimension. gr. 8. (23 S.) Leipzig, Mutze. 50. — Wegweiser zur Philosophie Arthur Schopenhauer's. gr. 8. (52 S.) Chemnitz, Schmeitzner. 1. — Wimmer^ J.^ zur Frage üb. die Abstammung d. Menschen. Erkenntnisstheoretisches u« Psychologisches, gr. 8. (14 S.) Leipzig, O. Wigand. —50. Wnnder) Herrn« L.^ Annaeus Seneca quid de dis senserit exponitur. 4. (21 S.) Grimma (Gensei). — 80. Wnndt^ Prof. W«^ der Spiritismus. Eine sogenannte wissenschaftl. Frage. Offener Brief an Herrn Dr. Herm. Ulrici in Halle, gr. 8. (31 S.) Leipzig, Engelmann. — 50. Zlmmermami^ Bob.^ Lambert, der Vorgänger Kant's. Ein Bei- trag zur Vorgeschichte der Kritik der reinen Vernunft. [Ans: „Denkschr. d. k. Akad. d. Wiss."] Imp.-4. (78 S.) Wien, Gerold's Sohn. 3. •— Der frühe redactionelle Abschlnss vorliegenden Heftes hat verhin- dert, die Erwiderung des Herrn Ad. Horwicz auf den Artikel des Herrn W. Wundt „Psychol. Thatsachen und Hypothesen" unseren geehrten Lesern bereits in diesem Hefte mitzutheilen ; die Veröffent- lichung wird nun sofort im nächsten Heft erfolgen. Der Herausgeber. Bitte betreffend die „Selbstanzeigen". Die Bedaction richtet an die Herren Autoren, welche die Ver-' Öffentlichung einer „Selbstanzeige" wünschen, das dringende Ersuchen: die „Selbstanzeigen" in dem Charakter halten zu wollen, welcher als der allein zwe(;kentsprechende in dieser Zeitschrift, Heft I, S. 119 f. dieses Jahrg., ausführlicher dargelegt worden ist Ebenso dringend wird die Bitte wiederholt: den Baum von Vs — V2Sl^"^^'^s®**® nicht zu über- schreiten und, da den Herren Autoren Abzüge zur Revision nicht vor- gelegt werden können, sowohl die Titelangabe als den Text der „Selbst- anzeige" in deatlich lesbarer Handschrift einzusenden. Pierer^Bche Hofbuclidnickerei. Stephan Geibel & Co. in Altenbarg.